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Mit Care gegen toxische Männlichkeit (Teil 1)

Der kommende feministische Streik vom 14. Juni stellt die Care-Arbeit in den Mittelpunkt und fordert unter anderem, dass Care-Arbeit kollektiviert wird und damit Männer* einen grösseren Anteil davon übernehmen. Auch für uns steht Care-Arbeit im Zentrum unserer Überlegungen dazu, welche Rolle Männer* in feministischen Bewegungen übernehmen sollen und welchen Beitrag sie dazu leisten können. Letztlich handelt es sich dabei um eine Frage, die wir uns als Männer*[1] selbst stellen müssen: Was können wir in den Bereichen der Care-Berufen sowie innerhalb unserer privaten und aktivistischen Kontexten beitragen, um die Last der Care-Arbeit gerechter umzuverteilen. Dass die Antwort bedeuten muss, mehr Care-Arbeit zu leisten, liegt auf der Hand. Die Frage nach dem Wie ist damit aber noch nicht beantwortet. Folgend will ich daher kurz die Ausgangslage der gegenwärtigen Care-Krise schildern, um daraufhin die Auseinandersetzung von Männer*n mit Care-Arbeit kritisch zu beleuchten. Schliesslich will ich konkrete Anknüpfungspunkte bieten, wo und wie Defizite kritischer Männlichkeitsdiskussionen handlungsorientiert angepackt werden können.

von Marco Fischer (BFS Zürich)

Dieser Text ist aus der Perspektive eines weissen, universitär ausgebildeten, abled-bodied, neurotypischen, ziemlich schwulen Cis-Mannes* geschrieben. Viel davon basiert auf Gesprächen mit FLINT (Abkürzung für Frauen*, Inter*, Nonbinäre* und Trans*) Personen in meinem Umfeld (Danke euch!). Im folgenden Text werden Geschlechterstereotype teilweise überspitzt dargestellt, um gesellschaftliche Tendenzen zu beleuchten. Natürlich treffen diese nicht immer auf alle Vertreter:innen des angesprochenen Geschlechts zu (Ja Bubu, not all men…)

Etwas Theorie…

Care-Arbeit und Geschlechterverhältnisse

Die Geschlechterverhältnisse entstehen zum einen dadurch, dass wir Cis-Männer* eine gesellschaftlich Kontrolle über die Sexualität (und damit über die Körper) von FLINT Personen ausüben. Zum anderen entstehen diese Verhältnisse dadurch, dass sich durch die sexistische Arbeitsteilung geschlechtsspezifische Rollenmuster ausgeprägt haben (aus dem BFS Positionspapier). Dies zeigt sich bereits in der Kernfamilie, wo die Verantwortung für den Haushalt, die Zubereitung der Nahrung, die Erziehung der Kinder und das emotionale Wohlergehen aller Haushaltsmitglieder FLINT Personen zugeschreiben wird. Mit anderen Worten, FLINT Personen müssen die Arbeit leisten – auch Care- oder Reproduktionsarbeit genannt – die dafür nötig ist, dass sie selbst, Männer* und zukünftige Generationen ausgeruht, satt und emotional stabil zur Lohnarbeit gehen können.

Doch genau diese reproduktive Arbeit wird im gegenwärtigen System aber abgewertet und einfach als Handlungen abgetan, die angeblich dem natürlichen Wesen der Frau* entsprechen. Deshalb gilt diese Arbeit gesellschaftlich auch als Nicht-Arbeit. In dieser einseitigen Wahrnehmung werden die (zumeist männlichen) Lohnarbeiter als die eigentlichen Ernährer betrachtet und als Familienoberhaupt verstanden, wodurch FLINT Personen, die reproduktive Arbeit verrichten, in eine finanzielle und gesellschaftliche Abhängigkeit zu Männern* geraten. In diese klassischen Muster verfallen oft auch Hetero-Pärchen, die vor der Geburt des Ersten Kindes eigentlich geplant haben, die bezahlte und unbezahlte Arbeit gleich zu verteilen. Das zeigt, dass Geschlechterverhältnisse nicht nur individuelle Entscheidungen sind, sondern immer von den sozialen Umständen abhängen. Wenn wir fordern, dass die von FLINT Personen geleistete Reproduktionsarbeit vergesellschaftet und fair auf alle Geschlechter verteilt wird, kommen wir nicht drum herum zu fragen, wie dies passieren soll und was uns Typen bisher so stark daran hinderte, Schritte in diese Richtung zu gehen.

Bilder aus dem Dokumentarfilm: WE WEREN’T ALLOWED TO CRY vom Colectivo de Varones (Männer*) Antipatriarcales aus Argentinien. Unbedingt anschauen!

Care-Krise im Kapitalismus

Wie wir bereits gesehen haben, wird Arbeit zur gesellschaftlichen Reproduktion oft in Lebensbereiche abgeschoben, die weder bezahlt werden noch ausreichend gesellschaftliche Anerkennung erfahren. Da Haushalts- und der Bulk der Erziehungsarbeit keine Männer*domäne sind, lastet diese unbezahlte Arbeit oft auf den Schultern von FLINT Personen. Oft verrichten auch FLINT Personen, die selbst in Lohnarbeit tätig sind, einen beträchtlich grösseren Anteil an der häuslichen und erzieherischen Arbeit als ihre Männer*. Darüber hinaus reicht der Schatten der feminisierten Arbeit aber auch in die Sphäre der bezahlten Lohnarbeit hinein. Berufe, die gesellschaftlich als weibliche Tätigkeiten wahrgenommen werden – sprich Pflege, Reinigung und Erziehung –, werden daher auch unterbezahlt. Hinzu kommt, dass in diesen Branchen oft Personalmangel herrscht, der durch die Corona-Pandemie verstärkt worden ist, was zur mehrfachen Überlastung der Care-Arbeiter:innen führt. Nancy Fraser beschrieb schon vor der Corona Pandemie eine gesellschaftliche Sorge Krise:

“Durch den Zwang zu steigenden Arbeitszeiten und durch Kürzungen von öffentlichen Dienstleistungen verringert das finanziell-kapitalistische Regime systematisch unsere Kapazitäten für nachhaltige soziale Bindungen. Diese Form des Kapitalismus dehnt unsere „Sorge“-Energie bis zur Zerreissgrenze. Die „Sorge-Krise“ sollte darum strukturell verstanden werden.”

Diese Krise zeigt sich in einem Mangel an geleisteter Care-Arbeit, bezahlt wie unbezahlt. So werden beispielswiese in der Schweiz bis 2030 ca. 65’000 Pflegefachkräfte fehlen. Kapitalistische Zentren versuchen diesen Notstand auszugleichen, indem Migrant:innen, besonders FLINT-Personen, aus dem Globalen Süden im Care-Bereich angestellt werden. Dies sorgt allerdings wiederum für einen Mangel an Care-Fachkräften im globalen Süden.

Es ist nötig, gesamtgesellschaftliche Erklärungen für die multidimensionale Krise (wirtschaftlich, psychologisch, gesundheitlich) zu finden und daraus Forderungen und Strategien abzuleiten, die einen Weg aus dieser kapitalistischen Misere weisen. Ich denke es ist aber auch nötig, sich die Frage nach Reproduktion nicht nur mit Blick auf die Gesamtgesellschaft zu stellen, sondern die Linse auf das eigene soziale Umfeld und besonders auf politische Bewegungen, denen man beteiligt ist zu richten und zu fragen: Welche Care-Arbeit ist nötig, dass wir tagtäglich gegen die Gesamtscheisse ankämpfen können, und insbesondere wer leistet sie?

Kritische Männlichkeit in der Sackgasse?

Meiner Meinung nach gehen oft theoretische und praktische Texte zu kritischer Männlichkeit, zur Rolle von Männern* in feministischen Kämpfen usw. nicht über den Ratschlag hinaus, seine „eigenen Privilegien und Sozialisierung zu hinterfragen’’. Häufig mangelt es ihnen auch an praktisch anwendbaren Vorschlägen. Selbstverständlich sehe ich durchaus einen Wert darin, die eigenen Privilegien zu hinterfragen, weil dies zum bewussten Wahrnehmen der sozialen Ungleichheiten beitragen kann. Doch leider verschwinden besagte Privilegien noch nicht durch das blosse Reflektieren. Mann läuft teils sogar Gefahr, sich in kritischen Männlichkeitsdiskussionen zu verlieren oder sich in konstanter Selbstkasteiung zu üben, ohne dass daraus Verhaltensveränderungen resultieren. Daneben neigen besonders liberale Vertreter:innen der Kritischen Männlichkeit und Queer Bewegungen dazu, bei den geschlechtsspezifischen Rollenbilder die modischen-performativen Aspekte überzufokussieren. Ich glaube zwar, dass mann als Typ aus dem Tragen von Röcken oder dem Lackieren von Fingernägeln – dem sogenannten Genderbending – wichtige Lektionen über die Gewalt der Heteronormativität und Transphobie lernen kann. Als viel wichtiger für den Prozess der Dekonstruktion von Männlichkeit erachte ich jedoch die Umverteilung der Care-Arbeit in Richtung Männer*. Sozusagen Genderbending Next Level.

Damit will ich nicht behaupten, dass, wenn wir Typen nun alle ganz fest Care-Arbeit machen, wir irgendwie Utopie-Bubbles oder Safe Spaces erschaffen können. Dazu sind die geschlechtlichen Rollenmuster zu sehr in unsere Gesellschaft eingewoben, zu sehr ein fester Bestandteil der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Um wirklich eine Durchbrechung der patriarchalen Strukturen zu ermöglichen, müssen die gesellschaftlichen Verhältnisse grundlegend anders strukturiert werden. Deswegen brauchen wir eine sozialistische Revolution mit der Umverteilung von Arbeit, Geld, Repräsentation, Anerkennung und der Bekämpfung diskriminierender Gewalt. Was aber nicht heissen soll, dass wir es bis dahin komplett lassen sollen. Im Gegenteil, zwischen ganz oder gar nicht liegen Zwischenstufen, liegt ein besser oder schlechter. Gerade die gerechtere Verteilung von Care-Arbeit und das Erlernen von Care-Arbeit durch Männer* stellt meiner Meinung nach einen integralen und zentralen Teil des revolutionären Kampfes dar.

Männliche Einsamkeit

Ich sehe einen der wichtigsten Bestandteile der Analysen zur toxischen Männlichkeit darin, dass männliche Verhaltensmuster nicht nur FLINT Personen schaden, sondern auch uns Männer*n selbst. Das heisst, dass die männlichen Normen auch dem Erfüllen unserer eigenen Bedürfnisse im Weg stehen. Jamie Utt schreibt bspw.: “Ein Weg, wie das Patriarchat uns Männer* tief verkrüppelt, ist, dass es von uns verlangt, uns von dem zu trennen, was uns menschlich macht: von unseren Emotionen, unserer Fähigkeit zur Empathie und verantwortungsvoller (accountable) Liebe.”

Die intersektionale Theorethikerin bell hooks beschreibt dass “Jungs* und Männer* ihre emotionale Achtsamkeit (Awareness) und Kapazität zu fühlen verleugnen, unterdrücken und, wenn es gut geht, abschalten“. Jungs* lernen, ihren Kummer durch Wut zu verstecken oder zu überkommen. Sie wundert sich, dass Cis-Männer* nicht voller Freude feministische Ideen begrüssen, da diese Perspektiven ihnen einen Ausweg aus der Gefühllosigkeit und der Oberflächlichkeit bieten.

Bezogen auf Care-Arbeit kann davon ausgegangen werden, dass Typen auch deshalb viel weniger leisten, weil ihnen der dazu nötige Grad an Wertschätzung von Gefühlen und überhaupt die Fähigkeit, eigene wahrzunehmen, fehlt. Männer*, die wenige FLINT Personen in ihrem näheren Umfeld haben, kommen oft zu kurz, was ihre emotional-psychischen Bedürfnisse anbelangt, denn in Männer*freundschaften werden viel weniger emotionale Themen besprochen. Dazu kommt, dass in unserer Gesellschaft gefühlt überall Vorstellungen propagiert werden wie: „Jede:r ist für sich selbst verantwortlich“, und „Du bist deines Glücks eigene:r Schmied:in“.Männer* werden somit oft in eine psychisch und physisch äusserst schädliche Einsamkeit gedrängt, weil sie meinen, sie müssten mit all ihren Emotionen alleine klar kommen. Das Integrieren und Zelebrieren von emotionaler Care-Arbeit in Männer*freundschaften/-gruppen sehe ich hier als Chance, um eine gesündere Männlichkeiten zu konstruieren. Darüber hinaus ermöglicht die Integration emotionaler Care-Arbeit in Männer*freundschaften generell eine Gegenstrategie zur neoliberalen Tendenz, emotional-psychische Gesundheit zu kommodifizieren (zu einer Ware zu machen), indem emotionale Care-Arbeit komplett auf Psycholog:innen ausgelagert wird. (Ich bin ein grosser Fan von Psychotherapie, habe dort viel über Care-Arbeit gelernt, aber sie ersetzt nicht andere soziale Beziehungen). Somit glaube ich, dass gerade wir Männer* davon profitieren würden, wenn wir lernen, Care-Arbeit zu leisten.

Let’s be careful with each other, so we can be dangerous together!

Würde die Care-Arbeit innerhalb politischer Bewegungen besser verteilt und das durchschnittliche Kompetenzniveau von emotionaler Arbeit gesteigert, würde dies zu einer Stärkung der gesamten Bewegungen führen. Ich glaube, dass durch eine Verbesserung der kommunikativen Fähigkeiten bewegungsinterne Diskurse und Konflikte besser gehandhabt werden könnten und wir so resistenter gegenüber Spaltungen wären.

Des Weiteren glaube ich, dass verstärkte soziale Bindungen uns auch resistenter gegenüber polizeilicher Repression machen, die immer wieder versucht, uns zu vereinzeln, einzuschüchtern und daran zu hindern, widerständig zu sein. Deswegen sollten wir versuchen, die emotionalen (und natürlich auch finanziellen) Konsequenzen der Repression möglichst kollektiv zu tragen und zu verarbeiten.


[1] Der Genderstern * soll darauf hinweisen, dass die Geschlechterkategorien in unserer Gesellschaft durch soziale Normen bestimmt werden, nicht durch Biologie.

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