Erschienen am 18.10.13 auf der NAO-Homepage. Von Tino P., Michael Sankari
Der Anführer der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte, Nikos Michaloliakos,
der zusammen mit anderen Parlamentarien und Führungskadern dieser Partei, am 28. September 2013 vorübergehend verhaftet wurde.
Drei Dinge sind völlig klar. Erstens, der Faschismus und die Faschistisierung der griechischen Gesellschaft sind heute eine reale Gefahr, die mit aller Kraft von der Linken erkannt und bekämpft werden muss. Ein Sieg dieser Kräfte hätte in Griechenland UND in allen südeuropäischen Ländern fatale Folgen.
Zweitens, die Goldene Morgenröte wird wie damals in Deutschland von einem signifikanten Teil des griechischen Bürgertums klammheimlich und massiv unterstützt. Dabei schüren diese Kräfte um die Regierung Samara die alte und demagogische Floskel des “Les Extrêmes se touchent”, wonach die beiden Extreme auf der Linken und auf der Rechten sich berühren, also von der gleichen Qualität seien.
Drittens, die faschistischen Tendenzen müssen, wie es damals in Deutschland auch notwendig gewesen wäre, in der gegenwärtigen Phase in Griechenland POLITISCH bekämpft werden (und nicht etwa durch bewaffnete Arbeitermilizen, wie ultralinke Gruppen z. B. rund um ANTARSYA und anderswo dies “propagandistisch” verkünden). Dies heisst für uns, breiteste Aktionseinheiten gegen die faschistischen Kräfte bis tief ins liberal-bürgerliche Milieu hinein und gleichzeitig vertiefte Bündnispolitik zwischen den linken Strömungen, die sich auf die Lohnabhängigenklasse berufen, um Schritte auf dem Weg zu einer glaubwürdigen antikapitalistischen Perspektive aufzuzeigen und damit zu einem Politisierungsprozess breiterer Bevölkerungsteile beitragen. Zum politischen Kampf gehören auch ZIVILE Selbstverteidigungskomitees mit seriöser Basisarbeit in den Stadtteilen. Der richtige Ansatz dazu sind zurzeit die vor allem in Athen entstehenden Selbstverteidigungskomitees , um den Faschisten den Zutritt zu den Schulen und den Immigrantenvierteln zu versperren.
Massenproteste sowohl gegen die Regierung wie auch gegen die “Goldene Morgenröte” sind nötig. (Archivbild einer grossen Demonstration vor dem Palament in Athen)
Bericht über das antirassistisches und antifaschistische Festival in Athen vom 05. und 06. Oktober 2013 von Michael Sankari
Das antirassistische Festival, das von dem linken Syriza-Flügel mitorganisiert wurde, wurde dieses Jahr überschattet von der Ermordung eines antifaschistischen Aktivisten und Rapers. Das war der erste Mord an einem “weissen”, nicht-migrantischen Linken in Griechenland durch einen der faschistischen Goldenen Morgenröte zumindest nahe stehenden bekannten Rechten und die darauf folgende Reaktion der Regierung prägten die Diskussionen vor Ort.
Die Genossinnen und Genossen der in Syriza wirkenden revolutionären Strömungen, die im Red Network, dem sogenannten Rprojekt zusammengeschlossen sind, berichteten, dass in den ersten Tagen nach dem Mord die größten bisher erfolgten antifaschistischen Mobilisierungen – an einem landesweiten Aktionstag waren 200.000 Menschen gegen die faschistische Gefahr auf den Straßen – davon die meisten unorganisierte, junge Menschen, die ihre aufrichtige Empörung auf die Strasse trugen. Unter anderem stellt sich die Frage, wie man sich auf die staatlichen, bzw. seitens der Regierung eingeleiteten Schlägen gegen die Goldene Morgenröte reagiert – zumal gleichzeitig eine griechische Variante der alten Totalitarismustheorie aufgekocht wird, nach der die “beiden Extreme sich berühren”, die faschistische Goldene Morgenröte also ein logischer Zwilling der revolutionären Linken sei – und damit ebenso wie sie zu behandeln wäre.
Die Regierung Samara geht nur scheinbar martialisch gegen die faschistische Goldene Morgenröte vor. Hier die Verhaftung des Führungsmitgliedes Christos Pappas am 29. September
Auch unter den Mitgliedern dieser faschistischen Organisation soll es als Reaktion eine zügige, teils panische Bewegung geben – so wenden sich erhebliche Teile der Mitgliedschaft ab und versuchen sich regelrecht zu verstecken aus Angst vor Repression einerseits, andererseits aber auch weil sie tatsächlich nicht mit dieser ausgeprägten Qualität von Gewalt mitgehen wollen. Zugleich radikalisiert sich wiederum ein anderer Teil dieser Bewegung und stellt sich auf noch wesentlich brutalere und regelrecht militärisch ausgetragene Auseinandersetzung mit ihren Gegner ein, bzw. bereitet diese Auseinandersetzung praktisch vor.
Zum Einen also logisch, dass man die neue Situation erst genügend untersuchen muss, zum Anderen fehlt dafür die Zeit, denn die Dinge entwickeln sich in Griechenland auch schon durch die Folgen der Abwälzung der Krisenlasten auf die breite Bevölkerung rasant und zeigt sich im Alltag der Menschen durch immer neue Varianten, die jede für sich genommen auch gar nicht mehr diskutiert werden.
In dieser Situation war die Einladung zu einer Podiumsdiskussion von offensichtlich größerer Bedeutung als sie vor einigen Wochen gewesen wäre. Die Podiumsdiskussion fand im Rahmen des Antirassistischen Festivals statt, welches maßgeblich von einer selbstorganisierten Sprachschule für in Griechenland ankommende Migrantinnen und Migranten, Rprojekt (also des organisierten Linken Flügels von SYRIZA) sowie einer Vielzahl von einzelnen antirassistischer Initiativen und Migrantenorganisationen, organisiert wurde. Andere Diskussionsrunden befassten sich unter anderem mit dem Thema Syrien, Homophobie, etc.
Neben mir, der ich über die NaO-Berlin eingeladen wurde, saßen ein französischer Kollege der Gewerkschaft SUD und ein Genosse aus Italien, der seinerseits über die Entwicklung der faschistischen Gefahr in seinem Land aus Sicht der Sinistra Critica berichtete. Um es Vorweg zu nehmen: Auffällig war, dass alle von der Strategie der Faschistinnen und Faschisten berichteten, sich durch gründliche Basisarbeit in Wohngebiete und Stadtteile einzugraben und zu verankern. In Italien wird diese bewusste Taktik der Ultrarechten scheinbar noch durch verschiedene staatlichen Gelder finanziell gefördert und unterstützt.
Der Schwerpunkt des Französischen Kollegen lag in der Darstellung der Entwicklung einer gewerkschaftlichen Aktionsfront gegen die Front National durch ein Bündnis von SUD, CGT, CFDT.
Mein eigener Beitrag befasste sich hauptsächlich mit der Notwendigkeit einer flexiblen und immer möglichst breit angelegten Taktik gegen die faschistische Gefahr anhand von historischen und aktuellen Erfahrungen.
Leider wurde, wie konnte es anders sein, die angepeilte Redezeit kaum eingehalten und ein drei- bzw. viersprachiges Podium ist – auch bei wirklich professioneller Übersetzung – eine Herausforderung an die Konzentration. Die gewünschte Diskussion danach wurde durch sehr lange und nach Aussagen der Übersetzerin phrasenhaften Beiträge eines SYRIZA-Abgeordneten und eines Genossen aus ANTARSYA noch zusätzlich abgekürzt.
Deutlich wurde jedoch, dass es eben unter dem Eindruck der Krise und des Verhaltens der Regierung erhebliche Vorbehalte gegen eine breite, bis ins bürgerliche Lager reichende Front gegen den Faschismus gibt. Die Frage, wie man in dieser zugespitzten Situation mit seinen bürgerlichen oder auch sozialdemokratischen Gegner zusammenarbeiten könne, wurde offen gestellt – und die Möglichkeit dazu offenbar eindeutig verneint.
In den vielen Einzelgesprächen mit Aktivistinnen und Aktivisten aus den verschiedensten Organisationen wurde mir erschreckend klar, dass die Resignation in dieser Situation von hinten kommt und doch nicht so einfach zu überwinden sein wird. In den Diskussionen um das “Wie weiter?” wurden die verschiedenen Perspektiven (Regierung unter Syriza, revolutionäre Entwicklung, Entwicklung der Kämpfe allgemein) skizziert und als absolut reelle Option in Betracht gezogen. Gleichzeitig hat wirklich Jede und Jeder im Gespräch mit mir betont, dass die Sache so oder so blutig enden würde, denn die Reaktion auf eine solche Entwicklung wird nicht auf sich warten lassen und man wird sich dann schnell einer organisierten Front von EU-Politik, dem griechischen Bürgertum und faschistischer Handlanger ausgesetzt wissen. Das aus den eigenen, nationalen Kräften zu verhindern, scheint unmöglich. Das sollte Ansporn genug sein, hier die Anstrengungen für einen Gegenpol gegen die vorherrschende Stimmungsmache und Krisenpolitik zu entwickeln und dabei den internationalen Austausch zu verstärken.
Mir persönlich hat die Kurzreise noch einmal die Bedeutung des Aufbaus einer revolutionären Organisation aufgezeigt, die eine solche Situation richtig analysieren und bewerten kann, gleichzeitig handlungsmächtig bezogen auf die innere Einheit und den äußeren Machtkampf ist. Es gilt wohl hier an diesem Punkt die Resignation abzulegen…..