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(Kritische) Männlichkeit und Faschismus – Interview mit Kim Posster

Kim Posster lebt in Leipzig und publiziert seit mehreren Jahren zur (praktischen) Kritik an Männlichkeit u.a. in den Zeitschriften konkret, analyse & kritik und Jungle World. Er war an mehreren Versuchen der organisierten Reflexion von Männlichkeit beteiligt, die er aber allesamt als gescheitert bewertet. In seinem Buch „Männlichkeit verraten!“ (2023) schreibt er über seine Erfahrungen in linken Kreisen und übt Kritik an der aktuellen Praxis von „kritischer Männlichkeit“ und Profeminismus. Er plädiert darin stattdessen für eine organisierte Männlichkeitskritik, zu der Männer ein bewusstes und politisches Verhältnis einnehmen müssen.

von Zora Luchs (BFS Zürich); aus antikap

Zora Luchs: Meine erste Frage ist vor allem für die Personen wichtig, die dein Buch «Männlichkeit verraten» noch nicht gelesen haben. Bevor wir dazu kommen, was es bedeutet, Männlichkeit zu verraten und wieso das wichtig ist, fangen wir mit der Frage an: An was scheitern deiner Einschätzung nach bisherige Versuche zur Auseinandersetzung mit Männlichkeit?

Kim Posster: In kritischen Männlichkeitsrunden kommen oft verunsicherte Männer zusammen, um ihre männliche Identität zu bearbeiten. Die Ansätze, die sie verfolgen, sind meistens individualisiert und isoliert von konkreten feministischen Problemen, Praxen und Bewegungen. Meist geht es um eine Art Selbstoptimierung, um besser zu sein als andere Männer – als die toxischen Männer. Es steht also weniger ein solidarischer, kollektiver Gedanke im Vordergrund, sondern die individuelle Selbstverbesserung. Meist picken sich Männerrunden dabei auch nur die Dinge raus, die sie selbst haben wollen. Also zum Beispiel «souveräner Umgang mit feministischer Politik», ein besserer Zugang zu den eigenen Gefühlen oder eine Rhetorik, die dabei hilft, nicht mehr so leicht für den eigenen Sexismus kritisiert zu werden. Und ich denke nicht, dass es Zufall ist, dass diese so isolierten Reflexionsformen meistens eher den Interessen der Männer dienen – weil sie sich eben gerade nicht an feministischen Maßstäben orientieren.

ZL: Was bedeutet das auf einer praktischen Ebene für uns als Linke, wenn die kritische Männlichkeit oft nur individualisierte Probleme betrachtet und sich nicht entlang feministischer Maßstäbe ausrichtet? Wo müssten wir als politische Bewegung, oder wo müssten linke Männer ansetzen, um eine sinnvolle Praxis zu entwickeln und auch zu praktizieren?

KP: Das Konzept kritischer Männlichkeit fordert einen reflektierten Umgang mit Männlichkeit. Dies impliziert, dass Mann sich seinen Ausdrucks- und Verhaltensweisen entledigen kann. Anders als die «kritische Männlichkeit» würde ich hingegen nicht versuchen, eine positive Männlichkeit zu finden, denn diese gibt es nicht. Stattdessen sollten wir eine negative Abhandlung von Männlichkeit starten. Es soll in dieser Auseinandersetzung nicht um mich gehen, sondern meine Handlungen und mein Handlungsspielraum. Also statt «Wie kann ich ein guter Mann sein?» oder «Gehör ich zu den Guten?» muss ich mir halt die Frage stellen, inwiefern ich als Mann in männerbündischen Strukturen organisiert bin und funktioniere. Es geht darum, Männlichkeit als grundsätzlich problematischer Grundpfeiler des Patriarchats ernst zu nehmen und die Aufrechterhaltung dieser Männlichkeit als gesellschaftlicher Skandal zu verstehen. Aber auch individuell, vor allem bei Männern auffällig ist, denen Männlichkeit am meisten zugesprochen wird, und, die das auch am meisten erfüllen wollen: Die machen halt einfach Probleme. Gerade auch in Bezug auf linke Strukturen und Organisationen: Es gibt immer noch zu viele Männer, die Probleme machen, die männerbündische Strukturen aufrechterhalten, Dominanz ausüben und gewaltvoll sind. Das gehört bekämpft. Denn das ist einerseits einfach scheiße für die Menschen, die das abkriegen, aber schwächt andererseits natürlich auch die eigenen Bewegungen und Gruppen völlig, wenn man Männer unkontrolliert Männlichkeitspolitik machen lässt. Als linke Bewegungen müssen wir uns dagegen wehren, damit nicht reihenweise Frauen und FINTA rausgeekelt werden und damit die eigene Involviertheit in männlichen Seilschaften und internalisierter Sexismus und Misogynie kritisch aufgearbeitet werden. Wir kommen nicht weiter, wenn Männer sich zwar einen Zugang zu den eigenen Gefühlen erarbeiten, doch weiterhin Täterschutz betreiben. Die kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeit muss auf feministische Ziele ausgerichtet sein, damit sie sinnvoll ist.

ZL: Wenn wir über Männlichkeit sprechen, kommen wir nicht drum herum, uns Phänomene wie die Incel-Bewegung anzuschauen, die zu etwa 3/4 aus 18- bis 24-jährigen jungen Männern besteht, oder auch die allgemeinere gesellschaftliche Tendenz, dass junge Männer zunehmend (extrem)rechts wählen, während junge Frauen tendenziell links und/ oder grün wählen. Siehst du da einen Zusammenhang zur gescheiterten (linken) Männlichkeitskritik? Und anschliessend wäre dann die Frage nach der Überschneidung von Männlichkeit und Faschismus, die ja auch nicht erst seit kurzem existiert. Und doch scheint es so, als ob sich gerade in den vergangenen Jahren eine erstarkte rechte bis rechtsextreme Männerbewegung mit faschistischen Tendenzen bildet. Täuscht dieser Eindruck oder stimmt das tatsächlich?

KP: Auf jeden Fall. Wenn wir über Männlichkeit sprechen, sprechen wir nicht nur über Dominanz und Herrschaft, sondern vor allem auch über Unterwerfung. Man muss sich dann zwar den Männlichkeitsanforderungen unterwerfen, und besonders auch dem Staat und dem Kapital. Doch Faschismus ist in dieser Hinsicht dennoch ein attraktives Angebot, obwohl der Faschismus eigentlich noch stärker mit dieser Unterwerfung arbeitet. Allerdings bietet der Faschismus für Männer gleichsam auch viel grössere Möglichkeiten zur Herrschaft und Dominanz über andere. Der Faschismus stellt sich nämlich als Weg zur Stärke und Erneuerung dar und bietet Männern die Möglichkeit, ausgesuchte Minderheiten – in der Regel nach rassistischen, sexistischen und antisemitischen Linien – zu verfolgen und zu unterwerfen und als minderwertige und schwächende Personen (zu sich) zu definieren. Die eigene Selbsterhöhung nimmt Männern die Skepsis an dieser Herrschaft und wirkt dadurch besonders attraktiv.

Und durch die multiplen Krisen des Kapitalismus und die widersprüchliche Modernisierung der letzten Jahre, wird das Versprechen des Faschimus für Männer nur noch verstärkt. Speziell mit der Integration von Frauen in den kapitalistischen Arbeitsmarkt und ihrem Recht als selbstbestimmte Bürger:innen im kapitalistischen Sinne wird die Widersprüchlichkeit der patriarchalen Erwartung an Frauen als “Gebärmaschinen des Staates” und «Diener*innen der Männer» ersichtlicher. Daraus ableitend lässt sich auch teilweise erklären, weshalb (junge) Männer eher rechts und Frauen eher linksgrün wählen. Das entspricht jeweils eher ihren Interessen.

Incels sind da ein besonderes Phänomen. Sie haben das stark ausgeprägte Verständnis, dass sie, weil sie Männer sind, den Anspruch auf vergeschlechtlichte weibliche Körper und Arbeit haben und gleichzeitig sind sie mit einer Realität konfrontiert, die so nicht mit ihren Vorstellungen übereinstimmt. Speziell in Bezug auf romantische Beziehungen und den Dating-Markt erleben Männer allgemein ein eher neues Phänomen, wobei “romantische” und eheliche Bindungen nicht mehr ausschließlich auf Grund sozialer oder familiären Verbindungen oder ökonomischer Abhängigkeit eingegangen werden. In diesem postmodernen Dating-Markt werden Männer plötzlich selbst zu Objekten, die sich für den Markt herrichten müssen und von Frauen und FINTAs bewertet werden dürfen. Und Incels geben Frauen die Schuld daran und wollen sie in manchen Fällen dafür töten. Dass die Reaktion auf «Nicht begehrt werden» und «(Sexual-)Objekt für andere sein» in einem solchen Ausmass der vergeschlechtlichten Gewalt endet, sagt meiner Meinung nach sehr viel über Männlichkeit an sich aus.
Denn das Teilen Incels mit allen anderen Männern: In der Regel wird nicht gegen die Gesellschaft gekämpft, die diese ganzen (Männlichkeits-)Anforderungen aufstellt, sondern Frauen werden dafür gehasst, dass sie einem nicht dabei dienen diese Anforderungen zu erfüllen.

ZL: Gibt es noch etwas, was du Genossen konkret auf den Weg geben möchtest?
KP: Ja. Wenn die Genossen von sich meinen, dass sie einen feministischen Anspruch haben, also nicht nur eine moralische Begründung im Sinne von «Feminismus-Daumen hoch», Sexismus und Sexualisierte Gewalt-Daumen runter», dann muss man(n) bei sich anfangen. Da, wo man lebt, wo man organisiert ist, wo man arbeitet. Dort beginnen, Männlichkeits- und in Männerbündischen Strukturen zu erkennen und zu bekämpfen.

Und ich kann Ihnen versprechen, dass sie dabei auf Widersprüche und Widerstände stoßen werden, die sie auch mit der eigenen Männlichkeit und Männerbündelei konfrontieren werden. Sich selbst als Mann zu verändern, braucht man dann nicht mehr als ausgesuchtes Programm, das wird so einfach zu einer Notwendigkeit.


Alwa Alibi (2022): Chline Bueb. Vo müede Fisch und stiue Ching.

Chline Bueb, irgendeinisch wirsch du verstah, dass die Wuet uf Angscht berueht und din Vater selber Angscht hett gha. Glaub niemerem, wo seit, du wirsch e starche Mah. Du blibsch chli ih dim Herz und blibsch fiin, wenn du lehrsch, s’Patriarchat isch e Lügi, wo dir d’Liebi verwehrt. Ih gseh, s’tuet weh, wenn du d’Wörter nid fingsch, wenn du dis Herz nid versteisch. Will du nie hesch dörfe lose, nie hesch dörfe rede. Träne sind für Loser und de Pauseplatz kompromislos. […] Chline Bueb, schön bisch du no da jetzt. Wenn du nöd wotsch, muesch du nie eh Mah si. Chline Bueb, es chunnt Grosses uf die zue.

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