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Aufruf an ausländische Politiker:innen: Gerechtigkeit für ukrainische Arbeiter:innen!

Anlässlich der baldigen Europawahlen richtet sich der nachfolgende Aufruf an die ukrainischen Eliten, die europäischen Gewerkschaften und vor allem an die Kandidat:innen, die für das Europäische Parlament kandidieren – mit klaren Anliegen aus der arbeitenden Bevölkerung in der Ukraine. Der Aufruf spiegelt die Stimmung und die Wünsche vieler ukrainischer Gewerkschafter:innen und zivilgesellschaftlicher Organisationen wieder. Verfasst und mitunterzeichnet wurde er am 14. Mai 2024 von Aktivist:innen der unabhängigen Gewerkschaften Arcelor-Mittal Kryvyi RihKryvyi Rih EisenerzwerkMetinvestRudomine, der Freien Gewerkschaft des Gesundheitswesens von Kryvyi Rih, der Freien Gewerkschaft der Pädagog:innen und Wissenschaftler:innen von Kryvyi Rih, der Studierendengewerkschaft Direct Action, der NGO Hexen von Kryvbas, der NGO Spravedlyvist und der demokratisch-sozialistische Bewegung Sotsialnyi Ruch

von Gewerkschafts-, Studierenden- und zivilgesellschaftlichen Aktivist:innen in Kryvih Rih und Kryvbas; aus соціальний рух

Am Vorabend der Wahlen zum Europäischen Parlament appellieren die Gewerkschaftsaktivist:innen in Kryvyi Rih an die Kandidat:innen, die Politiker:innen daran zu erinnern, dass es die Lohnabhängigen sind, die die Hauptlast des Krieges gegen die Aggressionsmacht tragen. Sie sind diejenigen, denen es an Munition fehlt, und es sind ihre Interessen, die an wichtigen Stellen diskutiert werden sollten. Als ukrainische Gewerkschafter:innen sind wir der Meinung, dass das Ignorieren dieser Fakten katastrophale Folgen haben kann. Wir warnen davor, die Unterstützung für die Ukraine als Deckmantel für eigennützige Ziele zu benutzen, wie es bei bestimmten internationalen Eliten üblich ist.

Das Europäische Netzwerk für Solidarität mit der Ukraine (ENSU) lädt in Absprache mit den Initiant:innen des Aufrufs die Menschen außerhalb der Ukraine dazu ein, den Aufruf ebenfalls zu unterzeichnen und sich damit solidarisch mit dem Widerstand der Arbeiter:innen in der Ukraine zu erklären.

Yuriy Samoilov, Vorsitzender der Unabhängigen Bergarbeitergewerkschaft, sagte: „In unseren Familien dreht sich jedes zweite Gespräch um den Krieg, um diejenigen, die derzeit im Einsatz sind, um die Frage, wie man ihnen helfen kann, denn die überwiegende Mehrheit der Mobilisierten sind einfache Arbeiter:innen. Dies ist zur Priorität der Gewerkschaft geworden. Aber gleichzeitig wird das Arbeitsrecht ausgesetzt, die Sozialausgaben werden gekürzt, und die Kinder von Geschäftsleuten und Beamt:innen vergnügen sich im Ausland. Ist das gerecht?“ – fragt Yuriy.

Dem Aufruf haben sich bereits eine Reihe von Aktivist:innen aus Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Initiativen und Studierendenorganisationen in verschiedenen Regionen der Ukraine angeschlossen, die ebenso unzufrieden mit dem mangelnden Interesse an den Problemen der Lohnabhängigen sind. Sie sind überzeugt, dass gemeinsame Anstrengungen der Schlüssel sind, um sich Gehör zu verschaffen. Sie sehen die potenziellen Leser:innen des Aufrufs als Freund:innen der Ukraine und Verbündete der Arbeiter:innen in Europa und auf der ganzen Welt.

Oleksandr Skyba, Vorsitzender der Freien Gewerkschaft der Eisenbahner:innen im Depot Darnytsia, weist darauf hin, dass die Rechte der Lohnabhängigen seit Kriegsbeginn erheblich beschnitten wurden. Er argumentiert, dass die meisten dieser Änderungen die Verteidigungsfähigkeit nicht gestärkt, sondern eher geschwächt haben. „Wenn Unternehmen die Arbeitsbeziehungen und die Bestimmungen von Tarifverträgen willkürlich außer Kraft setzen können, ist das ein schwerer Schlag für die Rolle der Gewerkschaften und die Grundlagen der Demokratie“, erklärt er. Oleksandr unterstreicht sein Vertrauen in die Kraft der Einheit und der gegenseitigen Unterstützung im Kampf und bittet seine ausländischen Genoss:innen um Solidarität.

Brief an die politischen Vertreter:innen der Bevölkerungen in Europa und in der Welt

Angesichts der Tatsache, dass unser Schicksal oft von Ihren Entscheidungen abhängt, möchten wir, ukrainische Gewerkschafter:innen und Aktivist:innen der Zivilgesellschaft, uns direkt an Euch wenden und Folgendes betonen:

Während die internationale Gemeinschaft in Unentschlossenheit verharrt, verstärken die russischen Besatzungstruppen ungeniert ihre Offensive. Unsere Genoss:innen sterben an der Front, sie sind gezwungen, ohne ausreichende Waffenlieferungen zu kämpfen, und in Ermangelung einer angemessenen Luftabwehr werden unsere Kraftwerke, Fabriken und Häuser von verheerenden Angriffen heimgesucht. Mit einer wirklich „unerschütterlichen Unterstützung“ wäre dies nicht unvermeidlich gewesen. Im Moment müssen wir uns dem Aggressor jedoch hauptsächlich allein stellen.

Die Widerstandsfähigkeit der ukrainischen Gesellschaft hängt von den Arbeiter:innen ab, die den Großteil der Streitkräfte stellen und das Funktionieren der Heimatfront in den Bereichen Logistik, Produktion und Instandhaltung kritischer Infrastrukturen gewährleisten. Gleichzeitig gibt es eine immer deutlicher werdende soziale Kluft, bei der öffentliche Güter nur noch für die Elite vorhanden sind und der Rest nur noch Pflichten hat. Dies demoralisiert und bedroht die Verteidigungsfähigkeit des Landes und seine Zukunft. Während wir weiterhin für Peanuts bezahlt werden, Überstunden machen und unter der ständigen Bedrohung leben, auf die Straße gesetzt zu werden, ist unsere Regierung viel mehr mit Deregulierung und der Schaffung günstiger Bedingungen für Unternehmen beschäftigt.

Die Sicherheit und das Wohlergehen unserer Familien und Freund:innen sind für uns absolute Werte, an denen wir festhalten. Es ist jedoch schmerzlich klar, dass es in der Nachkriegsukraine keine Möglichkeiten für ein menschenwürdiges Leben geben wird, wenn die Lohnabhängigen nicht den nötigen Einfluss erhalten, um ihre Probleme zu lösen. Mit Schrecken stellen wir fest, dass wir wahrscheinlich im Ausland ein besseres Leben suchen müssen, Tag und Nacht arbeiten und gegen gierige Bosse um Hungerlöhne ringen müssen.

Es ist auch kein Geheimnis, dass Eure Eliten die Löhne einfrieren, die Preise erhöhen, den Urlaub streichen und die Sozialausgaben kürzen und dies alles mit der Notwendigkeit rechtfertigen, die Ukraine zu unterstützen, während sie gleichzeitig den für beide Seiten vorteilhaften Handel mit Russland fortsetzen. Euer Geld und Ihre Technologie unterstützen dessen militärische Kapazitäten. Diese Politik ist äußerst gefährlich für die Solidarität und das Vertrauen zwischen unseren Völkern.

Wir wissen, dass wir nur gemeinsam die Demokratie und die soziale Gerechtigkeit gegen die Invasionen der imperialistischen Mächte, den Druck der Diktatoren, die Begierden der Oligarchen und die Demagogie der extremen Rechten verteidigen können.

Deshalb rufen wir Euch dazu auf:

1. Stoppt die Waffenexporte in Drittländer und gebt der Lieferung von Waffen und Munition an die Ukraine, die jetzt zur Verteidigung notwendig sind, den Vorrang. Unser Krieg darf nicht zum Vorwand für die Profitmacherei von Rüstungsunternehmen und Waffenhändler:innen werden!

2. Macht es dem Putin-Regime unmöglich, die Sanktionen zu umgehen. Dies erfordert unter anderem die Schließung der zwielichtigen Machenschaften russischer, ukrainischer und anderer Oligarchen. Jede Transaktion und jedes gelieferte Ersatzteil ermöglicht Russland die Fortsetzung des Krieges!

3. Annulliert die ungerechten Schulden und sorgt dafür, dass euer Geld nicht für unsoziale Experimente in unserem Land ausgegeben wird! Die internationale Unterstützung sollte dazu beitragen, die allgemeine Gesundheitsversorgung und das Bildungswesen wiederherzustellen und zu erweitern, erschwingliche Wohnungen und die öffentliche Infrastruktur wieder aufzubauen und menschenwürdige Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.

4. Knüpft Kontakte zu ukrainischen Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen, setzt euch für ihre Beteiligung an Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen ein und besteht auf der Bedeutung von Tarifverhandlungen und Vereinigungsfreiheit! In einem deformierten politischen System ist dies fast die einzige Möglichkeit für die einfachen Menschen, ihre Rechte einzufordern.

5. Enthüllt den Missbrauch der Solidarität zur Deckung von Eigeninteressen! Konfisziert russisches Vermögen, schließt Offshore-Firmen und besteuert die Superreichen! Stellt euer Volk nicht vor die falsche Wahl, das Schicksal der Ukrainer zu opfern oder den Schwächsten im eigenen Land etwas wegzunehmen! 

Am 14. Mai 2022 12:00 wurde der Aufruf auch individuell unterzeichnet von:

  1. Oleksandr Skyba, Vorsitzender der Free Trade Union of Railway Workers at the Darnytsia depot
  2. Natalia Zemlianska, Ukrainian Trade Union of Labourers, Entrepreneurs, and Migrant Workers
  3. Oksana Slobodiana, “Be Like Nina,” chair of the Lviv regional trade union
  4. Vasyl Andreyev, Vorsitzender for PROFBUD, Building Workers’ Union of Ukraine
  5. Liliia Vasylieva, stellvertretende Vorsitzende der Lviv Oblast Crane Workers’ Union
  6. Katya Gritseva, activist Aktivistin der unabhängigen Studentengewerkschaft Priama Diia (Direct Action) and NGO Sotsialniy rukh (Social Movement), Künstlerin
  7. Vitalii Dudin, Mitbegründer der NRO Sotsialnyi Rukh (Social Movement), PhD in Arbeitsrecht
  8. Artem Tidva, Organisationsbeauftragter, EPSU
  9. Oksana Dutchak, Mitherausgeberin von Spilne/Commons Journal
  10. Lidiya Luchyshyn, Schatzmeisterin der Lviv Oblast Crane Workers’ Union
  11. Taras Bilous, Redakteur
  12. Andrij Pacan, Drechsler
  13. Pavlo Bryzhatyi, Mitglied der unabhängigen Studentengewerkschaft Priama Diia (Direct Action) und NRG Sotsialnyi Rukh (Social Movement), Student der National University of Ostroh Academy
  14. Dariia Selishcheva, Psychologin
  15. Volodymyr Skimira, Kranarbeiter
  16. Maksym Shumakov, Aktivist der Studentengewerkschaft Priama Diia
  17. Iryna Strumeliak, Arbeiterin
  18. Denys Pilash, activist of NGO Sotsialnyi Rukh (Social Movement)
  19. Dmytro Lypetskyi, Kranarbeiter
  20. Valerii Petrov, Aktivist der NRG Sotsialnyi Rukh (Social Movement), Ph.D, Spieleentwickler
  21. Ihor Duleba, Kranarbeiter
  22. Romanenko Maksym, Arzt, Aktivist der NRO Sotsialnyi Rukh (Social Movement)
  23. Ihor Vasylets, Mitglied der Studierendengewerkschaft Priama Diia (Direct Action)
  24. Zakhar Popovych, Aktivist, Ph.D
  25. Mykhailo Zvir, Kranarbeiter
  26. Oleksandr Kyselov, Arbeitsmigrant, Vorstandsmitglied von Skånes Industrisyndikat
  27. Mariia Sokolova, Aktivistin der unabhängigen Studentengewerkschaft Priama Diia (Direct Action)
  28. Artem Remizovskyi, Doktorand der Cultural Studies, Kyiv-Mohyla Academy
  29. Ruslana Mazurenok, Vorsitzende des Gewerkschaftsklubs der Beschäftigten im Gesundheitswesen im Krankenhaus Derazhnyansʹka hospital, Aktivistin von „Be Like Nina“
  30. Serhiy Zahurskyi, Soldat, Mitglied der Partei „Narodovladstvo“, Mitglied des Wahlausschusses der Gewerkschaft „Public Health“.
  31. Olena Tkalich, Journalistin, Aktivistin der NGO „Social Movement“ (Soziale Bewegung)
  32. Yulia Romanenko, Lehrerin und Logopädin
  33. Iryna Stakhova, Aktivistin der Gewerkschaft der Ärzte im Krankenhaus von Derazhnya
  34. Mykhailo Samsonenko, Aktivist der Unabhängigen Studentengewerkschaft „Direkte Aktion“
  35. Iryna Slatvytska, Aktivistin der medizinischen Bewegung „Sei wie Nina“, Mitglied des Gewerkschaftsausschusses des ZRFKLDC
  36. Varvara Borysenko, Schülerin, Filmliebhaberin
  37. Maria Trufen, Aktivistin der NGO „Be like Nina“ (Sei wie Nina)
  38. Serhiy Ishchenko, Journalist
  39. Sofia Smutok, Aktivistin des unabhängigen Kollektivs „Populyary“
  40. Andriy Volyansky, Arbeiter, „Populyary“-Kollektiv
  41. Denys Khromyi, Mitglied der Gewerkschaft „Direkte Aktion“, Übersetzer, Essayist
  42. Mykhailo Klyshnaty, Architekt, Organisator von Wohltätigkeitsmusikveranstaltungen
  43. Bohdan Yakovych, YouTube-Blogger
  44. Eva Holovatska, Mitglied der Gewerkschaft Direkte Aktion
  45. Volodymyr Hesfer, Koordinator für Freiwillige
  46. Dionysiy Vynohradiv, Aktivistin der Studentengewerkschaft „Direct Action“ und der NGO „Social Movement“
  47. Mykyta Sosnov, Ingenieur
  48. Luca Cirigliano, Leiter der Abteilung Internationale Angelegenheiten des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB
  49. Svitlana Golota, Oberschwester, Kiew
  50. Verstraeten, Denis, Aktivist bei Gauche anticapitaliste
  51. Zhenia Stepko, Herausgeberin
  52. Hlib Serdyuk, Mitglied von Direct Action, Student
  53. Mike Palamaryk, Vertrauensmann der Professorengewerkschaft der Universität York, Toronto, Kanada
  54. Jelisej Babenko

Klickt hier um die aktualisierte Liste der Unterschriften aus der Ukraine einzusehen. 
Hier könnt ihr selbst den Aufruf unterzeichnen und eure Solidarität mit den Arbeiter:innen in der Ukraine bekunden.


Referenzen

Verabschiedet auf einem Treffen von Gewerkschafts- und studentischen Aktivist:innen in Kryvbas anlässlich des Internationalen Tages der Arbeit unter dem Vorsitz von Yuriy Samoilov und unter Beteiligung von Vertreter:innen der unabhängigen Gewerkschaften ArcelorMittal Kryvyi Rih, Kryvyi Rih Iron Ore Plant, Metinvest und Rudomine, der Freien Gewerkschaft der Beschäftigten im Gesundheitswesen von Kryvyi Rih, der Freien Gewerkschaft der Lehrenden und Wissenschaftler:innen von Kryvyi Rih, der Studentengewerkschaft Direct Action, der NRO Hexen von Kryvbas, der NRO Spravedlyvist und der NRO Sotsialnyi Rukh (Soziale Bewegung).

Der Aufruf wurde am 14. Mai 2024 auf der Webseite von Sotsialnyi Rukh auf Ukrainisch und Englisch publiziert. Christian Zeller übersetzte den Text aus dem Englischen ins Deutsche.
Bildquelle: Foto von Oleg Laptev auf Unsplash

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