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Schweiz: Am 14. Juni streiken wir für unsere Löhne!

„Löhne, Zeit, Respekt“. Diese Worte fassen unsere gewerkschaftlichen Forderungen für den feministischen Streik am 14. Juni 2023 zusammen. Was die Bezahlung angeht, sind wir noch weit davon entfernt: Über das gesamte Arbeitsleben hinweg liegt das Einkommen von Frauen 43% unter demjenigen von Männern.

von Michela Bovolenta; aus alencontre.org

Der lange (unvollendete) Kampf um Lohngleichheit

Der Grundsatz des gleichen Lohns für gleiche Arbeit wurde bereits 1948 in der UNO-Menschenrechtserklärung und 1952 im Übereinkommen 100 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verankert.

Es dauerte aber bis zur Einführung des Frauenstimmrechts 1972, bis die Schweiz dieses Übereinkommen ratifizierte, und dann noch einmal über zehn Jahre, bis auch die Schweiz endlich den Grundsatz der Gleichstellung von Mann und Frau in ihrer Verfassung verankerte. Das war am 14. Juni 1981. Dieser Verfassungsartikel hatte viele Hoffnungen geweckt. Da es jedoch schwierig war, ihn umzusetzen, traten die Frauen am 14. Juni 1991 zum ersten Mal in den Streik. Ziel war es, unter anderem ein Gleichstellungsgesetz (GlG) zu fordern, das 1996 in Kraft treten sollte.

Die Gewerkschaften und die feministische Bewegung glaubten, mit dem Gesetz ein Instrument in der Hand zu haben, mit dem die Lohnungleichheit schnell beseitigt werden könnte. Die Enttäuschung war gross: Die GlG-Verfahren sind langwierig und mühsam. In zwei Drittel der Fälle haben die Klägerinnen am Ende des Verfahrens ihren Arbeitsplatz verloren, und Siege sind selten.

Zusammen mit den Frauen des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) fordern wir daher seit langem eine bessere Durchsetzung des Gesetzes, insbesondere Kontrollen und Sanktionen. Bisher ohne Erfolg. Die anhaltende Lohnungleichheit trotz des steigenden Bildungsniveaus der Frauen und ihrer immer stärkeren Verankerung in der Berufswelt war einer der Gründe, den Aufruf zum feministischen Streik für den 14. Juni 2019 wieder aufleben zu lassen. Und auch vier Jahre später ist es notwendiger denn je, für Lohngleichheit zu mobilisieren.

Trotz der Gesetzesänderungen, einschliesslich der Revision 2020, hat sich an der Lebensrealität für FLINTA*-Personen oder in feminisierten Berufen wenig geändert. Deswegen lasst uns gemeinsam den diesjährigen 14. Juni zu einem gelungenen feministischen Streik machen! Wir sehen uns am 14 Juni um 9:00 Uhr an der Kanzleistrasse 164a (Zürich) zum feministischen Streikz’morgen.

Sind die Frauen schuld daran? 

Es regnet Milliarden, wenn es um die Banken geht, aber es gibt keine Lohn- und Rentenerhöhungen für Arbeiterinnen. Mehr als 40 Jahre nach der Aufnahme des Gleichstellungsartikels in die Verfassung 1981, der den Grundsatz des gleichen Lohns für gleiche Arbeit festschreibt, ist die Rechnung immer noch nicht beglichen worden: 2020 betrug der durchschnittliche Lohnunterschied für eine Vollzeitstelle 18% [nach offiziellen Berechnungen, de facto sind es über 30%; Anm. d. Red.], gegenüber 18,1% im Jahr 2014.

Wenn Marco Taddei vom Schweizerischen Arbeitgeberverband sagt: „Die Gleichstellung geht nicht zurück, sie geht voran“[1], dann fragt man sich, woher er seine Zahlen hat. Wahrscheinlich nirgendwoher, denn solche Äusserungen sind Teil einer bürgerlichen Offensive mit zweifacher Zielsetzung: die Ungleichheit unsichtbar zu machen und den Frauen selbst die Last der Diskriminierung aufzubürden, die sie erleiden. Arbeiterinnen mit niedrigen Löhnen wählen angeblich die falschen Jobs, verhandeln bei der Einstellung schlecht über den Lohn und reduzieren als Mütter freiwillig ihr Arbeitspensum. Mit anderen Worten, es läge nicht in den Verantwortungen der Unternehmen und Behörden, strukturelle Gleihheit zu schaffen. Wenn sie dann eine niedrige Rente beziehen, ist das ihre Schuld!

Nichts ist irreführender als die Schuldzuweisungen der Arbeitgeber und der Rechten. Wir haben jahrzehntelang für gleiche Löhne gekämpft (siehe unten). Doch vier Jahre nach unserer Massenmobilisierung am 14. Juni 2019 müssen wir feststellen, dass die Gleichstellung immer noch nicht vorangekommen ist. Ein neuer feministischer Streik ist deshalb dringend notwendig!

Deswegen kommt zum feministischen Streik am 14. Juni 2023! Zürich: 12:00 Uhr am Bürkliplatz zum gemeinsamen z’Mittag; 17:30 Uhr am Bürkliplatz zum Demozug; Basel: 17:30 Uhr am Theaterplatz zum Demozug.

Vollzeitlohn: minus 18 Prozent.  

Im Jahr 2020 betrug die durchschnittliche Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern in der gesamten Wirtschaft 18%. Etwa die Hälfte dieses Unterschieds lässt sich nicht durch sogenannte „objektive“ Faktoren erklären [„objektive“ Faktoren wären berufliche Position, Dienstalter, Ausbildungsniveau oder -art, Wirtschaftszweig etc., wobei viele dieser Faktoren aufgrund der sozialen Barrieren wie bspw. der Hauptlast in der Familienarbeit eigentlich nicht mehr objektiv genannt werden dürften; Anm. d. Red.]. Nach dem GlG (Gleichstellungsgesetz) ist dieser unerklärte Unterschied als rein diskriminierend zu betrachten. Er stellt somit den harten Kern der Lohnungleichheit dar und sollte als erstes beseitigt werden, da er mit keinem anderen Faktor als der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht zusammenhängt. Doch anstatt zu sinken, ist diese Spanne zwischen 2014 und 2018 um 5,5% gestiegen!

Der Lohnunterschied ist im privaten Sektor grösser als im öffentlichen Sektor, nämlich 19,5% bzw. 15,1%. Im öffentlichen Sektor verringerte sich der Unterschied zwischen 2018 und 2020 um 3%, aber der unerklärte Teil stieg um 9,5%. Er beläuft sich nun auf 46,7%, also fast die Hälfte der Lücke

Es ist auch zu betonen, dass diese Zahlen nur die öffentliche Administration umfassen. Sie schliessen also den subventionierten halböffentlichen Sektor aus, der den grössten Teil der Krankenhäuser, Pflegeheime, häuslichen Pflege, sozialen Einrichtungen und Tagesbetreuungsstrukturen umfasst. Selbstverständlich sind auch alle ausgelagerten Dienstleistungen wie Kantinen, Reinigungsdienste und Wäschereien aus dem öffentlichen Sektor ausgeschlossen. In all diesen Bereichen sind Frauen in der Mehrheit und die Löhne sind niedrig. Wenn der öffentliche Sektor alle gemeinnützigen Aufgaben umfassen würde, wären der Anteil der Niedriglöhne und die Ungleichheit höchstwahrscheinlich grösser. So liegt die durchschnittliche Ungleichheit im Gesundheits- und Sozialwesen bei 19,5% und ist damit vergleichbar mit der Kluft im Privatsektor.

Revision des Gleichstellungsgesetzes 2020 – Fazit: Jedes zweite Unternehmen steht ausserhalb des Gesetzes

Seit 2020 ist das GlG revidiert worden. Es sieht nun vor, dass alle Unternehmen mit mehr als hundert Angestellten und die öffentliche Hand eine Lohnanalyse durchführen müssen, um allfällige unerklärliche Ungleichheiten zu erkennen. Das vorgeschlagene Instrument heisst Logib [ein kostenloses, anonymes und webbasiertes vom Bund bereitgestelltes Standard-Analyse-Tool zur Untersuchung, ob in einem Betrieb für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit gleicher Lohn bezahlt wird; Anm. d. Red.]. Es soll Lohnunterschiede aufzeigen, die nicht durch die folgenden Kriterien erklärt werden können: Ausbildung der Arbeiterin, Dienstalter, Berufserfahrung, Anforderungsniveau oder berufliche Stellung. An dieser Stelle könnte man kritisieren, dass die Objektivität dieser Kriterien in Frage gestellt werden kann: Das Anforderungsniveau von Stellen, die mehrheitlich von Frauen besetzt werden, wird häufig unterschätzt. Es ist auch bekannt, dass Frauen oft überqualifiziert sind oder dass Schwangerschaft und Geburt zu Karriereunterbrechungen führen, die sich negativ auf die Betriebszugehörigkeit auswirken. Aber die Idee von Logib ist es, den Finger auf die Diskriminierung zu legen, die eben nicht durch andere Kriterien erklärt werden kann. Und wenn man nicht versucht, die Analyse für andere Zwecke zu instrumentalisieren, kann diese durchaus interessant sein.

Grob gesagt ist die Hälfte des durchschnittlichen Lohnunterschieds, d.h. etwa 7-9% je nach Branche, nicht erklärbar. Logib berücksichtigt bei diesem Prozentsatz eine Toleranzschwelle von 5%, für die es weder eine gesetzliche noch eine wissenschaftliche Grundlage gibt. Laut einer Studie des Gleichstellungsbüros des Kantons Waadt würde der Anteil der Unternehmen, die die Anforderungen erfüllen, von 81% auf 50% sinken, wenn diese Toleranzschwelle abgeschafft würde. Das bedeutet, dass jedes zweite Unternehmen den Logib-Test nicht bestehen würde. Im öffentlichen Sektor würde die Erfolgsquote von 91% auf 54% sinken, was den Abstand zur Privatwirtschaft verringern würde (von 77% auf 48%).

Schluss mit der Ungleichheit! 

Die Abschaffung dieser Toleranzschwelle, die Verpflichtung der Unternehmen, die detaillierten Ergebnisse der Analyse zu veröffentlichen, die Einführung von Kontrollen durch eine Bundesbehörde mit entsprechenden Sanktionen: Diese Massnahmen wären bereits ein Schritt in die richtige Richtung – ohne jedoch das Problem der Lohnungleichheit zu lösen, das umfassender ist, wie die Gewerkschaft VPOD oft betont. Insbesondere im Zusammenhang mit der Abwertung von Berufen, in denen vorwiegend Frauen arbeiten. Aber nichts dergleichen ist in Sicht!

Das GOEG sprengt die Ungleichheiten. 

Seit September 2022 verfügen wir über ein neues, sehr interessantes Instrument: den Gender Overall Earnings Gap (GOEG), die Gesamtlücke beim Arbeitseinkommen im gesamten Erwerbsleben. Diese Lücke wird berechnet, indem die Unterschiede in den Bruttoerwerbseinkommen pro Stunde, die Unterschiede in der monatlichen Arbeitszeit und die Unterschiede in der Erwerbsbeteiligung berücksichtigt werden. Das Ergebnis für das Jahr 2018 beträgt 43,2% (!). Das bedeutet, dass das Einkommen von Frauen, das sie für alle während des Erwerbslebens geleisteten Arbeitsstunden erhalten, um 43,2% niedriger ist als das der Männer. Im internationalen Vergleich liegt die Schweiz an 28. Stelle von dreissig Ländern. Nur Österreich und die Niederlande schneiden noch schlechter ab. Dieses Ergebnis ist auf die Teilzeitarbeit zurückzuführen, die häufiger erzwungen wird als behauptet.[2]


Michela Bovolenta ist Zentralsekretärin bei der Gewerkschaft VPOD. Übersetzung durch die Redaktion.

[1] Le Temps, 22. Februar 2022.

[2] Bericht des Bundesrates, 7. September 2022: Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern. Erfassung der Gesamtlücke beim Arbeitseinkommen und andere Indikatoren, erstellt in Erfüllung des Postulats 19.4132 von Samira Marti (25. September 2019). Eine Aufschlüsselung nach Altersgruppen zeigt, dass der GOEG mit zunehmendem Alter ansteigt: Bei den 15- bis 24-Jährigen beträgt er bereits 7,9%, bei den 25- bis 34-Jährigen steigt er auf 27,3%. Danach steigt er weiter an: 35 bis 44 Jahre: 48,4%, 45 bis 54 Jahre: 50,8%, 55 bis 64 Jahre: 53,5%.

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