Das Comeback der Jugendarbeitslosigkeit gehört zu den prägendsten Erscheinungen der Coronakrise. Das kommt nicht von ungefähr. Ein Blick auf verschiedene Länder zeigt, wie neoliberale Arbeitsmarktreformen speziell jungen Beschäftigten mehr unsichere Jobs mit hohem Kündigungsrisiko und miesen Sozialleistungen beschert haben. Die junge Generation täte deshalb gut daran, die grösste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten als Anlass zu nehmen, um der Normalisierung von prekären Arbeitsformen ein für alle Mal ein Ende zu setzen.
von Elia Baldini (BFS Jugend Zürich)
Die Welt befindet sich angesichts der Coronavirus-Pandemie in einem veritablen Krisenmodus. Chronisch unterfinanzierte Gesundheitssysteme stossen vielerorts an ihre Kapazitätsgrenzen und in den Pandemie-Hotspots lässt die gegenwärtige Übersterblichkeit eine noch höhere Opferzahl befürchten als bisher bekannt. Doch aus dem Windschatten dieser weltumspannenden Gesundheitsnotlage ist mittlerweile eine weitere Krise getreten, deren Eruptionen nicht minder historisch sind. Die Rede ist von einer regelrechten Wirtschaftsdepression, die von vielen Ökonom*innen bereits als grösste Krise seit den 1930er-Jahren eingestuft wird. Es ist zu hoffen, dass sich solche Analogien nicht bewahrheiten, doch allzu gut sieht es zurzeit nicht aus.
Denn mittlerweile wird immer klarer, dass diese Pandemie so schnell nicht aus der Welt zu schaffen ist. Selbst wenn sich im besten Fall herausstellen sollte, dass die Dunkelziffer der Infizierten ohne nennenswerte Symptome weitaus höher, und die Todesrate des Virus’ demzufolge erheblich geringer ist als bislang vermutet, werden wir bis zur Verfügbarkeit eines adäquaten Impfstoffes weiterhin mit einschneidenden Massnahmen des «Physical Distancings» leben müssen. Dass dies nicht mehr im Jahr 2020 der Fall sein wird, ist laut Forschungskreisen nicht nur möglich, sondern sogar ziemlich wahrscheinlich.
Es ist wohl keineswegs abwegig, zu bezweifeln, dass unser Profit- und Wachstums-orientiertes Wirtschaftssystem namens Kapitalismus mit dieser Situation seine liebe Mühe haben wird. Denn besonders kontaktintensive Branchen wie das Gastgewerbe, die Luftfahrt oder der Einzelhandel werden unter diesen Umständen nur schwer wieder in Gang zu bringen sein. Eine rasche Erholung der sprunghaft angestiegenen Arbeitslosigkeit gerät damit in weite Ferne. Vielmehr könnten wir, sollten drastische Umverteilungsmassnahmen zugunsten der Lohnabhängigen ausbleiben, in Kontinentaleuropa schon bald eine bedrohliche Schieflage der Sozialwerke erleben. In Ländern mit weniger sozialen Auffangnetzen wie beispielsweise den USA oder Staaten mit einem hohen Anteil informell Beschäftigter wie Brasilien, könnten bald Millionen von Menschen unter die Armutsgrenze abdriften.
Die ersten auf dem Abstellgleis
Eine Gruppe, die von den ökonomischen Turbulenzen besonders betroffen ist, sind die jungen Menschen. Denn junge Erwerbstätige arbeiten oft in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen, was dazu führt, dass sie in Krisenzeiten gerne als erste aufs Abstellgleis gestellt werden. Das machte sich in der Rezession von 2008-2009 bemerkbar, als die Jugendarbeitslosigkeit in krisengeschüttelten Ländern wie Italien, Spanien oder Griechenland auf rekordhohe 40% anstieg. Seither hat sich die wacklige Stellung vieler Jungen auf dem Arbeitsmarkt sogar noch verschärft. Grund sind neoliberale Arbeitsmarktreformen, die im Nachgang der Krise von 2008 vielerorts vorangetriebenen wurden.
Hinzu kommt: Wer noch nicht lange im Berufsleben ist, befindet sich meist in einer unteren Lohngruppe. Da haut es umso mehr rein, wenn man jetzt nur noch Arbeitslosengeld bekommt – oder wegen mieser Beschäftigungsformen wie der Scheinselbständigkeit gar kein Anspruch besteht.
Entzauberung des neoliberalen Arbeitsmarktes
So wurde etwa in Italien unter der Regierung Renzi der Kündigungsschutz aufgeweicht und das Ausstellen von befristeten Verträgen massiv vereinfacht. Als Folge davon stecken heute mehr als 50% der jungen Menschen in temporären Arbeitsverhältnissen ohne nennenswerte Kündigungsfrist oder Krankheitsausfallentschädigung fest. Und als ob das nicht schon genug wäre, ist im Bel Paese in den letzten Jahren auch der Anteil der Scheinselbständigen ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld in die Höhe geschnellt. Das angebliche italienische Jobwunder mit einem Zuwachs von einer Million Stellen im letzten Jahrzehnt hat sich damit als krisenanfällige Zeitbombe erwiesen, die dem europäischen Hotspot der Covid-19-Pandemie trotz dreimonatigem Kündigungsmoratorium bald mächtig um die Ohren fliegen wird.
In Spanien sind die Vorzeichen ähnlich gelagert. Auf der iberischen Halbinsel trug der Tourismus am stärksten zum Beschäftigungswachstum der letzten Jahre bei. Viele arbeitslose Universitätsabsolvent*innen fanden lediglich in dieser von saisonalen Verträgen auf Stundenlohnbasis geprägten Branche eine Stelle. Was das für die Arbeitsplatzsicherheit in Zeiten von Corona bedeutet, zeigen die spanischen Arbeitsmarktdaten von Ende März. Obwohl der Monat noch zur Nebensaison zählt und erst drei Wochen des Lockdowns abbildet, erhielt man einem Rückgang von 900’000 Jobs gegenüber dem Vorjahr bereits einen unappetitlichen Vorgeschmack auf die kommenden Verwerfungen.
In den USA wiederum gehen Schätzungen davon aus, dass der Anteil der 16 bis 24-Jährigen unter den 26 Mio. neu registrierten Arbeitslosen mit knapp 25% doppelt so hoch ist wie ihr proportionaler Anteil an der erwerbstätigen Bevölkerung. Zudem gehören viele Branchen mit zurzeit hohem Entlassungsrisiko auch zu den Tieflohnsektoren (im Land des American Dreams verdient ein*e Kinderbetreuer*in knapp 2’000, ein*e Kellner*in knapp 1’600 Dollar), was im Endeffekt bedeutet, dass viele jungen Menschen, die vorher keinerlei Möglichkeiten zum Sparen hatten, jetzt als erstes ohne Krankenversicherung und nur noch mit einer minimalen Arbeitslosenrente dastehen.
Letztlich reicht aber im Grunde bereits ein Blick auf die Schweiz, um sich die prekäre Position junger Menschen auf den krisengeschüttelten Arbeitsmärkten zu vergegenwärtigen. Denn auch hierzulande wurde bei den 20 bis 29-jährigen der stärkste Anstieg neuer Anmeldungen auf den regionalen Arbeitsvermittlungszentren konstatiert (Seco-Statistik, Seite 17).
Typisch Jugend? Typisch Ausbeutung!
All diese Beispiele zeigen, wie die Kapitalist*innen die Lasten der Krise – neben der Arbeiter*innenklasse als Ganzes – insbesondere auf die Schultern der jungen Lohnabhängigen abwälzen. Sie führen uns aber auch vor Augen, welch prekäre Rolle vielen Jungen im Kapitalismus grundsätzlich zukommt. Denn damit die jungen Beschäftigten in Krisenzeiten überdurchschnittlich oft durch fristlose Entlassungen in die Wüste geschickt werden können, müssen sie in Zeiten, wo es wirtschaftlich rund läuft und die Profite der Reichen sprudeln, erst einmal zu prekären Arbeitsbedingungen angestellt werden. Den Kapitalist*innen gelingt das, indem sie sich gleich mehrere jugendspezifische Merkmale zunutze machen, um bei der Verhandlung der Jobmodalitäten am längeren Hebel zu sein.
Doch was sind das für Eigenschaften, die für junge Lohnabhängige typisch sind und den Kapitalist*innen als Steilvorlage dienen? Einige wurden bereits angesprochen. Zum Beispiel die vielerorts chronisch erhöhte Jugendarbeitslosigkeit. Streiten sich Heerscharen junger Menschen um wenige Stellen, ist es für die Chef*innen ein leichtes, auf Forderungen nach mehr Lohn mit Entlassungsandrohungen zu reagieren. Ebenfalls relevant ist die prekäre finanzielle Situation vieler Studierenden, die angesichts steigender Mieten und Studiengebühren oftmals gewillt sind, beinahe jeden miserablen Job anzunehmen. Ausserdem spielt auch die tendenziell schwächere gewerkschaftliche Organisierung eine Rolle. Letzteres liegt wohl auch darin begründet, dass viele junge Erwerbstätige wegen Aus- und Weiterbildungsplänen (oder -zwängen) nicht beabsichtigen, lange in einer Arbeitsstelle zu bleiben.
Auch ältere Beschäftigte betroffen
Einige ältere Lohnabhängige mögen sich vielleicht denken, dass die genannten Probleme sie nichts mehr angehen. Doch das ist, ganz abgesehen davon, dass es oftmals der Elterngeneration in den Schoss fällt, für die Einkommensausfälle ihrer Söhne und Töchter aufzukommen, weit gefehlt. Denn das Ausspielen dieser «jugendtypischen Nachteile» auf dem Arbeitsmarkt dient den Besitzenden der Unternehmen auch dazu, um in Hochkonjunkturzeiten dem Ruf der Lohnabhängigen nach besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen ein Korrektiv entgegensetzen. Damit wird klar, dass die prekäre Lage der Jungen in der kapitalistischen Arbeitswelt eben doch alle Lohnabhängigen betrifft. Am Beispiel von Italien zeigt sich ausserdem, dass die Arbeitsplätze der Jungen oft auch eine Art Labor der Bourgeoisie für profitzuträgliche Arbeitsbedingungen von Morgen sind. Dort werden als Folge der neoliberalen Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre viele scheinselbstständige und befristete Arbeitsverhältnisse über Jahre fortgesetzt und letztlich normalisiert.
Holen wir die Gestaltungshoheit über unsere Zukunft zurück!
Da nun die grösste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten auf uns zurollt, wird es höchste Zeit, dass wir den fatalen Mechanismen des Kapitalismus nicht mehr länger die Gestaltung unserer Zukunft gestatten. Ansonsten wird diese Krise abermals allen Jungen, die nicht das Glück hatten im Schoss reicher Eltern aufgewachsen zu sein und die andere Ambitionen verfolgen, als auf Kosten anderer Menschen reich zu werden, in die Schuhe geschoben. Nehmen wir also unsere Zukunft als solidarisch zusammenhaltende Lohnabhängige selbst in die Hand!
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