Syriza entstand 2003 aus einer Abspaltung der eurokommunistischen KP Griechenlands und entwickelte sich dann zu einem Bündnis aus 14 Gruppen und Strömungen. Den vom 10-14. Juli in Athen stattfindenden 1. Kongress der Syriza benutzte die Hauptströmung und der Parteivorsitzende Alexis Tsipras für einen Frontalangriff auf die Gruppen der radikalen Linken innerhalb von Syriza und gewann alle Abstimmungen im Plenum der 3552 Delegierten und Delegiertinnen, die 35´000 Mitglieder repräsentierten. Allerdings entfachte er mit diesem harschen Vorgehen einen breiten und ziemlich heftigen Differenzierungsprozess.
von Tino P., erschienen auf der Homepage der NAO
Die Strömungen in Syriza
Synaspismos, die aus der eurokommunistischen KP kommende, linkssozialdemokratische Hauptströmung repräsentiert gut 50%, also etwa 18´000 Mitglieder. Ihr politischer Gegenpol das Rprojekt oder Red Network besteht aus drei trotzkistischen Gruppen mit knapp 400 AktivistInnen und 2´000 Sympanthisanten. KOE, eine aus dem Maoismus kommende Strömung und das Netzwerk für soziale Rechte, das in etwa dem postautonomen Spektrum entspricht repräsentieren zusammen vieleicht 2´000 Mitglieder und unterstützten am Kongress in nahezu allen Abstimmungen die Positionen von Alexis Tsipras. Die Linke Plattform, eine aus Synaspismos sich herausentwickelnde Strömung, vertrat am Kongress etwa 8´000 Syriza Mitglieder und steht politisch klar links von Tsipras, ist aber in sich sehr heterogen. Die zunehmend gemässigteren Positionen von der Tsiprasführung und ihr rabiates Vorgehen gegen die Linken, schlugen Wellen der Entpörung in diesem Milieu und zu interessanten politischen Differenzierungen.
Sozialdemokratisierung der Tsiprastendenz
Die 17 seitige Programmbroschüre mit dem Titel „Prinzipienerklärung und programmatische Positionen von Syriza“ diente im Vorfeld und am Kongress selbst als Basistext für die politische Diskussion. Dieser Text ist gekennzeichnet durch äußerst dehnbare und vage Formulierungen. Über die von Syriza angestrebte „Linksregierung“ wird z.B. gesagt, dass sie „das Land wieder aufbauen“ solle, dass „die Menschen vor dem Profit“ stehen müssten, dass sie sich auf eine „breite Koalition von sozialen Kräften“ stützen müsste, dass „ihr Ziel sei die Abwärtsspirale, in dem sich das Land durch die neoliberalen Kräfte befinde, zu stoppen“, dass das „Militärbudget gekürzt werden solle, aber ohne die Kampfkraft der Streitkräfte zu beeinträchtigen“, dass die „geplanten Privatisierungen“, also nicht alle Privatisierungen, zurückgenommen werden müssten, dass das „Banksystem unter öffentlichem Besitz und Kontrolle“ gestellt werden müsste, dass der „öffentliche Service in seiner Funktionsweise radikal verändert“ werden müsse“ usw.
Die Kürzung des Militärbudget ohne Beeinträchtigung der Kampfkraft der Armee ist nicht nur praktisch kaum umsetzbar, sondern zudem sehr wenig in einem Land, das weltweit eines der höchsten Militärbudgets hat, gemessen an der Bevölkerung und dem Bruttosozialprodukt und in einem Land, das bis vor 39 Jahren noch unter der Knute einer verheerenden Militärdiktatur leidete. Kein Wort auch über konkrete antikapitalistische Massnahmen und zur Art und Weise wie das angestrebte Ziel „einer Gesellschaft der sozialen Gerechtigkeit“ umzusetzen sei.
In seiner eineinhalbstündigen Eröffnungsrede am ersten Kongresstag, zu einem Zeitpunkt als erst 20% der Delegierten anwesend waren, die demnach nur für das Fernsehpublikum gedacht war, wurde Tsipras allerdings im negativen Sinne konkret: „Eine Linksregierung der Syriza würde eine Koalition mit den Stiefelnazis der goldenen Morgenröte und mit dem rechten Flügel der Nea Demokratia auschliessen“, mit anderen Worten Tsipras wäre also bereit zusammen mit politischen Kräften wie z.B. der Pasok oder Teilen der ND zu regieren, die bis vor kurzem noch nach seinen eigenen Worten das Land in den Abgrund gesteuert hatten. Die Rechtsentwicklung Syrizas wurde definitiv bestätigt mit zwei Anträgen, welche das bisherige Programm von Syriza qualitativ über den Haufen warfen. Zum einen wurde die Position Schuldenmoratorium mit Schuldenaudit revidiert mit Neuverhandlungen ohne Moratorium und die Vergesellschaftung des Finanzsektors mit nur teilweiser Verstaatlichung einzelner grosser Banken, womit die Kontrolle der Spekulation völlig unmöglich wird. Gegen den ersten Antrag stimmten zirka 40%, gegen den zweiten zirka 30-35% der Delegierten.
Frontalangriff gegen links
Die programmatische Rechtsentwicklung der Tsiprasmehrheit musste logischer- und notwendigerweise begleitet sein mit scharfen Angriffen gegen links, in aller erster Linie gegen die Strömung um das Rprojekt (revolutionäres oder Redprojekt). Bisher sei Syriza ein Bündnis verschiedener Gruppen und Tendenzen gewesen, dies müsse sich nun mit dem 1. Kongress ändern, der dafür stehe, dass Syriza sich von einer loser Koaltion zu einer gefestigten und demokratischen Partei weiterentwickelt habe. Alle Gruppen und Tendenzen müssten sich deshalb innerhalb von drei Monaten auflösen, Gruppen und Tendenzzeitungen seien dann nicht mehr erlaubt! In einer heftigen Debatte argumentierte die Tsiprasmehrheit mit der Notwendigkeit, dass in jeder Partei eine gewisse Einheit existieren müsste und vor allem mit der Demokratie. Demokratie sei wenn jedes einzelne Mitglied eine Stimme habe und sich dadurch aus den Individuen natürliche Mehrheiten ergäben. Ein ziemlich primitives Verständnis von Demokratie, das ausser Acht lässt, dass die Mehrheit immer über einen Apparat verfügt und bei den vielen Parlamentarier mit in Griechenland sehr hohen Löhnen auch über beachtliche Geldmittel. Es ist völlig offensichtlich, was der Tsiprasmehrheit Sorge bereitet, ist nicht die Demokratie, sondern die sich organisierende Opposition gegen seine zunehmend rechter werdende Politik, mit der sie glaubt rascher und sicherer an die Regierungsmacht zu kommen. Der Antrag des Gruppen- und Tendenzverbotes passierte schliesslich mit etwa 70% der Stimmen, nachdem die dreimonatige Frist als flexibel definiert worden war.
Der harsche Durchmarsch der Tsiprasmehrheit mit all ihren politischen und organisatorischen Vorstellungen überraschte und empörte viele unabhängige Delegierte und die UnterstützerInnen der Linken Plattform. Sie riefen während der noch fortdauernden Kongressdiskussion um 10 Uhr nachts zu einer ausserordentlichen Versammlung in einer Nebenhalle auf, zu der etwa 800 Delegierte kamen. Dreiviertel davon waren von der linken Plattform.
Tsipras geht ohne Zweifel den Weg des brasilianischen Lulas, der zu jeder noch so weit gehender Rechtswende bereit ist. Vorerst kostete es ihm die Sympathie von 26% der Delegierten, die ihm bei der Wahl zum Parteipräsidenten ihre Stimme versagten, sich leider aber nicht dazu entschliessen konnten einen kämpferischen Gegenkandidaten aufzustelllen.
Linke wiederholen alte Fehler
Die politischen Auseinandersetzungen zwischen dem linken und dem rechten Flügel in Syriza ähneln denjenigen in der brasilanischen PT Ende der 80er Jahren wie ein Ei dem anderen und leider wiederholten die Linken auch die gleichen Fehler von damals. Die Lulamehrheit eröffnete ihren Kampf gegen links wie die Tsiprasmehrheit in der gleichen Entwicklungsphase der Partei, nämlich als ihre Regierungsteilnahme in greifbare Nähe rückte, beide versuchten abzulenken von ihrer programmatischen Rechtsentwicklung, zum Beispiel in der Frage des Schuldenmoratoriums und ihrem generellen Abrücken von allen antikapitalistischen Massnahmen, die ursprünglich im Parteiprogramm standen, indem sie parteiorganisatorische Aspekte in den Vordergrund schoben, beide konzentrierten ihre Argumentationen auf Fragen der Demokratie und der Parteieinheit. Beide wendeten dieselbe Taktik an, dieselbe Demogogie und beide schürten sie den Führerkult um Lula respektiv Tsipras. Ihre Interventionen waren zum grossen Teil Wort um Wort die gleichen. Übrigens auch die wichtigste unmittelbare Konsequenz dieser Auseinandersetzung war die gleiche, nämlich eine größere linke Abspaltung von der Mehrheitstendenz.
In der Empörung gegen die drohenden Einschränkungen ihrer Tendenzrechte liessen sich die Linken sowohl in der PT als jetzt auch in Syriza viel zu stark auf organisatorische Aspekte ein, anstatt die konkreten Konsequenzen der politischen Rechtswende in der Schuldenfrage und der Frage der Linksregierung zu erklären und hervorzuheben, um danach die organisatorischen Vorschläge der Mehrheitsführung als die Ablenkungsmanöver, die sie waren, entlarven zu können. So hatte die Linke bei der Abstimmung über das Schuldenmoratorium deutlich sehr viel mehr Stimmen, als bei allen anderen Abstimmungen. Dieses Vorgehen hätte allerdings nur dann mit Aussichten auf relativen Erfolg umgesetzt werden können, wenn die Linke in Syriza einen Katalog von konkreten alternativen Massnahmen für den Fall einer Regierung der Linkskräfte, mit Syriza an der Spitze, zur Diskussion gestellt hätte. So etwas wie ein Massnahmenkatalog für die ersten 100 Tage der Linksregierung. Natürlich kann man in der aktuellen Phase in Griechenland, die weit davon entfernt ist einer vorrevolutionären oder gar revolutionären Situation zu entsprechen, sich nicht damit begnügen die Notwendigkeit einer antikapitalistischen sozialen Revolution hervorzuheben. In einer solchen Situation muss die revolutionäre Linke tatsächlich ein Programm von wenigen konkreten exemplarischen Reformen aufstellen, die der lohnabhängigen Bevölkerung einige wenige unmittelbare Verbesserungen brächte, deren Umsetzung vom Kräfteverhältnis her einigermaßen realistisch wäre und der Linksregierung Zeit verschaffen würde, damit sich eine Dynamik der Radikalisierung und der Politisierung entwickeln könnte sowohl in der Bevölkerung Griechenlands wie auch in den umliegenden südeuropäischen Ländern mit nicht unähnlicher Situation. Solche exemplarische Reformen wären z.B. sofortiges Schuldenmoratorium bis zur detailierten Klärung aller Schuldenaspekte durch einen wissenschaftlichen Schuldenaudit, unentgeltlicher Basisgesundheitsdienst für alle, unmittelbar nützliches und gegen Jugendarbeitslosigkeit wirksames Investitionsprogramm, sofortige Eintreibung der Steuerschuld der Reichen, in Anlehnung an die Ereignisse um den staatlichen Fernseh- und Rundfunksektor, ein neues demokratisches Mediengesetz usw.
Was am Kongress der Syriza sich abspielte ging überwiegend nicht in diese Richtung. Die linken Redner, zu 80% Männer, hielten allgemein gehaltene feurige Reden und brüllten unentwegt ins Mikrofon, dass einem die Ohren schmerzten und fast alle überzogen massiv ihre fünfminütige Redezeit. Von einem in seiner Dynamik antikapitalistischen Vorschlag, das dem die kapitalistische Krise verwaltendem Regierungsprogramm Tsipras hätte alternativ entgegengehalten werden können, war kaum etwas zu hören. Ein schwerer und vorallem unverständlicher Fehler war auch die Reaktion der Linken auf den Antrag der Tsiprasmehrheit auf Wahl des Parteipräsidenten durch den Kongress und nicht mehr durch das Zentralkomitee. Die Linke widersetzte sich dieser Änderung mit der offen nicht aussprechbarer Überlegung, dass Tsipras durch die Kongresswahl noch mehr Legitimität und damit Macht gewinne, was inhaltlich unrichtig ist, da seine Macht nicht auf der Legitimität des Wahlmodus beruht, sondern auf der Verfügung über den Partei- und Parlamentsfraktionsapparat, den entsprechenden Geldmitteln und dem Zugang zu den bürgerlichen Medien. Mit dieser Position schoss die Linke sich ein grandioses Eigentor, da sie sofort der undemokratischen, basisfeindlicher Gesinnung angeklagt werden konnte und prompt mit dem schlechtesten Abstimmungsresultat bestraft wurde. In der Bevorzugung der kleinen Entscheidungsgremien, wie einem Zentralkomitee, wiederspiegelt sich die immer noch nicht verarbeitete und überwundene leninistische Dogmatik in grossen Teilen der radikalen Linken und nicht nur in Griechenland.
Die linken Aktivisten und Aktivistinnen, die sich im und um das Rprojekt gruppieren leisten in Syriza seit Jahren eine wertvolle und konstruktive politische Arbeit, aber das Projekt selbst ist noch, wie der Kongressablauf gezeigt hat, wenig ausformuliert. Zum Beispiel kam die Gewerkschaftspolitik und die Haltung zu den vielen Pseudogeneralstreiks überhaupt nicht zur Sprache, was unverständlich ist. Nun besteht die grosse Gefahr, dass die rechte Mehrheitsströmung den linken Fluegel vorzeitig ausschliessen könnte. Wahrscheinlich wird nur eine Massenbewegung brasilianisch-türkischer Art, sei es in Griechenland selbst oder einem südeuropäischen Nachbarland eine schwere Niederlage der griechischen Lohnabhängigen verhindern können.