Der Angriffskrieg Putins trifft FLINTA im Besonderen. In Kriegsgebieten und auf der Flucht sind vor allem FLINTA geschlechterspezifischer Gewalt ausgesetzt, haben einen konservativen Backlash zu fürchten und müssen verstärkt Sorge- und Versorgungsarbeit leisten. Anstatt in eine Aufrüstung müsste in sichere Fluchtrouten und den Ausbau der Sorge- und Versorgungsinfrastruktur investiert werden.
Von Lisi Kalera (BFS Basel); aus antikap
Feminist:innen in der Schweiz und auf der ganzen Welt nehmen an Antikriegsdemonstrationen teil und stellen sich gemeinsam gegen die militärische Aggression der Putin-Regierung. Wir verurteilen die imperialistische Invasion von Putin. Wir sagen Nein zu reaktionären, faschistischen und imperialistischen Tendenzen weltweit und kämpfen für soziale Gerechtigkeit in der Ukraine. Wir fordern den sofortigen Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine, das Ende der Bombardements, und die sofortige Aufhebung der Belagerung von Städten.

Solidarität mit der feministischen Bewegung in Russland und weltweit
Mit den Forderungen nach Gleichheit und Selbstbestimmung stellen sich Feminist:innen weltweit gegen das kriegstreibende und unterdrückende Patriarchat. Dabei wird einmal mehr die ausgeprägte internationale Solidarität der feministischen Bewegungen sichtbar. Sie folgen mit ihren Protesten auch dem Manifest russischer Feminist:innen[1], die sich gegen ihre Regierung stellen und vor allem kurz nach Beginn des Krieges fast tagtäglich Widerstand leisteten und diesen in der russischen Zivilgesellschaft massgeblich vorantrieben. Konkret fordern sie:
- Beteiligt euch an friedlichen Demonstrationen und startet Offline- und Online-Kampagnen gegen den Krieg in der Ukraine und Putins Diktatur und organisiert eigenen Aktionen.
- Nutzt das Symbol der Feministischen Antikriegs- und Widerstandsbewegung in euren Materialien und Publikationen, ebenso wie die Hashtags #FeministAntiWarResistance und #FeministsAgainstWar
- Verbreitet die Informationen über den Krieg in der Ukraine und Putins Aggression. Wir brauchen die ganze Welt, um die Ukraine in diesem Moment zu unterstützen
- Teilt dieses Manifest mit anderen. Es ist notwendig zu zeigen, dass Feministinnen gegen diesen Krieg sind – und gegen jede Art von Krieg. Es ist auch wichtig zu zeigen, dass es immer noch russische Aktivist:innen gibt, die bereit sind, sich im Widerstand gegen Putins Regime zu vereinen. Wir alle sind jetzt in Gefahr, vom Staat verfolgt zu werden, und brauchen eure Unterstützung.

Die feministische Bewegung kämpft als eine der wichtigsten oppositionellen Kräfte in Russland für den Aufbau einer gerechten Gesellschaft mit gleichen Chancen und Perspektiven für alle, in der Gewalt und militärische Konflikte keinen Platz haben. Mit dem Manifest und vielen anderen Aktionen demonstrieren sie gegen den Krieg und trotzen dabei der brutalen Repression von Putins Polizeiapparat.
Mit den Forderungen nach Gleichheit und Selbstbestimmung stellen sich Feminist:innen weltweit gegen das kriegstreibende und unterdrückende Patriarchat. Dabei wird einmal mehr die ausgeprägte internationale Solidarität der feministischen Bewegungen sichtbar.
Feministisch gegen einen rechts-konservativen Backslash
Krieg bedeutet Gewalt, Armut, Zwangsvertreibung, zerstörte Leben, Unsicherheit und das Fehlen einer Zukunftsperspektive. Er ist unvereinbar mit den wesentlichen Werten und Zielen der feministischen Bewegung nach dem Recht auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung über den eigenen Körper und Kampf gegen geschlechterspezifische Gewalt. Denn der in Kriegszeiten zunehmende Nationalismus und Chauvinismus bergen die Gefahr eines Backlashs von erkämpften Rechten, wie das Recht auf Abtreibung, die Rechte von LGBTQIA auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper und die eigene Identität.
Russische Feminist:innen verweisen darauf, dass der gegenwärtige Krieg gegen die Ukraine durch das Regime Putins auch unter dem Banner der von den Regierungsideologen verkündeten „traditionellen Werten“ geführt wird.[2] Es ist eine bewusste Strategie des Kremls, in Abgrenzung zum „liberalen Westen“ konservative und rechte Ideologien zu verbreiten und Christentum, Konservatismus und Nationalismus zu stärken.[3] Deshalb wird er auch von Rechten in Europa und den USA unterstützt.[4] Konservative Werte, die die Ausbeutung der Frauen und die Unterdrückung derjenigen verschärfen, deren Lebensweise, Selbstverständnis und Handeln nicht den engen patriarchalischen Normen entsprechen. Dieser Krieg verschärft die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und wirft die Errungenschaften der feministischen Bewegung um viele Jahre zurück.
Die Besetzung eines Nachbarstaates wird mit der Erhaltung «traditioneller Werte» gerechtfertigt. Putin und der russische Staat sprechen von «Befreiung», zementieren aber Gewalt und patriarchale Unterdrückung. Als Feminist:innen müssen wir uns dieser demagogischen Tatsachenverdrehung mit aller Kraft entgegenstellen.
FLINTA sind in Kriegsgebieten spezifischer Gewalt ausgesetzt
Der Krieg bedeutet auch eine besondere Verschlechterung der Lebensbedingungen von Frauen und Queeren Menschen, da Sexismus, Trans- und Homophobie sowie geschlechterspezifische Gewalt zunehmen. Sexuelle Gewalt im Krieg ist nicht einfach ein Nebenprodukt von Bomben und Kugeln. Vergewaltigungen werden oft als Kriegswaffe eingesetzt. FLINTA auf der Flucht oder im Kriegsgebiet sind ebenso wie Soldat:innen in Kriegsgefangenschaft massiver sexualisierter Gewalt ausgesetzt.
Zusätzlich steigt mit der Verschlechterung der Lebensbedingungen von FLINTA und der Zunahme von Konservatismus die Gewalt gegen Menschen, die nicht ins heteronormative Bild passen. So berichtet die Gruppe Dziewuchy Szwajcaria, eine Gruppe polnischer Feminist:innen in der Schweiz, dass es ein grosses Problem für die geflüchteten FLINTA ist, in Polen nicht abtreiben zu können und von vermehrter sexualisierter Gewalt an der polnischen Grenze.
Gefahr von Menschenhandel
Die Flucht von über 4 Millionen Menschen ist für Frauen und Queere Menschen, Transpersonen, Inter- und Asexuelle Menschen besonders gefährlich, die in besonderem Masse Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt sind. Besonders Frauen und Kinder sind von Menschenhandel betroffen, weshalb Schweizer Grenzschutzbehörden Flyer dazu verteilen. Wirklich wirksam wären allerdings direkte, sichere Fluchtrouten, was aktuell noch für viele Flüchtende aus der Ukraine gegeben ist, sofern sie als Personen mit weisser Hautfarbe wahrgenommen werden. Zahlreiche Menschen of Colour wurden hingegen systematisch an der Flucht aus der Ukraine gehindert. Wir fordern nicht nur für Ukrainer:innen, sondern für alle Menschen unabhängig vom Geschlecht, Hautfarbe oder Herkunft sichere Fluchtrouten – sicher auch vor sexualisierten Übergriffen und Ausbeutung.
Transfrauen werden spezifisch an der Flucht gehindert
Laut Medienberichten wird Transfrauen die Flucht verunmöglicht. Weil ihr Geschlecht nicht in den Pass eingeschrieben ist, wird ihnen die Möglichkeit verwehrt, die Ukraine zu verlassen. Somit wird Transfrauen nicht nur ihre Identität und ihr Recht auf Selbstbestimmung abgesprochen. Sondern Transfrauen werden wissentlich der systematischen sexualisierten Gewalt ausgesetzt, die ihnen in Kriegsgebieten an Checkpoints, in Hafteinrichtungen oder an der Front widerfährt. So gibt es zahlreiche Berichte von Transfrauen aus Syrien, die aufgrund ihres «weichen» Aussehens misshandelt und sexuell missbraucht oder besonders schwer gefoltert wurden, wenn ihre Geschlechter-Identität bekannt wurde. Überlebende dieser Gewalt hatten neben körperlichen Wunden und sexuellen Traumata oft anhaltende Anzeichen von Depressionen und Paranoia.
Frauen in der Ukraine müssen verstärkt Sorge- und Versorgungsarbeit leisten
Momentan flüchten vor allem FLINTA und Kinder aus der Ukraine, da alle Männer zur militärischen Landesverteidigung verpflichtet wurden. Doch das Bild «Frauen fliehen – Männer bleiben» ist verkürzt. Zahlreiche Frauen sind ebenfalls in den ukrainischen Streitkräften aktiv. Der Frauenanteil in der ukrainischen Armee liegt bei über 15%.[5] Zudem harren viele Frauen in den bombardierten und belagerten oder vom Kriegsgeschehen noch verschonten Städten aus. Sie stemmen die immer schwieriger werdende Versorgung und pflegen Kinder, Kranke und ältere Menschen. Im blanken Überlebensmodus wirken sie als moralische Stützen, in ständiger Sorge um ihre (männlichen) Verwandten.

Ausbau sozialer Infrastruktur statt weltweiter Aufrüstung!
Wie unsere feministischen Geschwister in Russland in ihrem Manifest schreiben: «Wir sind die Opposition gegen Krieg, Patriarchat, Autoritarismus und Militarismus. Wir sind die Zukunft, die sich durchsetzen wird.»
Die Rufe nach Aufrüstung und Militarisierung in den USA und vielen europäischen Staaten als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine sind grundlegend falsch. Wir fordern eine weltweite Abrüstung, insbesondere von Atomwaffen. Waffen ermöglichen Kriege und in diesen können Menschen nur verlieren. Anstatt den kapitalistischen und militärischen Wettlauf voranzutreiben, müssen wir während Krieg und Krise Solidarität und Gemeinschaft aufbauen. Eine Solidarität, die Grenzen überwindet und internationalistisch gegen Krieg, Kapital und Patriarchat kämpft.
Anstatt dass die Schweizer Regierung und viele andere Staaten Milliarden in die Aufrüstung der eigenen Armee und das Wettrüsten stecken, fordern wir:
- sichere, direkte Fluchtrouten (allgemeine Wiedereinführung Botschaftsasyl, gratis Direktflüge und -züge in die Zielregionen) für alle flüchtenden Menschen
- keine prekären Aufenthaltsstati wie F oder S, die Ankommen und Integration erschweren
- Deutschkurse und psychologische Betreuung für die Ankommenden
- einen Ausbau der sozialen Sorge- und Versorgungsinfrastruktur (kostenlos Kita als Service Public), genügend Frauenhausplätze, genügend Personal und höhere Löhne im Sorge- und Betreuungsbereich)
In den letzten zehn Jahren hat die feministische Bewegung eine enorme mediale und kulturelle Macht erlangt. Es ist an der Zeit, diese Macht in politische Macht umzuwandeln. Wie unsere feministischen Geschwister in Russland in ihrem Manifest schreiben: «Wir sind die Opposition gegen Krieg, Patriarchat, Autoritarismus und Militarismus. Wir sind die Zukunft, die sich durchsetzen wird.»
[1] https://jacobinmag.com/2022/02/russian-feminist-antiwar-resistance-ukraine-putin (27.22.2022).
[2] https://www.woz.ch/-c32e (8.4.2022).
[3] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/russlands-wladimir-putin-als-starker-mann-fuer-konservative-13290422.html (8.4.2022).
[5] News Plus «Haben es Frauen im Ukraine-Krieg «besser»? (8.4.2022).