Am 22. Februar 2018 haben Zehntausende Dozierende an britischen Universitäten ihre Arbeit niedergelegt. Die Streikenden wehren sich gegen eine Verschlechterung ihrer Renten. Wie Steven Parfitt in diesem Artikel beschreibt, ist der Streik aber auch Ausdruck einer seit Jahren stattfindenden Veränderung des Universitätssystems, das von den Studierenden immer höhere Gebühren verlangt und den Angestellten immer schlechtere Arbeitsbedingungen bietet. (Red.)
von Steven Parfitt; aus jacobinmag.com
Diesen Donnerstag [22. Februar 2018] werden die Dozierenden der meisten Universitäten Grossbritanniens streiken. Am Freitag werden sie weiter streiken. Nächste Woche werden sie ebenfalls für drei Tage streiken, für die folgende Woche sind erneut vier Streiktage und für die darauffolgende Woche nochmals fünf Streiktage geplant. Insgesamt sind 14 Streiktage geplant, wenn die Universitätsleitungen nicht einlenken. Diese Bewegung findet in einem Sektor statt, in dem selten derartige Aktionsformen durchgeführt werden.
Die Ursache des Streiks scheint einfach. Die Universitätsmanager möchten das Rentensystem, welches für die Dozierenden von 65 britischen Universitäten gilt, verändern, was eine massgebliche Verschlechterung der Renten bedeuten würde. Die Dozierenden und ihre Gewerkschaft, die „University and College Union“ (UCU), die grösste Hochschulgewerkschaft weltweit, sind entschlossen, diese Verschlechterung zu verhindern. Da beide Seiten des Konflikts auf ihrer Position beharrten, liess die UCU ihre Mitglieder im Januar 2018 über den Streik abstimmen und eine grosse Mehrheit der Dozierenden war dafür.
Die Ursache für diesen Streik liegt aber tiefer. Es ist ein Teufelskreis, der seit 20 Jahren die britischen Universitäten heimsucht: Studierende zahlen immer mehr für ihr Studium, Dozierende erhalten immer weniger, um diese Ausbildung zu gewährleisten.
Um diesen Streik zu verstehen und um ihn zu gewinnen, müssen wir ihn in seinen Kontext stellen. Wir müssen verstehen, wie sich das britische Hochschulsystem verändert hat. Wir müssen aber auch verstehen, wie diese Veränderung mit den Transformationen der gesamten Gesellschaft zusammenhängt. Solange der Streik getrennt von einer allgemeinen wirtschaftlichen Veränderung betrachtet wird, kann er die allgemeine Tendenz hin zur allumfassenden Privatisierung sowie einer Verbreitung der prekären Arbeitsbedingungen nicht stoppen.
Die Universitätsindustrie
Zwei Zahlen charakterisieren heute die britischen Universitäten. Die erste Zahl ist 9’000 Pfund – soviel müssen Studierende in Grossbritannien pro Jahr für ihre Universitätsausbildung bezahlen. Die zweite Zahl ist 75’000 – so viele Dozierende in einem „atypischem“ Anstellungsverhältnis, also mit befristeten Teilzeitstellen, gibt es an britischen Universitäten. Diese beiden Zahlen verdeutlichen die grundlegenden Veränderungen, die seit den 1990er Jahren stattgefunden haben und abwechslungsweise von den Konservativen und der Labour Partei vorangetrieben wurden.
Nicht alle Veränderungen sind schlecht. Zwischen 1992 und 2016 hat sich die Zahl der Studierenden nahezu verdoppelt. Von 984’000 ist sie auf 1.87 Millionen angestiegen. Wir müssen es begrüssen, dass mehr Menschen Zugang zu einer Hochschulausbildung haben, selbst wenn wir die Tatsache kritisieren, dass weiterhin viele Menschen aus der Arbeiter*innenklasse und vor allem people of colour nur einen beschränkten Zugang zur Universität haben. Das Problem ist nicht, dass es mehr Studierende gibt. Das Problem ist, wie das Studium finanziert wird.
Bis Ende der 1990er Jahre bezahlten die Studierenden keine Studiengebühren. Und waren sie arm, konnten sie finanzielle Unterstützung von den Behörden erhalten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Labour-Regierung mit Tony Blair veränderte all das. 1998 erlaubte die Regierung den Universitäten, Studiengebühren von 1’000 Pfund pro Jahr zu erheben. 2004 hat sie den Betrag auf 3’000 Pfund erhöht. Als 2010 eine Koalition von Konservativen und Labour die Regierungsgeschäfte übernahm, wurde der Betrag um ein Dreifaches auf 9’000 Pfund erhöht. Schottland ist glücklicherweise nicht davon betroffen. Dank einer Entscheidung des schottischen Parlaments gibt es dort keine Studiengebühren. Aber der Rest von Grossbritannien hat nicht dieses Glück.
Und was ist mit den Dozierenden? Die Zahl der Dozierenden stieg zwischen 1999 und 2016 ähnlich stark wie die Studierendenzahl. Was sich aber veränderte, war ihre Zusammensetzung. Im Jahr 1999 arbeiteten nur gerade 15% der Dozierenden Teilzeit und niemand war in einem sogenannt „atypischen“ Arbeitsverhältnis. 2016 hatte nahezu ein Viertel eine Teilzeitanstellung und mehr als ein Viertel hatte einen befristeten Vertrag.
Beide Zahlen, 9’000 und 75’000, symbolisieren den grundlegenden Wandel im britischen Universitätssektor. Die erste Zahl verdeutlicht die Kommodifizierung der Bildung, die zweite zeigt die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Die Kombination beider Zahlen erklärt die Empörung der Streikenden. Viele von ihnen haben für ihre Ausbildung teuer bezahlt, nur um dann einen Job zu erhalten, dessen Bezahlung und Bedingungen sich stetig verschlechtern. Einige fragen sich, ob sie überhaupt eine Rente erhalten werden.
Aber viele sind kaum oder nur am Rande über die Reform des Rentensystems empört. Hinter diesem konkreten Streik steckt eine Wut, die sich seit Langem angestaut hat. Diese Wut betrifft die Jobunsicherheit und die unbezahlte Arbeit, welche die Dozierenden leisten müssen, um in Zukunft eine Vollzeitstelle zu erhalten. Die Dozierenden befürchten, dass sie Teil eines grösser werdenden akademischen Prekariats werden mit einer schrumpfenden Zahl an Vollzeitprofessor*innen über ihnen und ohne grosse Karriereaussichten. Diesbezüglich haben sie viel mit Lohnabhängigen aus anderen Branchen gemeinsam.
Aussichten
Wie sind also die Erfolgsaussichten des Streiks? An den meisten Universitäten war die Unterstützung für den Streik sehr hoch. Die Zahl der UCU-Mitglieder ist in den Wochen vor der Streikaktion in den Himmel geschossen. An Entschlossenheit mangelt es bei den Streikenden nicht. Doch auch die andere Seite ist entschlossen.
Der entschiedenste und wichtigste Faktor sind demnach die Studierenden. Bisher bekundeten einige Studierendengewerkschaften eine zweideutige Haltung zum Streik. Andere haben ihre volle Unterstützung angekündigt. Einzelne Studierende haben Petitionen organisiert, welche von den Universitäten eine Entschädigung für den Verlust der Unterrichtsstunden verlangen. Warum sie das getan haben, ist nicht immer ganz klar. Haben sie es getan, um die von der Uni propagierte Idee der Bildung als Ware gegen die Universität einzusetzen? Oder haben sie lediglich ihr Recht als Konsument*innen eingefordert?
Wie auch immer, die Studierenden sind die grösste Einnahmequelle für die Universitäten. Dies bedeutet, dass die Universitäten zuhören, wenn sie ihre Stimme erheben. Sie hören ihnen gar mehr zu als ihrem Personal. Wollen die Dozierenden ihren Streik gewinnen, müssen wir um die Unterstützung der Studierenden werben und dafür sorgen, dass sie ihre Stimme erheben. Damit dies gelingt, ist es wichtig, den Konflikt nicht als private Auseinandersetzung zwischen Universitäten und UCU darzustellen. Denn das ist es nicht. Wir müssen unser Engagement für die Studierenden unterstreichen, ohne selbstverständlich vom Streik abzurücken. Das ist wichtig, vor allem wenn sich der Streik über zwei, drei oder gar vier Wochen hinzieht.
Und wir dürfen nicht vorgeben, dass der Streik alle Probleme löst. Die Dozierenden müssen verstehen, dass sie nicht alleine sind. Während die alten Privilegien der Akademie verschwinden, gewinnen wir neue Freund*innen und Verbündete. Diese neue Generation von Akademiker*innen ist nicht Teil einer Elite. Sie sind Lohnabhängige, die ähnlichen Druck erfahren wie viele andere Arbeiter*innen in anderen Sektoren. Bis die Dozierenden das vollständig begriffen haben, mag es eine Weile dauern. Doch der Streik, egal ob er mit einem Erfolg oder einer Niederlage endet, wird die Entstehung dieses neuen Bewusstseins beschleunigen.
Übersetzung und Kürzung durch die Redaktion