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Grossbritannien: Der Strassenfaschismus greift um sich

Ein Schild auf dem steht "No to Fascism, Yes to Refugees"

Grossbritannien erlebt derzeit die grössten Ausschreitungen seit 2011. Faschistische Strassenbanden zünden Geflüchtetenunterkünfte an, zerren rassifizierte Menschen aus ihren Autos und verprügeln sie auf offener Strasse. Die Polizei drängt sie nicht stark genug zurück, sodass antifaschistische Gruppen zur Selbstverteidigung greifen. Die extreme Rechte Grossbritanniens nimmt eine Schreckenstat zum Anlass, die sich letzte Woche in Southport, einer kleinen Stadt in der Nähe von Liverpool, ereignet hat. Dort drang ein psychisch schwerkranker Mann in einen Taylor-Swift-Tanzkurs für Kinder ein, tötete drei Kinder und verletzte weitere Menschen schwer. Angefeuert durch Fehlinformationen und Jahrzehnte der rassistischen Politik, ruft die extreme Rechte nun zu Pogromen gegen Muslim:innen und Migrant:innen auf. Was fehlt, ist eine breite antifaschistische Allianz: Die regierende Labour-Partei scheut davor zurück, sich in aller Deutlichkeit hinter Muslim:innen und Migrant:innen zu stellen und die Strassengangs als faschistisch zu bezeichnen. Sie begnügt sich damit, Polizei und Gerichte in den Ausnahmezustand zu versetzen. Einige Abgeordnete haben den Rechtsextremen sogar «legitime Sorgen» zugesprochen. Andy Cunningham von «Revolutionary Socialism in the 21st Century» schildert die Ereignisse in Southport aus lokaler Sicht und plädiert dafür, die Bedrohung klar als Faschismus zu benennen. Ausserdem argumentiert er, wie wichtig es ist, die Gaza-Solidaritätsbewegung mit der antifaschistischen Bewegung zu vereinen. (Red.)

von Andy Cunningham; aus rs21.org.uk

Ein Massenmord mit Folgen

Am Montag habe ich mit Entsetzen die Nachricht von den Morden in Southport erhalten. Es sind Sommerferien und viele Menschen schicken ihre Kinder zu Kinderclubs und Freizeitaktivitäten – dass diese ganz normale Sache zu ihrem Tod führen könnte, ist ein entsetzlicher Gedanke. Als die Nachricht am Montag die Runde machte, warteten die Menschen von Southport mit entsetzlicher Anspannung darauf, das ganze Ausmass des Grauens zu erfahren.

Die Polizei beeilte sich zu versichern, dass keine weitere Bedrohung bestehe und dass sie jemanden in Gewahrsam habe. Die Beschreibung der Polizei, dass es sich um eine «psychische Störung» handelte, bedeutete, dass es kein terroristischer Anschlag war (die Polizei kennt nur zwei Gründe für Massenmorde). Als der Verdächtige sich in Gewahrsam befand und die ersten Einzelheiten des Anschlags bekannt wurden, stieg die Trauer in der Gemeinschaft ins Unermessliche.

Am Dienstag wurde eine organisierte Mahnwache vor dem Atkinson (einem bekannten lokalen Theater) abgehalten. Der Ort wurde zum Mittelpunkt der Trauer der Gemeinschaft. Freund:innen, die daran teilnahmen, beschrieben die Veranstaltung als überwältigend und tief traurig. Aktivist:innen der Lehrpersonengewerkschaft sprachen davon, dass die Gemeinschaft vom Attentat «gelähmt» sei.

Doch während die Gemeinschaft trauerte, entwickelte sich online eine andere Reaktion. Lügen und Desinformationen über den mutmasslichen Mörder, die zuerst von einer Fake-News-Seite mit russischen Verbindungen verbreitet wurden, schrieben die Tat fälschlicherweise einem Mann mit einem muslimischen Namen zu, der letztes Jahr mit einem kleinen Boot nach Grossbritannien kam. Faschistische und rassistische Konten und Netzwerke in den sozialen Medien griffen diese «Information» schnell auf und verbreiteten sie weiter, bis der ursprüngliche Beitrag über 2 Millionen Aufrufe verzeichnete.

Das Wiederaufleben des Strassenfaschismus

Die Desinformationskampagne gipfelte in einem faschistischen Aufstand am Dienstagabend in Southport. Die Randalierer:innen kamen grösstenteils von ausserhalb Southports (die Verhafteten stammten aus verschiedenen Orten in Lancashire und Merseyside) und vereinigten bekannte faschistische Elemente – Mitglieder der «English Defence League» und der «Patriotic Alternative». Die Randalierer griffen eine Moschee an, plünderten ein Geschäft in muslimischem Besitz, zündeten Autos an und zerschlugen Hauswände, um die Polizei mit Steinen zu bewerfen.

Auf die Ausschreitungen am Dienstag in Southport folgten faschistische Mobilisierungen im ganzen Land. Weitere werden an diesem Wochenende folgen. Warum also jetzt? Was hat sich geändert?

Ein Teil der aktuellen Mobilisierungen ist auf die Wahlergebnisse zurückzuführen. Erstens wird die Labour-Regierung von der Rechten als einwanderungsfreundlich wahrgenommen. Zweitens hat «Reform UK» [eine rechtsextreme Partei unter der Führung von Nigel Farage, die in den Wahlen vor einem Monat 14 Prozent der Stimmen erhielt, Anm. d. Red.] bei den Wahlen vier Abgeordnete gewonnen – eine Partei, in der Faschist:innen sitzen, hat jetzt Abgeordnete, und das gibt der Rechten Selbstvertrauen. Und schliesslich dürfen wir die Auswirkungen der US-Wahlen nicht unterschätzen – faschistische Inhalte aus Amerika finden auch hier in Grossbritannien ein Echo.

In Lancashire, wo die ersten Unruhen begannen, zeigten die Wahlergebnisse, wie gross das Reservoir der rechten Politik ist. Obwohl die Landkarte rot aussieht, also voller Labour-Abgeordneter, war die kombinierte Stimmenzahl von den konservativen «Tories» und «Reform UK» oft höher. Wie in weiten Teilen des Landes war die Geschichte der Wahl eher eine Spaltung der Rechten als eine Ablehnung ihrer Politik.

Antifa bleibt Handarbeit

Das Wiederaufleben des Strassenfaschismus kam unerwartet, und die Linke ist noch dabei, darauf zu reagieren. Es gibt jedoch einige Dinge, auf denen wir beharren sollten. Wie in der Vergangenheit ist der beste Weg, den Faschismus zu besiegen, die physische Konfrontation mit ihm auf der Strasse. Wir müssen unsere Reaktionen auf faschistische Proteste koordinieren, damit die Menschen sich trauen, an ihnen teilzunehmen und auf die Strasse zu gehen.

Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass wir es mit Faschismus zu tun haben. Wenn die jüngsten Erfahrungen in Frankreich etwas zeigen, dann dass man die Dinge beim Namen nennen sollte und darum auch einen Faschisten einen Faschisten. Es hat keinen Sinn, von den «Zurückgebliebenen», den «Rechtsextremen» oder den «Besitzlosen» zu sprechen – all diese Bezeichnungen haben den Effekt, den Faschismus zu legitimieren und seine wahre Bedrohung zu verschleiern. Schon jetzt sprechen einige Labour-Politiker:innen von «legitimen Beschwerden» oder «echten Sorgen über Wandel und Einwanderung». Das ist Blödsinn und nur eine Anbiederung an die Rechten.

Und schliesslich müssen wir die äusserst beeindruckende Gaza-Solidaritätsbewegung mit der antifaschistischen Bewegung vereinen, wenn wir den Faschismus wirksam bekämpfen wollen. Muslim:innen sind die wichtigste Gruppe, die derzeit vom Faschismus angegriffen wird, und wir müssen ihnen beistehen und sie ermutigen, die Faschist:innen auf der Strasse selbstbewusst zu bekämpfen.

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