Am Mittwoch informierte das Bundesamt für Strassen ASTRA die Basler Bevölkerung über den Bau des «A2 Rheintunnels». Das Mega-Projekt wird massive Auswirkungen für Mensch und Natur in Basel haben. Doch die Infoveranstaltung war eine exemplarische «Akzeptanzbeschaffung»: Die Bevölkerung hat kurz die Möglichkeit, Fragen zu stellen, damit das Projekt danach «legitimiert» umgesetzt werden kann.
Der geplante Rheintunnel ist mehr als eine einzelne Autobahnröhre. Er ist ein regelrechtes Tunnelsystem, das von der Dreirosenbrücke über den Badischen Bahnhof bis nach Birsfelden führen sollte und zahlreiche Zu- und Einfahrten sowie Nebentunnel aufweist. Damit ist der Rheintunnel eines von sechs grossen Autobahnausbauprojekten, die der Bund derzeit plant. Möglich ist dies, nachdem das Parlament – unter anderem mit Unterstützung der Basler SP-Ständerätin Eva Herzog – 2’600 Millionen Franken für den Bau des Rheintunnels gesprochen hat.
Wir haben an anderer Stelle bereits erläutert, warum der Rheintunnel ein massiv schädliches Projekt für Mensch und Natur ist. Wer 2023 noch fossile Infrastruktur ausbauen möchte, hat von Klimakrisen überhaupt nichts verstanden und verhindert die Erreichung der wenigen Klimaziele, die mühsam erkämpft wurden. Das ASTRA scheint bereits von der Unpopularität ihres Mega-Autobahnprojektes geahnt zu haben. Es verfolgte deshalb eine Strategie, die viele Behörden in bürgerlichen Demokratien anwenden, um Widerstand gegen Grossprojekte zu umgehen: Infoveranstaltungen zur «Akzeptanzbeschaffung». Mit Präsentationen, Apéros und Broschüren wird auf die Bürger:innen zugegangen, damit diese ihre Fragen stellen und Bedenken anmelden können. Kritik wird als «nachvollziehbar» angenommen, um kurz darauf die Alternativlosigkeit des Projektes zu unterstreichen. Die Funktion dieser Infoveranstaltungen ist simpel: Die Betroffenen haben kurz die Möglichkeit, ihrem Frust Gehör zu verschaffen, damit danach gesagt werden kann, das Projekt wurde «in Zusammenarbeit» oder «im Dialog» mit der Bevölkerung entwickelt.
So war es auch beim Rheintunnel. Die Basler Bevölkerung wurde mit einem kurzen, wenig aussagenden Brief zu einer Infoveranstaltung eingeladen. Wie alle Behördeninformationen wurde der Brief nur auf Deutsch verfasst, was nicht alle Basler:innen erreicht. Der Brief verlor auch kein Wort über die massiven Einschränken, die wir bald in unseren Quartieren während der zehnjährigen Bauphase befürchten müssen. Die Veranstaltung selbst fand in einem Schulhaus am Stadtrand statt. In einer dreiminüten Powerpoint-Präsentation, die jede:r Schüler:in motivierter und besser vorgetragen hätte, wurde der allgemeine Nutzen von Autobahnen beschrieben. Der Rheintunnel sollte zahlreiche Quartierstrassen entlasten. Doch diese Prognosen des ASTRA stehen im Widerspruch zur Verkehrsforschung der letzten Jahrzehnte, die überall auf der Welt nachweisen kann, dass eine erhöhte Kapazität auch zu mehr Verkehr führt. Im anschliessenden Gespräch gibt der Referent auch zu, dass Verkehrsprognosen für 2040 und danach «ein Blick in die Glaskugel» seien.
Im Anschluss an die Präsentation durften keine Fragen gestellt werden. Offensichtlich hat das ASTRA Angst vor kollektiven Diskussionen, bei denen sich Leute aus dem Publikum melden können. Stattdessen wurden wir an ASTRA-Mitarbeitende verwiesen, die an einer Plakatausstellung Fragen einzeln beantworteten. Auf die anstehenden CO2-Emissionen angesprochen, wurde lapidar geantwortet mit «Das weiss ich nicht, aber Sie können es im tausendseitigen Bericht nachlesen». Im Vorbeigehen hörte ich, wie der eine ASTRA-Mitarbeiter zum anderen sagt, hier wollen die Leute einfach ihren «Frust abladen» und danach sei auch wieder gut. In den Gesprächen entstand auch das Gefühl, dass die ASTRA-Mitarbeitenden in dieser Kommunikation geschult wurden: Ich-Botschaften, Kontextualisierungen, «Ich stimme Ihnen ja zu, aber…»… Ein abgekartetes Spiel.
Diese Form der «Akzeptanzbeschaffung» hat Tradition. So ist es zum Beispiel nicht lange her, dass der Pharmakonzern Roche seine Bürotürme im Basler Wettsteinquartier durchgeboxt hat. Der Bau der Türme war von Anfang an beschlossen und von der Stadtregierung abgesegnet – die Anwohner:innen sollten einfach kurz besänftigt werden, damit sich danach ungestört bauen lässt. In Deutschland wird derzeit beim Klimaschutz mit einer erweiterten Form der Akzeptanzbeschaffung experimentiert: Zufällig ausgewählte Bürger:innen können sich in «Bürgerveranstaltungen» und «Bürgerkonferenzen» einbringen und dort «Lösungen entwickeln». Teilweise werden die ausgelosten Bürger:innen immerhin bezahlt, doch deren Entscheide und Empfehlungen haben letztlich nie bindende Wirkung. Solche und andere Projekte sind eindeutig «Mitmachfallen»: Soziale Bewegungen wie die Klimabewegung sollten in kontrollierbaren Formaten eingehegt werden, um ihnen ihre Kraft zu nehmen. Auch beim Rheintunnel ist deshalb klar, dass wir uns selbst organisieren müssen, um Veränderungen zu erreichen – allein mit bürgerlichen Partizipationsformen werden wir es nicht schaffen.
von Florian Steiner (BFS Basel)
[Am Rande vermerkt] ist eine Serie von Kurzartikeln. Wir wollen damit tagesaktuelles Geschehen kommentieren, einordnen, auf Veränderungen aufmerksam machen. Eine konsequente linke, antikapitalistische Politik zeichnet sich unseres Erachtens nicht nur dadurch aus, die grossen Analysen abzuliefern. Vielmehr gehört es für uns dazu, auch kleinere, unscheinbare Entwicklungen, skandalöse Aussagen und Auffälliges einordnen zu können.
Die kurze Form, der eher flüchtige Charakter und die zeitliche Nähe, die allesamt diese Artikelserie ausmachen, führen dazu, dass die hier geäusserten Einschätzungen vorübergehend sein können und nicht zwangsläufig mit den Ansichten unserer Organisation übereinstimmen müssen. Die Autor:innen und die verwendeten Quellen sind deshalb jeweils gekennzeichnet. Textvorschläge sind jederzeit herzlich willkommen.