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Ein Angriff auf uns, unsere Körper, unsere Rechte

In den letzten Wochen kam es bei verschiedenen Personen in Zürich zu Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, Verzeigungsvorhalten und Vorladungen. Nun kann mit Bussen gerechnet werden. Was ist da los?

von Bündnis für ein selbstbestimmtes Leben

Alle die verschiedenen Arten der Repression gehen in diesem Fall auf einen Tag zurück: der 14. September 2019. An diesem Tag fand in Zürich der sogenannte „Marsch fürs Läbe“ statt. Es handelt sich dabei um einen Demonstrationszug von christlichen Fundamentalist*innen, Abtreibungsgegner*innen, Rechten, Konservativen und Antifeminist*innen. Der „Marsch fürs Läbe“ (MFL) fand zum zehnten Mal in der Schweiz statt. Er wird jedes Jahr vom gleichnamigen christlich-fundamentalistischen Verein organisiert, welcher sich zur Aufgabe gemacht hat, das „ungeborene Leben“ zu schützen. Die Vereinsmitglieder sind gegen die sogenannte Fristenregelung, wollen also eine gesetzlich erlaubte Abtreibung bis zur 12. Schwangerschaftswoche abschaffen. Diese Bestimmung wurde im Jahr 2002 auf schweizweiter Ebene von 72% der Abstimmenden angenommen.

Auch wenn die Fristenregelung unter den aktuellen gesellschaftlichen Voraussetzungen noch lange nicht das bedeutet, was wir unter einem selbstbestimmten Leben verstehen, so ist die Möglichkeit eines legalen Schwangerschaftsabbruchs doch als wichtiger Fortschritt und als zentrales Frauen*recht zu sehen. Genau deshalb stellen sich schon seit Jahren feministische Kreise entschlossen gegen den MFL, egal, wo dieser stattfindet. 2019 bekam der MFL nach längeren Auseinandersetzungen mit der Stadt wieder eine Demonstrationsbewilligung in Zürich. Es war keine Frage, dass gerade im Jahr des zweiten schweizweiten Frauen*streiks/feministischen Streiks auch der Widerstand entschlossen sein würde.

Wer ist eigentlich „Marsch fürs Läbe“?

Der MFL wird vom 2011 gegründeten Verein „Marsch fürs Läbe“ organisiert. Präsident ist Daniel Regli, der – wenig erstaunlich – für die SVP im Gemeinderat Zürich sass. Der Verein ist natürlich auch bestens mit weiteren antifeministischen Organisationen und Vereinen vernetzt, wie beispielsweise mit dem „Familienverein Pro Life“, welcher „Krankenkassenlösungen mit Verzicht auf Abtreibungen“ anbietet[1].

Den selbsternannten „Lebensschützer*innen“ ist jedes Mittel recht, um ihre fundamentalistischen Ansichten gesellschaftsfähig zu machen. So scheuen sie weder davon zurück, Lügen zu verbreiten, noch unter harmlosen Namen, wie „Pro Life“, „Pro Mama“ oder „Schwanger – wir helfen“ Beratung für Schwangere anzubieten. Dass es bei diesen Beratungen lediglich darum geht, Schwangere dazu zu drängen, das Kind zu behalten, ist klar. Doch Vereine wie „Marsch für‘s Läbe“ oder „Pro Life“ lügen auch wie gedruckt, und verbreiten Falschinformationen, wenn sie sagen, „Frauen sind nach einem Schwangerschaftsabbruch traumatisiert“, „Viele können nach einem Abbruch nicht mehr schwanger werden“, „Ein Abbruch ist immer ein operativer Eingriff“[2] oder wenn sie mit Gruselszenarien von von Föten auf Abfallhalden um sich werfen[3].

Und dies sind noch harmlose Beispiele. Es finden sich im Wirrwarr der Abtreibungsgegner*innen auch solche, die Schwangerschaftsabbrüche als Genozid (resp. Babyzid) beschreiben und mit dem Holocaust vergleichen (kindermord.org). Die Abtreibungsgegner*innen sind aber nicht nur reaktionäre Frauenhasser*innen, sondern ein Teil von ihnen gibt sich alle Mühe, auf seriös wirkenden Websites (zukunft.ch) als Vertreter*innen christlicher Werte oder „Lebensschützer*innen“ aufzutreten und sie sind international vernetzt. So gibt es den „Marsch fürs Läbe“ nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland, Italien, Frankreich, USA, Polen und weiteren Orten. Es ist ein Netzwerk von verschiedenen Vereinen und Gruppen, die sich zum Ziel gemacht haben, FLINT in ihre Rolle als Gebärmaschine und Mutter zurückzudrängen und die heterosexuelle Kleinfamilie als einziges Lebensmodell zu propagieren.

Die christlichen Fundamentalist*innen halten vor Spitälern und Kliniken, wo Abtreibungen durchgeführt werden, Mahnwachen ab und hindern Frauen* an der Betretung dieser Kliniken, indem sie ihnen den Weg versperren. Sie veröffentlichen auf selbstgebastelten, kruden Websiten blutige Fotos von Abtreibungen oder Fotos von weinenden Kindern neben Internetprangern mit Namen und Adressen von Ärzt*innen, welche Abtreibungen durchführen.

Massive Angriffe auf unser Selbstbestimmungsrecht

Doch leider verbreiten sie ihren Schwachsinn nicht nur auf ihren eigenen Internetforen, sondern sie geben sich viel Mühe, auch auf gesetzlicher Ebene die Rechte von Frauen* anzugreifen. So wurde in Polen 2016 von der rechtsklerikalen „Stop Pedofilii“ ein totales Abtreibungsverbot gefordert, welches von der rechten Regierung der PSI zunächst akzeptiert wurde und nur durch massive Protest der feministischen Bewegung – den „Black Protests“ – verhindert werden konnte. In Deutschland ist der Gesetzesartikel §219a noch immer in Kraft, welcher die Werbung für Schwangerschaftsabbruch verbietet. Darauf stützen sich nun diejenigen, welche Ärzt*innen nicht nur mit Internetprangern sondern auch mit Anzeigen das Leben und die Arbeit schwer machen. Dies führt dazu, dass es in vielen Städten Deutschlands keine einzige Ärzt*in mehr gibt, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt[4].

Dass Abbrüche natürlich trotzdem durchgeführt werden, ist klar, leidtragende sind unter diesen Umständen die schwangeren Personen. Eine nicht unwichtige Rolle bei dieser internationalen Zusammenarbeit, spielt das ultrarechte Netzwerk „Agenda Europe“. Dabei handelt es sich um ein Gefäss, in dem sich Vatikanvertreter*innen, rechte und rechtskonservative Politiker*innen, Anti-SRR (sexuelle und reproduktive Rechte) Aktivist*innen aus den USA, und milliardenschwere Geldgeber*innen vereint[5]. Auch für den Verein „Marsch fürs Läbe“ in der Schweiz lassen sich breitwillige Geldgeber*innen finden, so beispielsweise die Schokoladendynastie Läderach[6].

Wir werden uns immer wehren

Es ist klar, dass wir uns als Feminist*innen für das Selbstbestimmungsrecht über unseren Körper einsetzen. Und angesichts dieser schauerlichen Verbindungen und antifeministischen sowie rechten An- und Absichten des MFL und ihren Verbündeten in der ganzen „Pro-Life“ Bewegung, ist es klar, dass wir uns auch immer wieder gegen den Aufmarsch stellen werden. Wir wehren uns gegen die Fremdbestimmung und Entmündigung und wir werden dies auch in Zukunft tun. Aus diesen Gründen sind wir auch am 14. September 2019 in Zürich erneut gegen den MFL auf die Strassen.

Die Repression, die uns an diesem Tag und bis jetzt entgegnet wurde, war heftig, überrascht uns aber bei einer genaueren Einordnung nicht sonderlich. Denn solange es die Polizei gibt, ging und geht sie immer gegen emanzipatorische Projekte vor. Es ist ihre Aufgabe, den kapitalistischen Staat – resp. den Status quo – zu schützen. Und zu diesem Status quo gehören offensichtlich auch rechte, antifeministische und fundamental-christliche Werte. Wer sich als Feminist*in, Antifaschist*in oder Antikapitalist*in für eine bessere, eine andere Welt einsetzt, bekommt es immer mit der Polizei zu tun.

Der 14. September 2019

Wir wollen hier nicht wirklich noch einmal die ganze Repression und Polizeigewalt aufzählen, die uns an diesem Tag begegnete, festzuhalten ist: sie war enorm. Drei Punkte wollen wir aber doch noch einmal herausstreichen:

1. Zum Schutz des MFL war gefühlt die gesamte Polizei auf den Beinen, die Zürich aufzubieten hatte. Darunter die Spezialeinheit „Skorpion“. Dass diese – notabene rein männliche – Einheit, welche nach eigener Darstellung Terror bekämpft und auch als Beweissicherungs- und Festnahme- Einheit (BFE) fungiert, gegen Demonstrationen eingesetzt wird, ist nur ein Zeichen vermehrter Militarisierung und Repression[7].

2. Eben diese Einheit hat immer wieder Menschen mit Tränengas, Gummischrot und Pfefferspray angegriffen. Tränengas und Pfefferspray sind international geächtete chemische Waffen, welche im Kriegsfall verboten sind, gegen die eigene Bevölkerung aber immer wieder gerne eingesetzt werden. Die Anwendung von Gummischrot ist ausserhalb der Schweiz in den meisten Ländern verboten, da sie regelmässig zu schweren Verletzungen führt und durch die hohe Streuung unkontrollierbar ist. Es gibt genug Bilder, die zeigen, wie vollbewaffnete Polizisten Tränengas auf den Kinderspielplatz neben der Versammlung schossen oder wie sie vom Viadukt herab den Menschen mit Gummischrot auf die Köpfe schossen.

3. Am Rande der Gegendemonstration zückte ein Zivilpolizist seine Waffe. Was er damit wollte ist unklar, klar ist dass er mit dieser Handlung in Kauf nahm, zu schiessen und somit auch in Kauf nahm ein Person ernsthaft, ja sogar tödlich zu verletzen.[8]

Das Nachspiel

Nachdem die Polizei berechtigterweise für diesen Einsatz kritisiert wurde, meinte der Sprecher des Sicherheitsdepartements der Stadtpolizei Zürich, man werde diesen Vorwürfen nachgehen und die Foto- und Videomaterialien analysieren[9]. Diese internen Investigationen verliefen im Sand – wir haben ehrlich gesagt auch nichts anderes erwartet. Während die Polizei für keinen der drei oben genannten Punkte und auch für keine einzige weitere Tat von diesem Einsatz belangt werden konnte, trudeln nun bei uns die Vorladungen und Verzeigungsvorhalte ein, Hausdurchsuchungen werden durchgeführt und Personen verhaftet. Wenn wir auf die letzten Jahre emanzipatorische Bewegung zurückschauen, ist auch dies nichts Neues. Die neue Vorsteherin des Sicherheitsdepartements, die Grüne Karin Rykart, wollte scheinbar beweisen, dass auch unter ihr die Repression nicht ausbleibt.

Tja, liebe Karin Rykart, das wussten wir bereits. Denn unsere Erfahrung als Aktivist*innen, Feminist*innen, Sozialist*innen, Antifaschist*innen hat uns schon lange gezeigt: Vorsteher*innen wie Maurer, Wolff und Rykart kommen und gehen, der Apparat und die Repression bleibt. Und so ist der einzige Schluss, den wir ziehen können: Auch wir bleiben! Auch unser Widerstand bleibt! Auch die feministische Bewegung bleibt!

Aus diesem Grund rufen wir zur Beteiligung an den feministischen Aktionen in Zürich rund um den 8. März auf.
Demo: Samstag 7. März 13.30 Hechtplatz Zürich
Streiktreff: Sonntag 8. März 15.00 Sechseläutenplatz Zürich
(Anm. d. Red.)


Die Links in den Fussnoten wurden von der Redaktion hinzugefügt.

[1] https://www.prolife.ch/de/krankenkassen-loesungen/ihre-gesundheit-liegt-uns-am-herzen

[2] https://www.watson.de/wissen/analyse/557863679-5-luegen-die-abtreibungsgegner-im-netz-verbreiten

[3] https://www.nzz.ch/zuerich/marsch-fuers-laebe-das-breite-netzwerk-der-abtreibungsgegner-ld.1506811

[4] https://taz.de/Immer-weniger-Aerztinnen/!5487589/

[5] mehr dazu: https://www.profamilia.de/publikationen.html?tx_pgextendshop_pi1

[6] https://daslamm.ch/von-plastikembryos-islamophobie-und-luxusschokolade-der-marsch-fuers-laebe/

[7] Genaueres zur Einheit „Skorpion“: https://sozialismus.ch/artikel/2019/zuerich-interventionseinheit-skorpion-im-einsatz-gegen-demonstrierende/

[8] https://www.facebook.com/bewegungfuerdensozialismus/videos/1521047944709628/?v=1521047944709628

[9] https://www.20min.ch/schweiz/zuerich/story/Polizei-kesselt-175-Leute-ein–30-Jaehriger-verhaftet-30718652

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