Wie den Flugverkehr zum Schutz der Umwelt einschränken, ohne ausschliesslich an die individuelle Verantwortung von Einzelpersonen zu appellieren? Die Autoren dieses Textes machen Vorschläge, wie Kämpfe für eine solidarische Mobilität aussehen könnten. (Red.)
von Maximilian Becker, Tobias Kalt, Jonas Lage und Anne Siemons; aus analyse & kritik
Die weite Welt entdecken, übers Wochenende Urlaub in der Sonne machen, entfernte Freund_innen besuchen – der Traum vom Fliegen ist weit verbreitet und weckt Sehnsüchte. Doch der wachsende Flugverkehr ist Teil einer imperialen Lebensweise, die zerstörerische Auswirkungen auf viele Menschen und die Biosphäre hat. So wird der Beitrag des zivilen Luftverkehrs zum Klimawandel auf rund fünf Prozent geschätzt, Tendenz stark steigend.(1) Obwohl zur Einhaltung des 1,5-Grad-Limits und zur Vermeidung noch größerer und unumkehrbarer Schäden an Mensch und Natur die globalen Treibhausgasemissionen in den nächsten Jahrzehnten drastisch sinken müssen, ist im Flugverkehr keine Trendwende in Sicht.
Im Gegenteil: Die Internationale Luftverkehrsvereinigung sagt voraus, dass sich der gesamte Flugverkehr allein zwischen 2016 und 2035 ungefähr verdoppeln wird.(2) Der internationale Flugverkehr ermöglicht eine globale, flexible Produktionsweise, die nicht nur den Klimawandel treibt, sondern auch auf ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen basiert. Aufgrund der Verringerung von Transportzeiten lohnen sich multinationale Produktionsketten und Just-in-Time-Produktion, in denen harte, schlecht bezahlte und unsichere Arbeit im Globalen Süden die Produktion von Konsumgütern und deren billige Verfügbarkeit im Globalen Norden ermöglicht.
Warum Fliegen imperial ist
Fliegen ist exklusiv, weil nur ein geringer Teil der Weltbevölkerung daran teilhaben kann: Je nach Studie haben rund 80 bis 95 Prozent aller Menschen noch nie ein Flugzeug von innen gesehen. Nicht nur die finanziellen Möglichkeiten und der Zugang zu Flughäfen sind sehr ungleich verteilt, sondern auch die Erteilung von Visa. So konnten Europäer_innen im Jahr 2010 in durchschnittlich 62 Länder visumfrei einreisen, Bürger_innen des afrikanischen Kontinents hingegen nur in durchschnittlich 15 Staaten. Die negativen Auswirkungen des Transports durch die Luft spüren hingegen in erster Linie weniger privilegierte Menschen. In der Umgebung von Flughäfen sind es vor allem ärmere Viertel, die stärker unter Fluglärm und Schadstoffausstoß leiden, da dort die Einflugschneisen liegen.
Außerdem treffen die Auswirkungen des Klimawandels Menschen im Globalen Süden, die zu großen Teilen noch nie geflogen sind, stärker. Überdies werden Beschäftigte zahlreicher Billigfluglinien durch Scheinselbstständigkeit und fehlende Tarifverträge ausgebeutet. (siehe den Artikel von Jörn Boewe) Negative Effekte sind also räumlich und zeitlich ausgelagert. Gleichzeitig breitet sich die beschleunigte Mobilitätsform aus. Fliegen wird durch die Ausweitung von Flughäfen und Billigfluglinien für eine immer größere Anzahl an Menschen weltweit attraktiv und möglich – mit der Folge, dass sich die sozial-ökologischen Krisen verschärfen.
Warum fliegen wir immer noch?
Das Konzept der imperialen Lebensweise (ak 643) will Erklärungen dafür liefern, warum sich trotz der zunehmenden globalen Ungerechtigkeiten keine zukunftsweisenden Alternativen unserer Fortbewegungsweise durchsetzen. Erstens machen tief verankerte Vorstellungen und Orientierungen Fliegen normal und erstrebenswert. Reisen mit dem Flugzeug sind in unseren Köpfen verbunden mit Freiheit, Flexibilität, Welterkundung, Wissenszuwachs, Bequemlichkeit, effektiver Erholung und Status. Beschleunigte Mobilität ist unabdingbar für eine Wirtschaftsweise, die auf Wachstum, das Erschließen neuer Märkte und technologischen Fortschritt ausgerichtet ist. Auch eine globalisierte, flexibilisierte Arbeitswelt erfordert ein großes Maß an Mobilität. Darüber hinaus tragen Scheinlösungen eines vermeintlich »grünen« Fliegens wie Offset-Mechanismen dazu bei, das Fliegen nicht zu hinterfragen. (siehe den Artikel von Magdalena Heuwelwieser)
Zweitens wird unsere derzeitige Mobilitätsweise abgesichert durch physisch-materielle Infrastrukturen wie den Aus- und Neubau von Flughäfen, globale Produktionsketten und Handelswege, den Wegfall von Nachtzügen in Europa sowie den Interessen mächtiger Akteure (die weltweit größten Flugzeughersteller sind Rüstungsunternehmen).Drittens stützen politische Institutionen den Flugverkehr und stabilisieren damit die imperiale Lebensweise. Allein für den Flughafen BER bürgen die Länder Berlin und Brandenburg sowie der Bund in Höhe von mindestens 6,5 Milliarden Euro. Die meisten kleineren Flughäfen sind nicht rentabel und verschlingen pro Jahr Millionen Steuergelder. In den Jahren 2010 bis 2013 lagen die öffentlichen Zuschüsse für die 30 deutschen Regionalflughäfen durchschnittlich bei 112 Millionen Euro.(3) Zudem tragen die fehlende Besteuerung von Kerosin und der fehlende institutionelle Schutz von Arbeitsrechten, insbesondere bei Billigfliegern, entscheidend dazu bei, dass Fliegen künstlich günstig gehalten wird.
Moralische Appelle greifen zu kurz
Wie vielversprechend ist es nun, auf die Einsicht von Vielflieger_innen zu hoffen, mit der Bahn von Köln nach Berlin zu fahren, anstatt zu fliegen und den nächsten Urlaub in Mecklenburg anstatt in Thailand zu verbringen? Der individuelle Verzicht aufs Fliegen ist aus sozial-ökologischer Perspektive unzweifelhaft eine richtige Entscheidung. Als politische Strategie greifen moralische Appelle an ein grünes Bewusstsein jedoch zu kurz. Individuelle Verhaltensänderungen lösen keine gesellschaftlichen Probleme – weder beim Fairen Handel noch beim Energiesparen. Es sind gerade Grünen-Wähler_innen, die am meisten fliegen.(4)
Die gesellschaftliche Problematisierung des Fliegens ist aber dennoch notwendig. Mitte November stellte der Olympiasieger Björn Ferry öffentlichkeitswirksam die Bedingung, nur als Kommentator für einen öffentlich-rechtlichen Sender im schwedischen Fernsehen zu arbeiten, wenn er zu den Sportereignissen in verschiedenen Ländern nicht fliegen, sondern mit der Bahn reisen darf. In der Folge bekannten sich zahlreiche Menschen dazu, auf das Fliegen verzichten zu wollen und die Hashtags #flygskam (»Flugscham«) und #jagstannarpåmarken (»Ich bleib am Boden«) trendeten auf Twitter. Nun ist durch ein paar Tweets noch nicht viel gewonnen. Aber die Skandalisierung des Fliegens kann die gesellschaftliche Normalität einer hypermobilen Lebensweise infrage stellen und ihre imperialen Voraussetzungen sichtbar machen. Dies darf allerdings nicht auf individueller Ebene verhaftet bleiben, sondern sollte zur Politisierung beitragen und einen Einstiegspunkt darstellen, die Infrastrukturen und die Institutionen des imperialen Fliegens zu verändern.
Kämpfe für eine solidarische Mobilitätsweise
Die Transformation von der imperialen zu einer solidarischen Mobilitätsweise muss politisch erkämpft werden. Dabei geht es unter anderem um den Kampf um gesellschaftliche Leitbilder, Vorstellungen von Freiheit, von notwendiger und erstrebenswerter globaler Vernetzung und von Statussymbolen. Salopp formuliert: Es wird erst dann attraktiver, am Boden zu bleiben, wenn es gesellschaftlich anerkannter ist, von einer Fahrradtour an der Ostsee zu erzählen als von einem All-Inclusive-Urlaub auf Sansibar. Vorstellungen eines guten Lebens sind immer gesellschaftlich durch politische und ökonomische Rahmenbedingungen sowie durch kulturelle Institutionen wie Werbung vermittelt, die das Fliegen günstig, normal und erstrebenswert machen. Der Wandel gesellschaftlicher Leitbilder ist also nicht primär auf individueller Ebene zu gestalten, sondern bedarf Kämpfen auf allen politischen Ebenen.
Der hochsubventionierte Aus- und Neubau von Flughäfen muss gestoppt werden, wie es etwa Initiativen gegen die dritte Piste in Wien fordern. Eine radikale Reformpolitik würde Subventionen und die Steuerbefreiung von Kerosin streichen, Kurzstreckenflüge höher besteuern und Werbung fürs Fliegen verbieten. Gleichzeitig müssen sozial-ökologische Alternativen ausgebaut werden, indem beispielsweise der Verkehr durch einen öffentlichen, preisgünstigen, ökostrombasierten und europaweit gut ausgebauten Bahnverkehr auf die Schiene verlagert wird. Verstärkte regionale und lokale Produktionskreisläufe vermindern die Notwendigkeit von Gütertransporten und Geschäftsflügen.
In demokratischen Aushandlungsprozessen muss das Flugaufkommen unter Berücksichtigung der Umweltauswirkungen absolut reduziert und das verbleibende Flugkontingent solidarisch verteilt werden. Das bedeutet, nicht der Wochenendtrip nach Barcelona, sondern die Flucht vor Krieg und Gewalt muss einfach und schnell mit dem Flugzeug möglich sein. Progressive Flugpreise, bei denen Vielflieger_innen deutlich mehr zahlen müssen, wären ein erster Ansatz, das Flugaufkommen zu verringern, ohne dass Fliegen zu einem Luxusgut für Wenige wird. Dies können erste Schritte hin zu einer solidarischen Mobilitätsweise sein, die eine gerechte Befriedigung der Bedürfnisse aller ermöglicht und sich nicht an den Maximen des Höher, Schneller, Weiter orientiert. (5)
Anmerkungen:
1) Fahey, D.W.; Lee, D.S. Aviation and Climate Change: A Scientific Perspective. Carbon Climate Law Review 2016,10, 97-104.
2) IATA Forecasts Passenger Demand to Double Over 20 Years, Press Release, 18.10.2016.
3) Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft: Steuergelder für den Flughafen von nebenan. FÖS-Paper, 2/2017.
4) Umweltbundesamt 2016: Repräsentative Erhebung von Pro-Kopf-Verbräuchen natürlicher Ressourcen in Deutschland (nach Bevölkerungsgruppen), online unter: umweltbundesamt.de.
5) Siehe auch Positionspapier der Initiative Stay Grounded, online unter: stay-grounded.org.