Mit der sich zuspitzenden kapitalistischen Wirtschaftskrise bekommen rechtsextreme und faschistische Parteien in ganz Europa Aufwind. Faschismus scheint für breite Bevölkerungsschichten als Ausweg aus der Krise in Frage zu kommen. Die herrschenden Parteien und die staatlichen Repressionsapparate greifen im Kampf gegen Streiks und Demonstrationen zunehmend auf die Hilfe von faschistischen Schlägertrupps zurück. Besonders in Ländern wie Griechenland, wo die Krise besonders stark zu spüren ist, scheuen sich die besitzenden Klassen nicht ihr Eigentum mit Hilfe der Neonazis zu verteidigen. Kombiniert mit einer staatlich geschürten, xenophoben Spaltungspolitik machen die herrschenden Kreise in Politik und Wirtschaft den Faschismus wieder salonfähig.
von BFS Zürich
In Griechenland ist seit den vorgezogenen Parlamentswahlen vom 6. Mai und 17. Juni 2012 die Neonazi-Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte), auf dem Vormarsch: Sie vermochte im Mai 440’966 Stimmen (7%) und im Juni 426’025 Stimmen (6,9%) auf sich zu vereinen. Seither verfügt sie über 18 Sitze in einem 300 Abgeordnete zählenden Parlament. Am 7. November 2010 erzielte sie bei den Athener Kommunalwahlen 5,3% der Stimmen und sicherte sich damit zum ersten Mal einen Sitz im Stadtrat. In einigen Quartieren beliefen sich ihre Wahlresultate gar auf 15 bis 20%. Im Januar 2013 ergaben Umfragen zu den Wahlabsichten 10% für Chrysi Avgi.
Um diesen politischen Aufstieg zu erklären, genügt es nicht, sich einfach auf die schwere soziale Krise im Zusammenhang mit den drei verheerenden Austeritätsplänen zu beziehen, die der griechischen Bevölkerung von der Troika (EU, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfond) sowie ihren politischen Verbündeten in Griechenland, der Regierung Antonis Samaras von Nea Dimokratia, aufgezwungen wird. Letztere beruht auf einer Koalition mit der sozialdemokratischen Pasok und der Demokratischen Linken (Dimar).
Ebenso genügt es nicht, den Erfolg von Chrysi Avgi einfach ihrer Politik und ihren verbrecherischen Angriffen gegen MigrantInnen im Kontext einer rekordhohen Arbeitslosenrate von 27,2% (Januar 2013) der aktiven Bevölkerung und 59,2% der Jungen zwischen 15 und 24 Jahren zuzuschreiben. Um Chrysi Avgi im sozialen und institutionellen Kontext Griechenlands verorten zu können, ist es notwendig, einen Blick auf die Geschichte zu werfen.
Ihre politisch-institutionellen Wurzeln
Die formelle Gründung von Chrysi Avgi geht auf die Veröffentlichung einer Zeitschrift mit dem gleichnamigen Titel im Dezember 1980 durch eine Gruppe um Nikolaos Michaloliakos (einem ehemaligen Reserveoffizier der griechischen Armee) zurück. Nikolaos Michaloliakos war Mitglied einer faschistischen Organisation – der Bewegung des 4. August – die in den 1960er-Jahren gegründet wurde. Er war auch Gefolgsmann des Beraters von Georgios Papadopoulos, dem führenden Kopf der Militärdiktatur (1967-1974). Nikolaos Michaloliakos, der nach dem Sturz der Junta im Gefängnis landete, arbeitete mit Georgios Papadopoulos und anderen hohen Militärs zusammen, die im Gefängnis die Nationale Politische Union (EPEN) gründeten, welche das Projekt der Junta weiterführen sollte. Dieses Netzwerk bezog sich, ebenso wie Chrysi Avgi heute, auf die nationalistische und autoritäre Ideologie des Generals und Diktators Ioannis Metaxas, der an der Spitze des sogenannten Regimes des 4. August (1936-1941) stand.
Die Bezüge zum Nationalsozialismus sind allgegenwärtig. So wird Adolf Hitler von der Partei als „grossen Sozialreformer“ und „militärisches Genie“ bezeichnet. Am 18. August 1987, anschliessend an den Selbstmord von Rudolf Hess am 17. August – der Stellvertreter Hitlers, der in den Nürnberger Prozessen zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt worden war – verteilten Mitglieder von Chrysi Avgi eine Flugschrift mit dem Titel „Der unsterbliche Rudolf Hess“. Im selben Jahr schrieb Nikolaos Michaloliakos einen Artikel mit dem Titel „Hitler für Tausend Jahre“. Die Bezeichnung „Neonazi-Partei“ ist also durchaus gerechtfertigt.
Nachdem Chrysi Avgi die „judeochristlichen“ Ideologien, den Marxismus und den Liberalismus denunziert hatte, wandte sich die Partei dem griechisch-orthodoxen Christentum zu, um die antiken hellenischen Werte und die „weisse Rasse“ zu verteidigen. Die Zusammenarbeit mit einem Teil der Orthodoxen Kirche spielt eine zentrale Rolle in der politischen Praxis von Chrysi Avgi.
Gewalt als zentrale politische Praxis
Die ersten gewalttätigen Aktionen begannen anfangs der 1990er-Jahre unter dem Kommando von Jannis Jiannopoulos, einem ehemaligen Offizier, der in den 1980er-Jahren in der Afrikaaner Widerstandsbewegung, einer rechtsextremen Burenbewegung in Südafrika, aktiv war. Auch reihten sich Mitglieder von Chrysi Avgi (die Griechische Freiwilligeneinheit) in den 1990er Jahren in die Drina-Sektion der serbischen Armee ein. Einige von ihnen waren beim Massaker an Tausenden Bosniaken in Srebrenica im Juli 1995 dabei.
1994 präsentierte sich die Organisation, welche damals rund 300 Mitglieder zählte, zum ersten Mal bei den Europawahlen. Auf nationaler Ebene erzielte sie 7264 Stimmen, was 0,11% entspricht. 1999 erzielte sie in einem Bündnis mit der griechischen Sektion des europäischen Front National 48’532 Stimmen oder 0,75%.
1998 begannen die physischen Attacken gegen Aktivistinnen und Aktivisten der radikalen Linken. Der Studentenführer Dimitris Kousouris entkam nur knapp dem Tod. Der Angreifer, Antonios Androutsopoulos, ein wichtiges Mitglieder von Chrysi Avgi, entwischte dank seinen Verbindungen zum Polizeiapparat während sieben Jahren seiner Verhaftung. Als er sich 2005 schliesslich stellte, wurde er wegen Mordversuchs an drei linken Aktivisten (darunter Kousouris) zu 21 Jahren Haft verurteilt. Bei der Wiederaufnahme des Prozesses 2009 wurde das Urteil allerdings auf 12 Jahre reduziert und schliesslich wurde er nur einige Monate später entlassen.
Versuch als „alternative“ Staatsmacht aufzutreten
Nach einer Bündniskrise und einer politisch-organisatorischen Neuorientierung ist Chrysi Avgi wieder auf dem politischen Parkett erschienen und hat ihre Aktivitäten im Anschluss an ihren 6. Kongress vom März 2007 neu lanciert. Im Zentrum stehen nationalistische, rassistische, sexistische und homophobe Themen sowie Attacken gegen die Linke und die ArbeiterInnenbewegung.
Mit dem Ausbruch der sozio-ökonomischen Krise seit 2008 und ihrer Zuspitzung 2010 verfolgt Chrysi Avgi – mit den seit Langem bestehenden Verbindungen in den Staatsapparat, den Geheimdienst und die Polizei eine zweigleisige Politik: 1. gegen ImmigrantInnen (vor allem aus Albanien, Pakistan, Afghanistan und Afrika), die aufgrund des Schengen- und des Dublinabkommens in Griechenland geradezu in der Falle sitzen; 2. gegen die Austeritätspläne, die von der Pasok- und später der Nea-Dimokratia-Regierung gutgeheissen worden sind. Der Zusammenbruch dieses Zweiparteiensystems (Nea Dimokratia und Pasok) und die anschliessende Krise des Klientelismus und der Korruption hat das politische Parkett für Chrysi Avgi geöffnet. Ausserdem wird der Niedergang von Laos (Völkisch-Orthodoxer Alarm), einer nationalistischen, xenophoben und antisemitischen Partei, die im September 2007 ins Parlament einzog, das Einzugsgebiet von Chrysi Avgi ausweiten. Laos erzielte bei den Wahlen im Juni 2012 nur noch 1,58% der Stimmen und verpasst den Einzug ins Parlament.
Chrysi Avgi versucht seit 2012, den öffentlichen Raum zu besetzen und zu kontrollieren, was zumindest in der Anfangsphase ein grosses Medienecho auslöste. Die Partei kann sich zudem auf finanzielle Mittel ihrer parlamentarischen Fraktion abstützen. Ihre Initiativen zielen darauf ab, ihre brutalen und gewalttätigen Aktionen als Präsenz einer „alternativen“ Staatsmacht erscheinen zu lassen. So kontrollieren ihre Mitglieder beispielsweise in Begleitung von Abgeordneten die Identitätskarten von Markthändlern und vertreiben nicht griechische Händler, zerstören ihre Marktstände und jagen ihnen nach. Seit 2009 versucht Chrysi Avgi, das nördlich des Zentrums gelegene Athener Quartier Agios Panteleimonas unter dem Slogan „Migranten raus aus unserem Quartier“ zu ihrer Hochburg zu machen, was ihr teilweise auch gelungen ist.
Rassistische Pogrome und Morde haben in den letzten Monaten drastisch zugenommen. Die Verbindungen zur Polizei und zu politischen Netzwerken, die bis in die Nea Dimokratia hinein reichen, sind der Grund für die relative Straflosigkeit, die Chrysi Avgi in den meisten Fällen geniesst. So werden ihre Taten unter den Teppich gekehrt oder die Prozesse endlos hinausgeschoben.
Die Mobilisierung gegen die Neonazis von Chrysi Avgi – deren Wähleranteil und Wahlvoraussagen sich noch nicht annähernd in einer ähnlich gut organisierten Strassenpräsenz auszudrücken vermag – muss sich auf eine radikale Opposition gegen die Austeritätsmassnahmen und die Antiimmigrationspolitik der Regierung abstützen. Es sind Aktionen und Initiativen einer vereinigten Linken im grossen Rahmen nötig, um Chrysi Avgi daran zu hindern, den öffentlichen Raum zu vereinnahmen.
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