Die Gruppe der 20 wirtschaftsstärksten Industrie- und Schwellenländern stellt sich medial gerne als Löserin der dringenden Probleme in der Welt dar. Dass dies keineswegs der Fall ist, sondern die politische Agenda der G20 im Gegenteil globale Probleme und Katastrophen mitverursacht, zeigt die von der RosaLuxemburg-Stiftung publizierte Studie «Die G20 und die Krise des globalen Kapitalismus» eindrücklich auf. Wir veröffentlichen hier deshalb eine Zusammenfassung dieser lesenswerten Studie. (Red.)
vVon Samuel Decker und Thomas Sablowski; aus RosaLuxemburg-Stiftung
Die G20 als Resultat der kapitalistischen Krisen
Der historische Rückblick [auf die wirtschaftspolitische Entwicklungsgeschichte des Kapitalismus] zeigt, dass internationale Regulationsformen wie die G20 als Aspekte der Internationalisierung des Kapitals und seiner Krisen zu begreifen sind. Die großen kapitalistischen Krisen im Gefolge der Jahre 1873, 1929, 1973 und 2007 brachten (und bringen) neue Formen der Regulation hervor. Der Goldstandard unter dem Britischen Empire, das Bretton-Woods-System, die G7 und die G20 dien(t)en dazu, den Kapitalismus im gemeinsamen Interesse der herrschenden Klassen der beteiligten Länder zu reproduzieren und Krisen einzudämmen. Die G20 ist ein Produkt der Krise der postfordistischen, finanzdominierten Entwicklungsweise. In Reaktion auf die Asienkrise [1997-1999] diente sie als Forum der Finanzminister und Zentralbankchefs vor allem der geldpolitischen Koordinierung.
Ungenügende Massnahmen zur Finanzmarktregulierung
Nach Ausbruch der Finanzkrise 2007 kamen die Fiskalpolitik und weitere Aktionsfelder hinzu, letztlich um einen chaotischen Zusammenbruch des finanzdominierten Akkumulationsregimes zu vermeiden. In der krisenhaften Entwicklung der neoliberalen Globalisierung stößt die G20 immer mehr an ihre Grenzen. Einerseits soll sie den globalen Kapitalismus widerstandsfähiger machen, andererseits ist sie mit immer stärker hervortretenden inneren Konflikten und politischen Krisenerscheinungen konfrontiert. Wenn es ein Feld gibt, auf dem die G20 wirklich eine koordinierende und einflussreiche Rolle gespielt hat, so ist es die Finanzmarktregulierung. Wir haben gezeigt, dass ihre Initiativen nicht darauf ausgerichtet waren, die Deregulierung, Liberalisierung und Globalisierung der Finanzmärkte der vorhergehenden Jahrzehnte umzukehren. Vielmehr ging es darum, die Kontinuität des bestehenden finanzdominierten Akkumulationsregimes durch eine Reihe von kleineren Anpassungen zu sichern. Dabei setzte die G20 nicht an den tiefer liegenden Ursachen der Krise, sondern an den Auslösern an der Oberfläche des Finanzsystems an.
Es ging zum Beispiel nicht darum, die jahrzehntelange Umverteilung zuungunsten der Lohnabhängigen zu korrigieren, die ein Resultat der Restrukturierung der kapitalistischen Produktion nach der Krise des Fordismus war und sich in sinkenden Lohnquoten und einer zunehmenden Überschuldung der Haushalte der Lohnabhängigen ausdrückte. Es ging der G20 lediglich darum, die Eigenkapitalquoten der Banken zu erhöhen und das Handeln von Schattenbanken [u.a. Investmentfonds] oder Ratingagenturen transparenter zu machen. Aber selbst im Hinblick auf diese beschränkten Ziele wurde wenig erreicht, weil die G20 und die mit ihr verbundenen Apparate wie das FSB [Financial Stability Board ist eine 2009 von der G20 gegründete internationale Organisation, welche das globale Finanzsystem überwachen sollte] oder das BCBS [das 1974 gegründete Basel Committee on Banking Supervision gibt Empfehlungen zur Regulierungen des Bankensektors heraus; u.a. zu Eigenkapitalquote der Banken] davor zurückschreckten, die Handlungsfreiheit der Finanzunternehmen und Kapitalanleger signifikant einzuschränken, und weil die Reformen in der Umsetzung aufgrund divergierender Interessen von Akteuren auf der nationalen Ebene und auf der EU-Ebene verwässert und blockiert wurden.
G20 als Umsetzerin der neoliberalen Agenda
Dass die Politik der G20 keinen Kurswechsel gegenüber der neoliberalen Politik der vorangegangenen Jahrzehnte darstellt, wird [in der Studie] deutlich aufgezeigt. Die G20-Agenda wurde zwar auf Themen wie Entwicklung, Klimawandel oder Nachhaltigkeit ausgeweitet, doch die Bearbeitung dieser Themen wurde in neue Projekte zur Förderung des Wirtschaftswachstums und der privaten Investitionen verwandelt. Am Beispiel der Behandlung der Agenda 2030 durch die G20 und der «Partnerschaft mit Afrika» wird deutlich, wie durch die Schaffung von Investitionsanreizen, grenzüberschreitende Megaprojekte und ÖPP [Öffentlich-Private Partnerschaften] privates Kapital mobilisiert und das Wachstum belebt werden soll.
Die mit der Austeritätspolitik seit 2010 verbundene Orientierung auf Strukturreformen, die vor allem in den Arbeitsmarkt und in die Reproduktion der Arbeitskraft eingreifen, und das seit 2015 erstarkende Paradigma des Leveraging [Fremdfinanzierung] öffentlicher Investitionen durch privates Kapital gehen ineinander über. Zum einen sollen Arbeitsmärkte flexibilisiert und Lohnkosten gesenkt, zum anderen private Investitionen durch öffentliche Mittel abgesichert und neue Akkumulationsfelder erschlossen werden. Insgesamt geht es darum, in der tief greifenden Krise der neoliberalen Globalisierung neue Wachstumsquellen zu erschließen. Dazu werden weitere Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge und der Infrastrukturen sowie der Biosphäre marktförmig organisiert und für private Investitionen geöffnet. Inwieweit sich hier die Konturen eines neuen Akkumulationsregimes herausbilden, lässt sich noch schwer absehen. Der finanzgetriebene Charakter der Akkumulation und die zugrunde liegende strukturelle Überakkumulation werden indes bisher reproduziert.
Einbeziehung der «Zivilgesellschaft» als Farce
Ebenso wie die thematische Erweiterung führten auch die organisatorische Auffächerung des G20- Prozesses und die Einbeziehung der Zivilgesellschaft zu keinem Kurswechsel in der G20-Politik. Auch wenn die deutsche Bundesregierung – nicht zuletzt aus strategischen Gründen – die Teilnahme ausgewählter Organisationen der Zivilgesellschaft stärker als bislang fördert, ist es offenkundig, dass der Spielraum für alternative Politikformulierung innerhalb der G20-Verhandlungen enorm eingeengt ist. Wichtige Fragen werden vermieden und bereits beschlossene Maßnahmen nur unzureichend umgesetzt. Starke Asymmetrien etwa zwischen den C20 [Civil20; Gipfel der Zivilgesellschaft] und den B20 [Business20; Wirtschaftsgipfel] sowie zwischen dem «Sherpa»- und dem «Finance-Track» bestätigen diesen Eindruck.[1]
Geopolitische Konflikte und die Widersprüche der G20
Schließlich haben wir darauf verwiesen, dass handels-, währungs-, fiskal-, und geopolitische Konflikte innerhalb der G20 zunehmen. Obwohl die neoliberale Globalisierung in einer tiefen Krise steckt und die Macht der USA und der alten kapitalistischen Zentren, die Spielregeln der globalen Politik zu bestimmen, an ihre Grenzen gerät, stößt auch der graduelle Aufstieg der «Schwellenländer» innerhalb der kapitalistischen Weltwirtschaft an Schranken. Einzig China könnte in den Kreis der kapitalistischen Zentren aufsteigen und die kriselnde US-Hegemonie herausfordern. Es bestehen jedoch wechselseitige Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Wachstumsmodellen der kapitalistischen Zentren und der (semi-)peripheren Staaten, die sich innerhalb der postfordistischen Entwicklungsweise bzw. der neoliberalen Weltordnung herausgebildet haben.
Dies gilt auch für China und Russland. Die neu aufstrebenden Mächte unterminieren also nicht nur die Dominanz der alten kapitalistischen Zentren, sie üben – ungeachtet ihrer nicht unbedingt liberalen Herrschaftssysteme im Inneren – auch einen stabilisierenden Effekt auf die liberale Weltwirtschaftsordnung aus und könnten eher an deren langfristiger Transformation als an ihrem kurzfristigen Zerfall interessiert sein. So könnte es zur Herausbildung neuer Allianzen nach den Politikwechseln in den USA [Trump als Präsident] und Großbritannien [Brexit] kommen. Dennoch sind wachsende Rivalitäten zwischen der hegemonialen liberalen Regulation der Weltwirtschaft [USA, Europa, Japan] und einem staatskapitalistischen Ordnungsmodell [China, Russland u.a.] zu erwarten, dessen Internationalisierung vor allem durch China vorangetrieben wird. Dabei geht es jedoch um divergierende Wachstumsstrategien und gegenläufige ökonomische Ordnungsvorstellungen – nicht um grundsätzliche Alternativen zum Kapitalismus.
Fazit
Insgesamt zeigt sich also: Die G20 ist zum einen ein Koordinierungsgremium der herrschenden Klassen der beteiligten Länder, zum anderen ein Ort zur Austragung ihrer Interessenkonflikte. Die G20 versucht gleichsam, einen kollektiven Imperialismus zu organisieren, aber sie hebt die Widersprüche des Kapitalismus und die nationalen Interessendivergenzen nicht auf. Sie trägt daher sowohl die Züge einer informellen Weltregierung als auch eines handlungsunfähigen Papiertigers. Ihre Politik dient dazu, in der tief greifenden Krise des globalen Kapitalismus für ein Mindestmaß an wirtschaftspolitischer Stabilität zu sorgen und neue Wachstumsquellen zu erschließen. Doch eine solidarische Politik, welche die ökonomischen, gesellschaftlichen, politischen und ökologischen Krisenerscheinungen des globalen Kapitalismus einhegt oder gar deren Ursachen an der Wurzel packt, ist von ihr nicht zu erwarten. Im Gegenteil: Der Neoliberalismus und die Ökonomisierung aller Lebensbereiche, der Abbau demokratischer Spielräume und Rechte sowie die Zunahme geopolitischer Spannungen werden durch die Politik der G20 nicht gebremst, sondern beschleunigt. Auch wenn die Unterschiede innerhalb der G20 nicht von der Hand zu weisen sind, steht die G20 für eine zunehmend krisenhafte und autoritäre Entwicklung des globalen Kapitalismus, für die Vertiefung und autoritäre Bearbeitung seiner Krise und nicht für die Eröffnung einer emanzipativen Perspektive einer globalen sozialökologischen Transformation. Die G20 ist Teil des Problems.
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[1] Der Politikformulierungsprozess der G20 ist in einen «Sherpa-Track» und einen «Finance-Track» untergliedert. Ersterer wird von einem von den Staats- und Regierungschefs ernannten Unterhändler («Sherpa») geleitet und umfasst die «weichen» Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsthemen. Letzterer wird von den G20-Finanzministern und Zentralbankchefs geleitet und umfasst die «harten » Themen Finanzmarktregulierung, Währungs- und Fiskalpolitik, Infrastrukturinvestitionen und Besteuerung. Dies macht die ungleiche Behandlung der Themen sowie die Hierarchien innerhalb der G20-Strukturen deutlich.
Untertitel und geringfügige sprachliche Änderungen wurden durch die Redaktion hinzugefügt.