Menu Schließen

Am Rande vermerkt: Gletscherwasser mit bitterem Geschmack

Der Spiegel-Online meldet, dass Grönland bald das Schmelzwasser seiner Gletscher vermarkten will. Was sich zunächst wie ein böser Witz anhört, ist in der Realität nicht an Zynismus zu übertrumpfen. Es ist bekannt, dass die Gletscher Grönlands aufgrund des Klimawandels viel schneller schmelzen als ursprünglich gedacht. Grönlands Energieminister sagte der Berliner Zeitung «Tagesspiegel», es liesse sich aus dem geschmolzenen Eis ein «marktfähiges Produkt» machen, um die Regionen, welche unter Wasserknappheit leiden, zu versorgen. Insgesamt sind sechszehn Lizenzen ausgeschrieben worden, neun davon sind schon vergeben. Das Unterfangen wird so begründet, dass es sich um einen Beitrag zur Linderung der Wassernot in der Welt handelt. Die humanitäre Rhetorik verblasst aber sogleich zum Werbeslogan. Im selben Interview versichert der Regierungsvertreter, die Wahl der Märkte für das Gletscherwasser sei voll und ganz den Unternehmen überlassen. Ergo: dahin wo kauffähige Kundschaft vorhanden ist, werden die Grönland-Flaschen geliefert.

Wir wissen ja, dass ein Wettbewerb unter imperialistischen Staaten entbrannt ist, um die durch die Erwärmung des Nordpols zugänglich gemachte Ressourcen zu erschliessen. Die Folge davon ist nicht nur eine verstärkte Militarisierung der Arktis. Es droht eine weitere Verschmutzung der gesamten Nordpolarregion, mit verheerenden Folgen für die indigenen Völker dort. Das aktuelle Desaster aufgrund des Temperaturanstieges bremst aber auf keine Weise den Expansionsdrang von Konzernen. Es sind im Gegenteil die wildesten Geschäftsfantasien, die Gestalt annehmen: Tourismus, Serverparks und neue Schiffverbindungen sollen Grönland aus der Misere helfen. Die Plünderung der Wasserkreisläufe der Arktis reiht sich in diese Shopping-Liste für klimabegeisterte Unternehmer*innen ein.

Wir kennen den bitteren Geschmack von Mineralwasser auch von anderswo. Der Lebensmittelkonzern Nestlé pumpt in den Vogesen, beim lothringischen Kurort Vittel, eine der grössten Süsswasservorkommen Europas gnadenlos ab, um Mineralwasserflaschen zu verkaufen. Nach einer aktuellen Reportage von Frontal 21 (ZDF) häufen sich die Hinweise darauf, dass der Schweizer multinationale Konzern bei den politischen Gremien des Vogesen-Departements stark mitredet. Anstatt dass Bürger und Bürgerinnen das Grundwasser als Gemeingut verwalten, und selbst über ihre Bedürfnisse entscheiden, eignet sich Nestlé das «blaue Gold» auf privatwirtschaftlicher Basis an.

Um zurück auf die Arktis zu kommen, zeigt die kanadische Inuit-Aktivistin Sheila Watt-Cloutier einen radikal anderen Weg als Grönlands Regierung. In ihrem Buch «The right to be cold» (Deutsch: Das Recht in der Kälte zu leben) schreibt die Menschenrechtsaktivistin: «Mehr als eine Verbindung zwischen den Kulturen und den verschiedenen Erkenntnismethoden [von Nord und Süd] sind wir, als Inuit-Volk, die Sensoren in Echtzeit des Klimawandels. Wir sind an der vordersten Front gegenüber den katastrophalen Umweltveränderungen, die die Erde betreffen, und wir waren die Zeugen der angehenden Veränderungen in der Arktis seit Jahrzehnten. […] Ich sehe unsere Verantwortung als Inuit-Volk darin, dass wir die Veränderung der Umwelt überwachen wie das Quecksilber in einem Thermometer. Wir sind laut geworden und sind es immer noch, um die Welt vor den Folgen des Klimawandels zu alarmieren. Wir bleiben laut, um die Leute und die Staaten zum Handeln aufzufordern.» (Die englische Originalfassung ist 2015 bei Penguin-Random-House erschienen).

von Daniel Narbo (BFS Zürich)

Verwandte Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert