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Die Schweiz – ein ökologisches Vorbild?

Die deutsche Bundesumweltministerin Svenja Schulze preist ihr Modell eines CO2-Gesetzes mit den Worten: «Es soll praktikabel, wirksam und sozial gerecht sein». Lernen könne man von der Schweiz. Wie aber sieht es in der Schweiz bezüglich der CO2-Steuer aus und ist das wirklich vorbildlich?

von Lothar Moser (BFS Zürich); aus sozonline.de

Das Nachbarland hat die CO2-Steuer schon 2008 eingeführt

Die Schweiz kennt seit dem 1. Januar 2008 eine «CO2-Abgabe» die auf fossile Brennstoffen wie Öl und Erdgas (jedoch nicht auf die Treibstoffe Benzin und Diesel) erhoben wird. Die «CO2-Abgabe» ist als sogenannte Lenkungsabgabe ein staatlicher Preiseingriff, um die fossilen Brennstoffe im Vergleich zu den übrigen Energieträgern zu verteuern und bezweckt explizit kein fiskalisches Ziel. Bei der Einführung der Abgabe betrug der Abgabesatz 12 Franken je Tonne CO2. Seitdem wurde der Abgabesatz dreimal erhöht.

In den Jahren 2013, 2015 und 2017 wurde anhand der CO2-Statistik für die Vorjahre überprüft, ob der Absenkpfad eingehalten ist. Weil die Zwischenziele verfehlt wurden, stieg die CO2-Abgabe jeweils zum Beginn des Folgejahrs an. Die Erhöhung auf 96 Franken pro Tonne CO2 per 1.Januar 2018 ist die letzte Stufe gemäß geltender Gesetzgebung bis 2020.

Der Anteil der CO2-Abgabe (ausschließlich der Mehrwertsteuer) am Endverbrauchspreis betrug im Jahr 2015 bei Heizöl 21 Prozent und bei Erdgas 12 Prozent. Die «Einnahmen» aus der CO2-Abgabe lagen im Jahr 2018 bei etwa 1,2 Milliarden Schweizer Franken (pro Tonne CO2 sind 96 Franken im Jahr zu zahlen).

Jährlich werden rund zwei Drittel der Abgabeerträge verbrauchsunabhängig an Bevölkerung und Wirtschaft zurückverteilt. An die Bevölkerung werden im Jahr 2019 662 Millionen Franken aus der CO2-Abgabe ausgezahlt, das macht pro Person 76,80 Franken. An die Wirtschaft wurden 2018 knapp 492 Millionen Franken ausbezahlt – das entspricht anteilsmäßig der von der Wirtschaft bezahlten CO2-Abgabe. Die Rückverteilung erfolgt proportional zur abgerechneten AHV-Lohnsumme. CO2-intensive Unternehmen können sich von der Abgabe befreien lassen, wenn sie sich im Gegenzug zu einer Emissionsverminderung verpflichten. Große CO2-intensive Unternehmen nehmen am Emissionshandelssystem teil und sind ebenfalls von der CO2-Abgabe befreit.

Ein Drittel der Einnahmen aus der CO2-Abgabe (maximal 450 Mio. Franken) fließt in das Gebäudeprogramm, mit dem Bund und Kantone energetische Sanierungen (privater Bauherren) unterstützen. Weitere 25 Mio. Franken kommen dem Technologiefonds zu.

Kostet nix, bringt nix

Unterm Strich wird die Bevölkerung nicht belastet. Eine Musterfamilie, Vater, Mutter, zwei Kleinkinder, mit eher niedrigem Einkommen, die ein unsaniertes Wohnhaus mit Baujahr vor 1990 bewohnt, kam 2015 auf jährliche Heizkosten (inkl. Warmwasser) von 1904,61 Franken; die CO2-Abgabe betrug also 228,55 Franken. Im Jahr 2015 wurden der Bevölkerung pro Person 62,40 Franken zurückgezahlt, der vierköpigen Familie also 249,60 Franken.

Leider hat die Familie kaum Einfluss auf den Heizölverbrauch ihrer Wohnung, außer bewusst frieren im Winter. Denn so nett das ist, dass unsere Musterfamilie durch die CO2-Abgabe keine Belastung erfährt: Die Wohnungshaie trifft es auch nicht, denn sie wälzen die Heizkosten als Nebenkosten voll und mit zusätzlichen Verwaltungsgebühren auf die Mieter*innen ab. Die Kröten für die CO2-Abgabe auf das Heizöl für ihre Riesenvillen haben sie den Mietern mit den überzogenen Mieten längst aus der Tasche gezogen.

Wie wirksam bzw. unwirksam die CO2-Abgabe als «ökologische» Lenkungsmaßnahme ist, illustriert nicht zuletzt ein Artikel des Zürcher Tagesanzeigers vom 7. Juni 2019 mit dem Titel: «Wie lange darf ich noch mit Öl heizen? Trotz Klimanotstand ist fossile Energie unter Zürcher Hausbesitzern sehr gefragt.» Demnach werden auf Kantonsgebiet noch immer weit über die Hälfte aller Häuser mit Öl oder Gas geheizt. Und zwei Drittel der Züricher Hausbesitzer bleiben selbst dann noch fossilen Energien treu, wenn sie eine defekte Heizung ersetzen müssen. Heizungen, die mit erneuerbarer Energie betrieben sind, werden meist nur in Neubauten oder bei Gesamtsanierungen eingebaut.

Für Niklaus Haller, ehemaliger ETH-Doktorand in Gebäudetechnik, ist dies «erschreckend». Denn um das Pariser Klimaabkommen auch nur annähernd zu erfüllen, dürfte beim Heizen eigentlich gar kein CO2 mehr freigesetzt werden – und zwar so rasch wie möglich. Haller nennt vor allem einen Grund, weshalb so viele weiter auf Öl setzen. Die Investitionskosten für eine neue Ölheizung liegen drei- bis fünfmal unter denen für eine alternative Heizanlage. Das sei für die meisten entscheidend, obwohl die Betriebskosten dort um einiges höher sind als etwa bei der Wärmepumpe.

Hätte unsere Musterfamilie das Geld, sich eine Neubauwohnung leisten zu können, die den Anforderungen des schweizerischen Minergie-Standards entspricht, dürfte diese Wohnung nicht mehr als 5 Liter Heizöl pro Quadratmeter und Jahr benötigen (statt jetzt 17 Liter je Quadratmeter Wohnfläche in einem unsanierten Haus). Doch obwohl der Minergie-Standard subventioniert werden kann, schmälert dies die Rendite der Miethaie.

Autofahrer werden geschont

Um eine CO2-Abgabe auf Treibstoffe (Benzin, Diesel) zu verhindern, hat die schweizerische Erdölbranche mit starker Unterstützung der Autolobby den sogenannten «Klimarappen» auf Kraftstoffe als «freiwillige» Maßnahme vorgeschlagen. Der Bundesrat der Schweiz hat im März 2005 beschlossen, auf diesen Vorschlag einzusteigen. Der Klimarappen ist eine Abgabe in Höhe von 1,3 bis 1,9 Rappen je Liter, die von den Importeuren freiwillig auf alle Benzin- und Dieselimporte aufgeschlagen wird. Der Ertrag wird von der Stiftung Klimarappen eingesetzt, um im In- und Ausland Treibhausgasemissionen zu «kompensieren». Im Inland sollen dadurch mindestens 0,2 Millionen Tonnen eingespart werden, erforderlich ist eine Reduzierung um 1,8 Millionen Tonnen CO2.

Die Stiftung Klimarappen kann bspw. folgende Maßnahmen fördern:
– energiesparende Fahrweise im Straßenverkehr;
– Nutzung von Car-Sharing;
– Verwendung alternativer Kraftstoffe wie Ethanol-Kraftstoff, Biodiesel und Biogas.

Die Schweiz hat sich mit dem CO2-Gesetz verpflichtet, die Treibhausgasemissionen im Inland bis zum Jahr 2020 komplett um 20 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken (Kyoto-Protokoll). Um die Ziele des Klimaabkommens von Paris zu erreichen, muss sie den Ausstoß von Treibhausgasen bis zum Jahr 2030 im Vergleich zum Jahr 1990 jedoch halbieren. Der Bundesrat legte deshalb eine Totalrevision des CO2-Gesetzes vor, diese wurde jedoch so verwässert, dass sie im Dezember letzten Jahres vom Nationalrat abgelehnt wurde. Den Rechten (SVP) ging, wie nicht anders zu erwarten, die verwässerte Version zu weit. SP und Grüne lehnten die Verwässerung ab. Der Streit drehte sich im wesentlichen um die in der Vorlage vorgesehene Möglichkeit, die CO2-Reduktion zu einem großen Teil durch den Kauf von Emissionszertifikaten im Ausland kompensieren zu können, um die Höhe der Besteuerung von Treibstoffen und die CO2-Abgabe auf Flugtickets.

Bereits am 10. Juni 2011 titelte die Neue Zürcher Zeitung: Die Schweiz verfehlt das CO2-Ziel. Und weiter: Die Schweiz schafft es wohl nicht, die CO2-Vorgaben für die Jahre 2008–2012 zu erreichen. Sie kommt wohl nicht darum herum, weitere Emissionszertifikate zu kaufen.

Auch die Schweiz vefehlt ihre Klimaziele

Am 10. April 2014 schrieb der Bundesrat in einer Pressemitteilung: Die Schweiz hat das im Kyoto-Protokoll festgelegte Ziel für den Zeitraum 2008–2012 erfüllt, und zwar mehrheitlich dank Reduktionsmaßnahmen im Inland. Auch im Ausland erworbene Emissionsreduktionszertifikate sowie die CO2-Senkenleistung der Schweizer Wälder wurden mitberücksichtigt.

Wie die junge Generation das «ökologische Vorbild» Schweiz sieht, zeigen die Klimastreiks der SchülerInnen: Am 15. März 2019 demonstrierten schweizweit über 35’000, am 6. April 2019 über 50’000, am 24. Mai 2019 alleine in Zürich weit über 10’000. Für Schweizer Verhältnisse sind das enorme Zahlen. Ich war in den letzten 45 Jahren an etlichen Demonstrationen beteiligt und kann mich nicht erinnern, dass solche Ausmaße je erreicht worden wären, mit Ausnahme der Antikriegsdemo vom 15. Februar 2003, an der etwa 40’000 Menschen teilnahmen – oder natürlich dem Frauen*streik am 14. Juni 2019, an dem sich alleine in Zürich 160’000 Menschen beteiligten.

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