Am 2. November 2017 hat das spanische Nationalgericht (Audiencia Nacional) acht Mitglieder der Regierung Kataloniens verhaften lassen, darunter den Vize-Präsidenten Kataloniens und Chef der republikanisch-katalanischen Sozialdemokratie (ERC), Oriol Junqueras. Zuvor war der Präsident Carles Puigdemont (PDeCAT, bürgerlich-rechts) nach der Entmachtung der Regionalregierung Generalitat nach Brüssel geflohen. Dort hat er sich am 5. November der belgischen Polizei gestellt. Ihm und allen verhafteten Regierungsmitgliedern Kataloniens wird vorgeworfen, sich gegen den spanischen Staat aufgelehnt zu haben. Das Madrider Nationalgericht greift hier auf den Tatbestand der Rebellion zurück, der zuletzt gegen die Putschisten von 1981 zur Anwendung kam. Rebellion wird mit bis zu 25 Jahren Gefängnis bestraft. Anstelle der abgesetzten Regierung hat Rajoy seine Stellvertreterin, Soraya Sáenz de Santamaría, als offizielle Statthalterin Spaniens in Katalonien installiert. Folgenden Text wird die Bewegung für den Sozialismus an der Solidaritäts-Aktion mit dem katalonischen Generalstreik vom 8. November in Zürich verteilen.
von BFS Zürich
Verteidigen wir die demokratischen Grundrechte gegen die repressive Eskalation von Seiten spanischen Staates: Es muss freie Wahlen, das Recht auf Demonstrationen und Vereins- und Pressefreiheit geben!
Bilder von niedergeknüppelten Menschen, die am Referendum vom 1. Oktober 2017 teilnahmen, und der Einsatz von Guardia Civil und Policía Nacional, die mit brachialer Gewalt Wahllokale in Katalonien stürmte, haben weltweit für Empörung gesorgt. Bei seiner Politik der eisernen Hand kann sich Rajoy aber auf die EU-Regierungen verlassen, denn alle sehen den Konflikt als „innere Angelegenheit Spaniens“. Wer zusammen mit den Staatsoberhäuptern Europas „Ruhe und Ordnung“ fordert, sollte sich die Bedingungen vergegenwärtigen, durch welche der Übergang Spaniens zur bürgerlichen Demokratie (mit starkem, postfaschisitschem Einschlag) vollzogen wurde. Nach dem Tod des Diktators Francos entstand die Verfassung von 1978 als ein unfertiger Kompromiss, bei welchem die alten faschistischen Funktionseliten erhalten blieben. Eine solche Verfassung muss die Bevölkerung in Katalonien und im spanischen Staat generell sicher nicht anerkennen.
Am 27. Oktober hat das katalanische Parlament eine Resolution verabschiedet, in welcher eine unabhängige Republik proklamiert wurde. Als Reaktion darauf liess Rajoy das Autonomie-Statut Kataloniens aufheben. Dies tat er mit der Zustimmung der PSOE (spanische Sozialdemokratie), und unter Anwendung des ominösen Artikels 155, der es der Zentralregierung ermöglicht gegen eine Regionalregierung vorzugehen, falls diese der Verfassung zuwiderhandelt. Rajoys Rechtfertigungsstrategie hat aber klaffende Lücken. Denn nach der Meinung der meisten Verfassungsrechtler*innen ist es nicht möglich durch den Artikel 155, eine Regionalregierung abzusetzen. Lediglich eine Suspendierung von einer regionalen Exekutive ist vorgesehen, nicht deren Zerschlagung und Verhaftung. Was Rajoy im Senat tatsächlich verhandelt hat, sind Notstands-Massnahmen, die er aber bei Missachtung der Schranken des Verfassungsartikels 116 durchboxt. Das heisst, seine Regierung umgeht die parlamentarische Kontrolle.
Dass die obersten Instanzen der spanischen Justizs einer solche Pseudo-Legalisierung des Ausnahmezustandes widerspruchlos zustimmen, zeugt einmal mehr von deren mangelnder Unabhängigkeit. Das ist aber nicht neu, das Oberste Gericht hat seit dem Beginn des Konfliktes im Sinne der regierenden Pardido Popular entschieden. Ein strukturelles Defizit dieses Staates, der auf der postfaschistischen Basis diesder Verfassung von 1978 steht, besteht darin, dass Richter*innen nicht unabhängig von den regierenden Parteien ernannt werden.
Im breiteren Kontext der nicht gelösten „Schulden-Krise“ von Ländern wie Griechenland, Italien und dem spanischen Staat geht es darum, ob das Absetzen von amtierenden Regierungen sich als europäischer Standard durchsetzt. Nach der verheerenden Memorandums-Politik der Troika in Griechenland, und der Auslagerung der „Migrationsfrage“ an diktatorische Staaten wie die Türkei oder Libyen, ist es ein weiterer Schritt zum Ausbau des autoritären europäischen Krisenmanagements.
Wir fordern deshalb die sofortige Freilassung aller Gefangenen, die im Rahmen des Konfliktes um Katalonien festgenommen wurden! Wir sagen Nein zum de facto Ausnahmezustand!
Die katalanische Bevölkerung hat das Recht auf Selbstbestimmung und in welchem Verhältnis zu spanischem Staat sie stehen will.
Welche Legitimität haben die Neuwahlen am 21. Dezember, wenn die Zentralregierung in Madrid sie per Dekret durchgesetzt hat und mögliche Kandidat*innen im Gefängnis sitzen? Welche Legitimität besitzt ein Urnengang, der von einer Strategie der Spannung und Drohung begleitet wird? Können Bürger*innen frei entscheiden, nachdem die Repressionskräfte Menschen in Wahllokalen mit grösster Brutalität niedergeknüppelt und Vertreter der Zivilgesellschaft inhaftiert haben?
Mariano Rajoy möchte in Katalonien eine ihm gehorsame Regionalregierung haben, er möchte durch sein brutales Vorgehen aber noch etwas Weiteres erreichen. Er möchte die Krise des „Regimes von 1978“ autoritär lösen, indem er den Staat noch zentralistischer gestaltet und den Repressionsbehörden mehr Macht zuspricht (wie im Rahmen des „Maulkorb-Gesetzes“ von 2014).
Nach der verheerenden Memorandums-Politik der Troika in Griechenland, wo das „Oxi“ (Nein) der griechischen Bevölkerung zertrampelt wurde, ist das Verhängen des Ausnahmezustandes in Katalonien ein neuer Schlag ins Gesicht für alle, die für Freiheit und Demokratie im Betrieb, in der Schule und im Staat kämpfen und selbst entscheiden wollen, von wem sie vertreten werden wollen.
Unsere Solidarität geht an die Basis der Lohnabhängigen gegen die Repression des spanischen Staates und gegen das autoritäre, antisoziale Krisenmanagement.
Basis-Gewerkschaften haben für den 8. November zu zweiten Generalstreik seit dem Referendum aufgerufen, um die katalanische Republik gegen die Repression zu verteidigen. Wir sprechen unsere Solidarität mit den Aktionen der Lohnabhängigen aus, die für uns in der Kontinuität der beeindruckenden Momente der umfassenden Blockaden im Rahmen des Generalstreiks vom 3. Oktober stehen. Auch während des durch den Zentralstaat verbotenen Referendums vom 1. Oktober haben Hunderttausende Menschen trotz der Polizeigewalt gezeigt, was Selbstorganisation,ziviler Ungehorsam und aktiver Widerstand bewirken können.
Am letzten Wochenende haben Basis-Komitees zur Verteidigung des Referendums und Komitees zur Verteidigung der Republik (Comités en Defensa de la Republica- CDR) angefangen, wichtige Verkehrsachsen wie Kreuzungen, Autobahnen und Eisenbahnstrecken zu blockieren. Gleichzeitig haben sich Demonstrant*innen vor den Rathäusern versammelt und haben ein Ende der Repression sowie die Freilassung der verhafteten Personen gefordert.
Es ist momentan nicht möglich eine Einschätzung zu geben, wie sich die Situation in Katalonien entwickeln wird. Dass die soziale Frage jetzt erneut von Basisaktivist*innen auf die Tagesordnung gesetzt wird, ist für uns entscheidend. Dies angesichts der massiven Kürzungen im Sozialbereich (Gesundheit und Schulen etc. ), welche die vorgängigen katalanischen Regierungen erzwungen haben. Wir rufen deshalb dazu auf, mit den Basis-Organisationen der Lohnabhängigen vor Ort – insbesondere mit den „Comités en Defensa del Referendum/ de la Republica“ – Solidarität zu zeigen.