Was studierst du?
Jetzt studiere ich Philosophie und Geschichte an der ETH. Zuvor habe ich einen Bachelor und einen Master in Materialwissenschaft ebenfalls an der ETH gemacht.
Wie wirkt sich dein Geschlecht auf deinen Bildungsweg aus?
Ich denke, ich konnte nichts nicht machen, weil ich ein Mädchen, eine Frau bin. Also mir wurde nie etwas direkt verboten. Ich bin jedoch ziemlich sicher, dass gewisse Dinge anders ausgesehen hätten, wäre ich ein Mann. Ich wollte zuerst Germanistik, Ethnologie oder Geschichte studieren. Das wurde von Menschen die mir nahestehen als „Mädchenstudiengänge“ bezeichnet. Nichts womit man mal Geld verdienen kann. Ich sollte das nicht studieren. Als ich mich dann für die ETH entschied, gab es innerhalb meiner Familie und dem Bekanntenkreis am Anfang meiner Karriere oft Bemerkungen zu meiner Studienwahl. Dies sowohl auf die entmutigende wie auch auf die erstaunte Art, welche vermutlich so was wie Anerkennung ausdrücken sollte aber trotzdem komisch schien, dass es jetzt erwähnenswert war und, dass man es für nötig empfand mein Geschlecht zu kommentieren. Das hat mich manchmal verunsichert und manchmal so auf eine trotzige Art bestärkt. Es hat sicher einerseits mit meiner Persönlichkeit zu tun und andererseits schon auch mit den Erwartungen an mich als junge Frau ohne jemanden in der Familie, die*der studiert hat, dass ich lange Zeit wahnsinnig unentspannt war, was meine Leistung und meine intellektuellen Fähigkeiten angeht. Dass ich das Gefühl hatte welches teils jetzt noch zurückkommt: ich muss mich beweisen, darf keine Fehler machen und muss möglichst alles wissen bevor ich was sage und darf nirgends durchfallen.
Siehst du eine Zukunftsperspektive in der Forschung und was hat das vielleicht mit deinem Geschlecht zu tun?
Ich weiss nicht so wirklich wo ich hinwill ehrlich gesagt. Mir gefällt die Wissenschaft, das Forschen und Denken als Tätigkeit. Aber ich finde es sowohl in den Naturwissenschaften wie auch jetzt in der Wissenschaftsforschung und Philosophie sehr schwierig weibliche Rollenvorbilder zu finden. Es gibt so diese Ego-Super-Karrierefrauen, die sich komplett angepasst haben und die Attitüde haben à la „ja ich hab es ja auch geschafft, es gibt also keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen“. Diese sind oft unbeliebt bei Studierenden, da sie sehr streng und hart sind. Viele solcher Frauen empfinde ich nicht als „Verbündete“, als Komplizinnen und habe keine Lust mich mit ihnen auszutauschen, weil sie auch oft tatsächlich unsolidarisch sind mit „Frauenanliegen“. Oder es gibt solche, die die Präsenz von Kollegen meiden. Wenn eine Frau, die beispielsweise eine Förderprofessur vom SNF (schweizerischer Nationalfonds) hat ein Kind bekommt, gibt es ein Riesending, weil man nicht weiss, was man jetzt machen muss, da es das noch nie gegeben hat. Nimmt sie sich quasi selber Mutterschaftsurlaub ist ihre Forschungsgruppe aufgeschmissen. Stillräume an der ETH sind wahnsinnig gut versteckt, es kommt vor, dass Mütter, deren Kleinkinder sich getrauen Geräusche zu machen in Seminaren oder Vorlesungen aus der Veranstaltung gestellt werden, da es kein Ort für Kinder sei. Natürlich überlege ich mir da, ob die Uni tatsächlich der Ort ist an dem ich bleiben will. Die Überlegungen betreffend Familienplanung sind für Frauen wahnsinnig viel tiefgreifender und betreffen ihre Karrieren extremer als dies bei Männern der Fall ist. Es ist mir aber wichtig zu sagen, dass meine Unlust auf eine akademische Karriere auch mit der Entwicklung der akademischen Wissenschaften/Unis als Arbeitsplatz generell zu tun haben, wahnsinnig lange sind Wissenschafter*innen befristet angestellt, müssen immer wieder erneut um Gelder für ihre Arbeit kämpfen, beuten sich selber aus um dabeibleiben zu können. Darunter leiden alle jungen Menschen in der Akademie. Diese Unsicherheit und Instabilität im Berufsleben hat, wie überall sonst auch, natürlich auch Folgen fürs Privatleben und es ist leider so, dass es als Frau doppelt belastend ist, weil die Reproduktionsarbeiten und Erziehungsarbeiten leider immer noch viel mehr in der Verantwortung der Frau liegen. Darauf habe ich keine Lust.
Wie erlebst du die Geschlechterverhältnisse an deiner Bildungsinstitution?
Während meinem ersten Studium waren Frauen immer in der Unterzahl, im Bachelor waren wir vielleicht 25-30% weibliche Studierende, später im Master habe ich mich für eine noch „frauenuntypischere“ Richtung entschieden und es kam vor, dass ich die einzige weibliche Kursteilnehmerin in Kursen mit 10-20 Personen war. In den Forschungsgruppen in denen ich gearbeitet haben, hatte es auch viel mehr Männer (von keiner anderen weiblichen Forscherin bis zu 2 weiteren). Es gab im Departement lange keine weibliche Professorin und dann irgendwann wurde eine Frau eingestellt und später nochmals zwei (eine aber hatte ihre Gruppe am PSI (Paul Scherrer Institut)und war eigentlich nie an der ETH). Und eine ist auch schon wieder weg.
Jetzt im Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Departement der ETH ist es genau gleich wie überall sonst an den Universitäten: Es gibt einigermassen viele weibliche Studierende, vermutlich etwa die Hälfte. Dann werden es weniger bei jeder Stufe bis zur obersten, der Professor*innenstufe, wo wir keine einzige nicht-männliche Person haben. Auch hier erlebe ich, dass feministische Anliegen von männlichen Kollegen belächelt werden, dass Professoren die Augen verdrehen oder Kommentare machen, wenn ich sie bitte, mindestens eine Frau* auf die Leseliste zu nehmen.
Auch Nebenjobs gehören meistens zu einem Studium dazu. Welchen Nebenjob machst du und wie erlebst du Sexismus/die Geschlechterverhältnisse auch dort?
Ich habe schon ganz viele unterschiedliche Nebenjobs gemacht. Das war ganz unterschiedlich. Am beschissensten war wohl ein Chef, der, als ich während der Gymizeit in einem kleinen Kebabladen jobbte, wollte, dass ich mich auf seine Knie setze, damit er mir meinen Lohn bezahlt. Als Tutorin für Maschinenbau- und Elektortechnikstudierende gab es Semester, wo die Gruppe, die ich „unterrichtete“ nur aus jungen Männern bestand und ihr (leider anonymes) Feedback Kommentare zu meinem Äusseren oder meinem Dialekt beinhalteten, was ich denke, wäre nicht passiert, wenn ich ein Typ gewesen wäre. Als Helferin bei MINT-Wochen wurde es sehr geschätzt, dass ich eine Frau war und mitüberlegt habe, wie man mehr junge Frauen für Naturwissenschaften gewinnen könnte. Als ich meinen ersten richtigen Job hatte, gab es einen Fall von sexueller Belästigung, was auch zu Untersuchungen geführt hat. Da war ich viele Monate freigestellt und es war eine anstrengende Zeit. Ich denke da gibt’s viele Beispiele. Durch bestärkende Erfahrungen mit anderen Frauen* und eine theoretische und politische Auseinandersetzung mit patriarchalen und kapitalistischen Strukturen habe ich schon auch gelernt, mich zu wehren. Im Moment grad muss ich sagen, dass es echt gut ist, was solche Probleme bei meiner Arbeit betrifft. Ich habe auch das Privileg im Moment, dass ich nicht jeden Scheissjob bei jedem Scheisstypen machen muss und mich wehren kann, weil ich nicht mehr so stark darauf angewiesen bin wie auch schon.
Machst du inner- und außerhalb deiner Bildungsinstitutionen Diskriminierungserfahrungen als Frau?
Grundsätzlich fand ich das nicht immer „schlimm“, dass es so wenige Frauen waren in meinem Studium, aber es gab Momente, in denen ich mich sehr unwohl gefühlt habe: bei Präsentationen, in Momenten wo ich das Gefühl hatte man geht mit mir anders um als mit anderen, entweder weil man mit mir flirtet oder auch, wenn man mich z.B. etwas nicht fragt, obwohl ich dastehe und sicher Teile der Antwort gewusst hätte. Es gibt wie zwei Rollen, die eine Frau in männerdominierten Gruppen einnehmen kann, entweder sie ist „cool“, lacht beim Mittagessen mit den anderen mit über sexistische Witze oder das Aussehen und die Brüste von weiblichen Gastvortragenden oder Sekretärinnen und hat auch ein gewisses Unverständnis für diese „Bevorteilung“ von Frauen durch (meist sowieso völlig fehlgeleitete) geschlechtsspezifische Förderungsprogramme etc etc. Ich denke solche Frauen sind nicht ungerne die einzigen, weil sie sich im Narrativ, dass sie etwas Spezielles sind unter Männern und es „geschafft haben“ wohl fühlen. Diese Frauen werden so als die gesehen, die es „richtig machen“. Und die andere Rolle ist die der „Emanze“, über die man mehr oder weniger genervt Witze macht, weil sie „keinen Humor hat“ und „immer so empfindlich“ ist. Dies hat sicher mit dazu geführt, dass ich mich zeitenweise nicht wohl gefühlt habe an der ETH, weil ich entweder irgendwie eine komische Version von mir selbst war und auch oft z.B. nicht mit den anderen Mittagessen ging oder mich abseits der Arbeit mit ihnen getroffen habe. Und es war einer der Gründe warum ich nicht weitergemacht habe und einen PhD angehängt habe.
Wieso wirst du am 14. Juni streiken?
Naja, es ist mir wichtig, dass klar wird, dass diese oben genannten Missstände, die mich persönlich betreffen und stören (Sexismus, stereotype Rollenbilder, fehlende Wertschätzung und Entlohnung für reproduktive Aufgaben usw.) nicht ein individuelles Problem meinerseits ist, sondern ein strukturelles Problem das Patriarchat heisst und das durch den Kapitalismus einerseits verstärkt wird und andererseits diesen auch aufrechterhält. Leider gibt es viele Frauen, die zwar mit gewissen Dingen unzufrieden sind, aber die strukturelle Problematik nicht sehen wollen/können. Obwohl ich natürlich ganz andere Erfahrungen mache, und als weisse, gut ausgebildete Schweizerin viele Privilegien besitze, die andere nicht haben, so hängen meine Erfahrungen doch mit der Diskriminierung und Ausbeutung von ganz vielen Frauen* und Menschen zusammen. Ich finde ein feministischer Streik kann dies aufzeigen und als feministische Bewegung können wir kollektiv die Machtfrage stellen und Dinge verändern. Ich denke die Niederlegung der Arbeit und damit auch eine Aneignung des Begriffs der Arbeit selbst, als mehr als nur Lohntätigkeiten, zeigt, wie stark verschiedene Anliegen zusammenhängen. Und wir haben tatsächlich die Möglichkeit, dass man merkt, wie wichtig die bezahlte und unbezahlt geleistete Arbeit von Frauen* ist. Ausserdem beflügelt die Solidarität die schon jetzt spürbar ist, wenn wir merken, wie viele wir sind. Zum Beispiel wenn wir uns Räume schaffen und uns nehmen und uns gegenseitig unterstützten. Ich bin der festen Überzeugung, dass es gar nix bringt, wenn ich alleine motze und heule und auch nicht wirklich was, wenn ich alleine kämpfe Es fällt viel leichter als sich Teil einer Bewegung zu wehren, zu wissen, dass es okay ist, Dinge als scheisse zu benennen und diese ändern zu wollen.
Was muss der Frauenstreik fordern? Was sind deine feministischen Ziele?
Das Ende des Patriarchats natürlich. Und da diese Unterdrückung Hand in Hand geht mit der kapitalistischen Produktionsweise aber auch mit Rassismus und anderen Diskriminierungsformen bin ich der Meinung, dass unsere Forderungen sehr vielfältig sein und nicht nur das eigene Gärtli betreffen sollten.
Ich fordere eine Vergesellschaftung der reproduktiven Arbeiten. Ich will ein Ende von sexistischer Gewalt. Dafür braucht es tatsächliche Forschung zu sexistischer Gewalt im privaten und öffentlichen Raum, welche nicht irgendwelche rassistischen Vorurteile stützt. Ich will Institutionen, die Frauen, vor allem migrantische Frauen aber auch andere nicht cis-männliche Identitäten als würdige und gleiche Menschen behandelt. Ich wünsche mir ein Wirtschaftssystem, in welchem nicht eine Frau aus dem globalen Süden zu unmenschlichen Bedingungen die einzigen Tshirts produziert, welche ich mir hier tatsächlich leisten kann. Ich fordere eine Wirtschaftsordnung, die die tatsächlich wichtigen Dinge als wichtig anerkennt, wie Erziehung, Kochen, Pflege, Sex, Bildung etc, ein System, das nicht in produktiv und unproduktiv unterteilt und in dem die Herstellung von Waffen und Pestiziden tatsächlich als ersteres gilt. Ich will nicht, dass Menschen weltweit dafür ausgebeutet werden, dieses System weiter aufrecht zu erhalten. Ich will eine Wissenschaft, die nicht nur die westliche cis-männlich weisse Perspektive als „objektiv“ beurteilt. Ich fordere, dass mehr Menschen mit der „Normalität“ brechen, in welcher Frauen* als Schlampen oder als frigide, Trans*personen und nicht-heterosexuelle als abnormal bezeichnet werden und in der Videogames produziert und vermarktet werden, wo Vergewaltigung gespielt wird. Ich will, dass die Gesundheitsversorgung für alle Frauen* garantiert ist. Ich will, dass Verhütung und Fortpflanzung Thema für alle Geschlechter sein muss. Hierzu gehört aber, dass Frauen straflos über ihre Körper entscheiden können wie sie möchten und Abtreibung und Sexarbeit überall legalisiert und entstigmatisiert werden. Ich will, dass geschlechtsspezifische Fluchtgründe anerkannt werden, dass mehr darauf gehört wird, was Migrant*innen allgemein aber speziell migrantische FLTIQ* brauchen, um ein würdiges Leben zu führen und angstfrei leben zu können. Ich will, dass Lebensentwürfe die nicht der Heteronorm entsprechen und für die nicht die Kleinfamilie im Eigenheim als das oberste aller Glücke gilt, nicht sanktioniert und diskriminiert werden. Ich fordere, dass Verletzlichkeit anerkannt und als Bereicherung gewertet wird und Solidarität als oberstes Prinzip gilt, dass Bedürfnisse angstfrei geäussert werden können und alle solchen berücksichtigt werden. Und schlussendlich ein System in dem Menschen ihre Fähigkeiten unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Klasse, Aussehen, Sexualität frei ausbilden und für alle einsetzen können. Jaa das klingt jetzt bitz hippiesk hä! 🙂