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Frankreich: Das Staudammprojekt in Tarn und der Tod von Rémi Fraisse

Am 26. Oktober 2014 wurde der Student Rémi Fraisse im südfranzösischen Departement Tarn bei Protesten gegen ein geplantes Staudammprojekt von der Polizei getötet. Der folgende Artikel beleuchtet die Hintergründe des Projektes und die vielfäligten Formen des Widerstands der Bevölkerung. (Red.)

von BFS Jugend Zürich

Das Staudamm-Projekt

Ende der 1980er Jahre kam das erste Mal die Idee auf einen Staudamm bei Sivens, im Departement Tarn, in Südfrankreich zu bauen. Im Wesentlichen führten die Initiant*innen damals zwei Gründe auf:
1.) Durch den Stausee wäre die grossflächige Bewässerung der vorhandenen Maisfelder möglich.
2.) Durch den gespeicherten Wasservorrat könnte bei Niedrigwasser dem Fluss Tescou mehr Wasser zugefügt werden, um die Konzentration der Wasserverschmutzung zu senken. Diese entsteht im Wesentlichen durch die verwendeten Chemikalien in der Landwirtschaft, durch die Kläranlagen und durch eine Molkerei in der Region.
Seit Beginn der Planung haben sich die Umstände aber bedeutend geändert. Vermehrt wird von den produzierenden Bäuer*innen auf Getreide gesetzt, welches nur schwach bis gar nicht bewässert werden muss (wie z.B. Hirsen der Gattung Sorghum), während der bewässerungsintensive Maisanbau abnimmt. Zwischen 2000 bis 2010 haben die Flächen, die bewässert werden müssen, um einen Drittel abgenommen und sind von 18,5% der kultivierten Fläche auf 12,5% gesunken. Die landwirtschaftliche Nutzungsfläche ist generell rückläufig. Somit käme der geplante Staudamm heute nur noch ca. 20 Grossbetrieben, die Mais anbauen, zugute.
Auch beim zweiten Punkt hapert es. Anstatt durch zu setzten, dass die landwirtschaftlichen Betriebe und die Kläranlage-Betreiber*innen die Normen für den Gebrauch von Chemikalien und die vorgeschriebenen Höchstwerte in Bezug auf die Wasserverschmutzung einhalten, um das Problem beim Ursprung zu anzugehen, bevorzugt der mehrheitlich sozialdemokratische Generalrat von Tarn das verschmutzte Wasser einfach zu verdünnen. Das Verschmutzungsproblem, welches durch die genannte Molkerei verursachte wurde, hat sich insofern erledigt, als dass diese seit neun Jahren nicht mehr in Betrieb ist…
Für das Staudammprojekt sieht der Generalrat von Tarn 8,4 Millionen Euro vor, komplett von öffentlichen Geldern finanziert. Das macht pro Kubikmeter Wasser 5,6 Euro und ist somit zweimal teurer als bei ähnlichen Staudämmen.
Bei der Berechnung der Dimension machte es sich der Generalrat leicht: Er liess kurzerhand die CACG (frz.: compagnie d’aménagement des coteaux de Gascogne), ein privates Unternehmen, welches Grossprojekte der Landschaftsplanung verwirklicht, die Studien über das benötigte Wasservolumen durchführen.Mit dem Ergebnis, dass das vorgesehene Volumen von 1.5 Mio Kubikmeter drei mal mehr ist, als für die Bewässerung der Felder und den Wasserausgleich bei Niedrigwasser effektiv nötig wäre. Auch zwei Expert*innen des Umweltministeriums bestätigten, dass ein Staudamm dieses Ausmasses nicht nötig ist. Das vorgestellte Ergebnis der CACG ist nicht weiter verwunderlich, denn je grösser das Bauprohekt, desto mehr kann man potenziell an Profit einheimsen. Doch nicht nur die CACG profitiert davon. Es ist auch anzunehmen, dass der Staudamm ebenso ein Prestige-Projekt des Generalrats von Tarn ist.
Gegen das unsinnige Projekt, welches auch von der Landwirtschafts-Lobby der Grossbetriebe mitgetragen wird, formierte sich Widerstand. Die Bevölkerung von Sivens und die Gewerkschaft der Bäuer*innen und Naturschützer*innen stellten sich dem Projekt entgegen, bei dem 30 Hektaren landwirtschaftlich nutzbares Land verloren gehen und 18 Hektaren des Feuchtgebiets von Testet zerstört würden. Man erklärte das Feuchtgebiet und den Wald zur ZAD (zones à defendre, dt.: zu schützendes Gebiet), da darin 94 geschützte Tierarten heimisch sind, von denen durch das Projekt 5 akut bedroht würden. Auch ganz allgemein hat die Rodung des Waldes von Testet und die Zerstörung dieses Ökosystems umweltschädliche Folgen, wenn man bedenkt, dass Bäume der Luftverschmutzung entgegenwirken und auf natürliche Art und Weise Wasser aufbereiten.
Um die Bewässerung der Felder von Tarn zu ermöglichen gibt es auch traditionelle Methoden, die nicht die Zerstörung eines Naturschutzgebietes zur Folge haben, wie z.B. Wasserreservoire auf den Höfen.

Der Widerstand der Bevölkerung

Im Jahr 2011 formierte sich das “collectif Testet” um die Rodung des Waldes und die Zerstörung des Feuchtgebiets zu verhindern. Am 23 Oktober 2013 wurde ein leerstehender Hof im Gebiet besetzt, um vor Ort zu sein, da man den Beginn der Arbeiten vermutete. Am 23 Januar 2014 wurde der besetzte Hof von ca. 20 Vermummten angegriffen, die die Gebäude verwüsteten. Als Folge darauf, errichtete man vom 25.-26. Januar einen Lagerplatz direkt auf dem Gelände, um von dort aus direkt aktiv zu sein. Dieser wurde allerdings von den “Ordnungshütern” schon am darauf folgenden Tag geräumt. Die Gegner*innen versuchten danach auf dem Gelände zu verbleiben und die Arbeiten zu weiter behindern. Im April wurde die vorübergehende Unterbrechung der Arbeiten bekannt gegeben. Dies erlaubte den Gegner*innen eine Pause bis zum Sommer.
Am 15. August 2014 kamen sie zurück nach Testet und errichteten wiederum einen Lagerplatz. Anfangs September fing die Rodung des Waldes tatsächlich an. Als Folge dessen kam es zu den ersten gewalttätigen Scharmützeln zwischen der Polizei und den Demonstrierenden. Am 4. September folgte dann ein Erlass, der jegliche Versammlungen auf dem Gelände verbot. Die verbliebenen Menschen versuchten mit unterschiedlichsten Methoden das Abholzen der Bäume zu verhindern. Am 9. September traf dann die GIGN (frz.: Groupe d’Intervention de la Gendarmerie Nationale) ein, eine Sondereinheit der französischen Polizei zur Geiselbefreiung und Terrorismusbekämpfung, um die Menschen, die sich im Wald befanden und sich teilweise an die Bäume angekettet haben, zu vertreiben.
Die Gegner*innen des Projektes versuchen mittels verschiedenen Mitteln, wie z.B. Strassen-blockaden, die Abforstung zu verhindern. Im Verlauf von September und Oktober kam es immer wieder zu militanten Auseinandersetzungen mit der Polizei, die extrem repressiv agierte.

Der Tod von Rémi Fraisse

Am 26. Oktober kam es während einer Demonstration zu einem verheerenden Vorfall. Während die Polizei mit allen Mitteln versuchte die Aufstände zu unterbinden, wurde Rémi Fraisse, ein 21-jähriger Student der Umweltwissenschaften und Botanik, von einer Tränengasgranate der Polizei am Rücken getroffen. Er starb noch auf dem Gelände. Am Tag darauf wurde in den Medien entgegen den Tatsachen berichtet, man hätte die Leiche im Wald aufgefunden. Erst die Autopsie bewies die wahre Ursache. Die Hollande’sche Regierung liess sich zudem erst zwei Tage nach Rémis Tod dazu hinab Stellung zu beziehen. Die repressiven Polizeieinsätze hatten ja auch ihren Grund: Für die Regierung Hollandes ging es mit dem Einsatz der GIGN nicht einfach darum, den Bau des Staudamms zu ermöglichen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass damit ein Exempel statuiert werden sollte, welches auch der Opposition aufzeigen sollte, dass die “sozialistische” Regierung Hollandes Widerstandsformen wie Blockaden und Sabotagen nicht akzeptiert. Rémi ist ein direktes Opfer dieses „Exempels“.
In den Medien wurden die Demonstrant*innen während den Protesten – wie so oft – als Chaoten und Randalierer bezeichnet, während struktureller Gewalt keine Beachtung geschenkt wird. Fast ganz ausser Acht gelassen wurden dabei die friedlichen Proteste, die während der ganzen Zeit auch noch stattgefunden haben und von der Mehrheit der Bevölkerung von Sivens unterstützt werden. Nichts desto trotz dürfte die Polizei wenig Schwierigkeiten haben die Repression zu rechtfertigen und den Tod Rémis als Unfall darzustellen. Wie so oft werden die militanten Protestformen als illegitim dargestellt, während die friedlichen gedultet werden, um die Bewegung zu spalten. Auch dass Rémi Mitglied der FNE (frz.: France nature environnement) war, einer Organisation mit 850’000 Mitgliedern, die auf friedliche Aktionsformen setzt, wird die Zeitungen nicht daran hindern, Rémi als “Chaoten” zu diskreditieren.

remi-fraysse
Rémi Fraisse

Der Tod Rémis ist weder das Ergebnis einer “Fehlreaktion” seitens der Polizei, noch ein Unfall. Er ist die direkte Folge der Ausbildung der Polizist*innen, ihrer Bewaffnung und ihrer durch den Staatsapparat gerechtfertigten Taktiken. Es ist ein Mord des Staats, der solche Strukturen erlaubt und unterstützt, und die daraus resultierenden Ergebnisse billigend in Kauf nimmt. “Man muss den Mord an Rémi in eine Geschichte einordnen, in der die Polizei als das Auftritt was sie ist: Ein Mittel des Staates, die wirtschaftliche, politische und soziale Ordnung (kapitalistisch, rassistisch und patriarchal), mit Hilfe von Gewalt zu erhalten.”, meint Mathieu Rigouste, Aktivist und Soziologe.
Das Waldgebiet in Testet ist abgeholzt; das Projekt aber wegen der medialen Aufmerksamkeit vorübergehend unterbrochen worden. Allerdings kann der Bau während den Wintermonaten sowieso nicht weitergeführt werden. Im März 2015 werden die Arbeiten dann wieder aufgenommen. Die von der EU gesetzte Ablauffrist für die Fertigstellung des Staudammes ist der 21. Juni 2015. Bis dahin kann noch vieles passieren.
Der Tod von Rémi Fraisse macht uns unfassbar traurig, aber auch wütend.
In Solidarität mit Rémi Fraisse und seinen Nächsten.
In Solidarität mit allen, die weiter gegen den Staudamm von Sivens kämpfen.
In Solidarität mit allen Opfern von Polizeigewalt.
Weiterführende Informationen:
www.collectif-testet.org
www.jefklak.org
http://tantquilyauradesbouilles.wordpress.com

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3 Kommentare

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