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Die Bevölkerung in Gaza: Sabotage eines palästinensischen Staates hat System

Die Selbstbestimmung von Bevölkerungen ist der Grundstein für Freiheit und Demokratie. Mitte des 20. Jhdts. hatten Palästinenser:innen bereits den Versuch eines eigenen Nationalstaates gewagt. Ein Bestreben, das bis heute von den geopolitischen Ambitionen der benachbarten Regionalmächte, allen voran Israels, verhindert wird. (Red.)

von José Sanchez (BFS BFS Neuchâtel)

Heute werden vielfach die benachbarten arabischen Staaten dafür kritisiert, das Leid der palästinensischen Bevölkerung zu nutzen, um sich medienwirksam zu profilieren, oder gar, die palästinensische Bevölkerung als Projektionsfläche für zwischenstaatliche Machtkonflikte im Nahen Osten zu nutzen. Und viele Politiker:innen in Israel lassen wenige Gelegenheiten aus, um das kolonialistisch-zionistische Projekt der israelischen Expansion zu rechtfertigen, indem behauptet wird, es habe zuvor gar keine ‚palästinensische‘ Bevölkerung gegeben.

Dabei führen einige erste Ansätze palästinensischer nationaler Identität etwa auf den Bauernaufstand in Palästina gegen die ägyptische Wehrpflicht und Steuerpolitik in Palästina 1834 (ägyptische Grossprovinzen im osmanischen Reich) zurück. Nicht dass der Zeitpunkt erheblich wäre für die Rechtmässigkeit der nationalen Selbstbestimmung von Bevölkerungen. Aber die rechte Perspektive auf die Menschen in der Geschichte ist es wohl. Es entspricht nämlich vielmehr den Tatsachen, dass eine nationale Eigenständigkeit der Palästinenser:innen systematisch verhindert worden war und verhindert wird. So wurde bereits am 22. September 1948 der erste Versuch einer eigenen palästinensischen Nationalstaatlichkeit unternommen.

Sabotiert wurden die Souveränitätsbestrebungen der palästinensischen Bevölkerung damals nicht nur von Israel, sondern auch von den benachbarten arabischen Staaten. Die Gründe mögen damals andere gewesen als heute. Aber die Geschichte Palästinas zeigt, dass die regionalen Konflikte und Herrschaftsansprüche regionaler Grossmächte bis heute einer palästinensischen Eigenstaatlichkeit im Weg stehen.

Der Gazastreifen: Provisorisch seit 1949

Nach dem Ende des ersten israelisch-arabischen Krieges war der Gazastreifen Gegenstand eines Abkommens, das am 24. Februar 1949 in Rhodos von ägyptischen und israelischen Vertreter:innen unterzeichnet wurde. Es wurde eine vorübergehende Demarkationslinie festgelegt. In dem Dokument heisst es: „Die Demarkationslinie kann unter keinen Umständen als politische oder territoriale Grenze angesehen werden, sie wird ohne Vorgriff auf die Rechte, Ansprüche oder jede der Parteien des Waffenstillstands bezüglich der endgültigen Regelung der Palästinafrage festgelegt“.

Die UN-Generalversammlung hatte im Dezember 1948 die Resolution 194 verabschiedet, die eine Kommission einsetzte, um die Rückkehr von arabischen Geflüchteten zu erleichtern oder sie zu entschädigen. Dieses Dokument erkennt also ein Rückkehrrecht an und steht im Einklang mit dem Völkerrecht.

Da Ägypten noch keine territorialen Ansprüche auf Gaza angemeldet hatte, verkündete Ben Gurion seine Ambitionen, Gaza zu annektieren. Bereitschaft zur Annexion durch Israel. Im Laufe des Jahres 1949 fanden in Lausanne Verhandlungen statt. Ihr Scheitern erhält den provisorischen Status des Gazastreifens aufrecht.

Palästinensischer oder ägyptischer Staat?

Von nun an wurde das Gebiet von Ägypten verwaltet. Diese Macht wurde auf sehr autoritäre Weise von einem Militärgouverneur ausgeübt. Eine aus dem Nichts geschaffene internationale Agentur (UNRWA) versorgt ab da die Bevölkerung mit humanitärer Hilfe, erbringt den Grossteil der sozialen Dienstleistungen und wird zum grössten Arbeitgeber vor Ort.

Versuche, eine palästinensische Behörde zu gründen, stiessen auf die Feindseligkeit von König Faruk von Ägypten und König Abdullah von Jordanien, der die Region Westjordanland verwaltete. Die beiden Monarchen wollten die Kontrolle über diese beiden Gebiete und lehnten jede unabhängige Körperschaft, die aus der palästinensischen Zivilgesellschaft hervorgeht, strikt ab. Und dennoch, für einige Monate wird ein All-Palestine Government (حكومة عموم فلسطين) von einer verfassungsgebenden Versammlung ernannt, bevor es dann doch wieder verschwand. Die beiden arabischen Länder nutzten die Not der palästinensischen Geflüchteten für aussenpolitische Zwecke, hatten aber keinerlei Interesse an der Entstehung einer politischen Befreiungsbewegung oder eines embryonalen palästinensischen Staates im Gazastreifen und im Westjordanland. Die Muslimbruderschaft hingegen hat später das infrastrukturelle Vakuum gefüllt und den Aufbau von Einrichtungen im Bildungs- und Gesundheitssektor auf diesem Gebiet übernommen.

Im Zuge des Krieges gegen Ägypten 1956 übte dann Israel für einige Monate eine Besatzung aus, deren Härte bereits die zukünftigen Dimensionen der Kolonialpolitik des israelischen Staates erahnen lässt, die ab Juni 1967 Realität wurde, als Israel Gaza annektierte.


Quelle: « Histoire de Gaza», Jean-Pierre Filiu, Ed Pluriel 2015.

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