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Spanischer Staat: Bilanz des Frauenstreiks am 8. März 2018

Am internationalen Frauenkampftag am 8. März 2018 streikten Frauen in verschiedenen Ländern gegen sexistische und patriarchale Unterdrückung, Diskriminierung am Arbeitsplatz und sexualisierte Gewalt. In Spanien beteiligen sich sechs Millionen Menschen an den Demonstrationen und Streiks. Diese Mobilisierung ist nicht nur Ausdruck einer weltweit erstarkenden feministischen Bewegung, sondern auch eine wichtige und schlagkräftige Antwort gegen die autoritären Tendenzen im Spanischen Staat. Wir möchten die Ereignisse rund um den 8. März im Spanischen Staat bilanzieren und dabei Frauenstimmen zu Wort kommen lassen, die aktiv in die feministische Bewegung involviert sind. (Red.)

„Ab heute marschieren wir gemeinsam!“

von Julia Cámara*; aus alencontre.org
Dass dieser 8. März all unsere Erwartungen übertreffen würde, das hatten die vorhergehenden Wochen klar gezeigt. Niemandem schien es jedoch möglich, jene Massenmobilisierung vorauszusehen, die wir schliesslich erlebten.
Seit dem 7. November 2015 war die Frauenbewegung in Spanien Gegenstand zahlreicher Analysen. In einem internationalen Kontext des Aufstiegs der Rechtsradikalen und des Rückgangs sozialer Mobilisierung haben sich zahlreiche Stimmen zu Wort gemeldet, um das Warum und Wie einer Bewegung zu analysieren, der es gelingt, immer mehr junge Frauen zu integrieren, sie auf die Strasse zu bringen und sie dazu zu bringen, die traditionelle Logik von Kampf und Konflikt in Frage zu stellen. Ausserdem scheint die Frauenbewegung neben ihren rein performativen Aspekten eine globale Dimension und einen gewissen strategischen Horizont erreicht zu haben, hin zu einem allgemeinen Aufschrei, der das kapitalistische System in Frage stellt. Die Zeit sollte zeigen, inwieweit sich dieses Potenzial weiterentwickelt. Hier sind vorerst einige Analyseelemente, um zu verstehen, was in der Woche rund um den 8. März 2018 passiert ist.

Aufruf zum Frauenstreik

Der Aufruf zum Frauenstreik war ein wichtiger qualitativer Teil für die Konzeption des 8. März als Kampftag. Im Gegensatz zu früheren Jahren waren die Grossdemonstrationen dieses Jahr – mit einer Million Teilnehmerinnen in Madrid, 600.000 in Barcelona, 300.000 in Saragossa und 100.000 in Sevilla – keine isolierten Proteste. Sie waren das Ergebnis zahlreicher Sitzungsstunden, Streikposten und Aktivitäten aller Art. Über die Demonstrationen hinaus war der Streik in den Quartieren, den Schulen, den Universitäten und den Arbeitsplätzen den ganzen Tag über präsent. Angesichts der Wirkungslosigkeit von rein performativen Handlungen hat die Frauenbewegung einen Kraftakt auf die Beine gestellt, der dem klassischen Slogan „Hier sind wir, die Feministinnen“ eine neue Dimension verleiht.
Durch die Dimension der weit verbreiteten Arbeitslosigkeit wurde die dem Streikaufruf beigemessene Auswirkung multipliziert. Der Bezug auf den Streik bricht mit dem rituellen Faktor des Feierns und macht jeden Versuch lächerlich, den 8. März auf Mode, den Gebrauch von Kosmetika und das Verteilen von Komplimenten an einen mythischen Feminismus zu reduzieren. Wir hören seit Monaten immer wieder die Aussage, dass der Feminismus in Mode ist und alle daran teilhaben wollen. Man kann an einer Demonstration aber nicht abstrakt teilnehmen. Es gibt also eine Bruchstelle. Die Unterstützungen in letzter Minute und der Ausfall der meisten Fernsehprogramme verunmöglichen jeden Versuch, diesen Tag als einen normalen Arbeitskampf zu interpretieren.

Gewerkschaftliche Herausforderungen

Es war offensichtlich, dass die traditionellen politischen Akteurinnen unfähig waren, diesen Moment zu verstehen. Die Rolle der zwei Hauptgewerkschaftszentralen [CCOO und UGT], die zwischen Unverständnis und Boykott schwankten, verstärkt das in den letzten Jahren gewonnene Bild verblüffter Kolosse, die perplex betrachten, wie sich um sie herum alles bewegt. Die Weigerung, zu einem 24h-Streik aufzurufen und der Aufruf zu Teilstreiks haben nicht nur bei zahlreichen Arbeiterinnen Verwirrung ausgelöst – es war auch ein klar demobilisierendes Element. Wir müssen uns Gedanken darübermachen, wie wir künftig die notwendige gewerkschaftliche Arbeit organisieren und wie wir mit den Sehnsüchten der zahlreichen Frauen umgehen, die nach dem 8. März von Arbeitskonflikten und Organisation an den Arbeitsplätzen sprechen: das ist eine der Aufgaben, vor denen der antikapitalistische Feminismus steht.

Organisierung über den 8. März hinaus

Der Vorbereitungsprozess des Streiks brachte v.a. die Schaffung von Frauen-Netzwerken mit sich. Der Aufbau von politischen Verbindungen und wirksamen Bündnissen zwischen Nachbarinnen, Müttern, Töchtern, Grossmüttern und Unbekannten war die Grundlage eines ehrgeizigen und notwendigen antagonistischen Programmes (wofür der Inhalt des unisono in verschiedenen Städten gelesenen Manifestes ein gutes Beispiel ist), aber auch des Aufbaus von kollektiven Bastionen in unserem konkreten Leben. Zehntausende Frauen haben während der Demonstration in Saragossa angehalten, um einer Raumpflegerin zu applaudieren, die aus einem Fenster im 3. Stock ein Putztuch schwenkte. In Madrid erklang der Refrain „Du bist nicht allein“ für eine Frau die vom Balkon aus zusah und mit ihren Händen ihr tränendes Gesicht bedeckte.
Der Frauenstreik ist das Ende der Isolierung, die Wiederentdeckung des Kollektivs, die Eroberung des Rechts auf ein Dasein. Natürlich bleibt noch viel zu tun. Aber ab heute marschieren wir gemeinsam; und wer sich auf der Strasse trifft, bleibt selten zu Hause. „Hier sind wir, die Feministinnen.“
*Julia Cámara ist Historikerin und feministische Aktivistin von anticapitalistas.
Der Artikel wurde von RZ übersetzt und redaktionell leicht überarbeitet. Der ursprüngliche Text wurde am 10. März 2018 auf vientosur.info veröffentlicht.

„Woher wir kommen, wohin wir gehen.“

von Justa Montero und Haizea Miguela; aus alencontre.org
Der Frauenstreik ist ein historisches Ereignis, das eine wichtige Etappe der Frauenrevolution darstellt. Die Ursprünge dieser Revolution gehen weit zurück und sie kommt nicht aus dem Nichts. Rufen wir uns nur jene Grossdemonstrationen in Erinnerung, die in den letzten Jahren stattfanden: die Revolte gegen den Versuch von Ex-Minister Gallardón, das Abtreibungsgesetz zu verschärfen [was im Jahr 2011 im Rahmen der Ausarbeitung des Programms des konservativen Partido Popular seinen Anfang nahm] und die Bestätigung unseres Entscheidungsrechtes; der entrüstete und verzweifelte Schrei gegen die Frauenmorde [mit der im November 2016 lancierten internationalen Initiative] und die Forderung befreit von Gewalt leben zu können. Diese Ereignisse haben die politische Agenda geprägt.
Wir sprechen hier von der Spitze des Eisbergs der feministischen Arbeit, diese Arbeit, die gleichzeitig ruhig und laut, hartnäckig und mutig ist; manchmal der alltäglichen Einsicht entspringt und immer kollektiv organisiert ist. Es handelt sich um eine pluralistische Bewegung mit einer langen Laufbahn und einer Geschichte, auf die wir stolz sind.

Geschichte der feministischen Bewegung in Spanien

Seit mehr als 40 Jahren rebellieren wir Frauen gegen das unerbittliche System der von der [Franco-]Diktatur auferlegten Verbote und der Repression. Wir hatten nicht einmal das Recht Rechte zu haben und wie auch in anderen sozialen Kämpfen hat das Regime die Errungenschaften unserer Wegbereiterinnen zu Grabe getragen. Wir waren widerspenstig und provozierend angesichts des starken Widerstands einer Gesellschaft in der das Macho-Benehmen allgegenwärtig war.
Damals wie heute wollten wir alles ändern: von den durch die Männerprivilegien und das kollektive Bewusstsein der Gender-Codes gekennzeichneten persönlichen Beziehungen bis hin zur Sexualität; vom Wirtschaftssystem und dem religiösen Charakter des Staates; von der Familienstruktur, der Ungleichheit, der Bildung bis hin zu den Gesetzen. Kurz: Wir wollten all das ändern, was unser Leben erstickte.
Wir brauchten – und brauchen immer noch – eine Demokratie, die die Rechte Aller garantiert – Frauen eingeschlossen. In der Verfassung des Jahres 1978 wurde aber ein Grossteil der Vorschläge dieser starken und entschlossenen Frauenbewegung nicht berücksichtigt.
Wir waren sehr kritisch gegenüber dieser Ausgrenzung, haben aber niemals einen Rückzieher gemacht. Während Jahrzehnten, durch unterschiedlichste wirtschaftliche und politische Krisen hindurch, wurden wir mit den harten Bedingungen konfrontiert, die uns das Patriarchat auferlegt. Und auf diesem Weg haben wir immer eine Änderung unserer Vorstellungen, unseres Verhaltens im Alltag und der dominierenden Beziehung der Männer gegenüber den Frauen gefordert. Wir haben eine öffentliche Politik verlangt, die die Ausübung unserer Rechte in Freiheit und eine reale Gleichberechtigung garantiert.
Wir haben auch die geschlechterspezifische Aufteilung im Erwerbsleben unterstrichen, die für das Wirtschaftsystem und das Heteropatriarchat dermassen funktionsgerecht ist, die einen Teil der Arbeit, die wir Frauen leisten – die Pflege und die Hausarbeit – unsichtbar macht und unsere Position in der Gesellschaft bestimmt.

Feminismus in allen Lebensbereichen

Die feministische Revolution findet aber auch auf der Ebene der Ansichten statt. Durch Schriften, Manifeste, Slogans und Lieder, von den Dialogen auf der Strasse bis zu Universitätsdebatten hat sich ein fruchtbares feministisches Gedankengut entwickelt, das die versuchte Verankerung der Domination der Frauen durch die Männer in Frage stellt. Die Frauentage, die seit 1975 und 1979 organisiert wurden, und an denen mehr als 3000 Aktivistinnen teilnahmen, sind regelrechte Laboratorien für Erfahrungen, Ideen und Austausch über die Erlebnisse der Frauen.
Unsere Ideen fanden nach und nach Verbreitung. Die Aktionen haben zu Veränderungen geführt. Die Gesellschaft hat sich geändert, genau wie wir. Wir haben das 20. Jahrhundert hinter uns gelassen, sind in eine vernetzte und globalisierte Gesellschaft eingetreten und haben gesehen, wie dieses „wir“, das sich aus dem Feminismus entwickelt hat, immer grösser wurde und uns ermöglichte Vorschläge zu machen, einen Diskurs zu formulieren und ein Programm aufzubauen. Je nach Klasse, Alter, Immigrationsstatus, ethnischer Herkunft, sexueller Orientierung, sexueller Identität oder der erworbenen Kompetenzen werden uns im Patriarchat unterschiedliche Plätze zugeteilt. Die Anerkennung der Vielfalt dieser von uns gelebten Situationen führt dazu, dass die Einforderung von Rechten für Alle nicht nur einfach ein weiterer Slogan ist, sondern der kraftvolle Vorschlag eines Feminismus für die Mehrheit.

Entwicklungen seit 2011

All dies führte dazu, dass wir im Jahr 2011 aus einem reichgefüllten Pool an Erfahrungen, Wissen und angesammelter Energie schöpfen konnten. Wir nahmen eine Phase der Veränderung und feministischen Reaktivierung in Angriff, in der Hitze der Bewegung der Indignados [Empörten; Bewegung 15M], die im Mai 2011 initiiert wurde.
Wir sind auch in die Auswirkungen der Krise und der neoliberalen Politik eingetaucht, deren Sparmassnahmen im Gesundheits- und Bildungswesen und in der Betreuung von unterstützungsbedürftigen Personen uns jene Aufgaben im Bereich der Pflege aufladen, aus denen sich der Staat zurückzieht und die die Männer nicht schaffen zu übernehmen. Wir sind geprägt von der Prekarität des Arbeitsmarktes, die existentieller Natur ist und unsere Lebenspläne gefährdet. Es gibt auch Versuche, durch die Kriminalisierung von Frauenprotesten unsere Meinungsfreiheit einzuschränken. Währenddessen baut das Einheitsdenken Mauern, normalisiert den rassistischen Diskurs und verleugnet die Situation der migrierten und rassisierten Frauen.
Das Patriarchat teilt kräftig aus, wir aber zeigen Stärke und wenn wir reagieren, dann machen wir das nicht nur für uns, sondern auch für unsere Genossinnen. Wie könnten wir den Moment vergessen, in dem Tausende Frauen auf die Strasse gingen und „Ich, ja, ich glaube Dir“ und „Hier sind die Feministinnen“ skandierten, als die Aussage der von der Männergruppe La Manada vergewaltigten Frau angezweifelt wurde! [Vergewaltigung einer achtzehnjährigen Frau beim Stierlauf in Pamplona; im November 2017 fanden in zahlreichen Städten Frauendemonstrationen statt, um die vom Richter gestreuten Zweifel anzuprangern.]
Eine ganze Generation junger Frauen lenkt die Reaktion auf diese zu gestaltende Zukunft; unsere Vorschläge zeichnen eine andere Lebensart, eine sozial und ökologisch nachhaltige Welt und führen uns zu dem Gedanken, dass wir alles ändern müssen.
Im Frauenstreik werden kurz- und mittelfristig sofortige Veränderungen vorgeschlagen, weil wir keinen „modischen“-Feminismus leben. Wir geben uns nicht mit den Krümeln zufrieden, die das System anbieten kann. Wir wollen eine tiefgreifende soziale Veränderung, bei der niemand aussen vorgelassen wird.

Perspektiven und Ziele der feministischen Bewegung

Heute spüren wir das Brodeln der Frauen in den Betrieben, den Universitäten, den Haushalten, den Quartieren, der Kultur, der Wissenschaft, den Institutionen… Die feministische Revolution marschiert weiter voran! Wir erheben mit Kraft unsere Stimme, generieren neue Formen des sozialen Widerstands – immer mit der Kreativität, dem Enthusiasmus und der Entschlossenheit, die den feministischen Widerstand auszeichnen.
Die jüngsten unter uns wurden als mutige Frauen erzogen, die fähig sind, mit einem gesellschaftlichen Schicksal zu brechen, dass als gegeben vorgegeben wird und die Angst, dass man lernen müsse auf der Hut zu sein, nur weil man eine Frau ist, umzukehren. Es genügt aber nicht mehr mutig zu sein. Mit dem Erbe, das wir antreten, und angesichts dieser Erfahrung, haben wir den Wunsch und das Vorhaben frei zu sein. In dieser neuen Etappe möchten wir dieses „frei“ in einen Ansatz der Gleichberechtigung einfügen, bei dem diese Freiheit zu einem anerkannten Mittel wird, mithilfe dessen diese Rechte für alle Frauen garantiert werden.
Der Artikel wurde von RZ übersetzt und redaktionell leicht überarbeitet. Der ursprüngliche Text wurde am 8. März 2018 auf vientosur.info veröffentlicht.

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