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Nicaragua: 4 Jahre nach dem Volksaufstand und ein halbes Jahr nach Ortegas Wahlfarce

Am 18. April 2018 begann ein Volksaufstand gegen den zum Despoten gewordenen Ex-Guerillero Daniel Ortega. Er ist heute zusammen mit seiner Frau und Vizepräsidentin die unangefochtene Führungsfigur der Regierungspartei und ehemaligen Guerilla Frente Sandinista FSLN. Der Sandinismus löste als linkes, antiimperialistisches Projekt und durch den Sturz einer Militärdiktatur 1979 weltweit Hoffnungen aus. Umso mehr schmerzt es, zu welchem Albtraum das heutige Regime wurde. Unter den politischen Gefangengen dieser Regierung finden sich nebst Exponent:innen der teils studentischen Protestbewegung von 2018 auch ehemalige Weggefährt:innen Ortegas. Hugo Torres, ehemaliger Guerillero, Mitglied der FSLN-Abspaltung UNAMOS (früher MRS) wurde zusammen mit Genoss:innen Mitte 2021 inhaftiert. Dadurch räumte das Regime im Vorfeld der Wahlen vom 7. November 2021 kritische Stimmen bewusst aus dem Weg. Torres hat die menschenunwürdigen Haftbedingungen nicht überlebt und ist Anfang 2022 verstorben.

von Hendrick Bollinger (BFS Zürich)

Wahlfarce vom 7. Novemver 2021

In einem Polizeistaat, welcher den Grossteil der Opposition ins Exil drängte, im Gefängnis hält oder mundtot macht, ist das Belegen eines Wahlbetrugs enorm schwierig. Doch trotz dieser prekären Beweislage ist es offensichtlich, dass in Nicaragua am Wahltag nicht alles mit rechten Dingen zu- und herging. Darauf, wie bereits im Vorfeld der Präsidentschaftswahl bei der Wähler:innenregistration betrogen wurde, bin ich im Teil 2 meines Reiseberichts von 2021 eingegangen. Im Folgenden wird aus dem Text «Eindrücke aus einem stillen Land» des Informationsbüros Nicaragua in Wuppertal zitiert. Der Urheber des Textes war einer der wenigen deutschsprachigen Aktivist:innen und Journalist:innen, welche für die Präsidentschaftswahlen am 7. November einreisen konnten. Um seine Kontakte vor Ort zu schützen, bleibt der Autor anonym. Er ist der Redaktion von sozialismus.ch bekannt. Viele andere, zum Teil Korrespondent:innen international bekannter Zeitungen, wurden an der Einreise gehindert. Beispielsweise dadurch, dass ihr Flug in letzter Minute gestrichen wurde.

Während die offiziellen Zahlen des Wahlrats von 65.34% Wahlbeteiligung sprachen, kam die Oppositionsnahe NGO Urnas Abiertas (offene Wahlurnen) auf 18%. Um diese Schätzung zu ermitteln, wurden aus der Klandestinität heraus mit über 1000 Helfer:innen 563 der 3106 Wahllokale von innen und aussen beobachtet. Ein weiteres Indiz dafür, dass eine Wahlbeteiligung von über 60% eine plumpe Lüge der Regierung ist, ist die Tatsache, dass nach der Wahl wenige Daumen mit schwarzer Tinte gesichtet wurden. Wer in Nicaragua wählt, muss seit jeher den Daumen einfärben, womit umgangen wird, dass jemand zwei Stimmen abgibt. Die tiefe Wahlbeteiligung geht auf einen Boykottaufruf der Opposition zurück. Dieser blieb nichts anderes als das übrig, da bereits Mitte 2021 alle ernstzunehmenden Konkurrent:innen Ortegas für die Präsidentschaft eingesperrt wurden. Darunter auch mehrere linke Ex-Guerilleros, welche mit dem FSLN gebrochen haben. Weiter schreibt der Autor des Informationsbüros Nicaragua:

«Die Wahlbeteiligung muss am Vormittag so gering gewesen sein, dass der Noch-Präsident und Schon-wieder-Präsidentschaftskandidat Daniel Ortega sich veranlasst sah, durch eine Rede ans Volk motivierend einzugreifen. Das ganze über Cadena Nacional – also Pflichtübertragung zeitgleich auf allen Radio- und Fernsehkanälen.»

Laut Wahlrat wurde Daniel Ortega angeblich mit 74.99% der Stimmen wiedergewählt. Offenbar macht sich das Regime nicht einmal mehr die Mühe, seine Wahlfarce plausibel darzustellen. Denn Ortega hält sich ohnehin nur noch mit Einschüchterung, propagandistischer Manipulation und Geschenken an die eigene Basis wie Autos oder Staatsposten an der Macht.

Wie geht es weiter in Nicaragua?

Es gibt aus Nicaragua nicht viel Neues zu berichten. Und erst recht wenig Erfreuliches. Ziel dieses kurzen Artikels war es, auf die Wahlfarce vom 7. November 2021 hinzuweisen und in Erinnerung zu rufen, dass sich in Zentralamerika das einst so hoffnungsvolle Projekt des Sandinismus in diesen Albtraum verwandelte. Ein Albtraum in welchem ehemalige Weggefährt:innen des Alleinherrschers im Kerker so schlecht behandelt werden, bis sie sterben. Ich schliesse mit demselben Fazit, welches ich bereits im November am Wahltag veröffentlichte:

«Die Regierung Ortega ist ein Regime der kapitalistischen Modernisierung. Im Unterschied zu bürgerlich-demokratischen Ländern wird das wirtschaftspolitische Gefüge jedoch von einer einzelnen Partei kontrolliert. Das Wirtschaftswachstum wurde ab 2018 stark gebremst, da Ortega geopolitisch weitgehend isoliert dasteht. Nicaragua ist ein armes Land mit wunderschönen neuen Polizeiautos. Für den Sicherheitsapparat kratzt das Regime seine verbleibenden Mittel zusammen.

Es bleibt zu hoffen, dass sich die Bevölkerung Nicaraguas die Alleinherrschaft der Familie Ortega-Murillo nicht auf Ewigkeit gefallen lässt. Ein erneutes Szenario wie 2018, als die Proteste gewaltsam niedergeschlagen wurden und die Opposition hunderte Todesopfer zu beklagen hatte, wäre verheerend. Doch genau deshalb haben sämtliche Organisationen der Opposition stets auf einen friedlichen Wandel gesetzt.»

Es gilt die Zivilgesellschaftlichee Opposition in Nicaragua und andernorts zu unterstützen: Durch Geld und durch Öffentlichkeitsarbeit über die absolut inakzeptable Lage, in welche dieses Regime das Land gebracht hat.


Titelbild: Aufnahme aus dem Livestream der linken oppositionellen Organisation „Articulación de Movimientos Sociales“ vom 18. April 2018. Die Gruppe skandiert: „Ortega escucha, seguimos en la lucha!“ („Hör hin Ortega, wir kämpfen weiter!“). Auf dem Transparent steht „Freiheit für die politischen Gefangenen“.

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