Deutsche und Schweizer Konzerne feiern den neuen faschistischen Präsidenten Brasiliens. Stefan Conrad, CEO von Zurich Airport Latin America, einer Tochterfirma der Flughafen Zürich AG, von der wiederum der Kanton Zürich (!) der grösste Einzelaktionär ist, meinte zum Beispiel in der NZZ, dass Bolsonaro dem Land die dringend notwendige Stabilität geben könne. Die von den Konzernen gewünschte «Stabilität» wird mit brutaler Repression gegen die Linke und die sozialen Bewegungen durchgesetzt werden – das kündet Bolsonaro auch ganz offen an. Die Linke wiederum steht vor der grossen Herausforderung, der gefährlichen Allianz zwischen der ultrarechten Regierung und dem internationalen Kapital eine wirkungsvolle Antwort entgegenzusetzen. (Red.)
von Thomas Fatheuer & Christian Russau; aus analyse&kritik
Der Sieg des ultratechten Jair Bolsonaro bei den Präsidentschaftswahlen in Brasilien ist eine historische Niederlage der Linken, deren Bedeutung weit über Lateinamerika hinausgeht. Auch wenn die extreme Polarisierung und die Gefahr der Verfolgung dies nicht begünstigen, ist es wichtig, darüber nachzudenken, wie es dazu kommen konnte.
2002 war der Gewerkschaftsführer Lula da Silva als Kandidat der Arbeiterpartei (PT) zum Präsidenten gewählt worden. 2010 verliess er nach einer Wiederwahl mit einer historischen Zustimmung von 80 Prozent das Amt und Dilma Rousseff wurde zu seiner Nachfolgerin gewählt. Mehr als eine Dekade haben linke Regierungen Brasilien geprägt. Sie setzten auf Ausgleich mit dem Kapital und vermieden jede Polarisierung der Gesellschaft – ein Gegenmodell zum venezolanischen Weg. Wachstum durch Sozialprogramme lautete die Devise: Im „Lulismus“ ging es den Armen besser, den Reichen nicht schlechter.
Der Niedergang des „Lulismus“
Aber 2013 begann mit den Massenprotesten im Vorfeld der Fussball-WM der Niedergang dieses scheinbaren Erfolgsmodells. Die Umfragewerte Dilma Rousseffs sanken drastisch, nur ganz knapp gelang ihr 2014 die Wiederwahl. Daraufhin wurde mit atemberaubender Geschwindigkeit das vorhandene linke Projekt demontiert: 2016 wurde Dilma durch ein politisch motiviertes Amtsenthebungsverfahren aus dem Amt getrieben, 2018 wurde Lula in einem zweifelhaften Prozess zu einer hohen Gefängnisstrafe verurteilt und nun Bolsonaro zum Präsidenten gewählt.
Einige Elemente der brasilianischen Tragödie liegen auf der Hand: Die nicht enden wollenden Korruptionsskandale und ihre juristische Aufarbeitung haben den Ruf der PT gründlich ruiniert. Zwar ist sie für diese Skandale nicht allein verantwortlich, aber Presse und Justiz fokussieren sich auf die PT. Diese hat die zentrale Bedeutung der Frage der Korruption unterschätzt.
Eine wichtige Rolle spielte im Wahlkampf die „moralische Agenda“, also Fragen wie die Entkriminalisierung von Abtreibung, LGBT-Rechte und die angebliche „Genderideologie“. Mehr als 20 Prozent der Brasilianer*innen werden den evangelikalen Kirchen zugerechnet, sie sind zu einem wichtigen Faktor für diese reaktionäre Wende geworden. Auch die skurpellose Verbreitung von fake news spielte eine grosse Rolle.
Doch die Linke hat in ihren langen Regierungsjahren auch keine Antwort auf die überbordende Gewalt gefunden. Bolsonaros Versprechen, Gewalt mit mehr Polizeigewalt und Bewaffnung der „guten Bürger“ zu bekämpfen, fiel so auf fruchtbaren Boden. Zusammen mit einer Wirtschaftskrise, die 2015 unter Dilma begann, bildete sich ein toxischer Cocktail: Der „anti petismo“(Anti-PT-ismus) wurde zur treibenden Kraft in diesen Wahlen. Bolsonaro konnte sich als der Kandidat gegen das „korrupte System“ aufbauen und so nicht nur die PT, sondern auch die bürgerlichen „Systemparteien“ besiegen.
Der Sturm gegen die PT wird auch von den vorsichtigen, aber wichtigen gesellschaftspolitischen Reformen genährt, die zu ihrer Regierungszeit erfolgten. Die Quoten für Schwarze Brasilianer*innen an den Universitäten oder die Besserstellung von Hausangestellten wurden für Teile der Mittelschicht zum Hassobjekt. Dennoch wäre es verkürzt, den „anti petismo“ nur als eine Reaktion der Rechten auf eine fortschrittliche Agenda zu sehen. Bestürzend bleibt, dass ein Kandidat mit einer offenen antidemokratischen, faschistischen und extrem frauenfeindlichen Rhetorik die Wahlen gewinnen konnte.
Einhellige Verurteilung, steigende Aktienkurse
Bolsonaro wird in der internationalen Presse fast einhellig verurteilt, auch wenn seine häufige Titulierung als „tropischer Trump“ eher eine Verharmlosung darstellt. Für demokratische, linke Kräfte, für Aktivisti*innen aber auch für weite Teile der Bevölkerung und alle Minderheiten stellt die Regierung Bolsonaro eine direkte Bedrohung dar. Die internationale Solidarität mit diesem Teil der brasilianischen Bevölkerung wird in dennächsten Monaten wohl eine neue Dimension erreichen.
Ganz anders „die Märkte“: Bei jedem Umfragehoch Bolsonaros stiegen die Aktienkurse und erreichten mit seinem Wahlsieg neue Rekordhöhen. Das betrifft auch die deutsche Wirtschaft, für die Brasilien ein wichtiger Stützpfeiler ist. Rund 1‘300 deutsche Firmen haben Niederlassungen in Brasilien, der Grossteil davon befindet sich in der Metropolregion von São Paulo. Sie haben einen wichtigen Anteil an der brasilianischen Wirtschaft und erwirtschaften zwischen zehn und zwölf Prozent des brasilianischen Industriewirtschaftsprodukts. Brasilien ist seinerseits Deutschlands grösster Handelspartner in Lateinamerika.
Da wundert es nicht, wenn einem Bericht der Deutschen Wellezufolge die in Brasilien aktiven deutschen Firmenchefs bereits vor der Wahl wenig Vorbehalte gegen Bolsonaro offenbarten. Sechs namentlich nicht genannte Wirtschaftsführer erklärten, sie erwarteten nach einer Wahl Bolsonaros die Rückkehr von Stabilität und Wirtschaftswachstum. Zudem bewerteten die deutschen Firmenvorstände die Wahl als Protestwahl der brasilianischen Bevölkerung gegen Korruption und für mehr Sicherheit auf den Strassen. Nicht weiter besorgt waren die deutschen Firmenbosse über Bolsonaros Glorifizierung der brasilianischen Militärdiktatur, seine offenkundigen „Defizite in Sachen Rechtsstaatlichkeit“ wie die „Befürwortung von Folter als legitimes Mittel polizeilicher Ermittlungsarbeit“, so die Deutsche Welle. Lediglich in einer Hinsicht ermahnte der Bundesverband der Deutschen Industrie den neuen Präsidenten: Er müsse sich klar zum Freihandel und internationalen Abkommen bekennen. Gefeiert wird der Wahlsieg auch vom Agrobusiness, das zu Bolsonaros wichtigsten Unterstützern zählt. Der neue Präsident hat keine Zweifel daran gelassen, dass er Umweltauflagen für schädlich und die Rechte der indigenen Bevölkerung für übertrieben hält.
Die Opposition in Brasilien wird sich neu formieren und eine strategische Debatte führen müssen: Sich an die Popularität Lulas zu klammern, hat bei den Wahlen nicht ausgereicht und bietet keine Zukunftsperspektive. Abe rzunächst wird wohl die Verteidigung demokratischer Rechte und der Kampf gegen die Kriminalisierung sozialer Bewegungen auf der Tagesordnung stehen. Die letzten Tage vor den Wahlen [die am 28.10.2018 stattfanden] machen auch Hoffnung: eine grosse politische Mobilisierung hat die Linke gegen Bolsonaro vereint, viele Menschen aktiviert und auf die Strasse gebracht. „Zwischen Exil und Gefängnis haben wir die Strasse gewählt“ lautet die Parole der Stunde.
Solidaritätsveranstaltung mit zwei brasilianischen Aktivist*innen der Partei Sozialismus und Freiheit PSOL am 20. November 2018 in Zürich.