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Care und Klima: zwei Seiten einer Krise

Angesichts der Energieknappheit wird massiv in den Ausbau fossiler Energieträger (z.B. Flüssiggas LNG) investiert. Dass diese Entwicklung die Klimakrise nur verschärft, ist klar. Und jede weitere Verschärfung der Klimakrise verstärkt auch die unsäglichen Bedingungen im Care-Bereich weiter, denn Care und Klima sind zwei Seiten desselben krisenhaften Systems. 

von Sarah Friedli (BFS Zürich)

Wir haben das Jahr 2023. Seit über 50 Jahren warnen Wissenschaftler:innen vor der Klimakrise und die weltweite Klimabewegung geht seit über vier Jahren beinahe ununterbrochen auf die Strassen. Die Sommer übertreffen sich seit Jahren in ihren Rekordtemperaturen. Überschwemmungen, Dürren, krasse Temperaturunterschiede innerhalb weniger Stunden: die Klimakrise ist auf der ganzen Welt spürbar. 

Und doch schaffen es die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik auch im Jahr 2023 noch, sich einzureden, man könne die Bekämpfung der Klimakrise auf die Zukunft verschieben. So wird nämlich trotz dieser Ausgangslage in fossile Infrastrukturprojekte investiert. Es scheint, als bräuchte es unendlich viel Fantasie (oder eher: Realitätsferne), um diesen Ausbau von Öl-, Gas- und Atomenergie zu rechtfertigen. Doch leider ist es die logische Antwort in diesem unlogischen System. Denn logisch zu handeln bedeutet im Kapitalismus vor allem eins profit-steigernd oder zumindest profit-sichernd zu sein. Und dafür braucht es den Zugriff auf möglichst kostengünstige Ressourcen, wie eben fossile Energie.

Die Logik eines unlogischen Systems

So ist es innerhalb des Kapitalismus logisch, auf fossile Infrastruktur zurückzugreifen, die notabene von der Öffentlichkeit bezahlt und gebaut wurde und wird, nur um den privatisierten Gewinn der Energieunternehmen zu sichern. Innerhalb des kapitalistischen Systems scheint es sinnvoll, während einer Pandemie Spitäler zu schliessen, weil sie keine Gewinne erzielen. Innerhalb dieses Systems erscheint es rational, die Arbeitsrechte von Care-Arbeitenden einzuschränken und sie somit noch mehr an den Rand der Erschöpfung zu treiben.

Schon die Durchsetzung des Kapitalismus wäre nicht möglich gewesen, ohne die Ausbeutung fossiler Ressourcen und die Ausbeutung von unbezahlter und weiblich konnotierter Reproduktionsarbeit. Und diese zwei Pfeiler bleiben für das Bestehen dieses Wirtschaftssystems weiterhin unersetzbar.

Dass dies auf sozialer und ökologischer Ebene natürlich alles nicht logisch oder sinnvoll ist und die Nutzung der fossilen Ressourcen sowie die Ausbeutung der Sorgearbeitenden sehr wohl kostet, zeigt sich gegenwärtig in Form der massiven klimabedingten Zerstörung und in Form der Care-Krise. Und es kommt noch schlimmer: diese Krisen bedingen und begünstigen sich gegenseitig.

Die Care-Krise spitzt sich zu

Die Klimakatastrophe hat unmittelbare Auswirkungen auf die Sorgetätigkeiten von und zwischen Menschen. Denn damit Menschen füreinander sorgen können, brauchen sie einen stabilen, unterstützenden Rahmen. 

Wenn die Lebensbedingungen feindlicher werden, wenn Hunger und Krankheiten zunehmen, wenn Familien, Quartiergemeinschaften und andere soziale Netze durch Flucht und Kriege auseinandergerissen werden, können Sorgebeziehungen kaum noch gelingen. Gleichzeitig fordern aber diese zunehmend krisenhaften Lebensbedingungen ein Mehr an Sorge und Fürsorge. 

Spätestens seit der Corona-Pandemie ist klar, dass unsere Gesellschaft ohne Reproduktionsarbeit nicht funktionieren und existieren kann. Noch deutlicher als sonst hat sich gezeigt, wie wichtig die Sorge, Pflege und Betreuung von und für Menschen ist. 

Soziale Reproduktion umfasst innerhalb des Kapitalismus grundsätzlich alle Tätigkeiten, die es benötigt, um die Arbeitskraft der Lohnabhängigen her- und wiederherzustellen. Also beispielsweise die Herstellung und Verarbeitung von Nahrungsmitteln, emotionale Fürsorge, das Pflegen von kranken Menschen oder die Erziehung von Kindern. In der kapitalistischen Logik soll diese Arbeit aber eben möglichst wenig kosten. Deshalb wurde und wird Reproduktionsarbeit stetig abgewertet, und zwar entlang der Kategorie Geschlecht. Reproduktion und Care-Arbeit wird als weiblich konnotiert, als natürlich hingestellt und nicht bezahlt. Der Kapitalismus drängt dazu, Care-Arbeit immer effizienter und billiger zu machen – auch wenn dabei die Qualität der Sorge abnimmt und die Doppel- und Dreifachbelastung von Sorge-Gebenden zur Normalität wird.

Zu der schon zugespitzten Lage in der Care-Arbeit kommen jetzt die Auswirkungen der Klimakrise hinzu. Und leider ist die Corona-Pandemie nicht das einzige aktuelle Beispiel, das zeigt, wie ökologische Veränderungen, Kriege und Zerstörung die Bedingungen für reproduktive Arbeit verschärfen:

Klimakrise als Katalysator

Durch die Rekordhitze oder die starken Temperaturschwankungen in kürzester Zeit erhöht sich die Pflegebedürftigkeit von älteren und erkrankten Menschen. So erlebten wir in den letzten Hitzeperioden eine Übersterblichkeit von Menschen über 65 Jahren. Überschwemmungen wie in Pakistan 2022 verwüsten ganze Landstriche, machen die Nahrungsmittelproduktion unmöglich und zerstören Häuser und somit Lebensorte von unzähligen Menschen. Durch Dürren verbreiten sich Krankheiten. Das zeigt sich aktuell in Nordsyrien, wo sich die Cholera seit letztem Herbst ausbreitet, und wo die Wassermangellage durch die Kriegsführung der Türkei zusätzlich verschärft wird. 

Kriege sind an und für sich schon klimaschädlich (genauso wie die dafür notwenige Waffenproduktion), gerade das türkische Regime verwendet aber die Klimazerstörung auch gezielt als Kriegstaktik, wenn beispielsweise ganze Felder in Brand gesteckt und Olivenhaine gerodet werden. In dieser Region, wo jetzt neben Krieg und Cholera noch die Erdbeben hinzugekommen sind, steigt der Bedarf an Gesundheits- und Nahrungsmittelversorgung ins Unermessliche. 

Für ein gutes Leben

Es zeigt sich also: Die Klimakrise wird durch den Ausbau der Infrastruktur von fossiler Energie weiterhin angekurbelt. Und sie zieht eine Welle der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen nach sich. Diese Zerstörung wiederum verlangt nach einem enormen Mehr an Sorge, Pflege, Betreuung für Mensch und Umwelt, also nach einem Mehr an sozialer Reproduktionsarbeit. 

Wenn uns etwas daran liegt, eine Welt aufzubauen, in der Sorge und Fürsorge im Zentrum steht, in der klimatische Schäden gerecht abgefedert werden, in der die kommenden Generationen eine Zukunft haben, kurz: wenn wir ein gutes Leben für alle aufbauen wollen, dann müssen wir die soziale Reproduktion der Profitlogik entziehen und ins Zentrum unseres politischen Handelns stellen!

Die Klimakrise ist auch eine Care-Krise!

Deshalb müssen wir die Ursachen der Krisen an den Wurzeln packen und gemeinsam bekämpfen. Wir stehen gemeinsam ein gegen Krieg, Krise und Kapitalismus und für eine feministische, ökosozialistische Revolution! Und zwar nicht nur in der Schweiz, sondern international. Wir stehen in diesem Kampf auch an der Seite der iranischen Revolution, welche sich gegen ein Regime wehrt, dessen Finanzierung auf der Ausbeutung und dem Verkauf von fossiler Energie beruht. Wir stehen an der Seite der Freiheitskämpfer:innen in Rojava, die durch den unermüdlichen Wiederaufbau der klima- und kriegszerstörten Gebiete eine ökologische und feministische Perspektive bieten. 

Wir verbinden unsere Kämpfe und stellen den Krisen, die der Kapitalismus hervorbringt,unsere Vision einer feministischen, ökologischen und lebenswerten Zukunft entgegen.

Jin Jiyan Azadî!

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