Der Ausgang der Abstimmung über die AHV 21 („Stabilisierung der AHV“) ist ungewiss. Die Umfragen verheissen nichts Gutes, aber die Sache ist noch lange nicht entschieden. Wir können gewinnen!
Die Befürworter der AHV 21 führen zwei Argumente an. Erstens wollen sie uns Angst machen: „Die Finanzen der AHV sind schlecht, wir müssen handeln“. Das ist jedoch eine Lüge. Die AHV hat im letzten Jahr einen Überschuss von 2,6 Milliarden erzielt und ihr Vermögen ist so hoch wie nie zuvor: Mit fast 50 Milliarden übersteigt es die jährlichen Ausgaben der AHV. Zweitens behaupten sie, dass AHV 21 auf einer Logik der Gleichheit beruht. Ein fadenscheiniges Argument – sind es doch dieselben Leute, die Frauen immer noch niedrigere Löhne zahlen und für die chronische Unterentwicklung der Kinderkrippen verantwortlich sind…
In Wirklichkeit geht es bei der AHV 21 vor allem um eines: die Verlängerung der Arbeitszeiten der Lohnabhängigen im Sinne der Unternehmen. Dies soll durch die Erhöhung des Renteneintrittsalters erreicht werden, insbesondere durch die Anhebung des Referenzalters für Frauen auf 65 Jahre. Diese Erhöhung würde einen sozialen Rückschritt bedeuten. Arbeiterinnen, Verkäuferinnen und Pflegerinnen, die oft jahrzehntelang geschuftet haben, müssten ein Jahr länger arbeiten, was allein den Unternehmern zugute käme. Diejenigen, die dies nicht tun könnten, müssten eine lebenslange (!) Kürzung ihrer AHV-Rente hinnehmen. Zweitens würde die Erhöhung des Rentenalters die Arbeitslosigkeit ankurbeln, da Zehntausende von Frauen gezwungen wären, auf dem „Arbeitsmarkt“ zu bleiben – während es bekanntlich bereits ab 55 Jahren schwierig ist, noch einen Job zu finden. Schliesslich wäre diese Maßnahme nur eine weitere Etappe im Anfriff auf unserer Soziallöhne: Die beiden Kammern haben den Bundesrat beauftragt, ihnen spätestens in vier Jahren eine zweite „Vorlage zur Stabilisierung der AHV“ vorzulegen. Der Tenor im Bundesrat ist jetzt schon klar: „Die Anhebung des Referenzalters für Männer und Frauen auf über 65 Jahre ist eine gerechtfertigte Maßnahme“[1]. Alain Berset, der gerne mit dem Sportflugzeug nach Frankreich fliegt (für seine Wochenenden in Deutschland bevorzugt er die Limousine mit Chauffeur), war ebenso klar: Eine solche Erhöhung ist „mittelfristig unvermeidlich „[2].
Die Ablehnung jeglicher Erhöhung des Rentenalters ist umso mehr gerechtfertigt, als das Durchschnittsalter beim Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt in der Schweiz bereits deutlich höher ist als in den Ländern um uns herum. Ganz zu schweigen von der wöchentlichen Arbeitszeit: In mehreren Sektoren, der öffentliche Dienst mit eingeschlossen, ist die alte Forderung der Arbeiter:innenbewegung des 19. Jahrhunderts (!) – der 8-Stunden-Tag – immer noch ein Wunschtraum… Was eigentlich auf der Tagesordnung stehen sollte, ist also die Herabsetzung des Rentenalters. Denn wir haben es verdient, nach einem Leben voller Arbeit endlich Zeit für uns selbst und für unsere Liebsten zu haben.
Schliesslich würde AHV 21 keine Verbesserungen für AHV-Rentnerinnen und -Rentner bringen. Dabei gäbe es genug zu tun, wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Rente 1800 Franken pro Monat beträgt… Und dass die Renten der Pensionskassen im freien Fall sind. Kurz gesagt: Die AHV-Renten sollten erhöht werden, nicht das Rentenalter!
Aber es kommt noch schlimmer: Wenn die AHV 21 durchkommt, wird die Kaufkraft der Rentnerinnen und Rentner sinken. Die Mehrwertsteuer (+0,4 Prozentpunkte), die unsozialste aller Steuern[3], würde bei Inkrafttreten erhöht werden. Hinzu kommen die steigenden Energiepreise und die angekündigte Erhöhung der Krankenkassenprämien – um 5 % oder sogar bis zu 10 %! Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Hunderttausende Rentnerinnen und Rentner müssten den Gürtel noch enger schnallen, um über die Runden zu kommen. Ein Grund mehr, 2x NEIN zu stimmen!
von Agostino Solini; aus ssp-vpod.ch
[1] Mitteilung bezüglich der Volksinitiative «Für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge (Renteninitiative)
[2] Blick, 7. Januar 2022
[3] Die MwST ist grundlegend unsozial, da ärmere Bevölkerungsteile anteilmässig höhere Konsumausgaben haben und dadurch viel stärker belastet werden als die Reichen. Und das bei sowieso schon steigenden Lebenshaltungskosten. Red.