Menu Schließen

Wo entstand das Corona-Virus?

Dass das Corona-Virus wohl in China entstanden ist, dürfte mittlerweile allgemein bekannt sein. Nicht nur Trump gibt dem chinesischen Staat oder in rassistischer Weise „den Chinesen“ die Schuld daran, auch in sozialen Medien und Zeitungen wird die Schuld einer angeblich unhygienischen Bevölkerung oder dem Essverhalten zugeschrieben. Die eigentlichen Ursachen von Viren-Epidemien liegen aber nicht bei einer „Kultur“, sondern in der kapitalistischen Wirtschaftsweise und ihrem Verhältnis zwischen Mensch, Natur und Lebensmittelproduktion. Eine ökosozialistische Transformation ist nicht trotz, sondern wegen des Corona-Virus notwendiger denn je. (Red.)

von Chuǎng; aus analyse&kritik

Wuhan ist umgangssprachlich als einer der »vier Öfen« Chinas bekannt – wegen des drückend heißen, feuchten Sommers, den die Stadt mit Chongqing, Nanjing und wahlweise Nanchang oder Changsha teilt, alles geschäftige Metropolen entlang des Yangtze-Flusses. Wuhan ist jedoch auch mit buchstäblichen Öfen übersät: Der riesige Stadtkomplex ist ein Nukleus der baugewerblichen Industrien Chinas, seine Landschaft gespickt mit den langsam erkaltenden Hochöfen der verbliebenen staatlichen Eisen- und Stahlgießereien, die nun, von Überproduktion geplagt, in eine neue Runde der Privatisierung und Umstrukturierung gezwungen wurden – was in den letzten fünf Jahren zu mehreren großen Streiks und Protesten geführt hat. Die Stadt ist die Bauhauptstadt Chinas. In den Jahren nach der Weltwirtschaftskrise spielte sie eine besondere Rolle, da in jener Zeit das chinesische Wachstum durch Investitionen in Infrastruktur- und Immobilienprojekte angekurbelt wurde.

Doch nun scheint dieser Ofen zu erlöschen. Die Stadt ist seit über einem Monat abgeriegelt, ihre Straßen sind durch Regierungsbeschluss leergefegt: »Der größte Beitrag, den Sie leisten können: Versammeln Sie sich nicht, verursachen Sie kein Chaos«, lautete eine Schlagzeile in der Guangming Daily, die von der Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei Chinas herausgegeben wird. Das ganze Land ist abgeriegelt. Schulen sind geschlossen, die Menschen in ihren Häusern eingesperrt. Fast alle wirtschaftlichen Aktivitäten wurden wegen des Neujahrsfests am 25. Januar eingestellt. Um die Ausbreitung der Epidemie einzudämmen, wurde die Unterbrechung um einen Monat verlängert.

Über den Ausbruch des Virus kursieren jede Menge falscher Theorien, von der – vor allem in sozialen Medien in Hongkong und Taiwan, aber auch in der konservativen US-Presse verbreiteten – Behauptung, ein Virusstamm des Wuhan Institute of Virology sei freigesetzt worden, bis zur angeblichen Neigung der Chines*innen, »schmutzige« oder »seltsame« Lebensmittel zu konsumieren. Letzteres, weil der Virusausbruch mit Fledermäusen oder Schlangen in Verbindung gebracht wird, die auf einem wet market (wo man lebende Tiere kaufen kann) in Wuhan verkauft worden sein könnten.

Viele Medien haben die Vermutung geäußert, dass der Ausbruch zu einer »Legitimationskrise« für die KP China führen könnte, obwohl kaum ein Hauch eines Aufstands in der Luft liegt. Immerhin erfassen diese Prognosen die wirtschaftliche Dimension der Quarantäne. Nach ersten Schätzungen wird die Epidemie zu einer Abschwächung des chinesischen Wirtschaftswachstums auf fünf Prozent führen, was unter der Wachstumsrate von sechs Prozent im vergangenen Jahr liegt, ihrerseits bereits die niedrigste seit drei Jahrzehnten. Einige Analyst*innen befürchten sogar einen Rückgang im ersten Quartal auf nur vier Prozent – und dass dies eine globale Rezession auslösen könnte.

In China hat das Ereignis einen seltenen kollektiven Reflexionsprozess über die Gesellschaft ausgelöst. Die Epidemie hat (mindestens) 80.000 Menschen infiziert, aber sie hat 1,4 Milliarden Menschen einen Schock versetzt: Was wird mit mir, meinen Kindern, meiner Familie, meinen Freund*innen? Wo kriege ich genug zu essen her? Kann ich die Miete zahlen? Wer ist verantwortlich?

Natürlich sind Spekulationen über den bevorstehenden Untergang der KP China Unsinn. Aber auch wenn sich inzwischen kritische Betrachtungen über die Coronavirus-Berichterstattung häufen, finden wir bislang kaum Erörterungen darüber, wie solche Krankheiten überhaupt entstehen und sich verbreiten. Insofern bietet der Ausbruch Gelegenheiten zum Nachdenken: erstens über die grundsätzliche Frage, wie die kapitalistische Produktion mit der nichtmenschlichen Welt zusammenhängt, zweitens über den Zustand der chinesischen Gesellschaft.

Die Produktion von Seuchen

Das Virus, das hinter der aktuellen Epidemie (SARS-CoV-2) steht, entstand, wie sein Vorgänger SARS-CoV im Jahr 2003 und die Vogel- und Schweinegrippe vor ihm, an der Schnittstelle von Ökonomie und Epidemiologie. Es ist kein Zufall, dass so viele dieser Viren die Namen von Tieren tragen: Die neuen Krankheiten sind fast immer das Ergebnis einer »zoonotischen Übertragung«, was bedeutet, dass Infektionen vom Tier auf den Menschen überspringen. Wenn sich die Schnittstelle zwischen Mensch und Tier verändert, verändern sich auch die Bedingungen, unter denen sich solche Krankheiten entwickeln. Der Druckkochtopf der kapitalistischen Landwirtschaft und Urbanisierung bietet das ideale Medium, durch das immer verheerendere Plagen geboren, zu zoonotischen Sprüngen veranlasst und dann aggressiv durch die Bevölkerung getrieben werden.

Die Grundidee wurde von linken Biolog*innen wie Robert G. Wallace entwickelt, der in seinem 2016 erschienenen Buch »Big Farms Make Big Flu« die Verbindung zwischen der kapitalistischen Agrarindustrie und der Ätiologie (Ursachenlehre) der jüngsten Epidemien von SARS bis Ebola erläutert. Die Epidemien lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen, wobei die erste im Kerngebiet der agrarindustriellen Produktion, die zweite in ihrem Hinterland entsteht. Mit Blick auf die Ausbreitung von H5N1, auch als Vogelgrippe bekannt, nennt Wallace mehrere geografische Schlüsselfaktoren für die erste Kategorie von Epidemien:

»Die ländlichen Gebiete vieler der ärmsten Länder sind heute durch unregulierte Landwirtschaft geprägt, die bis zu den Slums an den Rändern der Städte reicht. Die unkontrollierte Übertragung in anfälligen Gebieten erhöht die genetische Variation, durch die H5N1 menschenspezifische Merkmale entwickeln kann. Durch die Ausbreitung über drei Kontinente kommt das sich schnell entwickelnde H5N1 auch mit einer großen Bandbreite an sozioökologischen Umgebungen in Kontakt.«

Die Ausbreitung wird durch die globalen Warenströme und die Migrationsbewegungen der Arbeiter*innen angetrieben. Durch sie wird das Virus in kurzer Zeit mit einer Vielzahl von Entwicklungspfaden konfrontiert, so dass sich die geeignetsten Varianten durchsetzen können.

Bevor die Zirkulation die Widerstandsfähigkeit solcher Krankheiten erhöht, hilft jedoch die Logik des Kapitals schon, zuvor isolierte oder harmlose Virusstämme in ein hochkompetitives Umfeld zu versetzen. Das begünstigt die Entstehung jener Merkmale, die Epidemien verursachen: schnelle virale Lebenszyklen, die Fähigkeit, zoonotische Sprünge zu machen, und die Fähigkeit, schnell neue Übertragungsvarianten zu entwickeln. Diese Stämme zeichnen sich gerade durch ihre Virulenz aus, also ihre Fähigkeit, schnell heftige Krankheiten zu verursachen. Normalerweise wäre das ein Evolutionsnachteil, da die frühe Tötung des Wirts weniger Zeit für die Ausbreitung des Virus lässt. In bestimmten Umgebungen macht genau das jedoch Sinn: Wenn ein Virus zahlreiche Wirte in unmittelbarer Nähe vorfindet, und insbesondere wenn diese Wirte bereits verkürzte Lebenszyklen haben, wird eine erhöhte Virulenz zum evolutionären Vorteil.

Die Vogelgrippe ist ein gutes Beispiel. Wallace weist darauf hin, dass Studien »keine endemischen hochpathogenen Stämme (der Grippe) in Wildvogelpopulationen, der Quelle fast aller Grippesubtypen«, nachweisen konnten. Vielmehr scheinen domestizierte Populationen, die in Industriefarmen zusammengepfercht sind, in offensichtlicher Beziehung zu solchen Ausbrüchen stehen. »Größere Populationsgrößen und -dichten begünstigen höhere Übertragungsraten. Beengte Verhältnisse schwächen die Immunabwehr. Ein hoher Durchsatz, der Teil jeder industriellen Produktion ist, sorgt für eine ständige Versorgung mit neuen Tieren, dem Treibstoff für die Entwicklung der Virulenz.«

Diese Merkmale entstehen aus der Logik des industriellen Wettbewerbs: »Sobald die Industrietiere das richtige Gewicht erreichen, werden sie getötet. Influenza-Infektionen müssen daher bei jedem beliebigen Tier schnell ihre Übertragungsschwelle erreichen.«

Geschichte und Ätiologie

Seuchen sind die Schatten der kapitalistischen Industrialisierung – und zugleich ihre Vorboten. In England, wo die Durchsetzung des Kapitalismus mit der massenhaften Vertreibung von Bäuerinnen und Bauern einherging, die der frühen Massentierhaltung weichen mussten, finden wir die frühesten Beispiele für diese kapitalistischen Seuchen. Im England des 18. Jahrhunderts traten drei verschiedene mehrjährige Pandemien auf, die sich von 1709–1720, 1742–1760 und 1768–1786 erstreckten. Der Ursprung jeder dieser Pandemien war importiertes, mit den vorkapitalistischen Pandemien (die oft auf Kriege folgten) infiziertes Vieh aus Europa. Aber in England hatte man begonnen, das Vieh auf neue Weise zu konzentrieren. Die Einführung der infizierten Tiere schlug daher viel aggressiver auf die Bevölkerung durch als in Europa. Es ist also kein Zufall, dass sich die Ausbrüche auf die großen Londoner Molkereien konzentrierten, die ein ideales Umfeld für die Entwicklung der Viren boten.

Dieses Beispiel aus dem Heimatland des Kapitalismus muss mit den Auswirkungen kapitalistischer Landwirtschaft auf seine Peripherie zusammen betrachtet werden. Während die Rinderpandemien im frühkapitalistischen England (durch Massenkeulungen und neue Impfstoffe) eingedämmt wurden, waren die Folgen anderswo weitaus verheerender. Die fatalste war die Rinderpest in Afrika in den 1890er Jahren. Das Datum ist kein Zufall. Ende des 19. Jahrhunderts war der europäische Imperialismus auf seinem Höhepunkt. Die Rinderpest, die die Italiener bei ihren Kolonialkriegen nach Ostafrika einschleppten, verbreitete sich über die lokalen Rinderpopulationen bis nach Südafrika, wo sie die frühe kapitalistische Agrarwirtschaft der Kolonie verwüstete.

Die Pest raffte bis zu 90 Prozent des Viehs dahin und hatte eine beispiellose Hungersnot in den überwiegend pastoralistischen Gesellschaften in Subsahara-Afrika zur Folge. Auf die Entvölkerung folgte die invasive Besiedlung der Savanne durch Dornenbüsche, die wiederum eine gute Umgebung für die Tsetsefliege schufen, die sowohl die Schlafkrankheit überträgt als auch das Weiden des Viehs verhindert. Dies sorgte dafür, dass viele Gebiete nach der Hungersnot nur begrenzt wiederbesiedelt wurden, was den weiteren Vormarsch der europäischen Kolonialmächte auf dem Kontinent begünstigte.

Der aktuelle Ausbruch des Coronavirus hat also nichts spezifisch Chinesisches. Die Erklärung dafür, warum so viele Epidemien in China aufzutreten scheinen, ist nicht kultureller Art, sondern eine Frage der Wirtschaftsgeografie. Diese liberale Empörung über die »Unreinheit« mit all ihrem impliziten Rassismus dürfte immer noch die spontane Reaktion der meisten Menschen beschreiben, wenn sie mit den politischen Dimensionen von Coronavirus oder SARS konfrontiert werden. Aber Arbeiter*innen haben wenig Kontrolle über die Bedingungen, unter denen sie arbeiten (und oft auch leben). Bedingungen, die häufig zum schlechten Gesundheitszustand der Bevölkerung beitragen, der wiederum die Verbreitung der vielen Seuchen des Kapitalismus begünstigt.

Nehmen wir die Spanische Grippe, eine der tödlichsten Epidemien der Geschichte. Die Spanische Gruppe war, wie historische Forschungen zeigen, nicht viel virulenter als andere Grippeviren; ihre hohe Sterblichkeitsrate war wahrscheinlich vor allem die Folge der Unterernährung, der Überbevölkerung der Städte und der unhygienischen Lebensbedingungen in den betroffenen Gebieten. Zugleich wurde die rasche Ausbreitung der Grippe durch den globalen Handel und die globale Kriegsführung der damaligen Imperialismen möglich, die den Ersten Weltkrieg überlebt hatten. Die Parallelen zum chinesischen Fall sind auffällig. Ähnlich wie die Spanische Grippe konnte sich das Coronavirus zunächst durch eine Verschlechterung der allgemeinen medizinischen Grundversorgung rasch ausbreiten.

Vor der schrittweisen Eingliederung des Landes in das globale kapitalistische System wurde die Gesundheitsfürsorge in China im Rahmen des danwei-Systems betrieblicher Sozialleistungen oder von lokalen Gesundheitskliniken mit einer Vielzahl von »Barfußärzt*innen« erbracht; die Leistungen waren kostenlos. Die Erfolge der sozialistischen Gesundheitsfürsorge nötigten selbst den schärfsten Kritiker*innen des Landes Respekt ab. Seitdem hat eine Kombination aus Vernachlässigung und Privatisierung das System massiv verschlechtert – und das zu einem Zeitpunkt, als die rasche Verstädterung und die unregulierte industrielle Produktion von Haushaltsgütern und Lebensmitteln eine umfassende Gesundheitsversorgung noch notwendiger machte. Heute belaufen sich Chinas Gesundheitsausgaben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf 323 US-Dollar pro Kopf. Das ist selbst für Länder mit »gehobenem mittleren Einkommen« wenig: etwa die Hälfte von dem, was Brasilien, Weißrussland oder Bulgarien ausgeben. Unter diesen Bedingungen ist es keine Überraschung, dass sich Covid-19 so leicht durchsetzen konnte. Aber wir müssen auch verstehen, wie das Virus selbst produziert wurde.

Es gibt keine Wildnis

Im Fall von Corona ist die Sache weniger eindeutig als bei der Schweine- oder Vogelgrippe, die so offensichtlich mit dem agroindustriellen System zusammenhängen. Viel scheint darauf hinzudeuten, dass das Virus von Fledermäusen oder Schlangen stammt, die normalerweise in freier Wildbahn gefangen werden. Doch auch hier besteht ein Zusammenhang, denn die durch die Afrikanische Schweinepest verursachte schlechtere Verfügbarkeit von Schweinefleisch hat dazu geführt, dass die Fleischnachfrage oft durch die wet markets gedeckt wird, die »Wildfleisch« verkaufen. Aber kann man ohne den direkten Bezug zur Massentierhaltung dieselben Prozesse verantwortlich machen?

Die Antwort ist ja. Wallace nennt zwei Hauptwege, auf denen der Kapitalismus hilft, immer tödlichere Epidemien zu entfesseln: Beim ersten, weiter oben skizzierten, gedeihen Viren in industriellen Umgebungen. Der zweite entsteht durch die kapitalistische Expansion ins Hinterland, wo bisher unbekannte Viren aus Wildtieren »geerntet« und entlang der globalen Kapitalkreisläufe verteilt werden. Entweder weil durch die erhöhte Nachfrage nach Wildtieren neue globale Lieferketten für »wilde« Waren entstehen. Oder weil sich agroökologische Wertschöpfungsketten in bisher »wilde« Bereiche ausdehnen, dort lokale Ökologien und damit die Schnittstelle zwischen Mensch und Nichtmensch verändern: Wenn die Kapitalakkumulation neue Gebiete erschließt, werden die Tiere in schwerer zugängliche Gegenden gedrängt, wo sie mit zuvor isolierten Erregern in Kontakt kommen, während diese Tiere selbst zur Zielscheibe der Kommerzialisierung werden. Zugleich drängt diese Expansion den Menschen näher an diese Tiere. Das gibt dem Virus mehr Möglichkeiten, so zu mutieren, dass es Menschen infizieren kann.

Tatsächlich ist die »natürliche« Sphäre bereits unter ein vollständig globales kapitalistisches System subsumiert, das das Klima grundlegend verändert und die meisten vorkapitalistischen Ökosysteme zerstört hat. Diese Prozesse reduzieren laut Wallace »die Art der Umweltkomplexität, mit der der Wald Übertragungsketten unterbricht«. Es gibt keine natürliche Peripherie des kapitalistischen Systems mehr – und auch keine unberührte Wildnis, deren Zustand erhalten werden könnte. Das Kapital hat lediglich ein untergeordnetes Hinterland, das seinerseits vollständig in die globale Wertschöpfung eingebunden ist.

Das schafft die Voraussetzungen für die Verwandlung »wilder« Virenstämme in globale Pandemien. Covid-19 ist kaum die schlimmste. Eine ideale Veranschaulichung des Grundprinzips findet sich beim Ebolavirus. Seine Ursprungswirte sind vermutlich mehrere in West- und Zentralafrika heimische Fledermausarten, die das Virus übertragen, selbst aber nicht erkranken. Jenseits seiner Wirtsspezies hat Ebola einen äußerst aggressiven Lebenszyklus. Es verursachte mehrere große Epidemien mit extrem hohen Sterberaten von meist über 50 Prozent.

Der bisher größte dokumentierte Ausbruch, der sich zwischen 2013 und 2016 in mehreren westafrikanischen Ländern ereignete, forderte 11.000 Todesopfer. Die Sterblichkeitsrate der Patient*innen, die ins Krankenhaus kamen, lag zwischen 57 und 59 Prozent, bei denjenigen, die keinen Zugang zu Krankenhäusern hatten, noch einmal deutlich höher. In den letzten Jahren haben Unternehmen mehrere Impfstoffe entwickelt, aber langsame Zulassungsverfahren und strenge Regeln zum Schutz geistigen Eigentums haben im Zusammenspiel mit einer mangelhaften Gesundheitsinfrastruktur verhindert, dass Impfstoffe viel dazu beitrugen, die jüngste Epidemie, die sich auf die Demokratische Republik Kongo konzentriert, zu stoppen.

Die Krankheit wird oft als eine Art Naturkatastrophe dargestellt – bestenfalls dem Zufall geschuldet, schlimmstenfalls wird sie »unreinen« kulturellen Praktiken der waldbewohnenden Armen angelastet. Aber der Zeitpunkt der beiden großen Ausbrüche (2013–2016 in Westafrika und seit 2018 im Kongo) war keineswegs ein Zufall. Beide traten genau dann auf, als die Expansion der Rohstoffindustrien die im Wald lebenden Menschen weiter verdrängt und die lokalen Ökosysteme erschüttert hat. Ähnlich beim Ausbruch 2013 in Guinea, der sich ereignete, kurz nachdem eine neue Regierung begonnen hatte, das Land für den Weltmarkt zu öffnen und große Landflächen an internationale Agrarkonzerne zu verkaufen. Insbesondere die Palmölindustrie scheint hier eine Verantwortung zu tragen, da ihre Monokulturen sowohl die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme angreift als auch jene Fledermausarten anzieht, die als natürliche Wirtsarten für das Virus dienen.

Der Verkauf großer Landflächen an Agrar- oder Forstunternehmen führt sowohl zur Enteignung der im Wald lebenden Einheimischen als auch zur Störung ihrer lokalen Produktions- und Ernteformen. Dies lässt ihnen oft keine andere Wahl, als weiter in den Wald vorzudringen. In der Folge hängt ihr Überleben zunehmend von der Jagd auf Wild oder dem Verkauf von auf dem Weltmarkt nachgefragten Pflanzen oder Holz ab. Damit aber ziehen sie den Zorn globaler Umweltorganisationen auf sich, die sie als »Wilderer« oder »illegale Holzfäller« verunglimpfen, die für genau jene ökologischen Zerstörungen verantwortlich seien, die sie überhaupt erst zu solchen Geschäften getrieben haben.

Eindämmung als Übung in Staatskunst

Covid-19 hat weltweit eine beispiellose Aufmerksamkeit erregt. Zum Teil lag das an der spektakulären Reaktion der chinesischen Regierung, die ebenso spektakulären Bildern von menschenleeren Megastädten erzeugte – ein krasser Gegensatz zum üblichen Chinabild als überfüllt und verdreckt. Auf einer tieferen Ebene scheint die Faszination aber auch darin zu bestehen, wie hier eine Generalprobe für die umfassende Mobilisierung staatlicher Aufstandsbekämpfungskapazitäten inszeniert wurde. Dies ist auch ein Lehrstück für alle, die sich für die Möglichkeiten einer globalen Revolution interessieren, denn wir haben hier einen Probelauf für die vom Staat orchestrierte Reaktion erlebt.

Aber solche Maßnahmen gehen immer auch nach hinten los. Aufstandsbekämpfung ist teuer und ineffizient und provoziert fast immer einen – noch blutigeren, verzweifelteren – zweiten Aufstand. Ähnliches lässt sich für die Quarantäne sagen (deren Vergleich mit einem Szenario der Aufstandsbekämpfung sicher seine Grenzen hat), auch sie ist auf ihre Art nach hinten losgegangen. Da sich ein Großteil der staatlichen Anstrengungen auf die Kontrolle von Informationen und Propaganda über alle möglichen Medien konzentrierte, hat sich auch der Widerspruch vielfach auf diesen Kanälen ausgedrückt.

Der Tod von Dr. Li Wenliang, einem der ersten Virus-Whistleblower, am 7. Februar erschütterte die zu Hause eingesperrten Bürger*innen im ganzen Land. Li war einer von acht Ärzt*innen, die Anfang Januar von der Polizei wegen der Verbreitung »falscher Informationen« verhaftet wurden, bevor er sich später ebenfalls infizierte. Im Netz verbreitete sich große Wut über Lis Tod. Die Menschen beginnen zu erkennen, dass der Staat aus unfähigen Funktionär*innen und Bürokrat*innen besteht, die keine Ahnung haben, was sie tun.

Aber auch ökonomisch hat die Quarantäne für viele Menschen massive Konsequenzen. Besonders Wanderarbeiter*innen stecken in der Schwebe. In Shenzhen, wo die Mehrheit der Bevölkerung Migrant*innen sind, berichten Einheimische von immer mehr Obdachlosen. Diese neuen Obdachlosen erwecken den Anschein, als ob sie buchstäblich auf der Straße gestrandet seien – noch vergleichsweise gut gekleidet, ahnungslos, wo man am besten im Freien schläft oder wo man Essen bekommt. Bagatelldiebstähle nehmen zu, vor allem von Essen, das die Lieferdienste vor den Wohnungen abstellen, in denen die Leute in Quarantäne ausharren. Überall verlieren Arbeiter*innen ihren Lohn, da die Produktion weiter ruht.

All das sind wichtige Lehren für eine Epoche, in der die Verwüstungen durch die grenzenlose Akkumulation zunehmen und die Krisen sich häufen. Da die kapitalistischen Krisen scheinbar nichtökonomische Formen annehmen, werden die Epidemien, Hungersnöte, Überschwemmungen und anderen »Naturkatastrophen« zur Rechtfertigung für die Ausweitung staatlicher Kontrolle genutzt werden. Die Frage ist, wie lange sich die Menschen in der Quarantäne, unter verschärfter staatlicher Kontrolle halten lassen, bevor sich aus den immer neuen Krisen eine aufständische Dynamik entwickelt, die nicht mehr einzudämmen ist.


Der Text ist eine stark gekürzte Fassung des Artikels »Social Contagion. Microbiological Class War in China«, der Ende Februar auf dem Chuǎng-Blog erschien. Die Zeitschrift Chuǎng analysiert den chinesischen Kapitalismus und soziale Kämpfe in China – und betreibt auch einen Blog. Parallel zur ak hat auch die Zeitschrift Wildcat den Artikel übersetzt, hier gibt es eine deutlich längere deutsche Version des Artikels.

Verwandte Artikel

2 Kommentare

  1. Pingback:Ökologie: Wie weiter mit der Klimabewegung? ‹ BFS: Sozialismus neu denken – Kapitalismus überwinden!

  2. Pingback:Ökonomie: Arbeitswertketten und ökologisch-epidemiologisch-ökonomische Krisen (1) ‹ BFS: Sozialismus neu denken – Kapitalismus überwinden!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert