Menu Schließen

Frankreich/Belgien: Marsch in den autoritären Sicherheitsstaat

In Frankreich wie in Belgien werden unter dem Vorwand des «Kampfes gegen den Terrorismus» Notstandsmaßnahmen verhängt, die ganz andere Ziele verfolgen als die verkündeten.
von Redaktion der SoZ
In Frankreich wurden alle Demonstrationen anlässlich des UN-Klimagipfels, aber auch Gewerkschaftsdemonstrationen, verboten; das von der französischen Linkspartei einberufene internationale Gipfeltreffen für einen europäischen Plan B wurde von der gastgebenden Universität abgesagt; Aktivisten wurden vorsorglich unter Hausarrest gestellt, um sie an Straßenaktionen zu hindern. Als am 29. November 2015 zum Auftakt des Klimagipfels sich dennoch einige tausend auf dem Platz der Republik zu einer Demonstration versammelten, wurde der gemeinsame Block von NPA (Nouveau Parti Anticapitaliste), Ensemble u.a. über mehrere Stunden eingekesselt, 317 Personen, darunter sehr junge, wurden verhaftet, einige von ihnen mehrere Tage lang festgehalten und sogar verurteilt. Besetzte Häuser wurden von Sonderkommandos geräumt, innerhalb von sechs Tagen gab es 300 Hausdurchsuchungen, von denen nicht einmal ein Dutzend mit Antiterrormaßnahmen in Verbindung gebrachten werden konnte.
Währenddessen häuften sich die Anschläge auf Moscheen und Dunkelhäutige, in Aubervilliers, einem Vorort im Norden von Paris, war es die Polizei, die eine Moschee verwüstete. Hass- und Hetzreden, die Muslime unter Generalverdacht stellen, haben zugenommen, angeführt von den obersten Ebenen der Politik, wie jene Forderung des früheren Präsidenten Sarkozy, 11’000 «mutmaßliche Extremisten» mit elektronischen Fußfesseln unter Hausarrest zu stellen.
Angst hat sich über das Land gelegt, sie legt sich auch lähmend auf die sozialen Bewegungen. So wurden Streiks bei Air France, in Krankenhäusern, unter Lehrern und Finanzangestellten abgesagt oder verschoben. Dass die Demonstration zum Abschluss des UN-Klimagipfels am 12.Dezember erlaubt wurde, ist allein der Tatsache geschuldet, dass in diesem Moment die Augen der gesamten Weltöffentlichkeit auf Paris gerichtet waren und Staatspräsident Hollande unbedingt einen «historischen Erfolg» vermeldet haben wollte – Prügelszenen auf Pariser Straßen hätten dieses Bild konterkariert.
Überall in Frankreich profitieren Polizei und Präfekturen von ihren neu gewonnenen Machtbefugnissen: nunmehr können sie nächtliche Hausdurchsuchungen, Hausarreste, Demoverbote, sogar die Auflösung von Organisationen ohne richterliche Erlaubnis anordnen.
Die geltende französische Verfassung datiert von 1958, sie ist ein Ergebnis des Staatsstreichs von De Gaulle, der im Angesicht der Unfähigkeit der IV.Republik, die Algerienfrage zu lösen, den Staatspräsidenten mit einer großen Machtfülle ausstattete – er hat eine stärkere Position sogar als der US-Präsident und ist den Abgeordneten der Nationalversammlung nicht rechenschaftspflichtig. Artikel 16 der französischen Verfassung gibt ihm das Recht, «alle Befugnisse» an sich zu ziehen; dazu muss er den Premierminister, den Präsidenten der beiden Kammern des Parlaments und den Präsidenten des Verfassungsgerichts nur «konsultieren». François Mitterrand nannte das einmal den «permanenten Staatsstreich», was ihn als Staatspräsident nicht daran hinderte, sich in dieser Amtsfülle gut einzurichten.
Tatsächlich haben mehrere der nach den Anschlägen vom 13.November verhängten Notstandsmaßnahmen mit den Anschlägen gar nichts zu tun, sie waren schon vorher in Vorbereitung.
Die antikapitalistische Linke in Frankreich sieht das Land auf dem Marsch in den «starken Staat». Dazu bedürfe es nicht eines Machtantritts von Marine Le Pen, schreibt Henri Wilno auf der Webseite der NPA. Die Sozialistische Partei habe mit Hollandes Griff zur Kriegsrhetorik nach innen und außen und seiner Selbstinszenierung als oberster Kriegsherr und «Verteidiger der Idee von Frankreich» gezeigt, dass sie diese Klaviatur ebensogut beherrscht – besser jedenfalls als die Klaviatur des Sozialstaats, der zunehmend mehr zerfällt.
Vor dem autoritären Sicherheitsstaat verblassen selbst die Regeln des europäischen Stabilitätspakts: «Der Sicherheitspakt überwiegt den Stablitätspakt», heißt es nun aus dem Elysée-Palast. Geld, das zuvor für Sozialmaßnahmen nicht zu mobilisieren war, steht nun wie von Zauberhand auf einmal zur Verfügung, um 5000 Polizisten, 2500 Justizangestellte und 1000 Zollbeamte zusätzlich zu bezahlen. Die Schusswaffe sitzt bei der Polizei künftig lockerer, ihr «Recht auf Notwehr» wird ausgebaut, und das wird zur Folge haben, dass sie auch bei grobem Amtsmissbrauch straffrei ausgeht.

Verwandte Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert