Das syrische Regime und seine russischen Verbündeten befinden sich in einer letzten Phase einer barbarischen Schlacht gegen Aleppo. Im Folgenden werden die vergessenen Hintergründe des Aufstandes von 2011 und die Konsequenzen des Untergangs der Rebellenhochburg analysiert. (Red.)
von Ashley Smith; aus socialistworker.org
Die vereinten Kräfte des Assad-Regimes, der russischen Kampfjets und den vom Iran unterstützen schiitischen Todesschwadronen, erobern nach neusten Berichten den Stadtteil Ostaleppo und damit die letzte grosse Stadt, welche durch die syrische Revolution von 2011 befreit wurde, zurück. „Aleppo wird gerade komplett zerstört und verbrannt“, liess sich der Doktor Mohammad Abu Rajab aus Aleppo in einer Sprachnachricht durch den Guardian zitieren.[1] „Dies ist der letzte verzweifelte Aufruf an die Welt: Rettet die Leben von Aleppos Kindern, den Frauen und den alten Männern. Rettet sie! Niemand ist übrig geblieben. Ihr werdet unsere Stimme danach vielleicht nie mehr hören. Es ist der letzte Aufruf, der letzte Aufruf an jeden freien Menschen auf dieser Welt. Rettet Aleppo!“
Vom Symbol des Widerstands zum Massengrab
Nachdem Aleppo 2012 von der Herrschaft des Regimes befreit wurde, wurde die Stadt zum „Symbol einer möglichen demokratischen Alternative in Syrien“, so der syrische Revolutionär Joseph Daher.[2] Deshalb kämpften Assad und seine russischen und iranischen Verbündeten einen unermüdlichen Krieg gegen die Stadt. Die Belagerung von Ost-Aleppo liess den Einwohner die Wahl zu verhungern, oder zu fliehen. Aleppos Bevölkerung, die einst über zwei Millionen Menschen zählte, schrumpfte nach früheren Schätzungen dieses Jahres auf 250’000 Einwohner*innen zusammen. Im vergangen Monat setzen Assads Truppen zum Todesstoss an. Wohnhäuser, Schulen und Spitäler wurden zerbombt, die einst grösste Stadt von Syrien ist nur noch ein Trümmerhaufen.[3] Bodentruppen übernahmen einen Stadtteil nach dem anderen. Während Assad angibt, Aleppo von Terroristen zu befreien[4], schlachtet er nicht nur gegen die Regierung kämpfende bewaffnete Oppositionskräfte, sondern auch unzählige Zivilist*innen ab. Der Nothilfekoordinator der UNO in Syrien, Stephan O’Brian sagte, Aleppo werde zu „einem riesigen Grab“.[5]
Abdul Kafi Alhamado, ein Englischlehrer aus Aleppo, teilte diese Einschätzung, als er BBC erzählte, dass die Situation in Ost-Aleppo buchstäblich einem Weltuntergangsszenario glich. „Überall sind Bomben, Menschen rennen, Menschen sind verletzt, niemand wagt ihnen zu helfen, einige sind unter den Trümmern gefangen.“ Berichten zufolge sieht das Regime jegliche Zivilist*innen, welche der Belagerung entfliehen können, als vermutliche Unterstützer*innen der Anti-Assad-Revolution an. Hunderte Männer und Jugendliche wurden gefangengenommen und in Assads Gefängnisse geworfen, wo ihnen Folter und Tod droht.[6]
Mit diesem Sieg hat Assad seine Herrschaft über die grossen syrischen Städte wieder hergestellt – aber zu einem enormen humanitären Preis. Sein Regime ist verantwortlich für den grössten Teil der 400‘000 Toten, die nach fünf Jahren Krieg zu verzeichnen sind. Unzählige Städte und Dörfer wurden zerstört. Gut die Hälfte der syrischen Bevölkerung, die vor dem Krieg 11 Millionen zählte, floh. Fünf Millionen Geflüchtete aus Syrien sind in der nahen Umgebung verblieben. Eine Million machte sich auf tödlichen See- oder Landwegen auf Richtung Europa.
Vergessene Ursprünge der syrischen Revolution
Assad entschied sich für diese barbarische Herrschaft als Antwort auf die syrische Revolution, welche 2011 begann.[7] Es war eine weit verbreitete, demokratische Bewegung, ebenso legitim wie die anderen Aufstände gegen Autokraten im Rest des Mittleren Ostens und in Nordafrika, allgemein bekannt als der „arabische Frühling“. Syrer*innen standen auf gegen die neoliberale Diktatur Assads. Sie organisierten eine Welle von konfessionsunabhängigen, multi-ethischen Demonstrationen im ganzen Land. Sie wurden mit drei konterrevolutionären Kräften konfrontiert: dem Regime, den fundamental-islamistischen Kräften und den imperialistischen und regionalen Mächten.
Erstens und am wichtigsten mit dem Regime. Assad beantwortete die Proteste, indem er die Polizei und das Militär anschickte, auf friedliche Proteste zu schiessen, Aktivist*innen zu verfolgen, in Gefängnisse zu stecken und zu foltern. Das Motto war: „Entweder Assad oder wir verbrennen das Land.“[8]
Statt damit Proteste abzuschrecken, führte die Brutalität des Assads-Regime zur Bewaffnung der Aufständischen zu ihrer Selbstverteidigung. Ganze Einheiten des syrischen Militärs desertierten und formierten die „Freie Syrische Armee“. Die im Volk breit verankerte Bewegung und der bewaffnete Widerstand befreiten grosse Gebiete Syriens und setzen lokale Koordinationskomitees und regionale Gemeindestrukturen ein, um die syrische Gesellschaft von unten zu demokratisieren. [9]
Konfrontiert mit der realen Möglichkeit der Niederlage, wendete Assad die klassische Strategie der Tyrannen an: Teile und herrsche! Sein dem Namen nach säkulares Regime ist äusserst geübt darin, religiöse und ethnische Differenzen zu manipulieren. Seine Hauptbasis bilden die Alawiten, eine schiitische Minderheit. Assad hat sich stets als Verteidiger der Alawiten und andere religiöser Minderheiten in Syrien, gegen die Gefahr der sunnitischen Mehrheit aufgespielt. Aber Assad hat Beziehungen zu reaktionären sunnitischen Fundamentalisten bereits in den frühen 2000er etabliert. Er erlaubte ihnen von Syrien aus Angriffe gegen die US-Okkupation im Irak auszuführen.[10] Als die USA abzogen und die Jihadisten sich gegen Assad wendeten, warf er sie ins Gefängnis.
Nach dem Ausbruch der Revolution von 2011 entliess Assad tausende dieser Gefangenen[11], in der Hoffnung, sie würden sich zu einer rivalisierenden Gruppe gegenüber der hauptsächlich säkularen und demokratischen syrischen Bewegung entwickeln. Unter den Freigelassenen waren Abu Muhammad al-Jolani, Anführer der Jabhat al-Nusra (jetzt bekannt als Jabhat Fateh al-Sham); Zahran Alloush, Gründer der Jaysh al-Islam; und Hassan Aboud, Gründer von Ahrar al-Sham. Assad hoffte, die reaktionären Fundamentalisten würden gegen säkularere Revolutionäre vorgehen und so die Revolte zunehmend sektiererischer machen. Er selbst würde sich dann als der Verteidiger der Alawiten, der Christen und anderer religiöser Minderheiten präsenteren. Aber all das war nur eine Blendung, um die Aufständischen, ihre lokalen Komitees und die „Freie Syrische Armee“ zu attackieren. Das Assad Regime versuchte auch die in Syrien unterdrückten Kurden von einer Vereinigung mit der hauptsächlich arabischen Revolte abzuhalten. Obwohl Assad die Kurden über die Jahre immer unterdrückte und immer wieder verraten hatte, trat er einen ganzen Teil Nordsyriens an den syrischen Flügel der PKK, die PYD ab. [Der militärische Arm der PYD, die YPG, setzt sich seither mit Unterstützung der USA standhaft gegen den IS und das türkische Militär zur Wehr. Anm. Red.]
Die Teile-und-Herrsche-Strategie des Regimes brachten eine zweite konterrevolutionäre Kraft hervor: Die verschiedenen fundamental-islamistischen Kräfte. Die Jihadisten, welche aus den Gefängnissen entlassen wurden, halfen sowohl der al-Nusra Front, wie auch dem IS. Al-Nusra kämpfte dabei gegen das Regime und etablierte ihre reaktionäre Herrschaft in den von ihnen dominierten Gebieten. Der IS, der seine Basis in Raqqa aufbaute, kämpfte hingegen nicht gegen das Regime, sondern beschloss einen de-facto Nichtangriffspakt, der auch Ölverkäufe beinhaltete.[12]
Einfluss der regionalen und imperialistischen Mächte
Diese beiden konterrevolutionären Kräfte, Assad und die fundamental-islamistische Semi-Opposition, wurden durch eine dritte Kraft gestützt: Die imperialistischen und regionalen Mächte. Der Iran und Russland intervenierten in Syrien, um Assads drohenden Fall zu verhindern. Der Iran, welcher Assad als einen regionalen Verbündeten sieht, schickte Militärberater, eigene schiitische Truppen sowie Kämpfer der verbündeten libanesischen Hisbollah, um Assads erschöpfte Bodenstreitkräfte zu unterstützen.[13] Russland, das sich selbst als imperialistische Kraft in der Region stärken wollte, schickte seine Kampfjets, nicht um gegen den IS, sondern vor allem um gegen syrische Revolutionäre zu kämpfen. Tatsächlich wurden 90% der russischen Angriffe nicht gegen den IS, sondern andere Ziele geflogen.[14] [Dass jetzt Russland Truppenteile aus Tschetschenien nach Syrien verlegt, ist höchst symbolisch, weil die Zerstörung und anschliessende „Pazifizierung“ der tschetschenischen Stadt Grosny nach dem Massaker an den Aufständischen im Jahr 2000 heute als Vorlage für die Unterjochung der belagerten Städte in Syrien dienen soll. Anm. Red.]
Weitere regionale Kräfte, wie Katar, Saudi Arabien und die Türkei, intervenierten zwar gegen das Assad-Regime, stützen aber nicht die revolutionären Kräfte. Stattdessen unterstützen sie verschiedene fundamental-islamistische Gruppen. Auch die USA, die grösste imperialistische Macht, intervenierte als eine konterrevolutionäre Kraft. Gegen die Annahme einiger Linken, wollte die USA keinen Regime-Wechsel in Syrien.[15] Sie strebten höchstens einen geordneten Übergang an, also eine Absetzung Assads aber unter Beibehaltung seines Staatsapparates, der durch die Eliten der Opposition ergänzt werden sollte – eine ähnliche Entwicklung wie in anderen Ländern des Mittleren Ostens. Die USA sah sich vor allem als Folge der katastrophalen Intervention in Libyen 2011 zu diesen Schritten genötigt. Sie unterstützen in Syrien einige handverlesene Rebellengruppen, statteten sie aber nicht mit den entscheidenden Luftabwehrwaffen aus, welche es den Rebellen erlaubt hätte, den einzigen militärischen Vorteil Assads zu überwinden: Die Luftwaffe.[16] Das Letzte, was die USA wollten, war eine erfolgreiche Revolution von unten. Stattdessen nutzte die USA die Rebellen als politische Manövriermasse in fruchtlosen Verhandlungen für einen geordneten Machtübergang und eine Befriedung des Landes. Nach dem Aufstieg des IS konzentrierte die USA seine Kräfte auf den Kampf gegen das sogenannte Kalifat und stellte den Grossteil seiner Unterstützung für die Rebellen ein. De Facto ging sie ein Bündnis mit Russland und dem syrischen Regime ein.
Als eine direkte Folge der US-Politik schrumpfte die populäre Revolution und sein militärischer Flügel, während die konterrevolutionären islamistischen Kräfte, gefördert von der Türkei und den Golfstaaten, stetig wuchsen. Nichtsdestotrotz schafften es syrische Revolutionäre in einer kurzen Phase des Waffenstillstands im vergangenen März 2016 Demonstrationen gegen das Assad Regime und gegen die al-Nusra Front zu organisieren.[17] Seiter verloren sie aber wieder stetig an Boden gegenüber den fundamental islamistischen Kräften. Ausserdem forderten die Belagerungen des Assad-Regime ihren Tribut.
Assads Plan ging auf
Assad hat nun das Szenario, das er immer wollte: Er und seine russischen und iranischen Verbündeten können sich als Kämpfer im „Krieg gegen den Terror“ der sunnitischen Jihadisten darstellen. Das Resultat hat gezeigt, dass die USA in der Region schwächelt. Es muss zwar klar festgestellt werden, dass die USA nach wie vor die dominierende Kraft der Region ist, aber sie vermag nicht mehr länger die Politik der Region nach ihren eigenen Wünschen zu diktieren. Dagegen konnte Russland seine Position stärken, während die USA nicht viel mehr machte, als im UN-Sicherheitsrat Resolutionen für einen Waffenstillstand zu verabschieden, welche Russland wiederum blockierte. Russland konnte die USA überlisten und das Verbleiben Assads gegen die geordneten Übergangspläne der USA verteidigen.
Mit der überraschenden Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten dürfte sich die Strategie der USA in der Region verändern. Trump wirbt für eine klare Allianz mit Russland und Assad gegen den IS und gegen al-Quaida. Aber als Zeichen seiner absoluten Inkohärenz, will er auch die nuklearen Abkommen der Obama-Administration mit dem Iran auflösen, was wiederum Konsequenzen für die Zusammenarbeit mit Russland haben wird. Wegen dieser fetzenhaften US-Politik, haben viele Parteien, einschliesslich einiger Verbündeten der USA, Deals mit Russland abgeschlossen. Der türkische Präsident Erdogan zum Beispiel, der einen Stümperhaften Coup im Juli 2016 im eigenen Land nutzte, um erneut die Demokratie zu beschneiden und den Krieg gegen die kurdische Minderheit zu intensivieren, hat einen Pakt mit Russland geschlossen. Das strategische Ziel ist, unter dem Deckmantel der Zusammenarbeit gegen den IS, die syrisch-kurdische PYD daran zu hindern, ihre Gebiete zu konsolidieren.
Der Krieg wird weitergehen
Das syrische Regime, Russland und der Iran werden wahrscheinlich eine von der USA und anderen Kräften vermittelte Einigung akzeptieren. Aber die Lage wird unstabil bleiben.[18] Auch nach der Eroberung Aleppos wird das Regime erst etwa ein Drittel des Landes kontrollieren. Die Kurden kontrollieren einen grossen Teil im Norden; der IS führt nach wie vor seine Herrschaft in Raqqa und Umgebung aus; und fundamental-islamistische Gruppen wie Jabhat Fateh al-Sham kontrollieren weiterhin Idlib. Die Türkei wird jeglichen Versuchen einer Zusammenlegung der kurdischen Gebiete entgegentreten. Die USA, Russland und Assad werden ihren Krieg gegen den IS fortführen, Saudi Arabien und Katar werden weiterhin ihre fundamentalistischen Verbündeten unterstützen, um den Guerilla-Widerstand gegen das Regime fortzuführen. Unabhängig von den konkreten Interessen der regionalen und imperialistischen Kräfte ist jetzt schon klar, dass jede Einigung ein Betrug am syrischen Volk und seinen Hoffnungen nach Gerechtigkeit sein wird, auch wenn damit die Möglichkeit verbunden sein wird, dass die syrischen Revolutionäre in Syrien und im Ausland ihre Kräfte neu bündeln können für kommende Kämpfe. Diese Kämpfe werden unvermeidbar sein. Das syrische Regime, so wie auch die anderen Regierungen in der Region, haben nichts zu bieten ausser Repression und Austerität. Inmitten der konterrevolutionären Übereinkommen werden syrische Revolutionäre eine neue Linke, basierend auf der multiethnischen und anti-sektiererischen Prinzipien der frühen Phase der Revolution aufbauen müssen. International muss die Linke ihre Verfehlungen anerkennen, die syrische Revolution nicht einstimmig unterstützt zu haben. Die Linke muss wieder lernen, wie Antiimperialismus und die Solidarität mit Revolutionen von unten zusammen zu denken sind.[19] Als Teil dieses Kampfes müssen wir uns gegen Xenophobie und Islamophobie zur Wehr setzen, und verlangen, dass die jeweiligen Regierungen geflüchtete Syrerinnen und Syrer aufnehmen und ihnen Schutz und Unterstützung bieten.
Übersetzung BFS Jugend Zürich.
[1] https://www.theguardian.com/world/2016/dec/12/syria-assad-forces-close-to-capturing-east-aleppo)
[2] http://internationalviewpoint.org/spip.php?article4795 )
[3] http://www.huffingtonpost.co.uk/gareth-bayley/aleppo-assad_b_13424390.html)
[5] http://www.bbc.com/news/world-middle-east-38155936
[6] https://www.alaraby.co.uk/english/news/2016/12/9/syrian-men-and-boys-missing-after-entering-regime-held-aleppo
[7] https://socialistworker.org/2016/05/23/why-are-syrias-refugees-going-through-hell
[8] http://mondoweiss.net/2016/05/excerpt-syrians-revolution/
[9] http://www.socialistproject.org/issues/august-2016/self-organisation-syrian-revolution
[10] http://www.businessinsider.com/assad-used-to-let-jihadists-move-from-syria-to-iraq-to-kill-americans-heres-how-us-special-ops-spies-went-after-them-2015-8
[11] https://qunfuz.com/2016/12/03/addressing-the-oireachtas-me-and-hassoun
[12] http://www.newsweek.com/isis-oil-deals-assad-regime-revealed-us-special-forces-raid-452426
[14] https://www.theguardian.com/world/2015/oct/07/russia-airstrikes-syria-not-targetting-isis
[15] http://www.wsj.com/articles/SB10001424127887324345804578427190797966234
[16] http://www.wsj.com/articles/SB10000872396390443684104578062842929673074
[17] https://socialistworker.org/2016/03/10/syrias-revolutionaries-return-to-streets
[18] http://mebriefing.com/?p=2629
[19] https://socialistworker.org/2016/08/25/anti-imperialism-and-the-syrian-revolution
die schweizer Sosi zitieren BBC, The Guardian, Huffingtonpost uns Alaraby (Saudi Alaraby?)
Es muss wohl stimmen.