Die Unternehmen versuchen seit Beginn der Corona-Krise mit allen Mitteln die Einschränkung der wirtschaftlichen Tätigkeiten zu verhindern. Mittlerweile sind sie in die Offensive übergegangen und fordern vom Bundesrat das Ende des Lockdowns sowie die Wiederaufnahme der Arbeit in allen Branchen. Die Gesundheit der Lohnabhängigen wird dabei bewusst den Profitinteressen geopfert.
von Philipp Gebhardt (BFS Zürich)
Strategie des Bundesrates
Der Bundesrat setzt in der aktuellen Krise grundsätzlch auf drei wirtschaftspolitische Massnahmen. Erstens wird die Kurzarbeit ausgebaut (u.a. auch auf Selbstständige) und der Zugang erleichtert. Damit sollen nicht nur Entlassungen verhindert und den Unternehmen die Lohnkosten abgenommen werden, sondern auch einem noch drastischeren Konsumrückgang entgegengewirkt werden, der die Krisensitation noch verschärfen würde. Zudem gibt es Berechnungen, dass diese Variante mittelfristig billiger kommt, als wenn massenhaft Beschäftigte auf Arbeitslosengelder angewiesen wären.
Zweitens beschloss der Bund quasi eine Kredit-Flatrate für Unternehmen, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Die angekündigten 42 Millarden an Unterstützungskrediten des Bundes werden wohl nicht lange reichen. Bereits haben einzelne Kantone zusätzliche Kreditspritzen aufgegleist. Der Kanton Zürich hat quasi über Nacht das grösste Rettungspacket seiner Geschichte in der Höhe von 500 Millionen Franken verabschiedet. Das Geld kommt zum grössten Teil den Unternehmen (mit bis zu 250 Mitarbeiter*innen) zu Gute.
Diese Kredite werden von den Banken vergeben, das Risiko aber zu 85% vom Bund gedeckt. Wenn die Kredite also zurückbezahlt werden können, verdienen die Banken an den Zinsen. Falls ein Unternehmen trotz Überbrückungskredit Pleite geht, bürgt der Staat (bzw. der/die unbescholtene Steuerzahler*in). Gerade in global so turbulenten Zeiten sind solche Null-Risiko-Geschäfte ganz angenehm für die Banken. Ob sie die Gewinne aus den Corona-Krediten tatsächlich an «bedürftige Unternehmen» spenden werden, wie sie am 26. März 2020 angekündgt haben, und ob dahinter nicht ein ganz profanes Eigeninteresse steckt (die Rettung der eigenen Schuldner*innen), werden wir ja noch sehen.
Die politischen Parteien stimmten diesen Rettungspacketen jedenfalls unisono zu und kommen nicht einmal auf die Idee, die Kredite an irgendwelche Bedingungen zu knüpfen. Kein Wunder klopfen sich die Herren aus der Finanzelite bei solchen Deals gegenseitig auf die Schultern.
Drittens hält der Bundesrat daran fest, den Produktionsapparat um jeden Preis am Laufen zu halten, um die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz und die Profite der Unternehmen nicht zu gefährden. Dabei wird die Gesundheit der Beschäftigten ganz bewusst aufs Spiel gesetzt.
Verantwortungslose Bauunternehmen
Gerade auf den Baustellen führt dies täglich zu chaotischen Zuständen. Die Gewerkschaften weisen seit Wochen darauf hin, dass sich die Bauarbeiter*innen inakzeptablen gesundheitlichen Gefahren aussetzen müssen. Allein am 23. März 2020 gingen 2000 Gefährdungsmeldungen bei der Unia ein. Aber nur in einzelnen Kantonen führte dies bisher zur Schliessung des Grossteils der Baustellen (u.a. in Genf und Waadt). Die Bauunternehmen wehren sich vehement gegen weitere Einschränkungen durch den Bund. Als ein Bauarbeiter auf einer Baustelle des zweiten Roche-Towers in Basel ein Foto auf Facebook veröffentlichte, auf dem zu sehen, war dass das Social Distancing nicht eingehalten werden kann, wurde er fristlos entlassen.
Am Dienstag, 31. März 2020 wurden die Arbeiten am Ceneri-Tunnel nach kurzer Unterbrechung auf Druck des Bauherrens (AlpTransit Gotthard AG, einer Tochterfirma der SBB) und mit ausdrücklicher Genehmigung der Tessiner Regierung wieder aufgenommen. Den Bauarbeiter*innen war es aber nicht möglich, die erforderlichen Schutzmassnahmen einzuhalten. Dank der Veröffentlichung eines Fotos durch die Tessiner Sektion der Bewegung für den Sozialismus, welches die unhaltbaren Zustände auf der Baustelle deutlich machte, intervenierte der Bundesrat und schloss die Baustelle knapp 24 Stunden nach Wiederaufnahme der Arbeit wieder.
Es kam vereinzelt auch schon zu Arbeitsunterbrechungen und wilden Streiks von Bauarbeiter*innen. Und mittlerweile fordern nicht mehr nur die Gewerkschaften in der Romandie, sondern auch in der Deutschweiz die Schliessung der Baustellen und die Einstellung der nicht lebensnotwendigen wirtschaftlichen Tätigkeiten. Sie scheuen sich aber davor dieser Forderungen mittels Streikmassnahmen tatsächliches Gewicht zu verleihen.
Intervention des Schweizer Kapitals beim Bundesrat
Am Mittwoch 25. März 2020 wandten sich die Vertreter*innen aller namhaften Schweizer Unternehmens- und Wirtschaftslobbyverbände an den Bundesrat. Angeführt vom Verband des Grosskapitals economiesuisse, fordern sie in ihrem Schreiben eine rasche «Rückkehr zur Normalität». Sie bitten den Bundesrat einerseits, dass er den Unternehmen Schutzmaterial zur Verfügung stellt, anstatt dass weitere wirtschaftliche Bereiche eingeschränkt werden. Andererseits verlangen sie eine Aufhebung des Lockdowns und die Wiederaufnahme der Arbeit ab Mitte April in zwei Phasen. Bezeichnenderweise titelte der Tages-Anzeiger, dass «die Wirtschaft [nicht etwa die Lohnabhängigen] wieder arbeiten will».
Einzelne Unternehmen preschen voran
Die Unternehmen denken aber nicht daran, ihr Schicksal alleine in die Hände des Bundesrates zu legen, sondern schaffen selber Tatsachen. Implenia, das grösste Bauunternehmen der Schweiz, versucht mit einem poprockigen Propagandavideo mit dem nichtssagenden Titel «Thank you for beeing a hero» aufzuzeigen, dass sie auf ihren Baustellen alle erfolderlichen Schutzmassnahmen einhalten würden und deshalb weiter gearbeitet werden kann. Dieses Vorgehen wird wohl von Erfolg gekrönt sein. Denn dank der bundesrätlichen Änderung der «Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus» am 21. März 2020, müssen sogar Risikopatient*innen bei der Arbeit erscheinen, sofern die Schutzvorkehrungen am Arbeitsplatz vorhanden sind.
Der Elektrotechnik- und Maschinenbaukonzern ABB wiederum hat selbstständig angefangen seine 6000 Schweizer Mitarbeiter*innen auf das Virus zu testen, auch alle Gesunden. Dies stösst dem Bund sauer auf, wollte er doch verhindern, dass Private zuviel Testmaterial verbrauchen und die gesundheitlichen Dienste «unnötigerweise» in Anspruch nehmen. Auch wenn flächendeckene Test epidemiologisch absolut sinnvoll sind, ist das Ziel der ABB in erster Linie ein wirtschaftliches: Sie wollen darlegen, dass es in ihren Fabriken und Entwicklungsabteilungen keine gesundheitlichen Gefahren gäbe und deshalb ohne weiteres produziert werden könne. Damit kann sich die ABB in der Öffentlichkeit sogar noch als verantwortungsbewusstes Unternehmen darstellen, was eine lange historische Tradition des Konzerns hat. Dass eine solche Inszenierung Heuchelei ist, zeigt sich daran, dass am ABB-Standort in Bergamo – dem zwischenzeitlichen Hotspot des Virus in Italien und sogar weltweit – trotz Protesten der Arbeiter*innen und der Gewerkschaften die Produktion nicht eingestellt wurde.
Zwischen rassenhygienischen Vorstellungen und Business as usual
Die Profite der Unternehmen werden auf Biegen und Brechen verteidigt. Die Gesundheit der Bevölkerung wird – trotz den allseitigen und wenig glaubhaften Solidaritätsbeteuerungen – der Wettbewerbsfähigkeit geopfert. Die kaputtesten Teile des Bürgertums aus den Reihen der SVP und der FDP verlangen sogar eine öffentliche Diskussion über die Frage, wieviel ein Menschenleben «wert» sein soll. Ihrer Ansicht nach lohne es sich finanziell nicht [sic!], alte und nicht mehr produktive Menschen am Leben zu erhalten. Auch wenn wir uns einiges gewöhnt sind, bleibt einem bei diesen rassenhygienischen Phantasmen des Rüdiger Köppels und Konsorten doch die Spucke weg.
Während also ein Teil des Bürgertums die Rezepte der 1930er Jahren aus der Mottenkiste holt, halten andere am neoliberalen Business as usual fest, wie wenn seit Januar nichts geschehen wäre. Am 30. März 2020 haben die UBS und die CS angekündigt auch dieses Jahr an den Boni- und Dividendenzahlungen (wohl in dreistelliger Millionenhöhe) festzuhalten. Die gegenteiligen Empfehlungen der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) wurden kaltschnäuzig ignoriert. Die zwei too-big-to-fail-Banken wollen also kurz vor dem totalen Chaos an den Finanzmärkten, und den durchaus im Rahmen des Möglichen liegenden staatlichen Rettungsprogrammen, noch rasch ein letztes Mal ihre Aktionär*innen beglücken.
Und der Rest der Bevölkerung? Am 30. März 2020 waren in der Schweiz bereits 757’000 Lohnabhängie in Kurzarbeit (15% der Erwerbstätigen). Seit anfangs März wurden 13’500 Beschäftige entlassen und laut einer Umfrage der economiesuisse zieht jedes dritte Unternehmen Entlassungen in Betracht. Das sind historische Ausmasse, wie sie in der moderne Schweiz bisher unbekannt waren. Was den Lohnabhängigen hingegen sehr wohl bekannt vorkommt, ist, dass die Unternehmen alles daran setzen, die von ihnen verursachte Wirtschaftskrise auf die Beschäftigten abzuwälzen.