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Zur Verteidigung der Women’s Marches

Unsere Bewertung der seit einem Jahr hauptsächlich in den USA stattfindenden Women’s Marches sagt viel darüber aus, wen wir als Linke als unser Publikum sehen und wie wir mit diesem interagieren, um die sozialen Kämpfe voranzubringen. Ausgehend von einer Debatte in der US-amerikanischen Linken führt Elizabeth Schulte im folgenden Artikel aus, wieso eine Unterstützung der oftmals als „weiss“ und „liberal“ bezeichneten Women’s Marches durch die radikale Linke dringend notwendig ist. Diese Auseinandersetzung kennen wir auch in der Schweiz. Umso interessanter ist der folgende Text und soll dazu anregen, die üblichen, eingefahrenen Reaktionen in der Schweizer Linken in Frage zu stellen. (Red.)

von Elizabeth Schulte; aus socialistworker.org

Die massive Opposition gegen Donald Trump bei den Women’s Marches am 20. Januar 2018, anlässlich des Jahrestags der Inauguration des Präsidenten, war mit weit über einer Million Menschen, die in Städten im ganzen Land auf die Straße gingen, ein dringend benötigter Schub.

Die Proteste positionieren und politisieren

Seit dem ersten Frauenmarsch ist viel passiert – es ist insbesondere ein grosser Schaden entstanden, den die Trump-Administration angerichtet hat. Aber aber es fanden auch wichtige Widerstände statt. Nicht zuletzt gab es auch die Kampagne #MeToo, deren gesellschaftliche Präsenz sich in den großen Zahlen widerspiegelt, die in diesem Jahr auf die Straße zurückkehrten. Nach dem Protest sah ich im Internet Freund*innen und Familienmitglieder, die stolz über die Proteste sprachen, an denen sie teilnahmen, egal ob groß oder klein, im ganzen Land.
Sie haben Bilder von Schildern gepostet, die die Aufmerksamkeit auf die Sorgen lenken, mit denen Frauen tagtäglich konfrontiert sind, wie sexuelle Übergriffe und reproduktive Rechte. Es gab aber auch viele andere Seiten der Opposition gegen die Trump-Administration, die bei den Märschen vertreten waren – Immigrant*innenrechte, LGBT-Rechte, Black Lives Matter oder die Opposition gegen Islamophobie.
In einigen Fällen, in denen die Organisator*innen des Marsches wichtige Themen ausschlossen – wie in Los Angeles, wo eine palästinensische Gruppe das Ereignis boykottierte, weil die Schauspielerin Scarlett Johansson, eine öffentliche Gegnerin der Palästina-Solidarität, eine Hauptrednerin war -, war die Anwesenheit dieser intersektionellen Zeichen und Slogans eine implizite oder explizite Herausforderung der Strasse gegenüber der Politik.
Im Internet sah ich unzählige Posts von Menschen, die protestierten, mit ihren Mitarbeiter*innen marschierten, Gruppen von Schüler*innen aus Gymnasien und Colleges, Freund*innen und Nachbar*innen mit ihren Gemeinden – alle stolz darauf, gemeinsam draussen zu sein und Solidarität gegen Trump zu zeigen.

Kritische Stimmen aus der Linken

Leider hat jedoch eine Minderheit der amerikanischen radikalen Linken vor allem Zynismus und ultra-linke Positionen in den sozialen Medien zum Ausdruck gebracht. Für sie war die massive Größe der Demonstrationen durch das Motto der Marschsponsor*innen „March to the Polls“ [Marsch zu den Wahlurnen], das darauf abzielte, den Anti-Trump-Widerstand auf die Abgabe einer Stimme für die Demokrat*innen bei den Wahlen im November dieses Jahres zu reduzieren, belanglos geworden.
Für andere war das große Problem der Frauenmärsche, dass sie liberal gewesen seien. Zu viele „weiße Frauen aus der Mittelschicht“ tauchten auf, so die Kommentare in den sozialen Medien. Es lohnt sich, diese Kritiken aufzugreifen, selbst die abweisendsten von ihnen, da sie einen Einfluss darauf haben, wie die Linken ihr Publikum sehen und wie wir uns organisieren.

Wahlen sind nicht die einzige Botschaft der Frauenmärsche

Die Hauptorganisator*innen der Märsche propagierten in diesem Jahr den Slogan „March to the Polls“ mit dem Ziel, die Demonstrationen als einen Schritt zur Wahlmobilisierung für Kandidat*innen der Demokratischen Partei gegen die Republikanische Partei bei den Wahlen im November darzustellen.
Es gab bei den Märschen viele Schilder, gedruckt und selbstgemacht, die dieses Thema reflektierten. Und es ist zutreffend, dass viele Demonstrant*innen sie glücklich trugen, weil für sie das Abwählen der Republikaner*innen als eine logische Antwort auf Trump als Präsident und die rechte Mehrheit im Kongress erscheint. Aber Wahlen waren nicht das einzige Thema, das diejenigen, die marschierten, herausstrichen. Wahrscheinlich wichtiger für die meisten Teilnehmer*innen war der unmittelbare Akt, auf die Straße zurückzukehren und konkret zu zeigen, dass es eine große Opposition gegen Trump und alles gibt, wofür er steht.
Unter den Gesängen, die zu hören waren, fand sich ebenso oft „Immigrant*innen sind hier willkommen“, wie „Donald Trump muss gehen“. Und natürlich führte #MeToo zu einem noch stärkeren Fokus auf die Bekämpfung von sexueller Belästigung und Gewalt, ein Thema, das weit über die Wahlen hinausgeht.

Die Vielfalt der Proteste als Chance für die Linke

Was die nächsten politischen Schritte betrifft, so vermischt sich für die meisten Demonstrant*innen die Idee, die Republikaner*innen abzuwählen, bequem mit anderen Möglichkeiten: Protest, direkte Aktion und ziviler Ungehorsam, Boykott, Internet-Organisation, Arbeiter*innenaktivismus. Einige Demonstrant*innen spiegelten die Politik und die Weltanschauung von Demokrat*innen wie Hillary Clinton wieder, während andere deutlich radikaler und offener für sozialistische Ideen waren, einschließlich einer Kritik am Zweiparteiensystem. Der Punkt ist, dass all dies zur Diskussion stand – wenn man mit den Leuten auf dem Marsch sprach.
In den USA wird eine radikale linke Tradition wieder aufgebaut und in den letzten Jahren gab es wichtige Entwicklungen, darunter ein wachsendes Interesse am Sozialismus, das sich im Wachstum linker Organisationen widerspiegelt. Und darüber hinaus gibt es eine breite Schicht von Menschen, die den Status quo satthaben und offen sind für irgendeine Art von Alternative – die sie aber noch nicht gefunden haben.

Die andauernde Dominanz des  Zweiparteiensystems

Die Zunahme der Zahl der Menschen, die sich für eine radikale und sozialistische Politik engagieren, ist ungeheuer wichtig, aber das ist erst der Anfang. Die meisten Menschen, die in der Zukunft mit linker Politik in Berührung kommen werden, sind noch nicht da – so spiegeln ihre Ideen im Moment die Tatsache wieder, dass die US-Politik immer noch von den beiden großen politischen Parteien dominiert wird, zusammen mit den Arbeiter-, Bürgerrechts- und liberalen Organisationen, die sich verpflichtet haben, die Demokratische Partei zu unterstützen.
Bernie Sanders, dem es weitgehend zugeschrieben wird, den Sozialismus während der letzten Wahlen populär gemacht zu haben, hat eine linke Botschaft vorgelegt, die in gewisser Weise im Gegensatz zum demokratischen Mainstream steht. Aber in der Praxis versucht er, die Anhänger*innen vor allem der Demokratischen Partei zuzuführen. In diesem Zusammenhang ist es nicht verwunderlich, dass der Aufruf der Organisator*innen, an den Wahlen teilzunehmen, bei den Frauenmärschen Gehör finden würde – aber das war bei weitem nicht die einzige Botschaft.

Alles oder Nichts? Verpasste Möglichkeiten der Linken

Es ist ein ziemlich seltenes Ereignis in diesen Tagen für liberale und Arbeiter*innenorganisationen, die sich einer Strategie der Wahl von Demokrat*innen verschrieben haben, überhaupt zu irgendeiner Art von Demonstration aufzurufen. Und wie wir an den Frauenmärschen sehen können, wird, wenn sie das tun, ein riesiges Publikum antworten, darunter viele Menschen, die von der Trump-Ära radikalisiert wurden und offen sind für eine Politik, die über die der Organisator*innen hinausgeht.
Wenn Linke darauf bestehen, dass nur Proteste und Aktionen, die um eine radikale, proletarische Agenda organisiert sind, ernst genommen werden sollten, dann riskieren sie, das Publikum für sozialistische Politik unter den Teilnehmern eines Protests zu verpassen. Ein Protest, der tatsächlich stattgefunden hat. Sie verpassen auch die Auswirkungen, die Großdemonstrationen haben können, auch wenn sie scheinbar von der liberalen Politik dominiert werden.

Die Stärken und Schwächen der liberalen Frauendemonstrationen

Es mag für eine jüngere Generation schwer vorstellbar sein, aber es gab eine Zeit, in der liberale Frauenorganisationen Massendemonstrationen ausgerufen haben, als die reproduktiven Rechte angegriffen wurden. 1989, als die legale Abtreibung während der Präsidentschaft von George Bush Sr. in der Schwebe hing, rief die National Organization for Women (NOW) ihre Unterstützer*innen auf, nach Washington zu kommen – und eine halbe Million Menschen tauchte auf.
Das machte einen Unterschied bei der Wahrung des Selbstbestimmungsrechts. Die konservativen Richter, die mit der Beibehaltung der legalen Abtreibung einverstanden waren, verwiesen in ihrer Stellungnahme ausdrücklich auf den allgemeinen Konsens, der sich zu diesem Thema entwickelt hatte – etwas, das vor allem durch die Märsche für das Recht auf Abtreibung symbolisiert wurde. Als Bill Clinton sein Amt antrat, wurden keine solchen Massenproteste ausgerufen, da Organisationen wie NOW dachten, sie hätten einen Freund im Weißen Haus. Und wir konnten den Unterschied sehen – als das Recht der Frauen, über ihre Schwangerschaft zu entscheiden, langsam abgeschafft wurde, von Bundesstaat zu Bundesstaat, standen Organisationen wie die NOW untätig hinter dem demokratischen Präsidenten.

Mitmachen heisst Mitreden

Als Sozialist*innen nahmen wir stolz an den Protesten in der Bush Senior-Ära und vielen weiteren teil, zu denen von liberalen Organisationen zur Verteidigung der Rechte der Frauen aufgerufen wurde. Dabei brachten wir unsere eigene Politik und Forderungen mit. Ausserdem organisierten wir uns – erfolglos – um NOW und andere Gruppen unter Druck zu setzen, um an Protesten und Aktivismus in der Clinton-Ära teilzunehmen.
Was die Botschaft betrifft, die bei den Frauenmärschen am 20. Januar 2018 verbreitet wurde, so gehöre ich zu den Aktivistinnen, die sich organisiert haben, um daran teilzunehmen und die auch dafür gesorgt haben, dass ihre Forderungen Gehör fanden – wie das „Free Ahed Tamimi“-Kollektiv in New York City, das den Marsch als einen Ort betrachtete, an dem Solidarität mit dem Kampf der palästinensischen Frauen aufgebaut werden konnte.
Ich bin auch mit den vielen Sozialist*innen und Radikalen zusammen, die den Marsch als eine Gelegenheit erkannten, mit Leuten zu sprechen, die noch nicht von linker Politik überzeugt sind – einschließlich der Gründe, warum man sich nicht auf die Demokraten verlassen kann, und weshalb wir deswegen eine alternative Strategie haben sollten, anstatt „zu den Urnen“ zu marschieren.
Einen Raum zu schaffen, während und nach dem Marsch, um zu diskutieren, was es braucht, um den Widerstand aufzubauen, erfordert Geduld der Sozialist*innen, aber auch klare Argumente. Ob wir diese Tests diesmal bestanden haben, ist eine offene Frage, aber diejenigen, deren Zynismus sie davon abhielt, sich überhaupt mit den Frauenmärschen zu beschäftigen, haben es definitiv nicht getan.

Unseren Stimmen mehr Gewicht verleihen

Hinzu kommt die Kritik, wie „weiß“ und „bürgerlich“ die Frauenmärsche waren. Dies wurde vor allem bei den ersten Frauenmärschen im vergangenen Jahr vorgebracht. Gleichzeitig war es für einige frustrierend, dass die Demonstrationen, obwohl sie den größten einzelnen Protesttag in der Geschichte der USA darstellten, die Probleme der Werktätigen und Unterdrückten nicht vollständig darstellten.
Das ist ein Argument dafür zu sorgen, dass unsere Stimmen und Themen künftig bei Demonstrationen besser vertreten sind. Aber es gibt einen Unterschied zwischen der Erkenntnis, dass es Arbeit gibt, die getan werden muss, um möglichst umfassende Proteste zu schaffen und der Verurteilung einer ganzen Demonstration, die sich aus „weißen Frauen aus der Mittelschicht“ zusammensetzt.
Zum einen wären viele der Frauen, die an den Märschen teilnahmen – wie das Kontingent von Gewerkschaftslehrer*innen beim Chicagoer Marsch – überrascht, dass sie angeblich dort waren, um „bürgerliche“ Anliegen zu vertreten, weit entfernt von der „wirklichen“ Aufgabe, eine Arbeiter*innenbewegung aufzubauen.

Gemeinsam im Kampf mit allen unterdrückten Frauen

Darüber hinaus deutet die Ablehnung der von Frauen in den Frauenmärschen aufgeworfenen Fragen als „Mittelklasse“ darauf hin, dass sie nichts mit den schwerwiegenderen Anliegen des Kampfes der Arbeiter*innenklasse zu tun hätten. Tatsächlich handelt es sich um ein Argument, das seit Beginn der Kampagne #MeToo im Herbst 2017 von Kritiker*innen auf der linken Seite, aber auch auf der rechten Seite in Umlauf gebracht wurde, und welches die Bedeutung von Frauen, die sich zu Wort melden, verringern, weil die Kampagne unter Schauspielerinnen in Hollywood begann.
Das gleiche geschah nach den Golden Globes Awards in diesem Jahr, als berühmte Schauspieler dabei waren, die Schwarz trugen, um ihre Unterstützung für #MeToo zu zeigen. In Wirklichkeit nehmen revolutionäre Sozialist*innen den Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen ernst, unabhängig von der Klasse der betroffenen Frauen. Darüber hinaus trägt die Tatsache, dass prominente Frauen sich gegen sexuelle Übergriffe ausgesprochen haben dazu bei, dass auch Frauengeschichten aus der Arbeiter*innenklasse gehört werden können.
Es gibt keine Garantie dafür, dass dies geschehen wird – Aktivist*innen werden daran arbeiten müssen, um sicherzustellen, dass die Belange der Frauen der Arbeiter*innenklasse im Mittelpunkt des Kampfes stehen, zusammen mit konkreten Forderungen, die im Leben jeder Frau einen Unterschied machen können, wie gleiche Bezahlung, reproduktive Freiheit und gleicher Zugang zu Wohnraum und Kinderbetreuung.
Aber nichts von all dem wird passieren, wenn wir es zulassen, dass Frauen, die aufstehen, verspottet werden oder ihnen gesagt wird, dass ihre Sorgen keine Bedeutung haben. Und es wird definitiv nichts passieren, wenn die Linke bei massiven Ereignissen wie den Frauenmärschen einfach wegschaut und sich nicht damit beschäftigen will.
Der Artikel wurde von der Redaktion übersetzt, an einigen Stellen geringfügig angepasst, um die Verständlichkeit zu erhöhen und Zwischentitel gesetzt.

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