Seit Mittwoch, 4. Oktober 2023, intensiviert die Türkei den Krieg gegen die kurdisch geprägte Region Rojava in Nordsyrien erneut. Zur Eskalation kam es nach einem Anschlag auf das Innenministerium in Ankara. Keine 24 Stunden später bombardierte die türkische Luftwaffe Stellungen in Nordirak und kurz darauf begannen die Angriffe auf die Gebiete der autonomen Administration Nord- und Ostsyriens (AANES, Rojava).
von BFS Zürich
Im Fokus der neusten Angriffe steht die zivile Infrastruktur und die Zivilbevölkerung. Dies wurde vom türkischen Aussenminister Hakan Fidan offen so kommuniziert. Die Bombardierungen reihen sich ein in die lange Liste von schweren Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen durch den türkischen Staat.
Zur Einordnung: Am Sonntagmorgen, 1. Oktober 2023, wurde eine Selbstmordattacke vor dem Eingang des türkischen Innenministeriums verübt. Abgesehen von den zwei Männern, die das Attentat ausführten, kam niemand ums Leben. Zwei Polizisten wurden verletzt. Die PKK nahm in einem Bekenner:innenschreiben Stellung und erklärte, dass diese Attacke eine Warnung gewesen sei. Eine Warnung an den türkischen Staat, der innenpolitisch eine menschenverachtende Politik gegen die Kurd:innen in der Türkei (Nordkurdistan) durchsetzt und sowohl in Südkurdistan (Nordirak) als auch in Westkurdistan (Nord- und Ostsyrien) Krieg führt gegen die Organisierung von Kurd:innen sowie gegen die Versuche zum Aufbau demokratischer Strukturen mit allen Teilen der Bevölkerung. Für den Krieg gegen die PKK, gegen die kurdische Selbstorganisierung und auch gegen das demokratische Bestreben in Syrien durch die AANES sind dem türkischen Staat alle Mittel recht.

Bereits am Montagmorgen, 2. Oktober 2023, flog die türkische Armee erste Angriffe auf PKK-Stellungen im Nordirak. Am Mittwoch begannen dann die massiven Luftangriffen auf Rojava. Zunächst durch Drohnen und seit Donnerstag mit Flugzeugen. Zudem scheint sich eine Bodenoffensive abzuzeichnen. Neben militärischen Zielen fokussiert sich die türkische Armee bei ihren Angriffen auf Rojava nun auch wieder auf zivile Infrastruktur. Zum Ziel gemacht wurden Camps für Geflüchtete, Elektrizitätswerke, Ölfelder und Gasdepots sowie Dämme und vereinzelt zivile Autos und zuletzt auch ein Spital. Dies führte am Donnerstag zu Strom- und Wasserausfällen in grossen Teilen im Nordosten der Region. Die Angriffe auf das Camp für Binnengeflüchtete bei Heseke hatte ausserdem einen Weggang der dort bisher arbeitenden NGOs zur Folge.
Das Resultat dieser massiven Angriffe der letzten Tage ist eine Katastrophe für die Menschen, die ohnehin schon mit den psychischen und physischen Folgen des Krieges zu kämpfen haben und verschlechtert die Versorgungslage für Millionen von Menschen enorm. Die aktuellen Angriffe stellen die schwersten seit 2019 dar, als die Türkei mit einer Militäroffensive den Landstreifen zwischen Serekaniye und Ayn Issa entlang der syrisch-türkischen Grenze eingenommen und seither besetzt hat. Seither hat der Krieg jedoch nie aufgehört. So wurden immer wieder gezielt Menschen durch Drohnenangriffe getötet. Die Wasserversorgung wird durch das Zurückhalten des Wassers in der Türkei absichtlich verhindert und somit die Ausbreitung von Krankheiten befördert. Gegen militärische Stellungen werden Giftgase und Chemiewaffen eingesetzt. Die Türkei unterstützt islamistische Kräfte in der Region und nimmt unter anderem eine zentrale Rolle bei der Reorganisiserung von IS-Kräften ein. Und in den vor ihr besetzten Gebieten in Afrin und dem oben genannte Besatzungsstreifen entlang der Grenze führt die Türkei eine Vernichtungspolitik gegen die kurdische Bevölkerung durch.
Die militärischen Aggressionen, die Schaffung konstanter humanitärer und politischer Instabilität und die sich widerholenden Menschenrechtsverletzungen des türkischen Staates haben zum Ziel, die demokratische Selbstverwaltung und jegliche Art von kurdischer Selbstorganisierung zu zerstören. Der türkische Staat setzt verbotene Waffen ein, schneidet ganze Städte von der Wasserversorgung ab, greift Camps für Geflüchtete an und fliegt regelmässig Drohnenangriffe auf zivile Ziele. Und die EU schweigt dazu. Durch die guten wirtschaftlichen, politischen und militärischen Beziehungen zum NATO-Partner Türkei, die Aufnahme der PKK in die nationalen Terrorlisten und die Kriminalisierung all jener, die sich in Europa für die demokratische Konföderation in Rojava einsetzen, machen sich die europäischen Länder zu aktiven Mittäter:innen dieser humanitären Katastrophe.
Aus diesem Grund liegt es auch in unserer Verantwortung, hier auf die Strassen zu gehen. In Solidarität mit allen Menschen in Rojava, welche unter den schweren Umständen weiterhin die demokratischen Strukturen und ihre autonome Organisierung verteidigen. In Wut über die Mittäter:innenschaft der Schweiz und der EU. Und mit der Kraft, die uns gemeinsame Organisierung gibt – in ganz Kurdistan und darüber hinaus, überall, wo wir uns für eine Welt ohne Krieg einsetzen!
Solidaritätsdemos (weitere folgen):
Heute Freitag, 06.10.23 in der Schweiz
Basel: 17:30 Uhr, Marktplatz
Bern: 16 Uhr, Bahnhofplatz
Lausanne: 17 Uhr, Saint Lourent
Winterthur: 19 Uhr, Bahnhofplatz
Genf: 18 Uhr, Rue Pécolat
Morgen Samstag, 07.10.23 in Deutschland
Berlin: 17 Uhr, Alexanderplatz
Bremen: 15 Uhr, Domshof 25
Duisburg: 14 Uhr, Hauptbahnhof
Hamburg: 16 Uhr, Hachmannplatz
Hannover: 13 Uhr, Steintor
Kiel: 15 Uhr, Matrosenplatz/Bahnhof
Kassel: 16 Uhr, Halitplatz
Darmstadt: 14 Uhr, Luisenplatz
Saarbrücken: 15 Uhr, Europa Galerie
Freiburg: 14 Uhr, Europaplatz
Dresden: 14 Uhr, Prager Straße