Der Angriff der USA auf einen Flughafen der syrischen Armee mit 59 Tomahawk-Raketen am 7. April 2017 hat viele Gründe; um tote und verletze Kinder ging es jedenfalls nicht. Die heuchlerische Politik der Trump-Administration, die syrischen Geflüchteten den Zugang zur USA verwehrt und nun scheinbar mit rettenden Bomben zur Hilfe eilt, kommt bei vielen Liberalen, die zuvor rhetorisch stark gegen Trump schossen, gut an. So titelt die NZZ am Samstag, 8. April 2017, in ihrem Leitartikel: «Eine notwenige Strafe für Asad.» Umso wichtiger ist es, eine linke Opposition gegen die US-Kriegsmaschinerie, aber auch gegen das mörderische Assad-Regime aufzubauen. Allen, denen Gerechtigkeit und Frieden etwas bedeutet, müssen sich deshalb gegen die neue blutige Eskalation der US-Regierung im Mittleren Osten stellen. (Red.)
aus socialistworker.org
Die Heuchelei der Trump-Administration
Der Raketenangriff der Trump-Administration vom 7. April auf den Shayrat Flughafen der syrisch-arabischen Luftwaffe ist eine besorgniserregende Eskalation eines bereits sechs Jahre währenden Konflikts, der für die syrische Bevölkerung katastrophale Folgen hat. Trump sagte, dass seine Entscheidung, die 59 Tomahawk Raketen abzuschiessen, eine Vergeltung für den Giftgasangriff in Idlib vom 4. April sei, welcher mutmasslich vom Assad Regime durchgeführt wurde. Dieser Angriff tötete dutzende Zivilist*innen und vergiftete hunderte mehr.
„Ich sage euch, diese Attacke auf Kinder hatte einen grossen Einfluss auf mich“, meinte Trump. „Meine Meinung zu Syrien und Assad hat sich stark gewandelt.“ Aber diese angebliche Sorge von Trump um zivile Opfer ist nichts als blanker Hohn. Schliesslich zielte einer der ersten Gesetze der Trump Administration genau auf syrische Geflüchtete, die durch den „Travel Ban“ darin gehindert werden sollten in den USA von der mörderischen Brutalität des Assad-Regimes Schutz zu suchen.[1] Wusste Trump, dass auch viele Kinder unter den Geflüchteten waren? Zusätzlich ist die Regierung Trump verantwortlich für einen starken Anstieg an zivilen Toten und Verletzen in Syrien und im Irak als Folge der aktuellen Eskalation von US-Angriffen im Krieg gegen den Islamischen Staat.[2] Ein Bombenangriff unter dem Commander-In-Chief Trump traf eine Schule in den Aussenbezirken von Raqqa am 21. März, in der dutzende Familien Zuflucht suchten. Viele dieser Familien flohen aus anderen Teilen Syriens, nur um dann durch amerikanische Bomber den Tod zu finden.
Trumps Scheinheiligkeit ist speziell ekelhaft angesichts des allgemeinen Gemetzels in Syrien: In den sechs Jahren Krieg sah sich fast die Hälfte der Bevölkerung, etwa 11 Millionen Menschen, gezwungen zu fliehen, um der Gewalt zu entkommen – 6 Millionen suchen in Syrien selbst Zuflucht, 5 Millionen sind ins Ausland geflüchtet. Seit dem Beginn der Kämpfe sind 500‘000 Menschen getötet worden, darunter 24‘000 Kinder.[3] Aber seitdem die US-Regierung 2014 damit begann, ihren Krieg gegen den IS im Norden des Iraks zu intensivieren war der Raketenangriff des 7. April die erste Attacke auf Militärstützpunkte des Assad-Regimes, welches für mehr als 90% aller Toten und Verwundeten im Syrienkrieg verantwortlich ist.[4] Ist Trump also nur von Kindern berührt, die durch chemische Waffen sterben und nicht durch konventionelle? Seine Rechtfertigungen für den Angriff sind also erwiesenermassen falsch.
Die wahren Ziele des US-Angriffs
Beim Angriff der USA am 7. April ging es um viele Dinge, aber nicht darum, syrische Leben zu beschützen. Einerseits sah Trump, wie schon viele US-Präsidenten vor ihm, in einer militärischen Intervention die Möglichkeit, gegen seine fallenden Zustimmungswerte vorzugehen. [5] Nur eine Woche vor dem Angriff sprach die Administration Trump noch eine ganz andere Sprache: Ein Entgegenkommen gegenüber Assad sei unausweichlich. „Es geht darum, unsere Prioritäten zu ordnen und unsere Top-Priorität ist nicht mehr hier rumzusitzen und sich darauf zu fokussieren, dass Assad verschwindet“, sagte der US-Botschafter Nikki Haley bei den Vereinten Nationen. Der Pressesekretär Sean Spicer sagte: „Bezüglich Assad gibt es eine politische Realität, die wir zu akzeptieren haben“. Was geschah also? Es wurde spekuliert, dass Assad diese Aussagen als grünes Licht interpretierte, um sein ganzes Arsenal, inklusive chemischen Waffen, gegen seine Feinde einzusetzen. 2013, nach dem barbarischen Gasangriff in Ost-Ghouta durch das Regime, versprach Assad den Einsatz von chemischen Waffen zu unterlassen, wenn Obama dafür die Drohung einer Intervention zurücknehme.[6] Was auch immer die Motive der Regierung sind, die Trump-Administration vollzog eine komplette Umkehr ihrer Politik – und die Anzahl der wohlwollenden bis begeisterten Stimmen aus der Presse, von Führungsfiguren der demokratischen Partei und von Expert*innen für Aussenpolitik zeigen, dass sich dies auszahlte. Es dreht einem den Magen um, wenn man sieht, wie ehemalige scheinbare Trump-Kritiker*innen seinen Krieg derart feiern. Auf dem Fernsehsender MSNBC, der als Heimat der liberalen Opposition gegen Trump gilt, sprach der Moderator Brian Williams dreimal in dreissig Sekunden vom „wunderschönen“ Bild der Raketen, wie sie durch den Nachthimmel fliegen.[7] Hillary Clinton verlangte nach Bombardements, noch bevor Trump den Angriff befahl, und Bernie Sanders stand hinter dem Plan, Assad für den Angriff mit Chemiewaffen zur Verantwortung zu ziehen, fügte aber an, dass Trump künftige Interventionen vom Kongress absegnen lassen sollte.[8] Trump wurde für seine „vernünftige“ Anwendung von Gewalt gelobt – eine Gewalt die neun Zivilist*innen, darunter vier Kinder tötete.
Dann gibt es die Russlandfrage: Da Russland die wichtigste Stütze für das Assad-Regime ist, konnte Trump durch den Angriff Stimmen von Kritiker*innen der Demokratischen Partei, welche ihm ein zu lasches und bequemes Verhältnis zu Wladimir Putin vorwarfen, vorübergehend ruhigstellen. Die USA warnte Russland vor dem Angriff, trotzdem antwortete Russland mit einer scharfen Kritik. Der Raketenangriff, der auf einen einzelnen Flugplatz zielte, verursachte für die militärische Kapazität Assads nur einen kleinen Schaden.[9] Damit ist die jetzige Eskalation nichts weiter als eine konsistente Weiterführung der Politik Obamas, welche die Regierung Assads immer so stark bleiben liess, dass sie revolutionäre Umwälzungen zerstören konnte. Trotzdem konnte Trump eine Nachricht senden, diese mit seiner nationalistischen Rhetorik stützen und durch das militärische Säbelrasseln war er sich der Unterstützung des vereinten politischen Establishments, Demokrat*innen und Republikaner*innen, gewiss. Diese Nachricht galt nicht Assad oder Russland, sondern eher anderen Rivalen wie China oder Nordkorea.
Trump feiert also einen grossen Erfolg durch seinen Raketenangriff, aber was kommt als nächstes und wie schlimm kann es werden? Trump denkt wohl, dass dieser gezielte Angriff seine Gegner*innen zunächst isolieren wird, aber derartige risikolose, einmalige Einsätze von Luftraketen haben generell kaum nachhaltige militärische Wirkung. Was passiert, wenn das Assad-Regime ein weiteres Mal Zivilist*innen angreift, nicht mit chemischen Waffen, sondern eher mit Fassbomben, die viel häufiger verwendet werden? Wird die Trump-Administration wegschauen, wieder einen limitierten Vergeltungsschlag anordnen oder seine militärischen Eingriffe verstärken? Die Logik der Eskalation ist also in derartige „Demonstrationen“ von Macht miteingebaut.
Die Realität ist, dass sich die US-Kriegsmaschinerie hauptsächlich verantwortlich zeichnet für die Krise im Mittleren Osten – von George H.W. Bushs Irakkrieg 1991, über Bill Clintons mörderisches Regime von Sanktionen und Luftangriffen, hin zu George W. Bushs katastrophaler Invasion und Besetzung und dem darauf folgenden Bürgerkrieg im Irak.[10] Die verstärkte Gewalt der US-Regierung hat zu mehr Gewalt geführt, welche die Bühne für den IS und für Toleranz gegenüber der konterrevolutionären Schlacht des Assad-Regimes und anderen Diktaturen im Mittleren Osten bereitete.
Herausforderungen für eine neue Anti-Kriegsbewegung
Es ist wichtig, dass alle, die sich um soziale Gerechtigkeit kümmern, in klare Opposition zur US-Kriegsmaschinerie in dieser neuen, brutalen Phase treten. Die Agenda von Trump hat bereits eine neue Welle des Widerstands auf die Strasse getragen, dies ist fruchtbarer Boden auf dem eine Anti-Kriegsbewegung gedeihen könnte.[11] Es gibt aber auch Herausforderungen, die klar angesprochen und nicht verdrängt werden dürfen.
Erstens ist es entscheidend Trumps Rechtfertigung einer „Humanitären Intervention“ zu verwerfen. Angebliche humanitäre Gründe haben der US-Regierung immer wieder als Deckmantel für ihre strategischen Interessen gedient.[12]
Zweitens müssen wir für syrische Geflüchtete kämpfen, für sichere Fluchtrouten, Häuser und Unterstützung, wo auch immer sie hingehen möchten, die USA miteinbezogen. Es ist ein Skandal, dass demokratische und republikanische Regierungen nur eine äusserst geringe Zahl von syrischen Geflüchteten in die USA liessen.[13]
Drittens hat die Demokratische Partei wenig bis gar nichts getan, um seit dem Machtantritt Trumps einen echten Widerstand aufzubauen. Sie werden in dieser neusten Phase sogar noch schädlicher sein. Demokratische Politiker*innen haben den Angriff nicht nur gelobt, sondern auch versprochen im Kongress ihre Zustimmung zu künftigen Interventionen zu geben und sich so zum Juniorpartner der Kriegsmaschinerie zu machen.
Viertens muss eine prinzipielle Anti-Kriegs- und anti-imperialistische Antwort auf die jetzigen Angriffe der USA eine grundsätzliche Ablehnung des Assad-Regimes beinhalten, welches seit Jahren die syrische Bevölkerung terrorisiert. Zudem muss sich eine solche Antwort auch gegen alle anderen regionalen und imperialistischen Mächte richten, egal ob sie auf der Seite der syrischen Regierung, wie Russland und der Iran, oder gegen diese, wie Saudi-Arabien, intervenieren.[14]
Einige der Proteste gegen Trumps Angriff wurden von linken Kräften organisiert, die das Assad Regime als anti-imperialistisch sehen und den Eingriff von Russland oder dem Iran gegen die syrische Bevölkerung unterstützen. Aber man kann nicht für den Diktator und gegen den Krieg sein.[15] Diese Kräfte kämpfen gegen den Imperialismus ihres eigenen Landes, währendem sie einen anderen unterstützen. Diese Organisationen haben jedoch kein Monopol auf die Proteste. Sozialist*innen müssen klarmachen, dass sie die Angriffe Trumps verurteilen, aber wir müssen auch laut klar gegen das Assad Regime sein.
Trotz all dieser Herausforderungen ist es wichtig, dass wir demonstrieren, aber auch uns weiterbilden. Die Zukunft aller Anti-Kriegsproteste hängt von einer anti-imperialistischen Opposition und dem Lernen aus der blutigen Geschichte der US-Interventionen und der Analyse von anderen regionalen imperialistischen Kräften, die Gewalt gegen die syrische Bevölkerung anwenden, ab. Donald Trump glaubt, dass er mit dem Raketenangriff einen Erfolg gelandet hat. Es muss sich das Gegenteil erweisen. Wir müssen die Heuchelei des „Kriegs gegen den Terror“ aufdecken. Und wir müssen eine Bewegung für syrische Geflüchtete stärken, die vor Gewalt und Repression geflohen sind, trotz Regierungen wie diejenige der USA, die ihnen das Recht auf Sicherheit und Freiheit absprechen.
Der Artikel erschien am 8. April auf socialistworker.org, der Homepage der International Socialist Organization (ISO). Übersetzung und Zwischentitel durch BFS Jugend Zürich.
[1] https://socialistworker.org/2017/01/26/trumps-executive-hate-crimes
[2] https://www.nytimes.com/2017/03/30/opinion/iraqi-and-syrian-civilians-in-the-crossfire.html
[3] http://www.iamsyria.org/death-tolls.html
[4] https://socialistworker.org/2014/08/28/obamas-new-war-in-iraq
[5] https://socialistworker.org/2006-2/598/598_09_Overthrow.shtml
[6] https://socialistworker.org/2013/09/30/dispelling-illusions-about-syria
[7] http://fusion.net/brian-williams-wins-the-sickest-reaction-to-trumps-bomb-1794107289
[8] https://www.thenation.com/article/too-many-of-trumps-liberal-critics-are-praising-his-strike-on-syria/
[9] https://www.thenation.com/article/what-is-it-with-us-presidents-and-tomahawk-cruise-missile-strikes/
[10] https://socialistworker.org/2013/03/18/the-drive-to-a-war-crime
[11] https://socialistworker.org/2017/02/01/the-people-versus-the-president
[12] https://socialistworker.org/2011/03/21/nothing-humanitarian-about-us-intervention
[13] https://socialistworker.org/2016/05/23/why-are-syrias-refugees-going-through-hell
[14] https://socialistworker.org/2016/10/24/opposing-war-means-opposing-dictators
[15] https://socialistworker.org/2016/08/25/anti-imperialism-and-the-syrian-revolution
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