In jüngster Zeit gab es immer wieder grosse Strassenproteste in Mazedonien. Diese waren geprägt von Problemen ethnischer, politischer und wirtschaftlicher Natur. Dabei gilt: In einem imperialistischen Konfliktszenario, wie es diese auf dem Balkan und in Osteuropa häufig gibt, existiert eigentlich nur die Wahl zwischen Reaktion und Revolution. In Mazedonien, einer ehemaligen Teilrepublik des Staates Jugoslawien, geschah dabei vor kurzem so etwas wie eine „farbige“ Revolution.
Von Edvin Imeri*
Einige Ereignisse aus der Vergangenheit
Bei einer Schiesserei zwischen albanischen, terroristischen Separatisten und mazedonischen Polizisten wurden im Mai 2015 22 Menschen erschossen. Diesem Zusammenstoss vorausgegangen waren grosse Demonstrationen in den Strassen der Hauptstadt Skopje, bei denen sich zehntausende Personen vor dem Parlament für eine Abdankung von Premierminister Nikola Gruevski der autoritär-nationalistischen VMRO-DPMNE-Partei stark gemacht hatten. Die Demonstrationen erinnerten an die Euromaidan-Bewegung in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Diese farbige multiethnische Revolution und auch die militärische Aggression als Antwort darauf geschahen in einem Land, dessen Bevölkerung von nur etwa zwei Millionen Personen zu 64 Prozent aus Slav*innen besteht, zu 20 Prozent aus Menschen albanischer Herkunft sowie Gruppen wie Bosniaken, Torbeshi, Roma, Türk*innen, Rumän*innen und einige mehr.
Führende Kraft der „farbigen Revolution“ in Mazedonien war offiziell die Opposition um Zoran Zaev von der SDSM (Sozialdemokratische Union Mazedoniens), eine Partei, die wie ein Phönix aus der Asche der ehemaligen Kommunistischen Partei Mazedoniens auferstanden ist. Unterstützung erhielt sie von Ali Ahmeti, dem Gründer der albanischen UCK (Nationale Befreiungsarmee), die versucht, die ethnischen Albaner*innen von der Notwendigkeit einer Kooperation mit der EU und der Nato zu überzeugen, um letztlich die Unabhängigkeit von Mazedonien zu erlangen. Die Opposition – die ein Knecht der EU und Nato ist – wurde in ihrem Tun vom amerikanischen Investor George Soros finanziert. Sie publizierte abgehörte Aufnahmen, die der Regierung unterstellten, für einen offiziell von albanischen Separatisten durchgeführten Terroranschlag in der nordmazedonischen Stadt Kumanovo verantwortlich zu sein. Dabei bleibt unklar, wie die Opposition wirklich in Besitz dieser Aufnahmen gelangen konnte.
Funken eines Bürgerkriegs
Auch in diesem Fall geschah, was immer geschieht, wenn eine mazedonische Regierung sich in einer Krise befindet: der albanische Separatismus erwachte. Die albanische Minderheit schloss sich den Aspirationen nach einem Grossalbanien an, das aus der Verbindung mit dem Staat Albanien und dem Kosovo entstehen soll. Auch Albanien und der Kosovo reagierten schnell auf die Forderungen einer Vereinigung in einem Staat Grossalbanien. Der albanische Premierminister Edi Rama träumte bereits von einem EU-Staat Grossalbanien. Doch bei all der Rhetorik wurde einzig von den echten Problemen der Arbeiter*innenklasse abgelenkt.
Trotz aller Proteste weigerte sich Gjorge Ivanov, Präsident Mazedoniens und Sympathisant der nationalistischen VMRO-Partei, schliesslich, der Opposition unter Zoran Zaev das Mandat zur Bildung einer neuen Regierung zu erteilen. Die Grundlage für Ivanovs Entscheid lag darin, dass er glaubte, eine Allianz zwischen den Oppositionskräften könnte die Integrität des Landes bedrohen. Umgekehrt nannte Oppositionsführer Zaev den Akt einen Staatstreich, da dieser klar gegen die geltende Verfassung verstösst.
Nach den gescheiterten Wahlen im Dezember 2016 entwarfen die Parteien der albanischen Minderheit dann ein Regierungsprogramm, mit der offiziellen Zustimmung der sozialdemokratischen SDSM-Partei, das den mazedonischen Staat neu definiert. Diese sogenannte Plattform, wie das Programm genannt wird, wurde direkt in der albanischen Hauptstadt Tirana verfasst und enthält Zusätze zu Flagge und Hymne, sowie die Forderung, die albanische Sprache in Mazedonien besser anzuerkennen.
Diese Pläne wiederum führten zu mindestens 42 Protesten, wobei die meisten davon in der Hauptstadt Skopje stattfanden und sich jeweils bis zu 50‘000 Leute dazu einfanden. Die Menschen protestierten gegen die auch von der EU unterstützen Pläne, die damit selbst einen Flächenbrand in Mazedonien ausgelöst hat. Während Wochen skandierten Demonstrant*innen Slogans gegen Präsident Ivanov, aber teils auch fremdenfeindliche Sprüche gegen die albanische Gemeinschaft Mazedoniens. Dabei kam es immer wieder zu Zusammenstössen der involvierten Parteien. Als Konsequenz verschlechterten sich die Beziehungen zwischen allen Beteiligten drastisch – besonders nach dem fehlgeleiteten Entscheid des Präsidenten, das Mandat zur Bildung einer neuen Regierung zu erteilen.
Perspektiven für die Linke
Die einzige Hoffnung auf eine Verteidigung der mazedonischen Arbeiter*innenklasse starb, als die Sozialistische Partei Mazedoniens (SDSM) in eine Koalition mit der nationalistischen VMRO eintrat. Sie verkaufte das Proletariat damit der Gnade kapitalistischer Politiker*innen zweier grosser Parteien. Gleiches geschah mit den Gewerkschaften, die von den Dienern und der Führern des Kapitalismus bezirzt wurden.
Doch es gibt Hoffnung! Vor etwa einem Jahr entstand aus den progressiven Teilen der Strassenprotesten die Partei Levica (Linke). Die Partei entstand primär aus der Vorgängerpartei Lenka, eine radikale linke Gruppe, die sich seit etwa einem Jahrzehnt dem antikapitalistischen Kampf verschrieben hat, gemeinsam mit Überbleibseln der Kommunistischen Partei Mazedoniens. Levica besteht hauptsächlich aus jungen Intellektuellen und Studierenden und vertritt einen demokratischen Sozialismus. Teil von ihr ist auch eine aufstrebende marxistische Strömung. Levica ist die einzige ernstzunehmende Kraft links der mazedonischen Sozialdemokratie.
Obwohl Levica noch jung ist und komplett ohne Finanzmittel der Bourgeoisie auskommen muss, hat die Bewegung an den letzten Wahlen teilgenommen. Sie erhielt mehr als 12‘000 Stimmen. Ein Achtungserfolg für diese Partei, die es sich sofort zur Aufgabe machte, die Lohnabhängigen und die Schwachen gegen die Mächtigen, die das politische Monopol in diesem Lande innehaben, zu verteidigen.
Nun muss der Kampf gemeinsam mit der Arbeiter*innenklasse, den Unterdrückten, den Arbeitslosen, den Studierenden konstant und permanent weitergeführt werden. Die Arbeiter*innen müssen in einer Einheitsfront für einen gemeinsamen Kampf vereint werden. Für Einheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und die Freiheit der Völker, ohne nationale und religiöse Schranken! Das ist die Perspektive, die in Mazedonien in diesen Tagen hervorgehoben werden muss. Und sie ist die einzige, die die ethnischen Spannungen und damit die Spaltung der mazedonischen Gesellschaft überwinden kann.
*Edvin Imeri kommt aus Mazedonien und ist Sympathisant der BFS Zürich.
„Diese Pläne wiederum führten zu mindestens 42 Protesten, wobei die meisten davon in der Hauptstadt Skopje stattfanden und sich jeweils bis zu 50‘000 Leute dazu einfanden. “
Das ist nicht Korrekt und vermutlich hat der Autor keine oder schlechte mazedonisch Kenntnisse und hat einen Übersetzungsfehler.
Stand heute 20. April, 53 Tage lang ununterbrochen tägliche Proteste und nicht nur in Skopje. Die Zahl 42, die der Autor erwähnt, ist die letzte „höchste“ Zahl der Städte und Ortschaften in welcher zeitgleich protestiert wurde. D.h. es wird landesweit protestiert, so auch heute: Skopje, Bitola, Strumica, Kichevo, Kumanovo, Shtip…etc
Hier ein Bericht von Anfang April http://mazedonien-nachrichten.blogspot.com/2017/04/menschenmassen-in-skopje-demonstrieren.html
Im übrigen spricht der Autor von „gescheiterte Wahlen“, das ist ebenfalls nicht Korrekt. Gescheitert ist eine Koalition aus dem Gewinner der Wahl und der stärksten Partei der albanischen Minderheit.