Schon zum fünften Mal wollen am 20. September 2014 christlich-fundamentalistische Kreise einen “Marsch fürs Läbe” in Stadt Zürich durchführen, um gegen das Recht auf Abtreibung zu demonstrieren. Dagegen regt sich auch dieses Jahr Widerstand.
von BFS Jugend Zürich
Der Verein „Marsch fürs Läbe“ wurde im Jahr 2011 mit dem Ziel gegründet, Veranstaltungen „zum Schutz des Lebens“ durchzuführen. Dazu gehört auch die schon seit 2010 jährlich stattfindende Kundgebung „Marsch fürs Läbe“. Präsident des Vereins ist Daniel Regli, der zurzeit auch für die SVP im Gemeinderat der Stadt Zürich sitzt.
Der christlich-fundamentalistische Verein hat es sich zum Anliegen gemacht das „ungeborene Leben“ zu schützen. Die Vereinsmitglieder sind gegen die gesetzlich erlaubte Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche und wollen somit die sogenannte Fristenregelung abschaffen. Diese wurde im Jahr 2002 auf schweizweiter Ebene von 72% der Abstimmenden angenommen. Auch wenn die Fristenregelung noch lange nicht das bedeutet, was wir unter einem selbstbestimmten Leben verstehen, weil sie unter anderem beinhaltet, dass eine Notlage geltend gemacht werden muss, um abtreiben zu dürfen, so ist die Möglichkeit eines legalen Schwangerschaftsabbruchs doch als wichtiger Fortschritt und als zentrales Frauenrecht zu sehen.
Konservatismus und Frauenfeindlichkeit
Die Argumente der selbsternannten „Lebensschützer“ beziehen sich ausschliesslich auf das Wohl des Kindes, welches sie sichern wollen. Sie verschieben den Fokus weg von der Frau, die abtreibt, und geben vor, „den Schwächsten der Gesellschaft“ eine Stimme zu geben. So können sie ihre Meinung als die Meinung der „Unterdrückten und Nicht-Gehörten“ darstellen und transportieren. Bezeichnend dabei ist, dass die auf der Webseite genannten Mitglieder und die am „Marsch fürs Läbe“ aufgebotenen Redner ausschliesslich Männer sind. Durch die Berufung auf die Bibel, nach deren Anweisungen sie angeblich handeln, wird ihre Position als bedeutender und richtig dargestellt.
Die Werte, welche der „Marsch fürs Läbe“ vermittelt, sind im Allgemeinen problematisch und rückständig. Die christliche Familie, die der Verein auf seiner Webseite als „wahren Reichtum“ bezeichnet, wird als Idealbild konstruiert. Der Vereinsmeinung nach gehören zu einer Familie sowohl die Ehe, wie auch eine kirchliche Hochzeit. In Anbetracht dessen, dass Homosexuelle und Andersgläubige in der Kirche nicht heiraten dürfen und viele Menschen unverheiratet in Beziehungen zusammenleben, wird klar, wie realitätsfern und – gerade in Bezug auf andere Lebensentwürfe – ausgrenzend dieses Idealbild ist. Diese fundamentalistischen Vorstellungen über die Familie sind Teil des frauen- und männerfeindlichen, stereotypen Gesamtbildes des Vereins und verdeutlichen dessen reaktionäre Einstellung.
Kritik statt Bashing
Religiöse und fundamentalistische Ansichten gewinnen insbesondere in Krisenzeiten, wo bestehende gesellschaftliche Institutionen von den herrschenden Klassen torpediert und abgebaut werden, wieder an Boden. Religion ist allerdings bei weitem nicht gleichbedeutend mit reaktionären Ideologien. Schon der Ausdruck von Karl Marx, der „Religion als Opium des Volkes“ bezeichnete, attestiert dieser durchaus auch positive Eigenschaften. Wenn gewisse Leute in religiösem Glauben einen Zufluchtsort finden, den ihnen die kapitalistische Gesellschaft nicht ermöglichen kann, ist daran weiter nicht viel auszusetzen. Einer emanzipatorischen Bewegung kann es nicht daran gelegen sein, den individuellen Glauben von gewissen Leuten zu verteufeln.
Unsere Aufgabe ist es aber, ausgehend von einer Anerkennung der momentanen gesellschaftlichen Bedeutung von Religion, die erzkonservativen und reaktionären Tendenzen, welche sich in dessen Mantel verstecken, zu bekämpfen. Diesen Kampf gegen die freiheitsraubenden und diskriminierenden Auswirkungen reaktionärer Ideologien gilt es mit dem Kampf für eine umfassende Befreiung von den Einschränkungen der kapitalistischen Gesellschaft zu verbinden.
Abtreibungen und soziale Sicherheit
Und diese Verbindung ist entscheidend. Schwangerschaftsabbruch, aber auch pränatale Diagnostik und die zurzeit kontrovers diskutierte Sterbehilfe sind keine individuellen, moralischen Felder. Die Entscheidung, ob während der Schwangerschaft Tests durchgeführt werden sollen, um allfällige Behinderungen des Kindes frühzeitig zu erkennen, ist nur vordergründig eine persönliche. Viel zu oft werden soziale, aber auch ökonomische Rahmenbedingungen in der Debatte um Leben und Sterben vernachlässigt. Das Recht auf Abtreibung ist in den letzten Jahrzehnten erkämpft worden und stellt gerade für eine – noch lange nicht erreichte – Gleichstellung der Geschlechter ein zentrales Element dar. Ebenso wichtig ist aber, dass die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, nicht vom Einkommen der Eltern abhängen darf. Krippenplätze, Kinderbetreuung und finanzielle Erleichterungen sind deshalb genauso wichtige Forderungen, wenn wir ein selbstbestimmtes Leben und eine freie Entscheidung über das Kinderkriegen fordern. Die christlichen Fundamentalist*innen vom „Marsch fürs Läbe“ gehen auf diese sozio-ökonomischen Hintergründe kaum ein. Für sie zählt Gottes Wort, und das nimmt nun einmal keine Rücksicht auf gesellschaftliche Zusammenhänge. Dafür haben sie die christliche Familie auserwählt, die den ökonomischen Rahmen bilden soll, in dem Kinder zur Welt kommen. Der Mann arbeitet, die Frau besorgt den Rest.
Und gerade in Krisenzeiten, wo auch in der Schweiz viele bestehende Institutionen, die den Menschen zumindest bis zu einem gewissen Grad eine soziale Sicherheit versprachen, von den herrschenden Klassen zerstört werden; in einer Zeit, in der Krippenplätze knapp sind und ein Kind eine erhebliche ökonomische Belastung bedeutet, erfreut sich die Institution „Familie“ einer erstarkenden Beliebtheit.
Kinder zu bekommen oder nicht ist eine extrem persönliche Entscheidung. Eine Entscheidung, die jeder Mensch, besonders aber jede Frau, frei und ohne gesellschaftliche, ökonomische oder moralische Zwänge fällen können sollte. Davon sind wir heute, aus bereits genannten Gründen, weit entfernt. Noch immer hängt die Entscheidung, für oder gegen ein Kind, von viel zu vielen äusseren Faktoren ab.
Unser Ziel muss es deshalb sein, jeder Frau die Möglichkeit zu geben, frei über einen Schwangerschaftsabbruch zu bestimmen. Diese Wahlfreiheit beginnt bei der Gleichstellung und Entscheidungsfreiheit der Frau in der Liebesbeziehung und endet beim Beruf, der mit einem Kind vereinbar ist. Denn all diese Faktoren stellen Beeinflussungen dar und müssen berücksichtigt werden. Es reicht nicht, die Abtreibung rechtlich zu erlauben. Sie muss eine wirkliche Option sein. Demnach sollte keine Frau gezwungen sein, aufgrund von sozialem Druck ein Kind abzutreiben. Genauso wenig aber sollte eine Frau dazu gezwungen werden, eines zu bekommen.
Gegen reaktionäre Hetze und fundamentalistische Zwänge!
Für das Recht auf Abtreibung!
Wirkliche soziale Sicherheit für alle!
Infos zu den Protesten gibts hier.