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Burma: Ein beispielhafter demokratischer Aufstand

In Burma (Myanmar)[1] hatte sich das Militär am 1. Februar 2021 an die Macht geputscht. Tatsächlich war dies aber eher ein Oberflächenphänomen, denn der Militärapparat war schon zuvor eine Art Staat im Staat und war eng eingebunden in die Staats- und Wirtschaftsfunktionen des Landes. Mit dem offenen Putsch verloren viele Burmes:innen ihre Hoffnungen in die demokratische Illusionen Burmas und gingen auf die Strassen. So wurde Burma zum jüngsten Schauplatz eines demokratischen Kampfes der Bevölkerung gegen einen autokraten Militärapparat einerseits, aber auch gegen den transnationalen Kapitalismus andererseits. Der folgende Artikel fasst den mutigen demokratischen Kampf, den die burmesischen Demonstrant:innen auf sich nahmen, zusammen. (Red.)

von Redaktion À l’Encontre

Drei Wochen nach dem Staatsstreich am 1. Februar – der in der Tat nur eine brutale Bestätigung der Machtposition, die das Militär hinter einem Schirm versteckt hielt, in dessen Schatten sich verschiedene demokratische Initiativen entwickelt hatten – zeigt der anhaltende Massenwiderstand sehr grosser Teile der Bevölkerung aussergewöhnliche historische Merkmale. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass der Schirmherr einer militärisch-wirtschaftlichen Mafia – General Min Aung Hlaing – nicht mit einer solchen Mobilisierung gerechnet hat, die mitunter von den jüngeren Generationen angeführt wird, welche nicht nur die Erfahrung einer gewissen Autonomie im gesellschaftlichen Leben gemacht hatten, sondern über die sozialen Medien schon die Mobilisierungen gegen die Monarchie in Thailand und auch die Kämpfe für demokratische Rechte in Hongkong unterstützt hatten. Ein Nebenprodukt der „digitalen Globalisierung“, das der „Zwerg“ – so der Spitzname des Generalstabschefs – zwar durchaus kannte, dessen Durchdringungsgrad in die Gesellschaft ab 2013 von ihm aber falsch eingeschätzt wurde.

„Cybersicherheit“ als Mittel der Aufstandsbekämpfung

Zugegeben, ab 2019 bereitet das Ministerium für Verkehr und Telekommunikation bereits ein Gesetz zur „Cybersicherheit“ vor. Und eine Woche nach dem Gewaltstreich wurde es vollendet. Die Militärbehörden hatten am 1. Februar in Schüben das Internet gekappt und den Zugang zu Facebook – der am weitesten verbreiteten sozialen Plattform in Burma -, Twitter und Instagram gefiltert. Die Bemühungen, VPNs (virtuelle private Netzwerke, direkte Verbindungen zwischen entfernten Computern) einzuschränken, waren aber weitgehend gescheitert: Denn der Umgang mit digitalen Medien war in Burma der späten 2010er Jahre bereits weitgehend dezentralisiert. Anders als noch 2014 (um eine „interreligiöse“ buddhistisch-muslimische Konfrontation zu provozieren) oder 2017 während der Militäroffensive gegen die Rohingya im westlichen Bundesstaat Rakhine, die unter dem Befehl von Min Aung Hlaing geführt wurde, schaffte es die Junta diesmal nicht, an ihre Erfolge in der Manipulation der sozialen Netzwerke anzuknüpfen. In der aktuellen Situation, die eine Zäsur markiert, sah sich das norwegische Unternehmen Telenor (ein Internet Service Provider) genötigt, vom neuen Gesetz und seinen repressiven Anwendungen zu distanzieren. Auch private Unternehmen und der Verband der Industrie und des verarbeitenden Gewerbes haben das Gesetz angeprangert, unter anderem aufgrund der Befürchtung, dass es für „wirtschaftliche Aktivitäten“ nicht förderlich sei. Der „despotische Traum“ von der Cybersicherheit hat den Aufstand in der Gesellschaft nicht verhindern können, was über die Grenzen Myanmars hinaus für Besorgnis sorgen muss.

Die Macht des Militärs

Sorgen, die bestimmt diversen Regierung nicht fremd sind, welche einen „Kompromiss“ zwischen „zwei Parteien“ vorschlagen, als wären es „potentielle Stakeholder in einer Verhandlung“, ohne aber die Rechnung mit den derzeitigen Aufständischen gemacht zu haben, die sich der Militärdiktatur entledigen wollen. Sie wollen die Armee loswerden, die Tatmadaw genannt wird, und mehr als 500’000 Mann stark ist, ein Kundennetz sowie eine eigene wirtschaftliche Infrastruktur besitzt, und die seit Jahren die Rolle des „Vertreters der nationalen Identität“ spielt. Denn was die „Umsetzung“ des Modells der Online-Kontrolle einer Bevölkerung betrifft, tritt das burmesische Militär in die Fussstapfen seiner grossen Brüder China, der Türkei, Saudi-Arabien und Vietnam. Ein:e Verantwortliche:r der Assistance Association for Political Prisoners (AAPP) – die im Jahr 2000 von Aktivist:innen gegründet worden war – berichtete gegenüber Frontier Myanmar, dass das Militär eine Serie von Festnahmen eingeleitet hat, da Hunderttausende von Menschen sich den Massenprotesten im ganzen Land anschliessen und immer mehr Beamt:innen ihre Ämter im Rahmen der Bewegung des zivilen Ungehorsams verlassen. „Wir haben keine genaue Zahl betreffend der Verhaftungen, aber wir schätzen, dass es sich um etwa 200 Beamt:innen der Regierung, der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) und der Wahlkommission handelt.“ (12. Februar 2021) Die Freilassung aller politischen Gefangenen, unter anderem steht dafür symbolhaft die Freilassung der bekannten Oppositionspolitikerin Aung San Suu Kyi, steht dabei im Mittelpunkt all der Demonstrationen.

Allgegenwärtige Repression

Die Polizei intervenierte offensichtlich bei der Myanmar National Airlines (MNA) um zu versuchen, die Mitarbeiter:innen zur Rückkehr auf ihre Posten zu zwingen. Am 9. Februar forderte sie von der Unternehmensleitung eine Liste der Mitarbeiter:innen, die sich der Protestbewegung angeschlossen hatten. Dies zeugt von der Allgegenwärtigkeit und Ausstrahlung der repressiven Politik. Es zeugt auch von den Änderungen und Ergänzungen, die am 14. Februar im Strafgesetzbuch und in der Strafprozessordnung vorgenommen wurden, als die Definitionen von „Hochverrat“, „Aufruhr“ und „Aufstachelung“ um diejenige der „Anstiftung zum Ungehorsam“ erweitert wurden. Am 13. Februar wurden drei Artikel zum Schutz der Privatsphäre und der Sicherheit der Bürger ausgesetzt, was die „legale“ Möglichkeit zur Durchsuchung und Verhaftung ohne Haftbefehl erweiterte ausweitet. NGOs wie Equality Myanmar und andere zivilgesellschaftliche Gruppen stellen fest, dass im derzeitigen Rahmen des Staatsverwaltungsrates keine Beschwerde oder Anfrage bezüglich einer Verhaftung und der Lokalisierung verhafteter Personen gestellt werden kann.

Die Zentralbank im Fokus der Junta

Das Regime hat Haftbefehle gegen Prominente ausgestellt, welche die Bevölkerung zur Teilnahme an der Bewegung des zivilen Ungehorsams animiert hatten. Zusammen mit den nächtlichen Verhaftungen von streikenden Gewerkschafter:innen, Aktivist:innen und Regierungsangestellten hat die Diktatur die Künstler:innen ins Visier genommen. Darunter sind Regisseure wie Wayne, Lu Min, Ko Paul und Na Gyi, der Schauspieler Pyay Ti Oo und die Sängerin Anagga. Sie werden nach Artikel 505a des Strafgesetzbuches gesucht, „weil sie Beamt:innen zu einem Generalstreik ermutigt haben“. Lu Min, ein vierfacher Gewinner des Myanmar Academy Award, schloss sich am Dienstag, dem 16. Februar, einer Demonstration vor der Central Bank of Myanmar in Yangon (Rangun) an und rief die Mitarbeiter:innen auf, sich dem Streik anzuschliessen. Lu Min wurde darauf am 21. Februar verhaftet. Angesichts ihrer strategischen Rolle übernahm das Regime ab dem 4. Februar die Kontrolle über die Zentralbank. Dazu entliess sie am Morgen des 1. Februars zwei Gouverneur:innen, darunter U Bo Bo Nge, einem Fachmann, der als kompetent galt, aber am Studentenaufstand von 1988 teilgenommen hatte und damals inhaftiert worden war. Er wurde nun erneut festgenommen und wieder ist keine Information dazu verfügbar. Stattdessen wurde am 3. Februar ein ehemaliger Offizier der Tatmadaw zum Leiter der Zentralbank ernannt: U Than Nyein. Und am 4. Februar wurde U Win Thaw, der mit der Geschäftswelt verbunden ist, zum Vize-Gouverneur ernannt. Er wandte sich sofort an die Demonstrant:innen und forderte sie auf, „ein Jahr abzuwarten, um zu sehen, ob der General Min Aung Hlaing sein Versprechen, die Macht an eine gewählte Regierung zu übergeben, einhalten würde, bevor sie aus Protest auf die Strasse gehen“ (Frontier, 18. Februar 2021).

Ein Streik der Zentralbankmitarbeiter:innen hätte sich aber rasch auf die privaten Banken ausgewirkt, zumal sich einige ihrer Angestellten der Protestbewegung anschlossen hatten. Hinzugekommen wäre der Unterbruch der internationalen Transaktionen und des Zugangs zu Konten, mitsamt der Cashflow-Probleme für die Unternehmen. Nun wird die Figur von Win Thaw als Vermittler präsentiert, um den demokratischen Aufstand zu entschärfen. So sagt er: „Ich bin ein Beamter, ich werde dem Land dienen, so gut ich kann. Die Politik mag von einer Regierung zur anderen jeweils eine unterschiedliche sein, aber sie müssen ein gemeinsames Ziel verfolgen, nämlich das Land zu entwickeln und die Menschen nicht zu beunruhigen. Und wenn wir uns die gegenwärtige Regierung und die ernannten Minister:innen anschauen, können wir sehen, dass sie ihr Bestes tun. Und der Oberbefehlshaber hat wiederholt gesagt, dass er nicht lange an der Macht sein wird… Wenn sie ihr Versprechen [eine Wahl abzuhalten] nach einem Jahr nicht einhalten, dann wird es Zeit zu protestieren. Die Menschen sollten Formen des Protests finden, die der Wirtschaft nicht schaden und eine wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen. Im Ausland gibt es viele Intellektuelle, die wissen, wie sie ihre Wünsche auf demokratische Weise ausdrücken können. Wenn die Burmes:innen sich wie sie verhalten, kann die Junta ihre Wünsche erfüllen oder mit ihnen verhandeln und es wird keine ernsthaften Konsequenzen für das Land geben.“

Nach dieser Predigt wies er darauf hin, dass die Zentralbank mehrere Pläne hat, um das Funktionieren des Finanzsystems zu gewährleisten und das Regime zu schützen. Hierin habe man ein Handbuch für die Intervention in einer Krisensituation, wie sie in Burma gerade am Werk ist, um den Fortbestand der sozioökonomischen Macht zu sichern, die zwischen Sektoren der Armee (mit möglichen Spannung untereinander), dem burmesischen Kapital und dem transnationalen Kapital, das in Myanmar immer mehr präsent ist, verflochten ist.

Chinas Interessen

Der Inhalt und die Dynamik des demokratischen Aufstands werden sowohl durch das Ausmass der Demonstrationen, ihre Ausdehnung in den verschiedenen Städten, als auch durch die Kreativität der Formen deutlich, die in der Hitze der Aktion erfunden werden. So gelang es den Demonstrant:innen am 11. Februar vor der chinesischen Botschaft in Yangon, dem chinesischen Botschafter Chen Hai eine Antwort zu entlocken. Er erklärte, dass Peking „nicht im Voraus über den politischen Wandel in Myanmar informiert worden ist“, was wiederum nur ein ziemlich weit verbreitetes Misstrauen wecken konnte. Zugegeben, Burma ist in wirtschaftlicher Hinsicht wichtig für China. Aber, wie Bridget Welsh, Forscher an der University of Nottingham in Malaysia, sagt: „China will Stabilität an seiner Grenze. Und ein von der Armee geführtes Myanmar ist keine Garantie für Stabilität, wie wir anhand der Tausenden von Menschen gesehen haben, die auf die Strasse gegangen sind… China ist sich auch bewusst, dass das Militär längerfristig nicht unbedingt seinen eigenen wirtschaftlichen Interessen dient, wenn es einen Exodus von Flüchtlingen oder eine Zunahme von Konflikten gibt, und dies die chinesischen Unternehmen betrifft.“ Die Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über die Nichteinmischung „in die inneren Angelegenheiten Myanmars“ bedeutet also nicht notwendigerweise die Unterstützung des Staatsstreichs des Militärclans, sondern den roten Faden der regionalen diplomatisch-ökonomischen Strategie Chinas.

Vom Protest zum Generalstreik

Der erste Generalstreik am 22. Februar war die entschlossene Antwort auf die Ermordung der beiden Demonstranten Wai Yan Tun (16 Jahre) und Thet Naing Win (36 Jahre) durch scharfe Munition am 20. Februar in Mandalay, Burmas zweitgrösster Stadt. Verschiedenen Zeugenaussagen zufolge waren Soldaten der 33. leichten Infanteriedivision, die bereits am Massaker von Inn Din gegen die Rohingya im September 2017 beteiligt waren, „beauftragt worden, die Ordnung“ auf eben diese Weise „aufrechtzuhalten“ (Myanmar Now, 21. Februar 2021). Ausserdem warnte die Regierung bei der Ankündigung des Generalstreiks, dass sie nicht zögern würde, militärische Gewalt anzuwenden, um den demokratischen Aufstand niederzuschlagen. Dies verhinderte indes nicht, dass der Generalstreik Hunderttausende von Menschen zusammenbrachte. Am Streik beteiligten sich Beamt:innen des privaten Sektors, Student:innen, Lehrkräfte, Gewerkschafter:innen, Gesundheitsarbeiter:innen und Bäuer:innen. Die in Gang gesetzte Streikbewegung bringt die Verschärfung des demokratischen, sozialen und politischen Konflikts zum Ausdruck.

Die Publikation Myanmar Now schloss am 22. Februar ihren Bericht über den Tag des Generalstreiks mit den Worten: „Viele Wohngebiete in Yangon waren am Montagmorgen ungewöhnlich ruhig und leer. Die einzigen Menschen, die in ihren Häusern anwesend waren, waren die Kranken oder Alten und diejenigen, die geblieben waren, um sich um jene zu kümmern oder um andere Aufgaben in ihren Gemeinschaften zu erfüllen. Fast alle anderen schlossen sich den Strömen von Menschen an, die sich entlang der Hauptstrassen der Stadt bewegten. Sie trotzten den repressiven Warnungen, um ein Ende des Militärregimes zu fordern, das anfangs Februar durch einen Putsch die Macht an sich gerissen hatte. Mir der Kappung des Internets bis zum Mittag waren die sozialen Medien ebenfalls seltsam still. Kurz zuvor warnten die Protestierenden noch andere Demonstrant:innen davor, dass von der Armee unterstützte Unruhestifter:innen [Gefangene waren zu diesem Zweck freigelassen worden] versuchen könnten, Gewalt zu provozieren, um die Bewegung zu diskreditieren. Es wurde vorgeschlagen, dass die Demonstrant:innen ihre Sprechchöre einstellen und schweigen sollten, um dabei zu helfen, die Eindringlinge zu identifizieren. Andere gaben Ratschläge, wie man Zusammenstösse mit den Sicherheitskräften vermeiden kann und wie man sich verteidigen könnte, falls diese trotzdem angreifen sollten. Trotz der weit verbreiteten Befürchtung, dass das Militär ein tödliches Vorgehen einleiten würde [was sich am Wochenende vom 27./28. Februar bestätigte; Anm. d. Red.], gingen Hunderttausende von Menschen im ganzen Land auf die Strassen, von den Bergstädten des nördlichen Chin-Staates bis zu den Küstenregionen von Tanintharyi. Die Entschlossenheit und kollektive Intelligenz dieses demokratischen Aufstands in einem Land, das von europäischen, japanischen, schweizerischen und chinesischen transnationalen Konzernen als vielversprechendes Investitionsfeld betrachtet wird, muss in der Linken eine erneute Reflexion über demokratische und soziale Kämpfe anregen, die sich in einem internationalen Kontext ereignen, der von einem zunehmenden Autoritarismus geprägt ist.

Der Artikel erschien am 22. Februar 2021. Übersetzung und leichte Kürzung durch die Redaktion.


[1] Beide Namen, Burma und Myanmar, sind problematisch in ihrer Verwendung. 1989 benannte das Militär, welches ein demokratiefeindliches Hindernis für die hiesige Gesellschaft stellt, das Land in „Republik der Union Myanmar“ um. Der vorherige Landesnamen Burma leitet sich allerdings von der zahlenmässig grössten ansässigen Ethnie, den Bamar ab. Insbesondere im Lichte der Verfolgung der Ethnie der Royingha, welche sich im Herbst 2017 wieder verschärft hatte, stellt sich damit das Problem der Inklusivität des Namens gegenüber anderen Ethnien im Land. Im Geiste des derzeitigen demokratischen Aufstandes gegen das Militär ist es uns ein Anliegen, allen arbeitenden und demokratiefreundlichen Bewohner:innen ihre Unterstützung auszusprechen. (Red.)

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