Angesichts der sich verstetigenden, mittlerweile für uns alle spürbaren Krisenhaftigkeit des Kapitalismus wird die notwendige Überwindung dieses Wirtschaftssystems dringender denn je. Reaktionäre und neoliberale Autoritarismen stellen sich vielerorts als Alternative zum krisenhaften Status Quo auf und der antifeministische Backlash gewinnt an Zulauf. Auch deshalb müssen sich die emanzipatorischen Bewegungen – insbesondere auch die feministische – wieder damit auseinandersetzen, wie eine nicht-kapitalistische Welt aussehen könnte – und wie wir dahin kommen. Wir wollen eine feministische Gesellschaftsvision aufzeigen, die vereinen soll, und über das kapitalistische System hinausweist.
Wir nehmen den 14. Juni 2023 zum Anlass, die Gründe für einen feministischen Streik aufzuzeigen, und Aktivitäten an und ausserhalb unserer Arbeitsorte zu entwickeln. Unsere Mobilisierung stellt die Arbeitsniederlegung als Machtmittel der Lohnabhängigen ins Zentrum, zeichnet Konturen einer anderen Welt und soll Interessierten Anschlussmöglichkeiten bieten. Insofern ist diese Kampagne ein Prozess: Wir werden diese Seite fortlaufend mit Inhalten, Aktionen, Veranstaltungen und Ideen füllen. Meldet euch bei uns, falls ihr euch beteiligen wollt!
… denn Gründe zum Streiken gibt’s genug:
Krise der sozialen Reproduktion – Mehr Zeit für Sorgearbeit und Fürsorge
Wir befinden uns mitten in einer Krise der sozialen Reproduktion, denn wir haben weder privat Zeit und Kraft, um für uns und unsere Nächsten zu sorgen, noch wird gesellschaftlich genug Geld aufgewendet, um den Care-Bereich nachhaltig zu finanzieren. Dies führt zu einer ständigen Verschlechterung der Versorgungslage sowie zur Doppel- und Dreifachbelastung von Care-Gebenden.
Angesichts der Krise der sozialen Reproduktion, die durch Klimakrise, Energiekrise, Pandemien und Neoliberalismus verschärft wird, brauchen die Tätigkeiten (bezahlt und unbezahlt), welche die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die Gesundheit und die Lebensmöglichkeiten bewahren, mehr Zeit. Deshalb ist eine unserer zentralen (Übergangs-)Forderungen eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei gleichbleibendem Lohn. Erst wenn wir nicht mehr nur mit unserer ökonomischen Existenzsicherung absorbiert sind, können wir alle Kollektivitätsgefühl, Musse und Kreativität entwickeln, um eine “andere” Welt vorstellbar zu machen – und dafür zu kämpfen.
Denn wir müssen die kapitalistische Logik über den Haufen werfen und die Sorge und Fürsorge zueinander und zur Umwelt ins Zentrum unseres Handelns, Produzierens und Lebens stellen. Nur in einer Welt, in der eine breite Definition von Care – auch als Sorge um unsere Umwelt – im Zentrum steht, gibt es Hoffnung auf eine Zukunft, die ein sichereres, friedlicheres, stabileres, fürsorgliches Leben für uns bereithält.
Produktion – Produktion für die Bedürfnisse Aller statt nur für Profit
Wir müssen weniger produzieren, weil wir weniger brauchen und weniger arbeiten wollen. In einer Welt mit endlichen Ressourcen und angesichts der jetzt schon zerstörerischen Realität der Erderwärmung kann die Güterproduktion nicht weiter wachsen. Stattdessen müssen die Güter neu und gerecht verteilt werden – und das weltweit.
So darf es beispielsweise einfach keinen Fast-Fashion-Bereich mehr geben, in dem über 50 Prozent der hergestellten Kleidung innerhalb von einem Jahr ersetzt wird. Diese Kleidung ist nur für schnellen und stetigen Profit geschaffen und eben genau darauf ausgelegt, möglichst schnell wieder ersetzt zu werden. Kleidung ist aber kein Einzelfall, sondern Teil des einzig auf die Teilnahme durch Konsum ausgerichteten Systems. Gleiches gilt für Elektronik, Möbel oder Marketing.
Statt kapitalistischer Produktion wollen wir eine, die sich nach unseren Bedürfnissen richtet. Das erfordert, dass wir als Gesellschaft demokratisch über die Produktion bestimmen. So könnten wir Nachhaltigkeit über Profitinteresse setzen. Wenn beispielsweise Autos nicht mehr gebraucht werden, weil der öffentliche Verkehr umfassend ausgebaut und gratis geworden ist, können in der Autoindustrie andere, nachhaltige Güter produziert werden.
Es gilt, diesen Umbau auch sozial nachhaltig zu gestalten, sodass niemand zurückgelassen wird. Liberale (oder auch sozialdemokratische) Antworten wie ein Green-New-Deal, welche den Konsum-Standard erhalten wollen, können keine Lösung für die Klimakrise sein.
Privateigentum – Kollektivierung von Vermögen und Produktionsmitteln
Angesichts der diversen Krisen, wie Klimakrise, Teuerung und Kriegen wird bei einem Grossteil der Bevölkerung der Unmut gegenüber dem Kapitalismus immer stärker. Wir leben in einem System, in dem ein Viertel des gesamten Reichtums einem Prozent der Menschen gehört; in einem System, in dem Vermögen hauptsächlich durch Erbe weitergegeben wird; in einem System, in dem die Schere zwischen Arm und Reich stetig weiter aufgeht und dies von der zuständigen Politik weiter vorangetrieben wird.
Und solange diejenigen, die Vermögen besitzen, dieses investieren, um noch mehr Reichtum anzuhäufen, wird dort investiert, wo am meisten Profit abgeschöpft werden kann – das heisst: in fossile Energie und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse. Diese Dynamik kann nur durchbrochen werden, wenn der Reichtum umverteilt und Entscheidungen über Investitionen basis-demokratisch getroffen werden.
Denn wir brauchen durchaus grosse Investitionen, um von den fossilen Energieträgern wegzukommen. Das Geld dafür ist da, es muss aber von den Besitzenden geholt werden und auch dafür eingesetzt werden. Denn angesichts der schon jetzt zerstörerischen Folgen der Klimakatastrophe braucht es Geld: Geld für den Wiederaufbau ganzer Gebiete; Geld für Reparationszahlungen im Sinne der Klimagerechtigkeit; Geld für den Auf- und Ausbau von Infrastruktur, welche auch während Katastrophen Zugang zu den nötigsten Grundbedürfnissen sichert.
Deshalb muss das Privateigentum an Vermögen, Immobilien und Produktionsmitteln abgeschafft und der Reichtum sozial und global verteilt werden, sodass die Entscheidung über Investitionen eine gesellschaftliche ist, die sich nicht nach Profitinteressen, sondern nach den ökologischen Notwendigkeiten und sozialen Bedürfnissen richtet.
Arbeit – Reproduktion vor Produktion
Gesellschaftlicher Reichtum wird durch unsere Arbeit(skraft) und die Ausbeutung der Natur produziert. Unsere Arbeitskraft wird für sinnlose Produktion und Mehrwertanhäufung ausgebeutet, anstatt dass wir sie für gesellschaftliche Bedürfnisse einsetzen können. Da wir es sind, die arbeiten, gibt dies uns aber auch die Macht, mit der Arbeit aufzuhören, zu streiken und dadurch Veränderungen in den Eigentumsverhältnissen, der Produktion und Reproduktion in Gang zu setzen.
Denn Veränderungen braucht es: Wir können und wollen mit unserer Arbeitskraft nicht mehr Produkte herstellen, die einzig der Profitmaximierung Weniger dienen. Niemand braucht Luxusgüter, Anlageberater:innen oder Werbeprofis. Stattdessen müssen wir kollektiv entscheiden, für was wir unsere Arbeit aufwenden wollen. Wir brauchen mehr Menschen in der Care-Arbeit und auch in der Landwirtschaft, wenn wir von der industriellen Landwirtschaft wegkommen und die Ernährung mit biologischer und fairer Landwirtschaft sichern wollen. Wir müssen die Reproduktion eines guten Lebens für alle vor die profitorientierte Produktion stellen, ihr mehr Zeit und Wertschätzung beimessen. Wir brauchen eine massive Aufwertung der Reproduktionsarbeit. Arbeit muss gesellschaftlich sinnvoll und individuell sinnstiftend sein.
Geschlecht – Für eine Welt, in der Geschlecht nicht mehr unsere Leben bestimmt
Unsere gesellschaftliche Arbeitsorganisation basiert unter anderem auf der Teilung und Zuweisung von Arbeiten, Zuständigkeitsgebieten, Räumen und sozialen Rollen nach Geschlecht. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung basiert auf der Einteilung der Menschen in zwei Geschlechter: Männer werden zur Norm erklärt und Frauen als das Andere abgewertet.
Wir wollen eine Welt, in der wir alle, unabhängig von Geschlecht, ein besseres Leben frei von Zwang, Gewalt und Abwertung führen können.
Unsere Entfaltung als Menschen soll nicht von gesellschaftlich konstruierten binären Geschlechterrollen und deren gewaltsamen Durchsetzung behindert werden.
Gewalt – Gemeinschaft und Solidarität statt Grenzen und Gewalt
Gewalt hält Ungleichheit und Ausbeutung aufrecht. Sowohl rassistische Polizeigewalt, militarisierte Grenzregimes, sexualisierte Gewalt im Haus oder auf den Strassen, Gefängnisse, Entrechtung von Migrant*innen, Verwehrung des Rechts auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper, usw.: Alle diese Formen der Gewalt dienen der Aufrechterhaltung von Unterdrückung, von Eigentumsverhältnissen, der Geschlechterordnung und der internationalen Arbeitsteilung.
Das Militär und die Polizei, welche in bürgerlichen Demokratien das Gewaltmonopol innehaben und die Interessen der Besitzenden vertreten, sind dazu da, dieses System der Ungleichheit durchzusetzen und zu verteidigen. Sie können nicht reformiert werden, sondern gehören gänzlich abgeschafft. Gesellschaftliche Sicherheit lässt sich nur auf demokratische und solidarische Art und Weise organisieren.
Die grösste Zuspitzung staatlicher Gewalt und Kontrolle über unsere Körper und Leben sehen wir in Kriegen. Auf der ganzen Welt führen imperialistische Staaten Kriege. Kriege gegen imperialistische Rivalen, gegen andere Staaten, gegen selbstverwaltete Gebiete, gegen die eigene Bevölkerung, Kriege um Einflusszonen, Kriege um Territorien, Kriege um Rohstoffe und Absatzmärkte. Krieg bedeutet immer eine besondere Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen aller Lohnabhängigen und insbesondere einer Intensivierung von Gewalt gegen Frauen und (gender-)queere Personen. Krieg und Krise zeigen uns, dass es notwendiger ist denn je, anstatt kapitalistischer Konkurrenz und aufrüstenden Staaten, Solidarität und Gemeinschaft aufzubauen – eine feministische Solidarität, die Grenzen überwindet und abschafft und internationalistisch gegen Krieg, Kapital und Patriarchat kämpft.
Für einen antikapitalistischen Feminismus, gegen liberale Scheinlösungen
Wir lehnen (neo-)liberale Formen von Feminismus (lean-in; glass-ceiling, etc.) ab. Diese schwächen emanzipatorische Bestrebungen, indem sie einerseits gewisse Zugeständnisse im kapitalistischen System eröffnen und andererseits intersektionale, progressive Ansätze vereinnahmen und korrumpieren. Sie machen feministische Errungenschaften nur für einen privilegierten Teil der vom Patriarchat unterdrückten Personen möglich. Der Instrumentalisierung von Frauenrechten durch die rassistische und fremdenfeindliche Rechte sagen wir den Kampf an, denn sie ist Teil einer antifeministischen, reaktionären, rassistischen Strategie. Sowohl liberale als auch rechte Formen von “Feminismus” gehören auf den Müllhaufen der Geschichte.
Unser Feminismus ist antikapitalistisch und revolutionär. Denn die Geschlechterverhältnisse sind Teil der sozialen Verhältnisse im Kapitalismus. Frauen, Inter-, Non-binäre-, Trans- und Agender Personen sind nicht halbtags von patriarchalen und halbtags von kapitalistischen Strukturen betroffen, sondern beides gleichzeitig. Die Verhältnisse sind untrennbar miteinander verwoben. Unser Feminismus trägt dem Rechnung. Für uns sind deshalb emanzipatorische Kämpfe gegen unterdrückerische, ausbeuterische und rassistische Verhältnisse immer auch feministische Kämpfe. Und feministische Kämpfe müssen immer auch solche gegen Unterdrückung und Ausbeutung aufgrund von Klasse, Rassifizierung oder weiteren Formen sozialer Differenzierungen sein. Feminismus geht uns alle an – auch cis-Männer dürfen sich nicht länger aus der Verantwortung ziehen. Gegenseitige Unterstützung, die über simple Solidaritätsbekundungen hinausgeht, soll unser Handeln bestimmen. Wir gehen dabei nicht von einer homogenen unterdrückten Gruppe (Klasse) aus, basieren unseren Aktivismus aber auch nicht einzig auf unsere Differenzen. Wir wollen vielmehr in unserer Differenz nebeneinander stehen, voneinander lernen und gemeinsam für die feministische Revolution kämpfen.