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Zensur im Internet. Indymedia verboten, Naziseiten abgestellt

In den letzten Wochen ist es zu mehreren Fällen von umfassender Internetzensur gekommen. Nach den Ereignissen von Charlottesville in den USA haben Google und Facebook die Internetpräsenz verschiedener rechtsradikaler Gruppen entfernt. Und heute, am 24. August 2017 hat die deutsche Bundesregierung bekannt gegeben, die linke Medienplattform Indymedia Linksunten zu verbieten. Diese Ereignisse zeigen, dass es höchste Zeit ist, sich über Zensur im Internet Gedanken zu machen.

von BFS Zürich

Die Reaktionen auf Charlottesville

Als es am 11. und 12. August in Charlottesville im US-Bundesstaat Virginia zu Ausschreitungen von rechtsextremen und neonazistischen Gruppierungen und zu Zusammenstössen mit Gegendemonstrant*innen gekommen ist, folgten darauf ganz unterschiedliche Reaktionen. Während Donald Trump die Täter verteidigte und „beiden Seiten“ die Schuld zuwies, verurteilten viele grösseren Technologie-Unternehmen die rechtsextremen Umtriebe aufs Schärfste. Diese Reaktion konnte durchaus als positiv bewertet werden, ist es doch alles andere als selbstverständlich, dass solche Unternehmen in Kauf nehmen, einen Teil ihrer Nutzer*innen durch offensive politische Statements zu verlieren.
Gleich darauf zeigte sich aber auch eine bedenkliche Seite der politischen Einmischung grosser Konzerne gegen den von ihnen deklarierten „Extremismus“: Google, Facebook, aber auch AirBnB und verschiedene Datingportale fingen an, User, Inhalte und ganze Webseiten verschiedener rechtsextremer Bewegungen zu blockieren. Innert weniger Minuten sind ganze Internetplattformen einfach verschwunden.[1] Um diese Internetseiten ist es nicht Schade, da muss man keine Tränen verdrücken. Man kann grundsätzlich sogar froh sein, existieren die Hass verbreitenden und aufhetzenden Plattformen in ihrer bisher populären Form nicht mehr. Gleichzeitig lässt es aber nur Ungutes erahnen, wenn privatwirtschaftliche Konzerne, die dazu noch das Glück haben, aus Monopol-ähnlichen Stellungen zu operieren, über politisch „angemessene“ und „unangemessene“ Inhalte entscheiden. Denn so wird es nicht lange dauern, bis auch linke Inhalte unter dem Prädikat „unangemessen“ aus den Suchlisten von Google und den Timelines von Facebook verschwinden.

Die Macht von Google und Co.

Auch ohne diese direkte und äusserste Form der Zensur bestimmen Google, Facebook und andere Internetkonzerne schon sehr weitgehend über die Inhalte, welche wir zu sehen bekommen. Bei Google erreicht man ein Vielfaches an Aufrufen und eine bessere Platzierung bei den Suchergebnissen, wenn man auf einer Website die Artikel nach den formalen Vorgaben des Konzerns verfasst. Titel sollten die Schlagworte enthalten, der Lead die wichtigsten Aussagen zusammenfassen. Die Länge ist teilweise auf das Zeichen genau vordefiniert. Wer dazu die eigene Website noch für Mobilgeräte anpasst, wird mit höherer Bewertung belohnt.
Bei Twitter wiederum reichen manchmal falsche Hashtags, um als Account für mehrere Tage gesperrt zu werden, wenn dieser denn nicht gleich gelöscht wird. So geschehen erst kürzlich mit dem Account der Revolutionären Jugend Gruppe Bern (RJG), die auf ihrem Twitter-Account über die Reise nach Hamburg unter den Hashtags #NoG20 und #ZuG20 berichtet haben.[2]
Ähnliches gilt bei Facebook. Wer die eigenen Inhalte in Form von Bildern und Videos präsentiert, gewinnt an Reichweite. Wer öfters dasselbe postet, verliert. Wer ein verbotenes Symbol, wie beispielsweise eine Flagge der kurdischen Selbstverteidigungseinheiten YPG postet, wird gesperrt. Oder die Polizei kommt auf einen Hausbesuch vorbei. So geschehen vor einer Woche in Deutschland.[3]

Deutschland verbietet Indymedia

Sowieso haben staatliche Stellen auf Internetplattformen ein Augenmerk gelegt. Unter dem Vorwand der Bekämpfung des Terrorismus wurden in vielen europäischen Ländern in den letzten Jahren Gesetze erlassen, die es den Behörden ermöglichen, weit in die Privatsphäre von Personen vorzudringen, Computer mit Trojanern zu infizieren und Verschlüsselungen zu knacken oder zu umgehen. Der neue Raum und die vielfältigen Möglichkeiten, die sich mit der rasanten Verbreitung des Internets in den letzten 20 Jahren aufgetan haben, sollen so wenn möglich wieder geschlossen werden.
Wie weit dies gehen kann, zeigte sich nun am 24. August 2017. Das Bundesinnenministerium Deutschlands hat die einflussreiche und beliebte Internetseite linksunten.indymedia.org für verboten erklärt. Unter dem Vorwand, dass auf der Seite anonyme Aufrufe zu Gewalt und Sachbeschädigung gepostet werden konnten und sie sich somit gegen die „verfassungsmässige Ordnung“ richte, will hier wohl der Eindruck vermittelt werden, es werde nach den Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg durchgegriffen.[4]
Solche Einschränkungen und Angriffe werden in Zukunft kaum weniger werden. Schon stehen in vielen Ländern neue Gesetze in den Startlöchern, die die Anonymität im Internet weiter untergraben wollen. Und im Rahmen von Ausnahmezuständen und dem Kampf gegen „Extremismus“ werden wohl zukünftig insbesondere auch linke Projekte von staatlicher Repression betroffen sein.

Das Internet birgt Probleme und Chancen

Aus Angst vor Repression, Überwachung und Zensur auf das Internet und Social Media zu verzichten, kann für linke Aktivist*innen jedoch auch keine Option sein. In einer Zeit, in der physische Zeitungen massiv an Leser*innen verlieren und die entsprechenden Redaktionen von den zu Gemischtwarenhäusern umfunktionierten ehemaligen Zeitungskonzernen zusammengekürzt werden, wie gerade beim Tamedia-Konzern erlebt, können wir nicht einfach die Gewohnheiten eines grossen Teils der Bevölkerung ignorieren. Es wird sich heute zu diversen Themen auf verschiedenen Internetplattformen informiert. Gerade auch, weil die Internet-Medien für neue Formen der Vermittlung von Inhalten Raum öffnen. Nutzen wir diese.
Wir müssen uns dabei aber immer bewusst sein, dass wir uns im Rahmen von Konzernen bewegen, die uns unter Umständen über Nacht den Stecker ziehen können. Es lohnt sich also, auf verschiedenen Plattformen aktiv zu sein und zentrale Infrastruktur am besten immer noch selbst zu hosten.
Gleichzeitig zeigen Beispiele aus Ländern, in denen die Repression und die Zensur schon weitreichendere Formen angenommen haben, dass sich niemals alle Kanäle kontrollieren lassen. Die Aufstände im Rahmen des arabischen Frühlings 2011 waren massgeblich von sozialen Medien befeuert und verbreitet worden und auch in Ländern wie dem Iran zählen mittlerweile Telegram[5]-Gruppen zu den beliebteren News-Quellen.
Ganz wichtig wird sein, dass wir gegen jegliche Versuche, die Netzneutralität aufzuheben, entschieden vorgehen und Zensurmassnahmen bekämpfen. Denn wenn die politische Linke anfängt, staatliche oder private Zensurmassnahmen gegen politische Gegner*innen zu fordern, oder zumindest für notwendig zu erklären, vergisst sie meist, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sich die entsprechenden Paragraphen und Gesetze gegen sie selbst wenden.
Fussnoten:
[1] http://www.telegraph.co.uk/technology/2017/08/15/tech-companies-block-neo-nazi-groups-charlottesville-rally/
[2] https://twitter.com/sozialismus_ch/status/900291505641988096
[3] https://www.klassegegenklasse.org/razzia-in-muenchen-usk-stuermt-wohnung-wegen-ypg-fahne-auf-facebook-profil/
[4] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/linke-website-linksunten-indymedia-von-innenministerium-verboten-a-1164429.html
[5] Ein Instant-Messaging-Dienst, ähnlich wie Whatsapp.

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2 Kommentare

  1. Benjamin Morgentau

    Die Schweiz hat eine lange Geschichte mit Zensur die sich vornehmlich an der Aussenpolitik und Investitionen orientiert.
    Kurt Tucholsky stellte einst fest, In der Schweiz gibt es keine Zensur, aber sie funktioniert prächtig.
    Was in Ländern Europas noch heftig debatiert wird ist in der Schweiz schon seit Jahren gesetzlich vorgeschrieben, die Aufzeichung und Speicherung des Internetverkehrs von jedem hier. Zuerst für 3 Monate, heute bereits 6.
    Es gibt Sperrlisten die den Internetzugansanbietern zugestellt werden, die aber noch freiwillig implementiert werden. Die Swisscom übernimmt diese Liste vollständig und fordert jeden der damit nicht einverstanden ist den Vertrag zu künden.
    Frei nach der neoliberalen Ideologie das ein Staat nur Investitionen und Eigentum zu schützen hat.
    Das diese Sperrungen und Vorratsdatenspeicherung einfach so implementiert werden wird einem Law and Order Staat gerecht. Eine freie Gesellschaft ist es nicht auch weil die Gründe für die Sperrungen keiner freien Debatte ausgesetzt sind.
    Aber dann, bei jeder Grenzüberquerung geben Wir Rechte und Pflichtn ab und werden gezwungen andere zu akzeptieren.

    • Benjamin Morgentau

      …ich vergass zu erwähnen, das die Zensurbestrebungen der US kontrollierten sozialen Netzwerke nicht für die USA selber gelten… so wie auf der Seite von wsws.org beschrieben, es wird also der Rest der Welt von den USA zensuriert… und das nicht auflisten von Suchergebnissen ist ja keine Zensur… oder?

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