Weihnachten, Zeit der Mythen, fantastischen Geschichten und dem einen oder anderen Witz. Dieses Jahr hat wieder einmal der Papst einen zum Besten gegeben. Aber zuerst kurz eine Rückblende für Nicht-Katholiken unter uns:
Der Papst ist das Oberhaupt aller Christ*innen (natürlich ein Anspruch den andere christliche Srömungen nie akzeptiert hatten) und darüber hinaus gleich noch Stellvertreter von Jesus Christus auf Erden. Doch nur vom Glauben allein kann der Papst auch nicht leben. Deshalb braucht er ja wohl eine Unterkunft, Essen und was zum anziehen. Gekleidet in feinste Gewänder besitzt der Papst als offizielle Residenz ein bescheidenes Haus mit dem kreativen Namen „Papstpalast“ (als Zeichen der „Demut“, hat sich der aktuelle Papst jedoch geweigert, dort einzuziehen). Dieser Palast umfasst ca. 1’400 Räume. Neben Jetset-Reisen durch die ganze Welt, lässt sich der Papst auch in seiner Hauskirche, dem Petersdom, sehen. Papst Julius der II. (1503 – 1513) predigte noch in einer Basilika, die aus der Anfangszeit des Christentums stammte. Seinem Leichnam unwürdig, forderte dieser, man solle gefälligst eine schönere Kirche bauen, um seine leiblichen Überreste zu bestatten. Hundert Jahre sollten tausende von Arbeiter*innen an dem grössenwahnsinnigen Projekt arbeiten, das immer mehr Geld verschlang. Um den Bau weiterhin zu finanzieren, verkauften die Päpste sogenannte Ablassbriefe. Gegen Geld konnte die arme Bevölkerung sich von einigen Sünden freikaufen und ihre Strafe im Jenseits mildern – eine Praxis die nachweislich für die Geldbeschaffung des Vatikans ersonnen wurde und an der sich der Unmut der Reformatoren wie Jan Hus und später Luther, Zwingli und Konsorten entzünden sollte. Mehr Geld für den Bau spendeten indes die spanischen Monarchen, die nach der Eroberung Amerikas mehr als genug Gold hatten, welches unter unmenschlichen Bedingungen von den Unterworfenen abgebaut werden musste.
Aber zurück zum jetzigen Papst und seinem Witz. Es war einmal ein Mann mit Goldhut, der in einer Villa lebte und in einer grossen Kirche spazieren ging, die auf Blut und Tränen von ungezählten Menschen erbaut wurde, und der sagte:
«Wenn wir auf die Krippe schauen, verstehen wir, dass das, was das Leben nährt, nicht der Besitz, sondern die Liebe ist; nicht Gier, sondern Nächstenliebe; nicht der Überfluss, den man zur Schau stellt, sondern die Einfachheit, die man bewahrt».
LOL, get it? Doch wer ohne zu lachen behauptet, er sei die Stellvertretung eines allmächtigen Wesens, kann auch so ein Schenkelklopfer raushauen ohne zu lachen. Und eigentlich wäre es ja witzig, wenn der Papst nicht so viel Einfluss auf viele Menschen hätte. Weiter meinte der alte Mann:
«Der Mensch ist gierig und unersättlich geworden. […] Eine unersättliche Gier durchzieht die Menschheitsgeschichte, bis hin zu den Paradoxien von heute, dass einige wenige üppig schlemmen und so viele kein Brot zum Leben haben.»
Hinter der Ungerechtigkeit der Welt sieht der Papst keine systemischen Gründe, sondern das gierige Wirken von vielen Einzelnen. Das ist ja im Grunde schon mal ein Fortschritt gegenüber der christlichen Behauptung, die Ungerechtigkeit sei gottgewollt. Alles was von Gott geschaffen ist, muss ja auch gerecht sein. Daher sei eine Rebellion gegen die Ungerechtigkeit eine Sünde vor dem Herrn (Luther). Immerhin vertritt der jetzige Papst nicht mehr solche Ansichten. Er ist also nur partiell im Mittelalter hängen geblieben.
Ich mache mich nicht über den Papst und die katholischen Kirche lustig, weil ich ihren katholischen Glauben nicht teile – das tun auch Mitglieder von evangelische Freikirchen, die ihre katholischen Glaubensfreund*innen belächeln, weil sie das Eine oder das Andere nicht verstanden hätten etc. Nein mir geht es um etwas anderes, was tiefer liegt und alle Christ*innen teilen: nämlich die Ansicht, dass der Mensch nach dem Sündenfall schlecht geboren werde, was sich dann in gierigem Verhalten etc. zeigen würde. Religion ist immer Auslegungssache und die Bibel lässt viel Spielraum für Interpretationen. Im spanischen Bürger*innenkrieg in den 1930er Jahren segneten die kirchlichen Vertreter den Faschisten Franco und unterstützten seinen Feldzug gegen die demokratische Bewegung (ob das damit zusammenhängen könnte, dass die demokratischen Kräfte, allen voran die Anarch@s die Ländereien und Reichtümer der Kirche konfiszierten und an die armen Bäuer*innen verteilten? Wahrscheinlich nicht, das wäre ja Gier). Im Gegensatz dazu lässt sich die Bibel auch progressiv interpretieren, wie es lateinamerikanische Befreiungstheologen im 20. Jahrhundert getan haben, um damit die Auflehnung gegen Diktaturen religiös zu legitimieren.
Wie dem auch sei, der Klumpfuss der Religion, welche Deutung sie auch immer annehmen mag, ist die Tatsache, dass ein qua Geburt schlechter Mensch von sich aus nicht gut werden kann. Ein höheres Wesen ist vonnöten; eine Gesellschaft, in der es allen gut geht, schon aus Gründen der Logik nicht realisierbar. Der Mensch kann im Hier und Jetzt für Verbesserungen streben, wie dies auch schon etliche religiöse Strömungen versucht hatten. Der Schlüssel aber für eine lebenswerte Zukunft kann für den religiösen Menschen trotz allem immer nur ausserweltlich liegen. Er selbst kann sich zwar von dem einen oder anderen Zwang befreien, aber nicht als menschliches Wesen per se. Die Freiheit braucht eine ausserweltliche Instanz, um Realität zu sein.
Und das ist und bleibt das reaktionäre Moment an allen Religionen, wie progressiv man sie auch interpretiert. Der Mensch kann nie selbst zu sich gelangen, sondern stets nur vermittelt durch ein höheres Wesen. Die Religion traut dem Menschen schrecklich wenig zu. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle religiösen Menschen reaktionär wären. Viele sind gute Menschen. Einem Pfarrer Sieber oder der Kirche in Den Haag, die eine Abschiebung verhindert, kann man schlecht reaktionäres Tun nachsagen. Was hingegen auch die fortschrittlichsten Christ*innen teilen, ist die Ansicht, lediglich den Schmerz und die Not im Hier und Jetzt lindern zu können (in welchem Ausmass dies möglich sei, unterscheidet sich je nach Strömung erheblich). Die Ursache des Übels auf der Welt zu bekämpfen bleibt allerdings dem Mann im Himmel vorbehalten. Jeder Versuch, das versprochne Paradies – eine Welt ohne Hunger und Krieg (und Gier lol) – schon im Heute zu erkämpfen, wird von allen religiösen Menschen abgelehnt. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass der einzelne Mensch einen Beitrag zu einer schöneren Welt leisten könne. Die schöne Welt für sich allerdings wird nur Gott bringen können. Selbstoptimierung, Hilfsbereitschaft, Verzicht, ja bitte. Sich anmassen, eine schöne Welt zu schaffen? Nein danke, das wird Gott schon richten. Irgendwann.
von Henri Ott