Dieser Artikel erörtert die marxistisch-feministische Theorie der sozialen Reproduktion, die sich auf den reproduktiven Aspekt der Arbeitskraft konzentriert. Er wird von drei Fragen eingeleitet, die sich auf die Arbeit beziehen. Diese Fragen werden aus einer liberalen Perspektive, einer orthodox-marxistischen Perspektive und einer Perspektive der sozialen Reproduktion beantwortet. Der Text skizziert die Methodologie von Marx und verwendet dann die Theorie der sozialen Reproduktion als theoretische Weiterentwicklung, indem er Beispiele aus dem 19. Jahrhundert bis heute anführt. Die Arbeiter:innenklasse wird dann neu definiert, um die Reproduzierenden der Gesellschaft einzuschließen. Schließlich wird der Unterschied zwischen dem analytischen Werkzeug der Intersektionalität und der Theorie der sozialen Reproduktion erläutert.
von Dave McGowan (BFS Zürich)
Einführung
Um zur Arbeit erscheinen zu können, müssen die grundlegenden Bedürfnisse der Arbeiter:innen erfüllt sein, die es ihnen überhaupt erst ermöglichen, körperliche, geistige und emotionale Arbeit zu verrichten. Diese Bedürfnisse zureichend zu decken, bedingt eine Reihe von Aufgaben. Stellen wir uns einen typischen Haushalt 2024 vor, würden diese Aufgaben wohl folgende Dinge umfassen: Mahlzeiten kochen, putzen, Wäsche waschen, Lebensmittel einkaufen, Finanzen verwalten, sich um Kinder kümmern, bei den Hausaufgaben helfen, Familienaktivitäten organisieren, an Elternabenden teilnehmen, sich um ältere Familienmitglieder kümmern und sie transportieren, das Haus reparieren und instand halten, medizinische Termine verwalten, emotionale Unterstützung bieten und sich um Haustiere kümmern. Obwohl einige wichtiger sind als andere, trägt jede dieser Aufgaben zur insgesamten Befriedigung der verschiedenen Bedürfnisse der Arbeiter:innen bei.
Wie wir allerdings wissen, sind all diese Aufgaben respektive diese Arbeit im Gegensatz zur typischen Lohnarbeit vorwiegend unter- oder unbezahlt; sie bleibt oft unsichtbare Arbeit im Privaten. Deshalb stellen sich uns die Fragen,
- Warum wird eine Art von Arbeit (produktiv) entlohnt, während eine andere (reproduktiv) nicht entlohnt wird? Es kann nicht sein, dass die eine einfach etwas wert ist, während die andere nichts wert ist, denn logischerweise sind Produktion und Reproduktion symbiotisch; sprich die eine kann ohne die andere nicht existieren.
- Warum sind es hauptsächlich Frauen und Queers, die diese reproduktive Arbeit leisten?[1]
Beide Fragen können zusammen auf folgende Weise gestellt werden: Welche intrinsischen Aspekte der Arbeit führen zu ihrer geschlechtsspezifischen Bewertung und sozialen Wahrnehmung? Dieser Artikel wird die Arbeit zunächst aus einer liberalen Perspektive analysieren, da dies die dominierende Ideologie ist, danach aus einer marxistischen und schließlich aus einer feministisch-marxistischen Perspektive: der Theorie der sozialen Reproduktion (Social Reproduction Theory, SRT). Die Philosophie des Liberalismus und des Marxismus wird erklärt, um zu verdeutlichen, wie verschiedene Methoden des Verständnisses die Art von Wissen beeinflussen, zu dem wir gelangen. Dies ist wichtig, um die Stärken der SRT zu verstehen, die eine feministische Ausprägung des Marxismus ist.
Eine liberale Perspektive
Es sollte angemerkt werden, dass dieser aus Platzgründen reduktive Entwurf des Liberalismus als Philosophie nicht als theoretische Kritik gemeint ist, sondern lediglich dazu dient, seine entgegengesetzten Haltungen gegenüber dem Marxismus zu etablieren. Der Liberalismus, die politische und wirtschaftliche Ideologie, die individuelle Rechte, Freiheiten und Privateigentum fördert (was langfristig für den Kapitalismus steht), ist eine Philosophie unterschiedlicher Identitätseinheiten. Er begreift jedes Individuum als autonom funktionierend, aber in bestimmten Bereichen ineinandergreifend. Die Welt wird in ökonomischen Begriffen verstanden, in denen der Markt in der Welt der produktiven Arbeit und des Konsums existiert und das Zuhause eine separate Sphäre darstellt, in der die Reproduktion stattfindet. Die strikte Einteilung des Tages in Arbeitszeit und Heimzeit hilft, diese Idee zu verstärken, dass es einen deutlichen und wesentlichen Unterschied zwischen Produktion und Reproduktion gibt.
Die Linie zwischen Produktion und Reproduktion erscheint klar und sinnvoll, weil die liberale Auffassung von Wert sich verändert hat. Der Liberalismus des 19. Jahrhunderts interpretierte Wert als basierend auf inhärenten Eigenschaften. Der Liberalismus des 20. und 21. Jahrhunderts hat den Wert der Subjektivität überlassen und konzentriert sich auf den Preis, der durch Angebot und Nachfrage als Maßstab des Wertes bestimmt wird. Mit anderen Worten, wenn etwas für X gekauft und verkauft werden kann, ist diese Sache X wert. Nehmen wir Diamanten und Wasser. Während die Herstellung von Diamanten immer viel Arbeit erfordert, sind diese in der einen Situation sehr wertvoll (z.B. in einer belebten Metropole), nicht aber in einer anderen (z.B. in einer isolierten Wüste). Im Vergleich dazu benötigt die Beschaffung von Wasser in leicht zugänglichen Gebieten (Metropolen) nicht viel Arbeit und hat da auch einen niedrigen Wert, während dasselbe Wasser in Gebieten mit Wasserknappheit einen hohen Wert besitzt. Daher ist der Wert subjektiv, und diese Schwankungen können durch Angebot und Nachfrage sowie Knappheit und Überfluss erklärt werden. Dies ist wichtig, weil die Wertschöpfung folgendes involviert: 1) Arbeiter:innen, die zustimmen, für eine bestimmte Zeit zu arbeiten, 2) Kapitalist:innen, welche die Arbeiter:innen für den Wert ihrer Arbeitskraft bezahlen und 3) das Geschick der Kapitalist:innen, von der Vereinbarung durch gute Geschäfte zu profitieren. Die Transaktion ist eins zu eins, und daher müssen reproduktive Bedürfnisse nicht entlohnt werden, weil die Mittel dazu ausreichend im Lohn enthalten sind.
Eine marxistische Perspektive
Marx hingegen sieht den Wert nicht als subjektiv an, sondern immer abhängig von der durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit, welche die Arbeiter:innen für die Herstellung einer Ware im jeweiligen Gewerbe benötigen. Menschliche Arbeit ist in der Lage, mehr Wert zu produzieren, als für das Überleben notwendig ist. Einfach ausgedrückt bedeutet dies, dass die Arbeiter:innen nicht ein faires Gehalt für die Anzahl Stunden erhalten, die gearbeitet wurden, weil der geschaffene Wert über den ausgezahlten Betrag hinausgeht. Marx sagt, dass eine Ware etwas ist, das einen Gebrauchswert und einen Tauschwert hat. Ein Gebrauchswert ist eine Qualität, die für jemanden nützlich ist (z. B. sozial, ästhetisch, physisch usw.). Ein Tauschwert bedeutet, dass es mit etwas anderem vergleichbar ist. Ein Kaffee hat einen Gebrauchswert (weil er getrunken werden kann) und einen Tauschwert (einen bestimmten Geldbetrag). Auf diese Weise betrachtet, ist das liberale Argument mit Diamanten und Wasser ungültig, weil die Diamanten in der Wüste keinen Nutzen haben – sie können nicht einmal dekorativ oder symbolisch verwendet werden, weil niemand da ist, um das Prestige der Diamanten anzuerkennen. Daher beweist das Diamant- und Wasser-Argument aus marxistischer Sicht nicht den subjektiven Wert, sondern dass eine Ware sowohl einen Gebrauchswert als auch einen Tauschwert haben muss. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Marx das Gesetz von Angebot und Nachfrage ablehnt. Er lehnte lediglich die liberale Auffassung von Wert ab.
Ein sozial reproduktiver Ansatz
Die Wertvorstellung von Marx begründete das theoretische Argument der kapitalistischen Ausbeutung der Arbeiter:innen während des produktiven Zyklus (Arbeit). Wie weiter unten etwas ausführlicher erklärt, erweiterte die SRT Marx‘ Argument um die Rolle der kapitalistischen Ausbeutung der Arbeiter:innenklasse während des reproduktiven Zyklus (Care-Arbeit oder Sorgearbeit). Um diese Erweiterung genau zu verstehen, ist es notwendig, Marx‘ Verständnis von Identität zu erfassen, welches im Gegensatz zum Identitätsverständnis des Liberalismus steht. Ein Verständnis von Marx‘ Philosophie ermöglicht es, die Argumente zu schätzen, die er in seinen Schriften vorbrachte zur Ausbeutung von Arbeit, welche den Kapitalismus ermöglicht. Es beleuchtet das gesamte Gebiet der Produktion und zeigt genau, wie es funktioniert. Ohne dieses Verständnis bleiben Marx‘ Schlussfolgerungen verworren und unklar. Durch einen Vergleich zwischen den beiden wird deutlich, dass die vermeintlich vernünftige Trennung von Produktion und Reproduktion alles andere als sinnvoll ist.
Produktionskreislauf
Marx‘ Ziel in „Das Kapital“ ist es, den gesamten kapitalistischen Prozess von Anfang bis Ende darzustellen. Er beginnt mit einer Sache, der Ware, und analysiert deren interne Komponenten und Widersprüche, die dann zu einem weiteren Element führen, Wert, dann Geld, dann Kapital usw. Dieser Prozess setzt sich fort, bis das gesamte kapitalistische System durch logische Verbindung, interne Dynamik und Widersprüche dargestellt ist. Die treibenden Kräfte des Kapitalismus sind Arbeit und Arbeitskraft. Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen den beiden. Arbeit ist die physische und mentale Handlung des Arbeitens, d.h. der Einsatz von Geist oder Körper, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen, z.B. wenn ich hungrig bin, arbeite ich, um Essen zu bekommen (durch Kochen/Einkaufen/ein paar Knöpfe auf meinem Telefon drücken). Arbeitskraft andererseits ist eine Ware. Es ist etwas, das gekauft und verkauft werden kann, im Austausch gegen einen Lohn. Die Kapitalist:innen kaufen die Arbeitskraft von jemandem für acht Stunden im Austausch gegen einen Lohn. Arbeitskraft ist einzigartig, da sie die einzige Ware ist, die Wert über ihren eigenen Wert hinaus produzieren kann. Indem die Kapitalist:innen Arbeitskraft kaufen und sie dann auf bestimmte Weise einsetzen, können sie Arbeiter:innen anweisen, Mehrwert zu erzeugen. Dieser Mehrwert, abzüglich der Ausgaben (Löhne, Gehälter, Reparaturen), kann reinvestiert werden, um das Unternehmen zu erweitern. Der Kreislauf ist jedoch nicht vollständig. Wenn wir die Ware Arbeitskraft untersuchen, beginnen wir, Risse zu sehen, die Marx übersehen hatte. Die SRT setzt an diesen Rissen an.
In dieser kurzen Skizze der ersten Kapitel von „Das Kapital“ werden die Arbeiter:innen abstrakt als Quelle der Arbeitskraft betrachtet, die es ermöglicht, Wert zu schaffen und Teil des Systems der wirtschaftlichen Produktion zu sein. Damit die Arbeiter:innen jeden Tag zur Arbeit erscheinen und ihre Arbeitskraft auf ihre Arbeit verwenden können, müssen ihre grundlegenden Bedürfnisse erfüllt sein, die es ihnen ermöglichen, einen normalen Arbeitstag zu leisten. Dies wird durch den Lohn ermöglicht. Es ist dies, was es den Arbeiter:innen ermöglicht, Muskeln und Geist ausreichend zu regenerieren, damit sie am nächsten Tag zur Arbeit gehen können. Diese Reproduktion der Arbeitskraft wird von Marx als gegeben betrachtet. Mit anderen Worten, er beschäftigt sich nicht ausführlich damit, wie diese Arbeitskraft täglich produziert und reproduziert wird. Er erkennt die Rolle an, die die Familie und Frauen bei der Regeneration dieser grundlegenden Bedürfnisse spielen, aber es ist nichts, mit dem er sich tiefer auseinandergesetzt hat. Die SRT beginnt mit dem Konzept der Arbeitskraft. Wie Marx die Ware analysierte, die zu weiteren Konzepten und Diskussionen führte, hinterfragt die SRT die Arbeitskraft, um die verborgenen Annahmen dahinter aufzudecken.
Reproduktionskreislauf
Arbeitskraft wird nicht nur innerhalb des Hauses wiederhergestellt, weil „das Zuhause“ nicht im luftleeren Raum existiert. Traditionelle binäre Geschlechterrollen legten fest, dass der Mann arbeitete, während die Frau einkaufte, kochte, putzte, flickte, erzog, gefiel, unterrichtete und andere alltägliche Aufgaben erfüllte, damit die Arbeitskraft regeneriert werden konnte. Diese häuslichen Aufgaben existieren zusammen mit gesellschaftlichen Strukturen wie öffentlicher Bildung, Gesundheitsversorgung, Wohlfahrt und Gemeinschaftsaktivitäten, die sich gegenseitig verstärken und formen.[2] Mit dieser Erkenntnis kann die SRT als eine Art und Weise verstanden werden, wie gesellschaftliche Strukturen und Ungleichheiten durch nicht-ökonomische Prozesse wie Bildung, Familienleben und Gesundheitsversorgung perpetuiert werden.
Diese Strukturen stellen die kontinuierliche Regeneration der Arbeitskraft, die für eine kapitalistische Wirtschaft notwendig ist, sicher. Dies ist am einfachsten anhand von Care-Arbeit zu sehen. Care-Arbeit ist jede Tätigkeit des Bereitstellens, der Fürsorge und Interaktion, die soziale Bindungen produziert und aufrechterhält.[3] Beispiele dafür sind Bildung, Gesundheitsversorgung, Altenpflege, Hausarbeit und öffentliche und soziale Dienste. Kurz gesagt, es sind diese Aktivitäten, die Arbeitskraft auffrischen. Ohne sie kann es keine Arbeitskraft und keinen Kapitalismus geben. Die SRT wirft Licht auf diese wichtigen Bereiche der Gesellschaft, die in anderen Kreisen ignoriert werden. Anhand von einigen historischen Beispielen soll gezeigt werden, wie wichtig das ist.
Historische Beispiele der sozialen Reproduktion
In der Ära des industriellen Kapitalismus im 19. Jahrhundert wurden Frauen und Kinder von Kapitalist:innen aufgrund gesellschaftlicher Erwartungen und eines Mangels an Arbeitsgesetzen hyperausgebeutet. In der ersten Welt hatte dies den zweifachen Effekt, die reproduktiven Kräfte der Arbeiter:innenklasse zu bedrohen und die Mittelklasse zu empören, was zu Gesetzgebungen führte, die die Arbeitszeiten von Frauen und Kindern begrenzte. Ein Beispiel von solchen Gesetzen in Großbritannien, die Factory Acts, sprach das Problem für Frauen und Kinder nur nominell an. Es standardisierte die Zeiten und die Menge, die sie arbeiten konnten, änderte aber nichts an der Tatsache, dass die Arbeiter:innenklasse weiterhin in gefährlichen Jobs für niedrige Löhne arbeiten musste. Stattdessen hatte es den Effekt, binäre Geschlechterrollen in einer neueren Vorstellung der Familie zu begrenzen.[4] Ein analoges Beispiel findet sich im antiken Athen. Die Agora, der Marktplatz, war das Zentrum der Aktivität und diente als Treffpunkt und Diskussionsort für Politik und Philosophie. Vor dem Eingang stand ein Schild, das besagte, dass Frauen der Zutritt verboten sei. Diese Regel wurde nicht durchgesetzt, da es für arme Menschen, die sonst nirgendwo ihre Waren beschaffen konnten, nicht wirtschaftlich machbar war, aber sie hatte den Effekt, Klassen untereinander zu teilen. Ähnlich hatten im viktorianischen England die Factory Acts den Effekt, Geschlecht auf der Grundlage von Klasse zu teilen. Frauen, die es sich leisten konnten, nicht zu arbeiten, fanden ihren Platz im Leben nun ins Haus und in die Welt der Häuslichkeit delegiert, während Frauen, die gezwungen waren zu arbeiten, die Grenzen dessen, was es bedeutet, eine Frau in der „besseren Gesellschaft“ zu sein, überschritten.
In der Dritten Welt muss keine solche ideologische Fantasie geschaffen werden, da dort alle der sozialen und wirtschaftlichen Atomisierung aufgrund von kolonialem Extraktivismus und rassistischer Politik unterworfen waren.[5] Die „Bürde des weißen Mannes“ oder rassistischer Chauvinismus war ideologische Rechtfertigung genug, wenn überhaupt eine notwendig war. So wurde dort die Teilung der Aufgaben in Bezug auf soziale Reproduktion auf der Grundlage von Rasse noch weiter verschärft.
Liberale Nachkriegsstaaten investierten in die Sozialfürsorge, um kurzfristige Gewinne mit langfristiger Stabilität auszugleichen. Damit der Kapitalismus überleben konnte, musste seine Arbeiter:innenklasse einen anständigen Lebensstandard haben, anstatt nur zu überleben. Dies würde die Krise der sozialen Reproduktion erleichtern und gleichzeitig eine neue Klasse von Verbraucher:innen schaffen, wobei die Arbeiter:innenklasse zuvor nur eine Klasse von Produzent:innen war. Dieser Anstieg des Lebensstandards kam nur den Mehrheiten in diesen Staaten zugute und war größtenteils nur möglich durch den Ausschluss von Minderheiten und imperialistischer Politik.[6] In den USA entwickelte sich das Wohlfahrtssystem in zwei Hauptteile: ein Teil wurde negativ gesehen und bot hauptsächlich Unterstützung für Frauen und Kinder, die keinen männlichen Ernährer in der Familie hatten, und ein anderer Teil bot angesehenere Sozialversicherungsleistungen für diejenigen, die als „Arbeiter“ angesehen wurden. In Europa war das System anders strukturiert, oft beeinflusst von dem Wunsch, aufgrund des Wettbewerbs zwischen den Ländern die Geburtenraten zu erhöhen. Hier wurden die Leistungen zwischen Unterstützung für Mütter und Leistungen, die auf einer Beschäftigung basierten, aufgeteilt, was eine männerzentrierte Sicht auf die Gesellschaft widerspiegelte. Dies hatte den Effekt, Geschlechtertrennungen zu normalisieren und sie aus der Welt der Politik (öffentlich) ins Haus (privat) zu verlagern.
Während der Liberalismus eine minimale staatliche Intervention förderte, beinhaltete der Neoliberalismus einen starken Staat, um marktfreundliche Verhältnisse zu schaffen. Begonnen von der britischen Premierministerin Margaret Thatcher und dem US-Präsidenten Ronald Reagan in den 1970er/1980er Jahren, versuchte der Neoliberalismus den freien Marktkapitalismus zu maximieren, kürzte die Sozialfürsorge und lockte Frauen an den Arbeitsplatz. Dies privatisierte die Care-Arbeit weiter und unterstützte marktfreundlichen Feminismus. Die soziale Reproduktion wurde „kommerzialisiert für diejenigen, die dafür bezahlen können, und privatisiert für diejenigen, die es nicht können“.[7] Sobald der emanzipatorische Feminismus durch den neoliberalen Feminismus ersetzt wurde, konnte neoliberale Politik (Austerität, angetrieben durch Schulden) im Namen der Gewinnmaximierung Löhne kürzen und Arbeitsbedingungen verschlechtern. Wohlhabendere und privilegiertere Menschen können Menschen aus ärmeren Verhältnissen – normalerweise Frauen – einstellen, um die Care-Arbeit zu übernehmen. Natürlich geht diese privatisierte Care-Arbeit mit noch weniger Sicherheit und Bezahlung einher als das, was die wohlhabenderen Verdiener:innen erfahren. Diese armen Frauen müssen dann ihre eigene Care-Arbeit an jeden auslagern, der arm genug ist, sie zu verrichten, was zu immer schwindenderen und entrechteteren „Global Care Chains“ (globale Betreuungsketten) führt.[8]
Dies hat zur Folge, dass die anhaltenden Kluft zwischen Reich und Arm, Erster Welt und Dritter Welt sich noch mehr vergrössert. Der Kapitalismus betrachtet dies als „Marktkräfte“, die durch Angebot und Nachfrage angetrieben werden. Aus produktiver Sicht mag dies so sein. Wenn man jedoch Reproduktionsarbeit miteinbezieht, wird die Kluft der Care-Arbeit zwischen Reich und Arm deutlich sichtbar. Eine Firmenchefin hat keine Zeit, ihre Kinder großzuziehen, also tun das private Schulen, Kindermädchen und Babysitter. Wenn wir die Globalen Care Chains verfolgen, welche Option gibt es für die Textilarbeiterin in Bangladesch, den lateinamerikanischen Landarbeiter in den Vereinigten Staaten, den niedrigkastigen Tech-Arbeiter in Indien oder die Hausangestellte im Nahen Osten, deren Aufenthaltsstatus direkt an ihren Dienstherrn gebunden ist? Was mehr, was wird aus der Person, die nicht für einen Lohn arbeitet und nicht kann, weil sie notwendige Care-Arbeit kostenlos leisten muss?
Neudefinition der Arbeiter:innenklasse
Die SRT erweitert die Definition der Arbeiter:innenklasse, um den reproduktiven Kreislauf einzubeziehen. Anstatt dass die Arbeiter:innenklasse aus Menschen besteht, die ihre Arbeitskraft für einen Lohn verkaufen, definiert sie die Arbeiter:innenklasse als alle, die an der Reproduktion der Gesellschaft beteiligt sind.[9] Dazu gehören Arbeitslose, informell Beschäftigte, wer aus irgendeinem Grund nicht arbeiten kann, und wessen Arbeit nicht entlohnt wird. Aus diesem Grund fördert die SRT die Klassensolidarität, denn indem sie zum Beispiel Hausarbeit nicht als minderwertige Arbeit abwertet, ermöglicht sie es der Arbeiter:innenklasse, solidarisch im Kampf gegen die ausbeuterischen und spaltenden Taktiken des Kapitalismus zu sein. Kapitalanhäufung kennt keine Loyalität außer zu sich selbst. Daher müssen die plumpen Methoden der Spaltung und Herrschaft sowohl im produktiven Bereich (Anti-Gewerkschaftsmaßnahmen, Lohnkürzungen) als auch im reproduktiven Bereich (Sozialfürsorge, soziale Dienste) mit einer vereinten Arbeiter:innenklasse konfrontiert werden. Die SRT ermöglicht es den bezahlten Arbeiter:innen, sich mit den unbezahlten Pfleger:innen zu identifizieren.
Intersektionalität und Theorie der sozialen Reproduktion
Man könnte argumentieren, dass die SRT irrelevant ist, weil Unterdrückung tiefgehend mit Intersektionalität verstanden werden kann. Intersektionalität ist ein Konzept, das hilft zu verstehen, wie Unterdrückung und Privilegien sich auf verschiedene Weise kreuzen und Identität produzieren. Ein Beispiel dafür wäre zu verstehen, dass eine schwarze Frau in den USA nicht nur Rassismus erleben mag, sondern wie sie auch Sexismus erlebt und wie diese zweifache Unterdrückung erfahren wird. Die Theorie hat sich von Geschlecht und Rasse auf mehrere Achsen oder Identitätspunkte erweitert.[10] Die SRT teilt Einsichten aus der Intersektionalität wie ihre Unterdrückungsfelder, kritisiert sie aber dafür, eine Identitätsphilosophie wie die des Liberalismus zu haben. Intersektionalität erkennt mehrere Identitäten an, die Unterdrückung erfahren können (Alter, Geschlecht, Geschlechtsidentität usw.), ist aber atomistisch.[11] Einfach ausgedrückt bedeutet dies, dass Identität etwas ist, das fest und selbstkonstituierend ist.
Stellen wir uns ein Billardspiel vor, bei dem jeder Ball eine Identität ist und der Billardtisch der Raum ist, in dem diese Identität ausgelebt wird. Jeder Ball kann von anderen Faktoren beeinflusst und bewegt werden, aber der Ball bleibt trotzdem er selbst. Er ist unveränderlich und statisch. Der Marxismus und die SRT als feministischer Marxismus sehen Identität nicht als stabile, festgelegte Gegebenheit, sondern als etwas, das ständig im Fluss ist. Ähnlich wie eine Person nicht zweimal in denselben Fluss steigen kann, weil sie nicht dieselbe Person ist und es nicht derselbe Fluss ist, so wird Identität durch die komplexen Wechselwirkungen mehrerer Faktoren konstruiert, die sich immer im Wandel befinden. Diese Unterscheidung mag akademisch erscheinen, hat aber ernste Implikationen.
Da die Intersektionalität Identitäten als statisch sieht, werden auch die Strategien zur Bekämpfung von Unterdrückung statisch sein. Das bedeutet, dass sie sich nicht an neuere, weiterentwickelte Widerstandsformen anpassen können. Zum Beispiel könnte man ein Unternehmen betrachten, das nie Frauen in bestimmten Managementpositionen eingestellt hat. Ein intersektionaler Ansatz könnte zunächst darauf abzielen, für die Einstellung mehrerer Frauen zu werben und das Geschlechterungleichgewicht direkt anzusprechen. Nehmen wir jedoch an, das Unternehmen reagiert, indem es Frauen einstellt, ihnen jedoch nur niedriger bezahlte Positionen anbietet oder die zugrundeliegende sexistische Kultur nicht ändert. Wenn die Strategie sich nicht an diese neuen Diskriminierungsformen anpasst – vielleicht auch durch das Eintreten für systemische Veränderungen in den Einstellungspraktiken, Beförderungswegen und der Arbeitsplatzkultur – kann sie die sich entwickelnden Formen des Sexismus möglicherweise nicht effektiv bekämpfen.
In diesem Fall war die anfängliche Strategie gut, um das offensichtliche Problem (Einstellung von Frauen) anzugehen, aber nicht flexibel oder umfassend genug, um mit tieferen, systemischeren Problemen umzugehen, die darauffolgend auftraten (zugrundeliegender Sexismus und strukturelle Ungleichheiten in der Organisation).
Schlussfolgerung
Die Wurzeln der SRT haben eine lange Geschichte der intellektuellen Entwicklung, aber die Theorie selbst ist relativ neu. Dies ist keine Schwäche, sondern ein Beispiel dafür, wie Entwicklung und Wandel stattfinden. Eine ganz andere Seite des Produktionsprozesses wurde aufgedeckt, und die am meisten gefährdeten und ausgebeuteten Menschen der Welt sind oft genau davon betroffen. Es reicht nicht mehr aus, dass sich Sozialist:innen nur um die Lohnarbeiter:innen kümmern; es ist die Verantwortung von Sozialist:innen, Unterdrückung in all ihren Formen aufzuspüren, zu identifizieren, aufzudecken und für ihre Beseitigung zu mobilisieren. Die Theorie der sozialen Reproduktion unternimmt in diese Richtung einen radikalen Schritt.
[1] Seedat S, Rondon M. Women’s wellbeing and the burden of unpaid work BMJ 2021.
[2] Bhattacharya, T. (2017). Mapping social reproduction Theory. In Social Reproduction Theory: Remapping Class, Recentering Oppression. Pluto Press.
[3] Fraser, N. Crisis of Care? On the Social-Reproductive Contradictions of Contemporary Capitalism. In Social Reproduction Theory.
[4] Ebd.
[5] Ebd.
[6] Ebd.
[7] Ebd.
[8] Ebd.
[9] McNally, D. Intersections and Dialectics: Critical Reconstructions in Social Reproduction Theory. In Social Reproduction Theory.
[10] McAfee, Noëlle and Katie B. Howard, Feminist Political Philosophy. The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Winter 2023 Edition), Edward N. Zalta & Uri Nodelman (eds.): Link
[11] McNally, D. Intersections and Dialectics: Critical Reconstructions in Social Reproduction Theory. In Social Reproduction Theory.