Das Projekt der Arbeitsrechtreform hat in Frankreich grossen Widerstand ausgelöst. Die Reform sieht unter anderem die Möglichkeit von massiven Arbeitszeiterhöhungen auf bis zu 12 Stunden täglich vor. Diese Flexibilisierung der Arbeitszeit betrifft insbesondere auch die Jugendlichen und Lehrlinge. Zudem wird die bestehende Normenhierarchie abgeschafft. Während heute untergeordnete Verträge nicht gegen das Arbeitsgesetz verstossen dürfen, wird genau dies vom neuen Gesetzesentwurf vorgesehen. Die Unternehmer können auf diese Weise auf der Ebene des Unternehmens mit den Gewerkschaften Abkommen aushandeln, die den Lohnabhängigen weniger Rechte zugestehen, als vom Arbeitsgesetz vorgesehen ist. Dies wird zu weiteren Flexibilisierungen führen, weil auf der Ebene des Unternehmens die Lohnabgängigen in der Regel in einem ungleich schlechteren Kräfteverhältnis stehen. Dieser Artikel von Christian Mathieux, Gewerkschafter der „Union syndicale Solidaires“, berichtet über die Widerstandsbewegung und die Perspektiven für den Aufbau einer sozialen Bewegung, die in der Lage ist, die Arbeitsrechtsreform zu Fall zu bringen. (Red.)
von Christian Mathieux
Die französische Regierung möchte das Arbeitsgesetz zerstören. Das bisherige Gesetz ist zwar alles andere als perfekt und wir bekämpfen tägliche einige seiner Aspekte. Dennoch ist das Arbeitsgesetz das Resultat eines Kräfteverhältnisses, das während Jahren durch soziale Kämpfe aufgebaut wurde und dadurch den Arbeitenden Rechte und Garantien gewährt. In einer individuellen Beziehung zwischen Unternehmer*in und Arbeitende*r [wie durch das aktuelle Reformprojekt vorgesehen], die durchweg ungleich ist, wären solche Rechte und Garantien unmöglich. Doch genau dies möchte die französische Regierung erreichen und erfüllt damit alte Forderungen der Unternehmer*innen.
Die Regierung erfüllt die Forderungen der Unternehmer*innen
Aber:
- In Frankreich leben 6 Millionen Arbeitslose und sehr prekäre Arbeiter*innen
- In Frankreich haben die Aktionäre, die sich durch die Arbeit der Lohnabhängigen bereichern, alleine im Jahr 2015 47 Milliarden Euro an Dividenden eingestrichen.
- Die Kapitalisten kosten uns viel Geld! Und sie wollen immer mehr.
Am 9. März waren wir nahezu eine halbe Million auf den Strassen
Der nationale Tag der Kämpfe vom 9. März wurde innerhalb von wenigen Tagen organisiert und war dennoch ein grosser Erfolg. Es fanden in zahlreichen Städten Frankreichs Demonstrationen statt. Dies beweist, dass die Ablehnung gegen dieses Gesetzt in der Bevölkerung tief verankert ist. Wir waren eine halbe Million Demonstranten und Demonstrantinnen, was zeigt, dass die Leute die Nase gestrichen voll haben.
Nicht nur Demonstrationen, sondern auch Streiks!
Am 9. März gab es einen starken Streik im Eisenbahnsektor. Am 10. März gingen die Rentner*innen auf die Strasse. Für den 15. März haben die Gewerkschaften des sozialen und gesundheitlichen Sektors zu einem Streik aufgerufen. Verschiedene Gewerkschaften der öffentlichen Verwaltung bereiten einen Streik für den 22. März vor. Am 23. März ist der nationale Streik bei der Post. Täglich finden Streiks, Arbeitsniederlegungen und Versammlungen in zahlreichen Unternehmen und in allen Sektoren statt. Auch die Arbeitslosen sind aktiv, um ihre Rechte zu verteidigen, die erneut angegriffen werden. Am 24. März, dem Tag der Präsentation des Gesetzesentwurfs vor dem Ministerrat, werden Berufsgruppen übergreifende Aktionen stattfinden.
Die Jugend ist sehr präsent in den Kämpfen
Es gab viele junge Lohnabhängige an der Demonstration vom 9. März. An den Universitäten und den Gymnasien nehmen viele Personen an den Versammlungen teil. In verschiedenen Hochschulen und Gymnasien begannen auch Streiks und zahlreiche Organisationen von Jugendlichen rufen zu einem nationalen Aktionstag am 17. März auf.
Gegen das Notstandsgesetz – Widerstand und Offensive!
Seit der Zustimmung von nahezu allen Parlamentarier*innen zum Notstandsgesetz hat die Regierung die freiheitsbedrohenden Massnahmen markant verstärkt. Die Unternehmer*innen profitieren davon und verstärken die Repression gegen die Gewerkschaften. Die Gerichte verurteilen Lohnabhängige, die für ihre Rechte und gegen die Missetaten der Unternehmer kämpfen (wie Entlassungen, nicht ausbezahlte Löhne, Bestrafungen, Diskriminierungen etc.). Jungendliche in Ausbildung, aktive Lohnabhängige, Arbeitslose oder Rentner*inne: es ist Zeit, diesem Ausnahmezustand ein Ende zu setzen!
Das Vorhaben der Zerstörung des Arbeitsrechts muss aufgegeben werden!
Ab sofort muss eine Streikbewegung aufgebaut werden, um dem Vorhaben das Arbeitsrecht zu zerstören, ein Ende zu setzen. Es braucht eine Bewegung für eine Erhöhung der Löhne und Renten sowie für eine massive Arbeitszeitreduktion, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Bereits jetzt rufen die Gewerkschaften CGT, FO, Solidaire, CNT-SO, CNT, LAB usw. für den 31. März zu einem nationalen Streik auf.
Wir müssen sofort den 31. März und die Fortsetzung vorbereiten!
Durch das neue Arbeitsgesetz möchten uns Unternehmer*innen einen historischen Rückschritt aufzwingen. Wir können dies verhindern, wir können die Richtung umdrehen und eine tiefgreifende soziale Umwälzung herbeiführen. Der Ausgang dieses Kampfes wird in den Unternehmen entschieden! Lasst uns einen starken Streiktag organisieren und lasst uns die Generalversammlungen in den Unternehmen vorbereiten, um über die Verlängerung der Streiks zu entscheiden! Die virtuelle Mobilisierung über das Internet ist eine Sache, ebenso wie die politischen Spiele für die Präsidentschaftswahl 2017. Was aber wirklich zählt, ist die direkte Aktion der Arbeiterinnen und Arbeiter durch soziale Bewegungen, welche ab heute aufgebaut werden und die Zukunft bestimmen!
Nachtrag vom 14. März 2016: „Vom Gegenschlag zur Offensive“
Die Regierung hat am Montag 14. März ein weiteres Manöver vollzogen und vorgegeben, einen neuen Gesetzesentwurf vorzuschlagen. Tatsächlich aber werden die wichtigsten Elemente sowie die allgemeine Logik des Entwurfs weiterhin beibehalten. Zu Recht hat daher die Mehrheit der Gewerkschaften und der Jugendorganisationen diesen Entwurf kritisiert. Das ist es, was zählt, um den Kampf aufzubauen, nicht die Fahnenflucht der CFDT [gilt gemeinhin als „reformistische“ Gewerkschaft, Red.] oder der UNSA [autonome Gewerkschaftsunion]! Selbstverständlich weigern sich die Gewerkschaftsverbände, über einen Generalstreik oder einen verlängerbaren Streik zu sprechen. Aber vor Ort geschieht etwas: Zusammenschlüsse von lokalen Gewerkschaften haben nicht diese Zurückhaltung. Zudem wird ein Aufruf von Gewerkschafter*innen der CGT, Solidaire, FSU, CNT-SO, LAB etc. vorbereitet. Der Titel dieses Aufrufs ist „vom Gegenschlag zur Offensive“. Darin wird die Blockade der Wirtschaft durch eine landesweite Streikbewegung ins Auge gefasst, um den Rückzug des Gesetzesentwurfs zu erreichen und einen „Gegenangriff zu starten“.