Die marxistische politische Ökonomie fragt gewöhnlich nach den Interessen und den dahinter stehenden Klassen. In der Praxis verfallen Sozialisten meist in ein simples Muster: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.
von Birger Scholz
In der Zypern-Krise hat die Linksfraktion den Entschluss des zypriotischen Parlaments, die Kleinsparer nicht zu besteuern, als Akt des Widerstands gegen ein neokoloniales EU-Diktat glorifiziert. Es ist aber das gleiche Parlament, das in den letzten zehn Jahren im Konsens aller Parteien, einschließlich der «kommunistischen» AKEL, Zypern zum Offshore-Finanzzentrum ausbaute.
Geschäftsgrundlage war Steuerdumping in Kombination mit der Anlage von legalem bis illegalem Fluchtgeld aus Russland und Europa. Im Jahr 2008, dem letzten Jahr vor der großen Krise, lag das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Zyperns pro Kopf über dem von Brandenburg. Die Kernsegmente der Arbeiterklasse waren in diesen korporatistischen Deal durch niedrigste Einkommensteuersätze, hohe Löhne und sozialstaatliche Sicherung eingebunden. Ende 2012 betrugen die Verbindlichkeiten des aufgeblähten Bankensektors 718% des zypriotischen BIP.
Ein Nebeneffekt dieses Geschäftsmodells war auch eine Immobilienblase, befeuert durch russische Steuerflüchtlinge, und damit einhergehend eine explodierende Verschuldung der privaten Haushalte. Nach dem Platzen der Blase und den enormen Abschreibungen durch die Umschuldung Griechenlands war das zypriotische Bankensystem de facto insolvent.
In den USA wurden in den letzten Jahren dutzendfach insolvente Banken kontrolliert abgewickelt. Aber genau diese Lösung wollte die zypriotische Regierung mit aller Macht verhindern und verteidigte ihr finanzmarkt- und schwarzgeldgetriebenes Akkumulationsregime mit Zähnen und Klauen. Noch im Februar wies der ehemalige AKEL-Finanzminister Vassos Shiarly alle Forderungen nach Beendigung des Steuerdumpings, das von der OECD als ein System «doppelter Nichtbesteuerung» charakterisiert wird, kategorisch zurück.
Dabei ist eine kontrollierte Abwicklung, bei der alle Sparguthaben unter 100.000 Euro gesichert werden, unvermeidlich. Die Restbanken können dann zum notwendigen Kerngeschäft zurückkehren und mit Krediten Investitionen in die Realwirtschaft finanzieren. Wenn aber die zypriotischen Banken um jeden Preis gerettet werden sollen, ist es nicht Aufgabe der EU, hierfür unbegrenzten Kredit zur Verfügung zu stellen. Die Forderung nach einem Eigenbeitrag Zyperns in Verbindung mit einer Bilanzreduzierung war daher im Kern völlig in Ordnung.
Ein riesengroßer Fehler war sicherlich, die EU-weit garantierten Sichteinlagen unter 100.000 Euro mit moderaten 6,75% besteuern zu wollen. Erstens aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit, aber zweitens weil dies zu einer schleichenden Verlagerung der Sparguthaben breiter Schichten der Bevölkerung aus den EU-Peripherieländern nach Kerneuropa führen könnte. Von einem südeuropäischen Run auf die Banken ganz zu schweigen.
Dies war das zentrale Argument fortschrittlicher Ökonomen wie Horn, Stiglitz oder Flassbeck gegen die nächtliche Entscheidung des Euro-Gipfels. Doch schon in dieser Sitzung hätte die zypriotische Regierung alle Sparguthaben unterhalb der Einlagensicherung zulasten der großen Guthaben ausnehmen können. Sie hat dies nicht getan, weil ihr oberstes Interesse darin bestand, das zypriotische Geschäftsmodell (und auch dessen Arbeitsplätze) zu retten. Ausnahmsweise kann man im Fall Zyperns der EU auch nicht vorwerfen, die eigenen Großbanken zu schützen. In Irland hatte die EZB massiven Druck aufgebaut und durchgesetzt, dass die irische Regierung die Halter der Bankanleihen nicht an den Kosten der Restrukturierung beteiligt. Den deutschen und englischen Großbanken waren so enorme Verluste erspart geblieben. Doch im Gegensatz zu den irischen Banken refinanzieren sich die zypriotischen Banken kaum über Anleihen, sondern ganz klassisch über Einlagen.
Daher läuft die Forderung der Linksfraktion, die Inhaber von Bankanleihen an den Kosten der Sanierung zu beteiligen, ins Leere. Ein Blick in die EZB-Statistik zeigt dies: Das Volumen aller Bankanleihen betrug im Dezember 2012 nur 1,7 Mrd. Euro. Dies entspricht 1% aller Bankverbindlichkeiten, wovon ein Teil inländischen Gläubigern wie Pensionsfonds gehören dürfte. Auch die Forderung der Linksfraktion, alle zypriotischen Sparer und Unternehmen bis 500.000 Euro von jeglicher Haftung auszunehmen, zeugt von erschreckender Unkenntnis der Verteilungsverhältnisse und Funktionsweise des Steuerparadieses.
Bekanntlich haben 200.000 Briefkastenfirmen aus rein steuerlichen Gründen ihren Sitz in Zypern. Nach dem Vorschlag der Linksfraktion würden deren Guthaben ebenfalls bis zur Höhe von 500.000 Euro nicht angetastet. Wie dann aber noch relevante Summen zur geforderten Teilsanierung und Schrumpfung zusammen kommen sollen, erschließt sich mir nicht. Darüber hinaus ist der Vorschlag komplett europarechtswidrig, weil es keine Diskriminierung der nichtzypriotischen EU-Bürger (wie beim isländischen Bail-in) geben darf.
Dabei hat die Linksfraktion mit der Forderung nach Schrumpfung des Bankensektors recht. Die Beteiligung der Einlagen über 100000 Euro ist hierfür jedoch unerlässlich und auch gerecht, zumal das Zinsniveau weit über EU-Durchschnitt lag. Richtig sind auch die zugleich beschlossenen Erhöhungen der Körperschaft- und Grundsteuer und erstmalige Einführung einer Kapitalertragsteuer. Die Ungerechtigkeit besteht vielmehr in den von der Troika geforderten Lohn- und Rentenkürzungen im öffentlichen Sektor von bis zu 12,5%, Erhöhung der Mehrwertsteuer, Einsparungen im Gesundheitssystem sowie umfangreichen Privatisierungsauflagen. Statt die griechische Tragödie zu wiederholen, benötigt Zypern EU-Hilfen zur antizyklischen Stärkung der Realökonomie und Abfederung der Schrumpfung des Finanzsektors.
Aus: SoZ Nr. 04/2013