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Schweiz: Ist der Frauen*streik eigentlich legal?

Am 14. Juni streiken Frauen*, Trans-, Inter- und Queer-Personen (FTIQ) feministisch in der ganzen Schweiz. Für viele stellt sich dabei die Frage, was rechtlich überhaupt erlaubt ist und was einem unter Umständen für Konsequenzen drohen. Nun, ein feministischer Streik ist kein traditioneller Streik, viele Streikformen sind ohne Weiteres rechtlich zulässig. Die Hausarbeit verweigern; die Kinder beim Mann* abliefern; dem Freund sagen, er soll seine Probleme gefälligst mal mit seinen Saufkumpanen besprechen; ein Transparent an der Uni/Fachhochschule/Schule aufhängen (oder gleich schwänzen 😉 ?); den ganzen Tag nichts konsumieren etc. – alles rechtlich kein Problem. Doch wie steht es mit dem Streik im Betrieb?

von Gianni Hauser (BFS Jugend Zürich)

Was ist ein Streik im Betrieb?

Streik im engeren (betrieblichen) Sinne ist eine kollekti­ve, in der Regel befristete oder doch länger dauernde Ar­beitsniederlegung zur Durchsetzung von Forderungen, die das Arbeitsverhältnis betreffen. Neben dem Streik gibt es ei­ne Reihe weiterer kollektiver, betrieblicher Kampfmassnah­men: Protestpause, Dienst nach Vorschrift («Bummel­ streik»), Unterlassung gewisser Arbeitsleistungen (z.B. Ver­zicht auf Ausstellen von Abrechnungen = «Bleistiftstreik»), Verweigerung der Benutzung der Dienstkleider (z.B. farbige T­-Shirts statt weisse Arbeitskleidung), Si-t­in («Sitzstreik»).

Ist betrieblich streiken erlaubt?

Das Streikrecht ist ausdrücklich in der Bundesverfassung verankert (Art. 28 Abs. 3 BV). Streiks müssen, um erlaubt zu sein, 1. von einer Gewerkschaft getragen sein, 2. in einem Gesamtarbeitsvertrag (GAV) regelbare Ziele verfolgen, 3. gegen keine Friedenspflicht verstossen und 4. verhältnis­mässig sein. In einem GAV regelbare Ziele (2) sind beispielsweise höhere Löhne oder ein früheres Pensionierungsalter. Dem Streikrecht steht dann eine Friedenspflicht entgegen (3), wenn ein GAV abgeschlossen wurde.

Ist der Frauen*streik erlaubt?

Der feministische Streik gehört zu einer anderen Art Streik als der traditionelle Streik, an den in der Bundesver­fassung vor allem gedacht wurde. Denn es werden alle FTIQ zum Streik aufgerufen, unabhängig davon, in welcher Bran­che sie arbeiten, ob sie einem GAV unterstehen oder über­ haupt keiner Lohnarbeit nachgehen. Zudem werden rund um den Frauen*streik eben nicht nur in einem GAV regelba­re Forderungen aufgestellt, sondern auch im Sinne der Bun­desverfassung «politische» Forderungen (diese Unterschei­dung ist rein juristisch und macht wenig Sinn, Arbeitskämp­fe und GAVs sind natürlich politisch).

Der feministische Streik bewegt sich somit rechtlich in einer Grauzone. Von Seiten einiger Gewerkschaften wird ar­gumentiert, dass «arbeitsrechtliche Forderungen klar über­wiegen» (und der Streik somit legal ist). Bürgerliche sehen das anders. (1)

Gibt es Ausnahmen vom Streikrecht?

Wo ein Gesamtarbeitsvertrag abgeschlossen wurde, gilt die Friedenspflicht zumindest für alle Fragen, die im GAV geregelt sind. In einigen GAVs gibt es sogar eine umfassen­de, so genannt «absolute» Friedenspflicht. In diesen Fällen ist ein Streik rechtlich nicht zulässig.

Berufsgruppen mit Betreuungs­ und Fürsorgeaufga­ben müssen zudem in jedem Fall sicherstellen, dass für ihre Schutzbefohlenen gesorgt wird – beispielsweise gemäss Sonntagsdienstplan oder durch Kollegen, die nicht am Streik teilnehmen.

Kann das Mitmachen beim Feministischen Streik Nachteile nach sich ziehen?

Die Erfahrung des Frauen*streiks von 1991 hat klar gezeigt: Je mehr FTIQ sich be­teiligen, desto kleiner ist das Risiko. Wenn wieder Zehntausende oder Hunderttausen­de in irgendeiner Form den Frauen*streik unterstützen, wird kaum ein*e Unternehmer*in es wagen, zu Repressionen zu grei­fen und sich in dieser Form zu exponie­ren. So war es schon 1991.

Die*der Unternehmer*in kann im Vornherein nicht verhindern, dass je­mand am Streik teilnimmt. Natürlich kann es sein, dass einzelne Unternehmer*innen Druck und Sanktionen einset­zen wollen. Das ist immer so, wenn wir uns wehren und für eine solidarische, bes­sere Welt kämpfen. Aber kämpfen lohnt sich: Nur weil viele Frauen* sich gewehrt haben, ist es heute in der Schweiz möglich legal abzutrei­ben, ist Vergewaltigung in der Ehe hier strafbar, wurde die Sklaverei erfolgreich bekämpft und ist «Black Lives Matter» heute global ein Thema.

Auch wenn unwahrscheinlich: Konsequenzen nach dem Streik durch eine*n Unternehmer*in könnten von einer Abmahnung bis zur (fristlosen) Kündigung reichen. Stellt man sich auf den Standpunkt, dass der Streik zulässig ist, wie zum Beispiel der VPOD (2), wären sol­che Sanktionen missbräuchlich und würden eine Entschädi­gung nach sich ziehen.

Welche Hilfe bieten die Gewerkschaften bei rechtlichen Fragen & Schwierigkeiten?

Mitgliedern von Gewerkschaften wird bei rechtlichen Folgen Rechtsschutz und je nachdem gewerkschaftliche oder anwaltliche Intervention und Kostenübernahme ange­boten. Bei Lohnkürzungen aufgrund der Streikteilnahme erhalten die Mitglieder unter Umständen Streikgeld. Weite­re Informationen dazu finden sich auf den jeweiligen Inter­netseiten der Gewerkschaften.

Was heisst all das rechtliche Blabla nun kurz & knapp?

Der Frauen*streik in den Betrieben bewegt sich recht­lich gesehen in einer Grauzone. Erkundigt euch in je­dem Fall, ob ihr einem GAV mit Friedenspflicht unter­steht, was einen Streik unzulässig macht. Berufsgrup­pen mit Betreuungs­- und Fürsorgeaufgaben müssen in jedem Fall gewährleisten, dass diese übernommen werden.

Arbeitsrechtliche Konsequenzen sind bei einer massenhaften Beteiligung wie 1991 unwahrscheinlich und im Fall der Fälle sollten euch die Gewerkschaften unterstützen. Überlegt euch aber in jedem Fall, was in eurem Betrieb möglich und machbar ist, was ihr euch persönlich zutraut. Und vor al­lem: Sprecht miteinander im Be­trieb, handelt in Gruppen, zu­sammen sind wir stärker! Es gibt viele verschiedene Formen, feministisch zu streiken – die allermeisten sind rechtlich un­bedenklich.

Zu guter Letzt: Dass im bür­ gerlichen Staat ein elementa­res Recht wie das Streik­recht so stark einge­schränkt ist und jeglicher militantere Protest sofort krimina­lisiert wird, zeigt uns nur, dass Lösungen nicht innerhalb des herrschen­ den Rechtssystems zu suchen sind. Seid mutig und frech, lasst euch nicht einschüch­tern! Wenn wir solidarisch gemeinsam kämp­fen, müssen wir das Recht der Herrschenden nicht fürch­ten!


Fussnoten:

1 Für näheres siehe Artikel im Beobachter, abrufbar unter www.beobachter.ch/arbeit/arbeitsrecht/klimastreik-und- frauenstreik-streiken-der-grauzone

2 Siehe Infoblatt auf der VPOD Homepage, abrufbar unter vpod.ch/downloads/infoblaetter-bildung_frauen/rechtsfra- gen-zum-frauenstreik.pdf

Bild oben:

Näharbeiterinnen des Auto-Konzerns Ford streikten 1968 in Dagenham, England für Gleichbehandlung („Equal rights in pay and granding“ = „Gleiche Rechte bei Bezahlung und Einstufung“) gegenüber den männlichen Arbeitern. Dieser Streik war bahnbrechend und ausschlaggebend für die Einführung eines Gesetzes, welches in Grossbrittanien Gleichen Lohn garantieren soll.

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