Morgen, am 1. Oktober 2017, wird in Katalonien ein Unabhängigkeitsreferendum abgehalten. Die spanische Zentralregierung versucht mit allen Mitteln zu verhindern, dass die Abstimmung durchgeführt werden kann. Das Vorgehen der katalanischen Regionalregierung verstösst zwar gegen die spanische Verfassung, doch es ist wichtig zu wissen, in welchem Kontext eben diese Verfassung entstanden ist und weshalb der Widerstand der katalanischen Bevölkerung legitim und richtig ist.
von BFS Jugend Zürich
Bis 1975 war Spanien eine faschistische Diktatur. In Anlehnung an den Diktator Francisco Franco wird oft der Begriff Franquismus verwendet. Nach dessen Tod kam die verbleibende franquistische Elite aufgrund des progresssiven gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses unter Druck. Das erste Mal seit 1936 wurden im Spanischen Staat Wahlen abgehalten; fortschrittliche bis linke soziale Bewegungen waren im Aufschwung. Massgeblich dazu beigetragen haben Unabhängigkeitsbewegungen im Baskenland, in Katalonien und anderswo. Damals wie heute gingen Millionen von Katalan*innen auf die Strasse, um ihr politisches Recht auf Selbstbestimmung einzufordern und gegen die soziale und kulturelle Unterdrückung (u.a. ihrer Sprache) zu protestieren.
Das Erbe der faschistischen Diktatur
Die spanische Regierung brüstet sich mit dem erfolgreichen Übergang zur Demokratie – der Transición – Ende der 1970er Jahre. In Wirklichkeit blieben aber die allermeisten alten Faschist*innen in Amt und Würden; die neue Verfassung wurde von sieben alten Franquisten ausgearbeitet; im Richterstand, bei der Guardia Civil und anderen franquistischen Polizei- und Militärcorps wurde gar nichts verändert. In vieler Hinsicht hat der heutige spanische Zentralstaat einen post-faschistischen Charakter. Am Brutalsten zeigte sich dies seit der Transición im Baskenland, wo in den letzten Jahrzehnten Tausende politische Aktivist*innen inhaftiert und gefoltert wurden und das Gebiet durch die Zentralregierung militärisch besetzt ist. Neben den alten franquistischen Eliten hat die spanische Sozialdemokratie (PSOE), welche mit der rechten Partido Popular (PP) abwechselnd die Regierung stellte, diese Verbrechen mitzuverantworten. Im Fall Katalonien hat man sich nach der Franco-Zeit auf eine Teilautonomie geeinigt, um den sozialen Frieden zu wahren.
Eskalation des Katalonien-Konflikts im September 2017
Der Konflikt zwischen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung und der Zentralregierung in Madrid eskalierte Mitte September als die Guardia Civil und die Policia Nacional begannen Katalonien unter ihre Kontrolle zu bringen, um das Referendum zu verhindern, welches die bürgerliche katalanische Regionalregierung aufgegleist hat. Unterdessen hat Madrid Katalonien die Hoheit über ihr Budget und die Regionalpolizei entzogen. Es scheint als würden alle Geister der faschistischen Vergangenheit gerufen, was zwar schockiert, aber nicht verwundert. Denn der regierende Partido Popular um Ministerpräsident Mariano Rajoy ist nicht nur der ideologische Nachfolger des Franquismus; ein Grossteil der aktuellen Regierungsmitglieder stammt zudem aus Familien hoher Funktionär*innen des Franco-Regimes.
Die heterogene Unabhängigkeitsbewegung
Wir rufen dazu auf, das Recht der Katalan*innen und allen anderen unterdrückten Bevölkerungen auf Selbstbestimmung zu verteidigen und sich der autoritären Repression der spanischen Zentralregierung vehement entgegenzustellen! Wenn der spanische Staat der Bevölkerung Kataloniens nicht einmal das bürgerliche Grundrecht auf freie, demokratische Meinungsäusserung zugesteht, wird sein Erbe aus der Zeit des Faschismus offensichtlich.
Gleichzeitig müssen wir uns bewusst sein, dass die Interessen der katalanischen Bourgeoisie innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung taktgebend sind. Die bürgerliche Regionalregierung möchte in erster Linie die Profite der katalanischen Kapitalist*innen schützen und maximieren. Der Bourgeoisie ist die Quersubventionierung des ärmeren Süden Spaniens ein Dorn im Auge. Oftmals wird mit einer angeblich besseren „katalanischen Kultur“ argumentiert und man grenzt sich mit rassistischen Ressentiments von Binnenmigrant*innen aus (Süd-)Spanien ab. Durch die sozialen Bewegungen im gesamten spanischen Staatsgebiet – von den Indignados und der Anti-Austeritätsbewegung, bis hin zu den Kämpfen gegen die Zwangsräumungen – gewannen jedoch die linken Kräfte innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung in den letzten Jahren an Terrain. Das linke Bündnis Candidatura d’Unitat Popular (CUP) ist momentan eine der massgebenden Kräfte in der Massenbewegung für das Referendum. Dazu kommt, dass in den letzten zwei Wochen verschiedene zivilgesellschaftliche Komitees, Sektoren der Arbeiter*innenbewegung (u.a. die Feuerwehrleute und die Hafenarbeiter*innen von Barcelona), Bäuer*innen und Studierende durch massenhaften zivilen Ungehorsam, Demonstrationen, Strassenblockaden und Besetzungen die Proteste in eine dezidiert linke Richtung lenken. Auch in anderen Regionen des Spanischen Staates solidarisieren sich Linke mit der katalanischen Bevölkerung. Dazu zählt unter anderem die andalusische Landarbeiter*innengewerkschaft Sindicato Andaluz de Trabajadoras/es (SAT).
Für das Referendum! Nein zur Austeritätspolitik!
Am 1. Oktober 2017 ist in Katalonien ein Chaos sondergleichen zu erwarten. Selbst wenn das Referendum aller Sabotageversuche durch die spanische Polizei zum Trotz abgehalten wird und dabei ein JA herauskommen sollte, wird die Zentralregierung dies nicht akzeptieren. Der Spanische Staat wird den Wirtschaftsmotor Katalonien niemals freiwillig abtreten. Dasselbe gilt für das Baskenland.
Aufgrund der zu erwartenden Repression am Sonntag haben verschiedene Gewerkschaften für den kommenden Dienstag, 3. Oktober 2017 zum Generalstreik aufgerufen. Diese Stossrichtung ist wichtig. Denn die Forderung nach Unabhängigkeit muss mit sozialen Forderungen einhergehen. Nur so wird es möglich sein, dass der Kampf für die Unabhängigkeit und gegen die Repression der zentralstaatlichen Regierung, auch ein Kampf gegen dessen Austeritätspolitik wird. Zudem erlaubt die soziale Aktion der Lohnabhängigen auch die Integration derjenigen Arbeiter*innen in Katalonien, die aus Südspanien, Afrika oder Lateinamerika eingewandert sind, und als billige Arbeitskräfte das Rückgrat der katalanischen Wirtschaft bilden. Schlussendlich wäre es dadurch möglich das Kräfteverhältnis innerhalb Kataloniens weiter nach links zu verschieben. Die Unabhängigkeitsbewegungen im Baskenland und andernorts könnten durch einen Erfolg in Katalonien ebenfalls neuen Schwung erhalten.
Solidaritätskundgebung in Zürich
Um unsere Solidarität mit den katalanischen Lohnabhängigen und dem Generalstreik auszudrücken, rufen wir zu einer Kundgebung vor dem spanischen Konsulat in Zürich auf!
Dienstag, 3. Oktober 2017 um 18:00 Uhr
Spanisches Konsulat, Schaffhauserplatz Zürich
-Autodeterminació ara! Für das Recht auf Selbstbestimmung!
-Gegen die Repression der Franco-Erb*innen! Freiheit für alle politischen Gefangenen!
-Nein zur Austeritätspolitik! Solidarität mit den Lohnabhängigen in Katalonien!