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Italien vor den Wahlen

Im Land indem der Faschismus vor rund 100 Jahren enstand wird am Sonntag vielleicht eine Faschistin zur Regierungschefin gewählt. Wie kommt es zu so was? Wie konnten die Fratelli d’Italia[1] so rasch aufsteigen und am Sonntag wohl zur stärksten Partei werden?

Italien ist unterdessen dermassen abgestumpft, dass man eine Woche vor dieser Schicksalswahl selbst in der reichen Lombardei kaum Wahlwerbung auf den Strassen sieht. Eine ähnliche Mischung aus Desinteresse und Frustration zeigt sich in Napoli. Ein Bewohner gab gegenüber Radio SRF an, keine Partei zu wählen, welche die letzten 20 Jahre regiert habe. Denn er ist wütend und enttäuscht. Schliesslich wurde der italienische Sozialstaat, indem man sich mit 60 pensionieren lassen konnte, in dieser Zeit übelst ausgehöhlt. Er wird am Sonntag die Partei Cinque Stelle wählen, die er als einzige trotz ihrer Regierungsbeteiligung befürwortet. Immerhin nicht die neofaschistischen Fratelli d’Italia, werden einige nun denken. Doch mal im Ernst. Um Faschos zu verhindern, ist wohl alles recht. Aber die Cinque Stelle haben in der Vergangenheit eine Regierung mit der anderen Rechtsaussen-Partei, der Lega gebildet. Also kommt nun nach Lega und Berlusconis Forza Italia bereits die dritte Rechtspartei in die Regierung. Und die Leute glauben immer noch daran, dies würde ihre Lage verbessern.

Doch wen verwundert das, in einem Land, indem man studiert ohne Perspektiven auf einen (spannenden) Job. In einem Land, wo nach wie vor massive Unterschiede zwischen Stadt und Land, zwischen Küste und Inland und vor allem zwischen Nord und Süd herrschen? Hier das schwerreiche Bergamo mit seinen grossbürgerlichen Zürichberg-Vibes, da der vernachlässigte Süden, wo Shoppingcenter anstelle von Schulen geheizt werden.

Wenn am Sonntag mit Giorgia Meloni, eine Fachistin, italienische Premierministerin wird, ist das in erster Linie die Schuld jener, die sie wählen. Aber zu den Schuldigen gehören auch Superreiche wie die Familie Benetton, welche zum Beispiel von Korruption im Strassenbau profitiert[2]. Ebenfalls Schuld am Erfolg des Neofaschismus sind alle Regierungen der letzten Jahrzehnte. Angefangen beim Korruptionsprofi Berlusconi und abgeschlossen mit dem Ex-Notenbanker Draghi. Aber es ist auch die Schuld des Partito Democratico, welcher schon Lange vor Renzis Regierungszeit die linken Ideale über Bord geworfen hat. Eine Partei, welche aus der Konkursmasse der Kommunistischen Partei Italiens hervorgegangen war, und trotz des anbiedernden Projekts des Eurokommunismus[3]zumindest versuchte als KP eine Alternative zur Moskau-Hörigkeit aufzubauen. Und das alles dafür, dass man als Unique Selling Point heute sagt, man sei die Demokratische Partei?! Da wundert man sich, dass man durch diese Inhaltslosigkeit und durch das Umsetzen der Austeritätspolitik im Zuge der Finanzkrise von 2007, von den Lohnabhängigen nicht mehr gewählt wird?

Das alles macht so wütend. Ebenfalls wütend machen Diskussionen in Schweizer Leitmedien darüber, „wie faschistisch“ die Fratelli d’Italia seien. Oder ob eine Neofaschistin als erste Premierministerin eine Chance für Frauen sei. Ist es so schwierig? Lesen Journalist:innen heutzutage noch Geschichtsbücher? Es gibt kein erträgliches Mass an Faschismus. Er ist immer abzulehnen und zu bekämpfen. Und Parteien, welche sich auf Mussolini beziehen, gehören verboten. Faschistische Gesellschaftsbilder sind für niemanden eine Chance. Egal ob die Anführerin eine Frau ist oder nicht. Faschismus ist an sich antifeministisch und queerfeindlich. Es bleibt zu hoffen, dass in Italien am Sonntag lediglich die üblichen Schwachköpfe gewählt werden, und Meloni verliert. Und vor allem, dass es eine starke antifaschistische Bewegung von unten geben wird, welche dieser krassen Rechtsentwicklung entgegentritt.

von Theo Vanzetti, BFS Zürich


[1] Die «Brüder Italiens» existieren in dieser Form seit 2012. Ihre Vorläuferpartei war die Alleanza Nazionale, welche 1995 aus dem Movimiento Sociale Italiano hervorging. Dieses wurde bereits 1946 von ehemaligen Funktionären Mussolinis gegründet. Die Behauptungen der Fratelli d’italia, man habe das faschistische Erbe hinter sich gelassen, sind also einerseits ein Hohn. Andererseits sollte es genügen dieses Erbe zu haben – egal in welcher Form –, um ganz sicher nicht gewählt zu werden. Ausserdem zeigen die Verbindungen zur noch extremeren Organisation CasaPound auf, dass man bei den Fratelli das Erbe Mussolinis sehr wohl hochhält.

[2] Die Familie besitzt den Grossteil des italienischen Autobahnnetzes. 2018 stürzte in Genua die Morandi-Brücke aufgrund mangelnder Wartung ein, wodurch 43 Menschen starben. Die Verantwortlichen für die Korruption wurden bis heute nicht bestraft.

[3] Inkl. Machtteilung mit den Christdemokrat:innen und NATO-Befürwortung.

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