Seit dem Filmspektakel Barbie von Greta Gerwig letztes Jahr sollte mensch meinen, der Feminismus ist in Hollywood angekommen. Doch das ist ein Trugschluss. Zwar hat sich seit der Metoo-Bewegung natürlich einiges in der Filmindustrie verändert, aber Hollywood ist immer noch Teil unserer kapitalistischen, patriarchalen und profitorientierten Welt. Zudem gibt es nicht den einen Feminismus, so auch nicht im Film. Jüngst entfachte der oscar-gewinnende Film Poor Things von Yorgos Lanthimos diese Debatte erneut. Wann ist ein Film feministisch? Kann ein Film überhaupt feministisch sein oder kann ein Film nur feministische Züge aufweisen?
Von Felicitas Kanne (BFS Sektion Basel); aus antikap
Coming-of-Age und Male Gaze
Der Plot von Poor Things ist nichts bahnbrechend Neues. Man könnte sagen, es handelt sich um einen Coming-of-Age Film: Ein Mädchen wird bis hin ins erwachsene Alter begleitet. Was bei dem Film Poor Things aussergewöhnlich ist, ist die Frankenstein-ähnliche Interpretation des Coming-of-Age Genres und die apokalyptische, viktorianische Szenerie. In der Erzählung selbst werden Themen wie Sexarbeit, sexuelle Befreiung und Selbstermächtigung angesprochen und hierbei der sogenannte «Male Gaze» bewusst verwendet wird, um performative Kritik an diesem Konzept auszuüben. In der feministischen Theorie bezeichnet der «Male Gaze» die Darstellung von Frauen und der Welt im Film, der Kunst und Literatur aus einer männlichen, heterosexuellen Perspektive, die Frauen als Sexualobjekte zum Vergnügen des männlichen Betrachters präsentiert.
Es gibt unzählige Filme, die einen ähnlichen Plot haben und gleichzeitig mit der Tradition des Male Gazes brechen. Poor Things zeichnet sich also nicht durch die bewusste Verwendung des «Male Gazes» aus, als auch durch die exzentrische und radikale Umsetzung einer gewissen Ästethik, darum hat der Film auch den Oscar für das beste Kostümdesign gewonnen. Meiner Meinung nach war Hollywood einfach erstaunt darüber, dass ein Cis-Mann einen so progressiven und emanzipatorischen Film produzieren kann. Deshalb ist es eher insgesamt ein Armutszeugnis von Hollywood, dass ein Film wie Poor Things als feministisch erachtet wird.
Die kleinen Margeriten (1966)
Es ist interessant zu beobachten, dass sobald ein Film von einem Regisseur als feministisch bezeichnet wird, dieser aufgewertet wird, aber sobald eine Regisseurin einen feministischen Film dreht, dies abwertend wirkt. Das kann man bei dem Film die kleinen Margeriten (1966) von der tschechischen Regisseurin Věra Chytilová beobachten. Die Regisseurin bestritt zeitlebens, dass ihr Film feministisch sei, trotzdem wurde er von der feministischen Bewegung im Westen als feministisch interpretiert. Das lang vor allem auch daran, dass wenn sie ihren Film als feministisch bezeichnet hätte, hätte sie sich damit kritisch gegenüber der herrschenden kommunistischen Partei geäussert hätte, obwohl die Frauenfrage seit der Revolution als gelöst angesehen hatte. Zudem hätte sich Chytilová mit einem feministischen Stempel in eine nicht ernst zu nehmende Filmemacherin gemacht.
Bei Poor Things wird das Feministische dem Plot zugesprochen, aber die hohe Kunst ist nicht nur eine gute Erzählung, sondern auch filmtechnische Kreativität. So überzeugt der Film kleine Margeriten mit der experimentellen Filmtechnik und der burlesken Erzählart. Der während des Prager Frühlings erschienene Film thematisiert die gesellschaftlichen Erwartungen und Ansprüche an Frauen. Dabei werden nicht nur gesellschaftliche Konventionen im Plot gebrochen, sondern auch filmisch-technische Konventionen und Sehkonventionen. Im Film treiben zwei junge Frauen namens Marie 1 & 2 in der Stadt Prag ihren Schabernack. Sie essen, was sie wollen und wie viel sie wollen, haben Sex mit wem sie wollen, ziehen an, was sie wollen und zerstören, was sie wollen. Die puppenhaften Erwartungen an Frauen werden überzogen und damit kritisiert. Ausserdem ist der Film eine Kritik an dem sinnlosen Konsum, welcher durch das ständige Essen, durch die Lust an der Zerstörung, durch schrankenlose Individualität symbolisiert wird. Kunst so auch der Film sollte mensch meinen muss sich nichts und niemenschem unterwerfen ausser der künstlerischen Freiheit. Das zeigt Chytilová mit ihrem anti-patriarchalen Film, doch wenn mensch in Hollywood erfolgreich sein möchte darf die Message nicht zu radikal sein. Eine Ausnahme besteht, wenn mensch sich bereits einen Namen gemacht hat. Dann kann mensch sich weiter aus dem Fenster lehnen. Für Hollywood ist der liberale Feminismus akzeptabel, weil eine gewisse Gesellschaftskritik dazu gehört und sogar produktiv für die Branche ist. Deshalb bedient sich Poor Things historisch gesehen typisch feministischer Kampfthemen wie Sexarbeit und Emanzipation, aber die Kapitalismuskritik wird hinten angestellt.
Barbie – Glorifizierung statt Konsumkritik
Auch Barbie wurde in gewissen Hollywood-Kreisen, vor allem alten weissen Cis-Männern nicht ernst genommen und abgewertet. Der sexistische Kommentar des Golden Globes Moderators Jo Koy zeugt davon. Ausserdem gewann Barbie genau einen Oscar, und zwar für das beste Lied, welches von Billie Eilish und ihrem Bruder geschrieben wurde und zutiefst persönlich geprägt ist.
Natürlich ist es erstaunlich und auch wieder nicht, dass in Hollywood so ein Projekt zustande kommen konnte. Hollywood an sich kann als progressiv bezeichnet werden, so auch wie kulturelle Phänomene in Filmen gespiegelt und verarbeitet werden, aber schlussendlich haben die Leute, die das Geld haben, die ganze Branche in den Händen. Der Writers-Strike im letzten Jahr in Hollywood lässt zugleich die Progressivität dieser Sphäre als auch die Prekarisierung dieser Branche hervorscheinen. Wenn man darüber nachdenkt, was das für die kapitalistische Filmindustrie bedeutet, wird einem mulmig zu Mute. Anscheinend bedrohen gewisse Feminismen nicht mehr den Kapitalismus, was eigentlich so sein sollte, sondern der liberale Feminismus ist für den Kapitalismus rentabel geworden. Ebendiejenigen Feminismen, die nicht Kapitalismus und Konsum kritisieren, sondern nur oberflächliche Verbesserungen fordern, damit Mann und Frau schlussendlich kulturell gleichgestellt sind. Feministische Theorien werden für die Unterhaltung instrumentalisiert, obwohl es zumeist Theorien sind, die genau dieses System überwinden wollen. Wenn man den Film anschaut, hat man das Gefühl, wir haben unser Ziel erreicht, wir müssen nicht weiterkämpfen. Wie Noemi Klein, eine feministische Klimaaktivistin, in einem Podcast sagte: der Film verherrlicht jeglichen Konsum, denn schlussendlich ist der Film einfach ein unterhaltsamer und sehr langer Mattel-Werbespot. Dabei wird die Geschichte der feministischen Bewegung dargestellt, aber der intersektionale und Queer-Feminismus wird einfach ausgeklammert. Das zeigt nur umso deutlicher, dass wir noch lange nicht an unserem Ziel angekommen sind und wir neue Widerstandsformen und theoretische Ansätze uns überlegen müssen, um den Kapitalismus zu kritisieren und zu überwinden. Denn es ist gefährlich, wenn sich die Idee verbreitet, dass Feminismus nur die Gleichstellung von Mann und Frau sei. Die feministischen Theoretikerinnen Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya und Nancy Fraser konstatieren folgerichtig, wenn sie sagen, dass wir keine Welt wollen, in der die Ausbeutung am Arbeitsplatz und die gesamtgesellschaftliche Unterdrückung von Männern und Frauen der herrschenden Klasse gleichberechtigt verwaltet wird. Die feministischen Streikwellen aus den Jahren 2016 und 2017 zeigen die Unabdingbarkeit diesem antikapitalistischen, queeren und intersektional Feminismus auf. Eine politische Strategie dieser Streikwellen war auch der Konsumstreik. Natürlich kann man mit dem Finger einfach auf die da oben zeigen, aber theoretische Kritik allein verändert die Welt nicht. Deshalb sollten neue Streikformen wie der Konsumstreik im digitalen Zeitalter in Betracht gezogen werden. Diese politische Strategie und ihre mögliche Reichweite hat schon bell hooks, eine feministische und antirassistische Kulturwissenschaftlerin, in ihren Schriften betont.