Am vergangenen Dienstag ist in Genua eine Autobahnbrücke zusammengebrochen, wobei nach bisherigen Angaben 43 Menschen den Tod fanden. Das Beispiel aus Genua zeigt auf, wohin es führt, wenn private, profitorientierte Unternehmen öffentliche Dienstleistungen übernehmen.
von Henri Ott, BFS Jugend Zürich
Wieso stürzt eine Brücke ein?
Der Grossteil des italienischen Strassensystems wurde in den 1960er und 1970er Jahren erbaut. Das Alter ist aber keine Erklärung für den Kollaps, denn auch ein Grossteil der europäischen Autobahnen wurde in diesen Jahrzehnten gebaut. Offizielle Stellen in Italien versuchten den Zusammenbruch mit dem hohen Verkehrsaufkommen und der daraus resultierenden Belastung zu erklären, doch auch das ist nicht die Ursache.
Seit der Wirtschaftskrise ab 2008 können es sich viele Menschen in Italien sich schlicht nicht mehr leisten, in den Urlaub zu fahren. Viele arbeiten den Sommer durch oder bleiben zu Hause. Die Autobahnen waren diesen Sommer nicht mehr befahren als in früheren Jahren, wahrscheinlich sogar weniger. Was sich aber gegenüber früher geändert hat, sind die Investitionen in die italienische Infrastruktur. 1999 wurde die Autostrasse A10, von der die Brücke in Genua ein Teil ist, privatisiert. Die Instandhaltung der Strassen wird über Gebühren der Benutzer*innen finanziert, die laut der zuständigen Firma in die Instandhaltung der Strassen fliessen würden. Natürlich fällt dabei auch ein wenig Profit ab, sonst hätte die Firma ja keinen Anreiz die Arbeit vom Staat zu übernehmen. Aber im grossen Ganzen ginge es ja dann doch nicht nur um Profit, sondern man wolle der Bevölkerung eine Dienstleistung bereitstellen. Dienstleistungen an der „Öffentlichkeit“ vorzunehmen und nebenbei noch etwas Geld zu verdienen, das ist das neoliberale Märchen.
Dabei ist es genau andersrum: Man orientiert sich am Geld verdienen und als Effekt nebenbei produziert man etwas, was die Gesellschaft braucht (sonst würde ja niemand Geld dafür zahlen). Wie hält man also sein Unternehmen möglichst gut über Wasser?
Privatisierung lässt Infrastruktur verlottern
Die Antwort ist vereinfacht gesagt eine simple Rechnung. Hohe Einnahmen und tiefe Kosten ergeben gute Profite. Nicht zufällig gehören die privatisierten, italienischen Autostrassen zu den teuersten in Europa (obwohl die Instandhaltungskosten vergleichbar sind wie in Frankreich oder Deutschland).
Und Ausgaben spart man am besten, wenn man einfach möglichst wenig Ausbesserungen und Reparaturen vornimmt, auch wenn das das Leben aller Verkehrsteilnehmer*innen gefährdet. Auf Fotos, die einige Wochen vor dem Einsturz aufgenommen wurden, ist deutlich zu sehen, dass die Unterseite der Brücke in einem schlechten Zustand ist. Natürlich wird das vom Unternehmen bestritten und die konkreten Ursachen müssen jetzt durch Untersuchungen erst noch ans Licht gebracht werden. Doch zurück zum Profit: Jahrelang ist die Rechnung für das Unternehmen Autostrade per l’Italia aufgegangen, letztes Jahr fuhr die Firma einen Netto-Gewinn von über 900 Millionen Euro ein und dennoch hatten sie kein Geld übrig, die Brücke zu sanieren.
Der Lega-Politiker Mattheo Salvini indes machte die EU-Gesetze verantwortlich, die es Italien nicht erlauben eine gewisse Schuldengrenze zu überschreiten. Dadurch könne der Staat auch nicht in die Infrastruktur investieren. Die Schuldengrenzen und die Austeritätspolitik im europäischen Wirtschaftsraum sind sicherlich auch dafür verantwortlich, dass wichtige Investitionen in die staatliche Infrastruktur ausbleiben und das nicht nur in Italien. Italien hat seine Investitionen in die Infrastruktur von 13 Mia. Euro vor der Krise auf 3 Mia. während den Krisenjahren reduziert. Seither wurden die Investitionen etwas gesteigert, liegen aber noch weit hinter dem zurück, was nötig wäre, um die Infrastruktur längerfristig in Stand zu halten. Die Krise und die EU-Wirtschaftspolitik waren tatsächlich mitverantwortlich für die ausbleibenden staatlichen Investitionen, allerdings greift diese Erklärung nicht nur zu kurz, sie verschweigt auch zwei wichtige Punkte.
Der erste Punkt: die Brücke Ponte Morandi in Genua war eben nicht mehr Teil der staatlichen Infrastruktur, und damit auch nicht von den Austeritätsmassnahmen betroffen. Das Unternehmen hat Gelder ihren Aktionär*innen ausgeschüttet, anstatt in die Infrastruktur zu investieren. Das war eine Entscheidung, die nicht auf Druck der EU-Gesetze gefällt wurde.
Der zweite Punkt: auch wenn der italienische Staat Direktinvestitionen tätigt, hilft dass bei der grassierenden Korruption wenig. Viele Aufträge werden an Unternehmen vergeben, die sich die Auftragsvergabe durch Schmiergelder sichern. Die Aufträge werden dann nur halb erfüllt, falsche Kosten verrechnet usw. Ein grosser Skandal kam 2014 ans Licht, als klar wurde, dass die Regierung in Rom viele städtische Dienstleistungs-Aufträge an die Mafia vergeben hatte. Scheinunternehmen der Mafia erhielten bspw. den Auftrag Schlaglöcher auszubessern. Das taten sie zwar nie, erhielten das Geld aber trotzdem. In diese Korruption sind in Italien Mitglieder aller Parteien verstrickt, mittlerweile auch solche der Lega und von deren Koalitionspartnerin, der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S).
Die Schuldigen benennen
Der Mafia-Skandal und die Korruption in der Regierung verhalfen der M5S damals zum Aufstieg, in dem sie sich als Alternative präsentiert hatten (damals waren sie noch nicht Regierungspartei und nicht so tief in die Korruption verstrickt). Dies tut jetzt auch die Lega, in dem sie die EU-Politik und die pro-EU Parteien zum Teil für die desolate Lage der Infrastruktur verantwortlich macht. Doch weder M5S noch Lega werden etwas an dieser Lage ändern. Weder haben sie den Plan, Privatisierungen rückgängig zu machen, noch sind sie weniger korrupt als die anderen Parteien. Es gibt auch keine Pläne die Steuern für die Reichen anzuheben und so die Infrastruktur für die Bevölkerung zu finanzieren, im Gegenteil: Mit pauschalen anstatt progressiven Steuersätzen, die der M5S vorschweben, würde der italienische Staat in Zukunft sogar noch weniger Einnahmen haben.
Der Kapitalismus kann und wird die Bedürfnisse der Menschen nicht befriedigen. Denn das System orientiert sich nicht an den Bedürfnissen der Menschen, sondern am Profit. Genua war nicht der erste und wird nicht der letzte Fall sein, in dem Menschen ihr Leben lassen müssen, weil ihre Sicherheit weniger wiegt als der Profit.