Mit dem Angriff der Hamas auf Israel erreicht der Konflikt im Nahen Osten eine neue Eskalationsstufe. Es droht ein Flächenbrand. Leidtragende auf beiden Seiten sind die Zivilist:innen. Weltweit tun sich viele Linke schwer, im Konflikt zwischen Israel und Palästina eine Position zu finden, verrennen sich oder schweigen. Wir halten im Folgenden einige Punkte fest, die uns als internationalistische sozialistische Linke wichtig sind.
von BFS Zürich & BFS Basel
1. Die Angriffe und Gräueltaten der religiös-fundamentalistischen, rechtsradikalen Hamas sind nicht zu rechtfertigen. Wir verurteilen die Tötung, die Leichenschändung, die sexualisierte Gewalt und die Verschleppung von israelischen Zivilist:innen. Die grausamen Bilder von den Bombeneinschlägen und Erschiessungen auf dem Supernova-Festival am Samstag, 7. Oktober schockieren. Linke, die sich nicht von diesen menschenverachtenden Angriffen distanzieren und sie nicht verurteilen, verlieren ihre Glaubwürdigkeit.
2. Die pro-palästinensische Linke gibt an vielen Orten der Welt ein trauriges Bild ab. Vielfach werden die Angriffe der (rechtsradikalen und islamistischen) Hamas als legitime Befreiungsschläge glorifiziert und an Solidaritätsdemos wird gemeinsam mit fundamentalistischen Kräften demonstriert. Ein campistischer Antiimperialismus, der die Welt in zwei Lager einteilt und sich für das eine entscheidet, führt in den politischen Bankrott. Ebenso daneben liegt die antideutsche, israelfreundliche Linke in Deutschland, die sich darin bestätigt sieht, dass jede Kufyia (‚Palästinaschal‘) ein Terrorsymbol ist.
3. Die Hamas ist eine radikal-islamistische, korrupte und mafiöse Organisation. Die Hamas ist mitnichten die legitime Vertretung der palästinensischen Bevölkerung (im Gazastreifen oder sonstwo). Durch ihre Angriffe lieferten sie die Bevölkerung in Gaza bewusst den absehbaren israelischen Gegenschlägen aus, um selbst daraus politisches Kapital zu schlagen. Das ist abscheulich. Finanziert wird die Hamas und der von ihr kontrollierte Rumpfstaat in Gaza vor allem durch Katar und den Iran (und einen Teil der palästinensischen Exilcommunity). Ihre Führer sitzen unter anderem in der Türkei. Noch vor einem Jahr nach der Ermordung von Jina Mahsa Amini stand das iranische Regime im Zentrum der Kritik der internationalen Linken. Dass ein Teil der pro-palästinensischen Linke heute salopp die Verbindungen zwischen der Hamas und dem Mullah-Regime beiseiteschiebt und ignoriert, ist beschämend. Diesen Sommer kam es im Gazastreifen zu Protesten von Jugendlichen gegen die gewalttätige Elendsverwaltung durch die Hamas. Der Gazastreifen gleicht einem repressiv geführten Freiluftgefängnis und gehört zu den ärmsten Regionen der Welt. 60% der Bevölkerung ist auf humanitäre Hilfe angewiesen. Wenn die EU ihre humanitären Programme für die Bevölkerung in Gaza stoppt, wird das Leid verstärkt. Die Menschen in Gaza fordern Perspektiven und sie richten diese Forderung nicht nur an Israel, sondern auch an die eigene politische Elite.
4. Der israelische Staat wiederum verfolgt eine brutale, militarisierte Apartheidspolitik, also eine rassistische Segregation gegenüber den Palästinenser:innen, wie zahlreiche internationale Untersuchungen sowie israelische und palästinensische Menschenrechtsorganisationen unterstreichen.[1] Palästinänsenser:innen werden systematisch unterdrückt, vertrieben und entwurzelt, so dass sich Israel-nationalistische Siedler:innen dank staatlicher Förderung und dem Schutz der Armee diese Gebiete aneignen können. Die gewaltsame Vertreibung der Palästinenser:innen im Westjordanland und die Zerstörung ihre Lebensgrundlagen dauert nun seit Jahrzehnten an und wird von weiten Teilen der internationalen Öffentlichkeit ignoriert, gebilligt oder gar gutgeheissen. Allein zwischen 2008 und 2023 wurden über 6400 Palästinenser:innen durch das israelische Militär getötet und über 152’000 verletzt (Stand 7. Oktober 2023). Dies im gleichen Statement zu betonen, wie man die Hamas verurteilt, ist nicht verharmlosend, wie viele bürgerliche Kommentator:innen und hörige Unterstützer:innen von Israel behaupten. Es kontextualisiert und erklärt. Unter der ultrarechten Regierung von Benjamin Netanjahu, in der seit Dezember 2022 auch der Unterstützter rechtsradikaler Terrororganisationen Itamar Ben-Gvir einen Ministerposten innehat (Nationale Sicherheit), verschärfte sich der zionistische Kolonisierungsprozess in den palästinensischen Gebieten weiter (nein, Antizionismus ist nicht dasselbe wie Antisemitismus). Die seit Monaten andauernden liberalen bis linken Proteste gegen eben diese Regierung und ihre Reformvorhaben wurden nun ausgesetzt; es soll eine vorübergehende Einheitsregierung gebildet werden. Es ist wahrscheinlich, dass progressive Stimmen und Positionen in Israel wieder für Jahre geschwächt, skeptisch beäugt und von vielen Seiten als verräterisch verurteilt werden.
5. Die militärische und politische Reaktion Israels auf die Angriffe ist grausam und trifft ebenfalls gezielt die Zivilbevölkerung. Die israelische Rechte verfolgt seit Jahrzehnten eine Politik der Unterdrückung und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung. Die Siedlungspolitik, die Apartheidsmauer und die immer wiederkehrenden Angriffskriege bezeugen dies. Der israelische Verteidigungsminister Joaw Galant hat eine totale Blockade des Gazastreifens angekündigt: Alle Grenzübergänge nach Israel sind zu, auch Ägypten hat seinen Grenzübergang geschlossen. Essenslieferungen werden so unterbunden. Zudem hat Israel seine Strom-, Wasser- und Gaslieferungen eingestellt, was die bereits prekäre Versorgungslage stark verschlimmert. Der israelische Staat fährt somit eine Strategie der Kollektivbestrafung. Galants rassistische Rechtfertigung war, dass Israel gegen Tiere kämpfen würde. Wir verurteilten die israelische Offensive und fordern einen sofortigen Stopp der Militäraktionen, ein Ende der jahrzehntealten Besatzungs- und Siedlungspolitik, das Rückkehrrecht der Vertriebenen und das Ende des Apartheidssystems. Denn dieser koloniale, rassistische Kontext bereitet den Boden für den Aufstieg von religiös-fundamentalistischen Kräften auf beiden Seiten.
6. Die palästinensische Bevölkerung hat das Recht auf ein Leben in Freiheit, Selbstbestimmung und Widerstand.[2] Es kämpfen keine gleichwertigen Gegner in diesem Konflikt. Es ist unbeschreiblich, was der israelische Staat den in Gaza eingepferchten Menschen antut. In diesem Sinne ist es internationalistische Pflicht, solidarisch an der Seite der unterdrückten, progressiven Palästinenser:innen zu stehen. Die israelischen und palästinensischen Lohnabhängigen haben beide gleichermassen das Recht auf soziale Sicherheit und die gesamte Zivilbevölkerung hat ein Recht auf Frieden. Es wird allerdings keinen Frieden geben, solange die israelische Besatzungs- und Siedlungspolitik Bestand hält. Und es wird keine Befreiung und Selbstbestimmung der palästinensischen Bevölkerung geben, solange die Hamas oder andere korrupte Machthaber wie die Fatah deren Geschicke lenken.
In einem 2. Teil präzisieren wir unsere Positionierung.
[1] So haben 2021 und 2022 sechs renommierte Organisationen Berichte zu Apartheid in den von Israel beherrschten Gebieten vorgelegt. Diese sehen den Tatbestand der Apartheid erfüllt, entweder für Israel-Palästina insgesamt (BTselem und Amnesty International) oder bezogen auf die besetzten Gebiete (Human Rights Watch, Yesh Din, der UN-Menschenrechtsrat und die IHRC Harvard Law School).
[2] Dies beinhaltet für uns auch den bewaffneten Widerstand gegen die gewaltsame Unterdrückung durch den israelischen Staat und die israelischen Sicherheitskräfte. Die Ermordung, Schändung, Vergewaltigung und Verschleppung von Zivilist:innen aber ist keine Form des Widerstands, aus der eine emanzipatorische Bewegung hervorgehen kann und eine Form der Gewalt, die wir verurteilen.
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