Der Aufstieg der globalen extremen Rechten bestimmt unser historisches Zeitalter. Thomas Hummel argumentiert, dass revolutionäre Sozialist:innen deswegen die Strategie der Einheitsfront wiederbeleben müssen, um den neuen Autoritarismus herauszufordern.
von Thomas Hummel; aus tempestmag.org
Die bestimmende Eigenschaft von Massenpolitik in der heutigen Zeit ist das atemberaubende und erschreckende Wachstum der internationalen extremen Rechten. Da sich sozialistische Strategie an den Charakter der Massenpolitik in der jeweiligen Epoche anpassen muss, folgt daraus, dass Sozialist:innen nun international einen Kampf gegen das Erstarken dieses Monsters führen müssen.
In diesem Artikel werde ich die Behauptung untermauern, dass der Aufstieg der extremen Rechten das bestimmende Merkmal der heutigen Zeit ist. Dann werde ich versuchen, eine internationale Strategie zur Bekämpfung dieses Aufstiegs zu formulieren und ihre strategisch unverzichtbare Rolle für Sozialist:innen in der gegenwärtigen Epoche hervorzuheben.
Der neue Autoritarismus und die Polykrise
Die zweite Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten stellte eine Zäsur dar, durch die der aufkommende neue Autoritarismus deutlichere Konturen gewann. Dieser Sturm hatte sich jedoch bereits seit fast drei Jahrzehnten langsam aufgebaut und wirkte in gewisser Weise wie ein groteskes Spiegelbild der Verjüngung, die die antikapitalistische Linke im selben Zeitraum erfahren hat, seit sich die aktuelle Runde der postsowjetischen Politik um die Antiglobalisierungsbewegung der späten 1990er Jahre herum zu formieren begann. Wie Miguel Urbán dargelegt hat, war die Behauptung nationaler kultureller Souveränität gegenüber der US-amerikanischen Globalisierung der Schlüssel zu rechtsextremer Ideologie und Aktivitäten in dieser Zeit. Sowohl die neue Linke als auch die revoltierende extreme Rechte haben denselben Ursprung: die langsam voranschreitende Krise des kapitalistischen Systems.
Der neue Autoritarismus ist eine ungleichmässige Tendenz, die auf eine Trennung von Kapitalismus und liberaler Demokratie zusteuert. Er entwickelt sich in diese Richtung unter dem Druck dessen, was Adam Tooze als „Polykrise“ bezeichnet hat, d. h. das Nebeneinander mehrerer, sich überschneidender Krisen (ökologischer, wirtschaftlicher oder biologischer Art), die zu einer umfassenden Krise des Systems führen. Der neue Autoritarismus ist nicht eine einheitliche und kohärente Ideologie über verschiedene Länder hinweg, sondern eine allgemeine Tendenz, die sich ungleichmässig in Richtung der oben erwähnten Trennung bewegt und einige lose Gemeinsamkeiten aufweist.
Unter dem weiten Dach dieses neuen Autoritarismus befinden sich der jetzt dominierende Trump-Flügel der Republikanischen Partei, Fratelli d’Italia in Italien, VOX in Spanien, das Rassemblement National in Frankreich, Fidesz in Ungarn, die Alternative für Deutschland (AfD) und Reform in Grossbritannien. Dazu gehören auch Strassenkampfbewegungen wie die Proud Boys, die internationale Bewegung der „Active Clubs“ und sogar die spontane rechte Gewalt, die wir im Sommer 2024 im Vereinigten Königreich erlebt haben.
Es ist sinnvoll, anhand eines Vergleichs mit dem traditionellen Faschismus einige der wichtigsten Merkmale des neuen Autoritarismus zu skizzieren, um seinen besonderen Charakter herauszuarbeiten:
- Sowohl der neue Autoritarismus als auch der traditionelle Faschismus haben ihre Wurzeln in den Mittelschichten, dem Kleinbürgertum (Kleinunternehmer, Vermieter, Fachkräfte, Manager), die sehr real unter der Systemkrise leiden, aber kein materielles Interesse daran haben, die analytischen Instrumente zu einer angemessenen Problematisierung zu entwickeln. Der Kapitalismus hat ihnen gewisse Vorteile verschafft, die durch die Krise in Frage gestellt werden. Sie wollen gleichzeitig den Kapitalismus verteidigen und eine Lösung für die Krise finden – ein Widerspruch, der sie zu Verschwörungsdenken verleitet, damit sie erklären können, warum der Kapitalismus für sie nicht so funktioniert, wie er sollte. Das Ergebnis ist, dass sie denjenigen gegenüber misstrauisch werden, die über und unter ihnen sind: den Grosskapitalisten, die sie in der Krise ausquetschen, und den Migrant:innen und unterdrückten Bevölkerungsgruppen, die man leicht zu Sündenböcken machen kann. Da diese Klasse nicht in der Lage ist, sich eine Krise vorzustellen, die innerhalb des Systems liegt, sucht sie nach Ursachen, die grundsätzlich ausserhalb des normalen Funktionierens des Systems liegen.
- Beide Bewegungen sind Versuche des Systems, die Unzufriedenheit, die es in dieser Klasse selbst erzeugt, zu kanalisieren, um sich zu verteidigen oder zu retten. Im traditionellen Faschismus wurde das Leid des Ersten Weltkriegs und der anschliessenden Wirtschaftskrise umgelenkt, um Jüd:innen und Sozialist:innen zum Sündenbock zu machen, die „der Nation in den Rücken gefallen“ seien, als die Heimatfront zusammenbrach und die Erfolge der Arbeiterklasse das reibungslose Funktionieren des Kapitalismus bedrohten. Der Faschismus war das Mittel, um die Bedrohung, die die Arbeiterklasse für den Kapitalismus darstellte, zurückzuschlagen. Im Kontext des neuen Autoritarismus wurde das Leid, das durch den Zusammenbruch von 2008, seine Folgen und die schwache Konjunkturerholung entstanden war, auf Migrant:innen, ethnische, sexuelle und genderspezifische Minderheiten und die Linke umgelenkt und in eine Geschichte des mangelnden Willens und der bösartigen Absichten einer dämonischen Verschwörung pädophiler Eliten gesponnen, was alles zu einem nationalen Niedergang führte. In beiden Fällen wird die Mittelschicht zum Erhalt des Systems instrumentalisiert, indem die Unzufriedenheit, die das System erzeugt hat, umgelenkt wird.
- Während der traditionelle Faschismus offen für die völlige Abschaffung der Demokratie eintrat, leistet der neue Autoritarismus zumindest ein Lippenbekenntnis zur Achtung ihrer Grundzüge. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als im Moment innerhalb der Strukturen zu agieren, auch wenn er sein Bestes tut, diese von innen heraus zu untergraben. Wie der Kontrast zwischen Trumps erster und zweiter Amtszeit zeigt, besteht die allgemeine Tendenz jedoch darin, immer stärker die demokratischen Institutionen zu demontieren.
- Die ideologische Heterogenität innerhalb des neuen Autoritarismus verdeutlicht ein weiteres seiner Hauptmerkmale: Während die Bewegung als Ganzes nicht korrekt als durch und durch faschistisch charakterisiert werden kann, spielen selbst identifizierte Faschisten eine zentrale Rolle unter ihren Kadern, von denen viele ihre Wurzeln in den traditionelleren faschistischen Organisationen der Vergangenheit haben. Das bedeutet, dass es in vielen der Parteien und Organisationen der neuen Autoritären Kräfte gibt, die sich für eine Verschärfung der Politik der Organisation in eine radikalere und gewalttätigere Richtung einsetzen. Die Besonderheit der gegenwärtigen Periode führt zu scheinbar widersprüchlichen Umständen, in denen jemand, der mit ziemlicher Sicherheit noch offen faschistische Sympathien hegt, wie beispielsweise Giorgia Meloni in Italien, im Namen der neuen autoritären Ideologie an der Spitze eines bürgerlichen Staates steht.
- Die fehlende ideologische Homogenität des neuen Autoritarismus hebt ein weiteres wesentliches Merkmal hervor: seine historische Ergebnisoffenheit. Es wäre ein Fehler, die heutige extreme Rechte als etwas Statisches zu betrachten, das einen bestimmten Charakter hat und auf ein bestimmtes Ende zusteuert. Der Entwicklungsprozess des neuen Autoritarismus wird von einer Reihe von Faktoren abhängen, z. B. von der Geschwindigkeit, mit der sich die Wirtschafts- und Umweltkrisen verschärfen, von der Intensität des Klassenkampfes und von der Fähigkeit der revolutionären Linken, eine Alternative zu bieten.
- Der neue Autoritarismus unterscheidet sich vom klassischen Faschismus auch durch die institutionelle Trennung zwischen der parlamentarischen und der Strassenkampfbewegung. Eine bemerkenswerte Ausnahme ist die BJP des indischen Premierministers Narenda Modi, die über einen expliziten Strassenkampfflügel verfügt, die Rashtriya Swayamsevak Sangh. Dieser Strassenfaschismus interagiert jedoch mit der Heterogenität und Offenheit des neuen Autoritarismus, da es keine hermetische Abgrenzung zwischen den Aktivitäten der parlamentarischen und der strassenkämpfenden Organisationen oder zwischen den parlamentarischen Gruppen und der „spontanen“ rechten Strassengewalt gibt. Die Aktivitäten der einen beeinflussen jene der anderen.
Ein Beispiel, das dies gut verdeutlicht, war das rassistische Pogrom in Grossbritannien im Sommer 2024, bei dem sich jahrelange einwanderungsfeindliche Rhetorik sowohl der rechtsextremen als auch der etablierten Parteien plötzlich in massiver Strassengewalt niederschlug. In den USA hat der Trumpismus zwar keine expliziten formalen Verbindungen zu einer Strassenkampfbewegung, aber er kann auf eine Geschichte rechtsextremer Selbstjustiz zurückgreifen, die vom KKK über die Milizbewegung bis hin zu Gruppen wie den Proud Boys und Oathkeepers reicht. Die Art und Weise, wie diese Kräfte für gewaltsame antidemokratische Zwecke herangezogen werden können, wurde durch den „Bierbauchputsch“ vom 6. Januar 2021 und die Massenbegnadigung derjenigen, die an diesem halbherzigen Putschversuch beteiligt waren, verdeutlicht. Während sich Trump derzeit vor allem auf die Macht der Exekutive verlässt, um so viele demokratische Aspekte des bürgerlichen Staates zu demontieren, wie er kann, wird dies wahrscheinlich irgendwann Widerstand hervorrufen, und er hält diese Kräfte in Bereitschaft, um in Aktion zu treten, falls ausserstaatliche Gewalt notwendig werden sollte. Die internationale Ausbreitung der rechten „Active Clubs“, welche körperliche Fitness mit weisser Vorherrschaft verbinden, ist ein weiterer Beleg für die wachsende Tendenz zur Strassengewalt. Die Zukunft der Beziehung zwischen rechter Strassengewalt und den parlamentarischen Institutionen bleibt unklar, aber es steht fest, dass wir einen Anstieg dieser Art von Gewalt in der ganzen Welt beobachten und dass es eine klare Verbindung zwischen dieser Gewalt und der Rhetorik sowie den Aktivitäten der elektoralen Seite der Bewegung gibt. Angesichts der Offenheit der heutigen Rechtsextremen könnte es sehr wohl zu einer formellen Vereinigung dieser beiden Seiten kommen. Wir sehen Anzeichen dieses Potenzials bei den Fratelli d’Italia und der Alternative für Deutschland (AfD), die heimlich über ihre Jugendorganisationen Strassenkampfkräfte stärken.
Die extreme Rechte bestimmt das Zeitalter
Die Weltpolitik steht noch immer im Schatten der Krise von 2008. Diese Krise war der Wendepunkt, an dem die Hegemonie, die die kapitalistische Klasse rund um den Neoliberalismus aufgebaut hatte, endgültig zerbrach und eine Lücke entstand, in der neue Stimmen, sowohl von links als auch von rechts, Gehör finden konnten.
Wie fast immer äusserte sich diese Unzufriedenheit zunächst spontan in Bewegungen wie dem Arabischen Frühling, Occupy in den USA und 15M im spanischen Staat. Diese Bewegungen forderten grundlegende Veränderungen in der Art und Weise, wie das System funktioniert, und brachten einen spontanen Antikapitalismus zum Ausdruck. Sie waren ausserdem Erben von anarchistisch inspirierten Organisationsphilosophien der Nachkriegszeit. Sie priorisierten Horizontalität auf Kosten von Effektivität, und ihre Ablehnung von Politik schuf eine Lücke, die gefüllt werden wollte.
In diese Lücke sprang eine neue und wiederauflebende radikale Sozialdemokratie in Form von Gruppen wie Syriza in Griechenland, Podemos im spanischen Staat, Die Linke in Deutschland, Momentum im Vereinigten Königreich und in den USA durch den sozialdemokratischen Aufstand in der Demokratischen Partei, personifiziert in Bernie Sanders. Während Sozialist:innen verpflichtet waren, mit diesen Organisationen zusammenzuarbeiten und sich sogar innerhalb davon zu engagieren, um auf die Radikalisierung einzugehen, konnte jede:r klarsichtige Revolutionär:in die Entwicklung dieser Organisationen vorhersehen. Indem sie eine Strategie des „Sozialismus von oben“ verfolgten, schnitten sie sich selbst von der einzigen Quelle ab, die das System materiell herausfordern konnte: der verunsicherten Arbeiterklasse. Das Kapital zwang die Bewegungen zu einem langsamen und erbärmlichen Rückzug, in dem sie ihre emanzipatorischen Versprechen brachen und zu einem Teil des bürgerlichen Status quo wurden.
Das heisst nicht, dass die extreme Rechte in dieser Zeit stagnierte, aber sie spielte immer noch nicht eine so entscheidende Rolle bei der Bestimmung des Zeitgeschehens, dass sie die Strategie von Revolutionär:innen bestimmt hätte. Im Jahr 2010 errangen die Schwedendemokraten 20 Sitze im Parlament und in Ungarn wurde Viktor Orbán Regierungschef. Die Goldene Morgenröte zog 2012 in das griechische Parlament ein, und die UKIP erhielt 2014 bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 27,5 Prozent der Stimmen, während der Front National in Frankreich die stärkste Fraktion in derselben Institution wurde. Polens Partei Recht und Gerechtigkeit gewann 2015 sowohl die Präsidentschaft als auch das Parlament, und im Vereinigten Königreich marschierte die English Defense League durch die Strassen. Doch trotz dieser rechtsextremen Vorstösse war die Zeit von einer verjüngten und jugendlichen Sozialdemokratie geprägt, die einige Gewinne gegen einen bürgerlichen Mainstream erzielen konnte, der wiederum versuchte, seine eigene, zunehmend unsichere Hegemonie aufrechtzuerhalten.
Die Wahl Orbáns 2010 war ein wichtiger Moment für den Aufstieg des neuen Autoritarismus. Vor seiner Wahl hatte Orbán Rechtsanwälte damit beauftragt, einen Plan für die rasche Zerstörung der ungarischen Demokratie auszuarbeiten, indem er das System der wechselseitigen Kontrolle abschaffte, das die dauerhafte Übernahme der Macht durch eine einzige Gruppierung verhindert hatte. Orbán schrieb sozusagen das Drehbuch dafür, was die neuen Autoritären tun sollten, wenn sie die Zügel eines bürgerlichen Staates in ihren Händen halten. In der Tat gibt es eine direkte Verbindung zwischen Orbán und dem „Project 2025“, dem 900-seitigen Dokument der ultrarechten Heritage Foundation, das die Grundlage für die Blitzkriegspolitik der derzeitigen Trump-Regierung bildet. In dem Dokument wird ein Plan für eine amerikanische rechtsextreme Präsidentschaft skizziert, die den „Deep State“ angreift, den Staatsapparat demontiert und ihn, wo nötig, durch rechtsextreme Loyalisten ersetzt. Gleichzeitig fordert der Plan die Verstärkung der staatlichen Intervention in sozialen Fragen wie Abtreibung oder die Rechte von Trans-Personen, den Abbau der Demokratie und die Errichtung von etwas, das man grob als einen national-christlichen Staat bezeichnen könnte.
Dieses Dokument wurde in Zusammenarbeit mit dem Danube Institute verfasst, Orbáns englischsprachigem Think Tank, welches zu seiner Entwicklung eine formelle Partnerschaft mit der Heritage Foundation einging.
Die zweite Hälfte des letzten Jahrzehnts war geprägt von der Selbstzerstörung der neuen sozialdemokratischen Bewegungen, entweder indem sie die Macht des bürgerlichen Staates übernahmen und ihr Wort brachen (wie Syriza) oder indem sie in bürgerliche Regierungskoalitionen eintraten (wie Podemos) und ihre Prinzipien verrieten, oder indem sie sich auf ein so kopflastiges Konzept von Elektoralismus stützen, dass sie zwangsläufig ihre Basis aushöhlten (wie die DSA). Mit dem Brexit, der ersten Wahl Trumps im Jahr 2016 und dem erstmaligen Einzug der AfD in den deutschen Bundestag im Jahr 2017, wo sie 94 Sitze errang und zur drittgrössten Partei des Landes wurde, begann die extreme Rechte in diesem Zeitraum eine stärkere Rolle zu spielen. Ausschlaggebend für dieses Wachstum waren der syrische Bürgerkrieg und der darauffolgende leichte Anstieg der Migration, der von der Rechten als nützlicher Sündenbock ausgeschlachtet wurde. In dieser Zeit wuchsen auch die rechtsextremen Strassenbewegungen, von den „3 Percenters“, „Oath Keepers“ und „Proud Boys“ in den USA bis hin zu „Generation Identity“, den „Reichsbürgern“ und den „Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes“ in Europa.
Gegen Ende des Jahrzehnts kam es auf der ganzen Welt zu enormen sozialen Explosionen. 2019 war ein Jahr der Aufstände in Algerien, Bolivien, Chile, Libanon, Sudan, Frankreich, Ecuador, Ägypten, Hongkong und weiteren Ländern. Ohne eine revolutionäre sozialistische Perspektive oder die notwendige Organisation, um zu einer mächtigen sozialen Waffe zu werden, blieben diese Bewegungen entweder vor der politischen Revolution stehen oder brachen noch häufiger in sich selbst zusammen. Dennoch waren diese Bewegungen ein Ausdruck der Energie, die grosse Teile der von der Krise betroffenen Bevölkerungsgruppen noch in sich trugen.
Die Pandemie veränderte alles. Die bereits wackelige Hegemonie der herrschenden Klasse wurde durch die Pandemie und die daraus resultierenden wirtschaftlichen Auswirkungen enorm erschüttert. Die Linke übernahm zuerst die Führungsrolle mit einer weltweiten Bewegung für das Leben von Schwarzen, ausgelöst durch den brutalen Polizeimord an George Floyd in Minneapolis Ende Mai 2020. In den USA gingen Millionen von Menschen jeglicher Herkunft auf die Strasse, zunächst randalierend, Polizeistationen und -autos in Brand setzend und später in eine anhaltende Protestbewegung übergehend, die monatelang anhielt. Da es jedoch an Organisation fehlte, um diese Energie zu kanalisieren, und da die damals grösste linke Organisation, die DSA, sich lieber auf die Wahlen im Jahr 2020 konzentrierte, als sich ernsthaft mit dem Kampf der Bevölkerung zu befassen, verloren diese Bewegungen langsam ihre Vormachtstellung und überliessen sie wieder der bürgerlichen Mitte. Durch Angriffe auf die Bewegung versuchte die Mitte, ihre Stabilität wiederzuerlangen, indem sie Argumente benutzte, die den rechten Flügel unterstützten, und behauptete, dass die Bewegung Chaos und Kriminalität mit sich bringe. „Recht und Ordnung“ gegen Kriminalität und Einwanderung wurde zum Schlachtruf sowohl der Mitte als auch der extremen Rechten, und der Linken fehlten organisatorische Mittel für einen Gegenangriff. Die Bewegungen im Anschluss an den Hamas-Aufstand vom 7. Oktober 2023 in Gaza verstärkten diese Tendenz nur noch, indem sich die Mitte und die extreme Rechte zur Verteidigung des zionistischen Staates gegen die Bewegungen für Gerechtigkeit in Palästina zusammenschlossen.
Im Nachgang zur Pandemie und nach mehr als einem Jahrzehnt der Wirtschaftskrise flammten Verschwörungstheorien auf, angefangen bei QAnon-Theorien voller antisemitischer Thesen über „Globalisten“, die die westliche Zivilisation von innen heraus zerstören wollen, bis hin zu Impfstoff-Skepsis und der Theorie des „grossen Austauschs“, wonach die „Eliten“ (oft ein Synonym für Jüd:innen) die einheimische weisse Bevölkerung des Westens durch Masseneinwanderung vernichten wollen. Da die radikale Linke zu schwach war, um zu intervenieren, und die Mitte nichts anderes als die scheiternde neoliberale Norm zu bieten hatte, schaffte es die extreme Rechte, sich in die bröckelnde Struktur der bürgerlichen Hegemonie einzufügen und sich einen Platz zu schaffen, indem sie als Alternative zum krisengeschüttelten System auftrat.
Und so finden wir uns in einer Situation wieder, in der die bürgerliche Hegemonie scheitert und die Rechte eine alternative Vision für eine Weltordnung anbietet. Im Jahr 2022 erhielt Le Pens umbenanntes Rassemblement National im zweiten Wahlgang 41,5 Prozent der Stimmen, und die Schwedendemokraten wurden zur zweitstärksten Partei im Riksdag, während die faschistisch geprägten Fratelli d’Italia im Oktober eine Rechtskoalition zum Sieg führten. Im Jahr 2024 gewann die Freiheitliche Partei Österreichs die Parlamentswahlen, und bei den Wahlen zum Europäischen Parlament erzielten rechtsextreme Parteien enorme Gewinne. In sieben EU-Staaten – Kroatien, der Tschechischen Republik, Finnland, Ungarn, Italien, den Niederlanden und der Slowakei – sind rechtsextreme Parteien an der Regierung. Der Erfolg des Rassemblement National bei den europäischen Parlamentswahlen veranlasste den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die Nationalversammlung aufzulösen und vorgezogene Neuwahlen auszurufen, in denen das linke Bündnis der Neuen Volksfront das Rassemblement National besiegte, welches selbst 142 Sitze errang. Die vorgezogenen Neuwahlen haben in Frankreich zu einer Situation tiefgreifender Unsicherheit geführt, aus der es keinen klaren Ausweg gibt. In der UK kam es Ende Juli und Anfang August zu rechtsextremen, einwanderungsfeindlichen Pogromen im Land. Bei der Bundestagswahl am 23. Februar erreichte die AfD mit 20 Prozent der Stimmen den zweiten Platz, und die Reformpartei in Grossbritannien erhöhte ihre Zahl der zahlenden Mitglieder auf 170.000, wobei ihre Umfragewerte in die Höhe schnellten und sie in einer Umfrage sogar die Beliebtheit der Labour Party übertraf.
Die neue Linke, die nach 2008 entstanden ist, ist in der Zeit nach der Pandemie deutlich geschrumpft. Podemos ist nur noch ein Schatten seiner selbst, und Die Linke hat nach den Europaparlamentswahlen 2024 nur noch vier Sitze. Die NPA (Neue Antikapitalistische Partei in Frankreich) spaltete sich 2021 und offenbarte damit den grossen historischen Fehler, die LCR (Revolutionäre Kommunistische Liga) aufzulösen. Nachdem die DSA die alte Politik des „linken Flügels des Möglichen“ von Michael Harrington verinnerlicht hatte, erlebte sie einen Mitgliederschwund, von dem sie sich wahrscheinlich nie wieder erholen wird.
Obwohl Die Linke aufgrund ihrer Grundsatzposition zur Unterstützung von Migrant:innen bei den vergangenen Wahlen um fast 9 Prozent zulegen konnte, ist unklar, inwiefern dieser Erfolg und der Zufluss junger Mitglieder die verknöcherten reformistischen Strukturen aufrütteln können. Obwohl die Partei ein strategisch wichtiger Ort für Sozialist:innen sein könnte, um sich zu engagieren, solange sich noch eine Gelegenheit dazu bietet, könnte sich dieser Erfolg als sehr kurzlebig erweisen, wenn die Mitglieder nicht in der Lage sind, mit den reformistischen und institutionalistischen Tendenzen der bisherigen Organisation zu brechen.
Es lohnt sich, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Dynamik dieses Zeitalters keineswegs ausschliesst, dass es zu einer vorübergehenden Wiederherstellung der bürgerlichen Hegemonie kommt, oder dass die Reformbewegungen für kurze Zeit wieder Rückenwind bekommen. Es ist durchaus vorstellbar, dass Trumps Machtüberschreitung zum Beispiel im Jahr 2028 zur Wiedererstarkung der Demokratischen Partei führt. Da es jedoch im Rahmen des Kapitalismus keine Lösung für die Polykrise gibt, wird die Gesamtdynamik darin bestehen, dass die Rechtsextremen an Stärke gewinnen. Vorübergehende Restaurationsprozesse und reformistische Aufschwünge werden den grundlegenden Charakter und Verlauf der Epoche nicht ändern.
Das wichtigste Ereignis im Jahr 2024 war die zweite Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA, die so etwas wie einen Wendepunkt im Aufstieg der neuen extremen Rechten darstellte. Trump kam mit einer Anti-System-Plattform an die Macht und versprach, Amerika an die erste Stelle zu setzen, um den sterbenden amerikanischen Traum wiederzubeleben. Seine Handlungen seit dem Amtsantritt belegen, dass seine zweite Amtszeit in der Tat durch das „ Project 2025“ motiviert ist, mit einem rapiden Angriff auf die demokratischen Institutionen und die am meisten marginalisierten Mitglieder der US-Gesellschaft.
Trump und sein Team entwickeln das Drehbuch dafür weiter, wie neue Autoritäre vorgehen sollten, wenn sie an die Spitze eines bürgerlich-demokratischen Staates kommen. Sie leiten ein neues Zeitalter ein, in dem der Charakter des neuen Autoritarismus deutlicher geworden ist und in dem die extreme Rechte eine zentrale Rolle spielen wird, während die Linke nicht nur auf dem Rückzug ist, sondern oft überhaupt keine Basis mehr hat.
Das Zeitalter muss für die Linke durch den internationalen Kampf gegen die extreme Rechte bestimmt sein
Insofern die Auseinandersetzung mit den neuen linken Kräften den vorangegangenen politischen Zeitraum für revolutionäre Sozialist:innen bestimmt hat, muss es heute der Kampf gegen die neuen autoritären Kräfte sein.
Revolutionäre Sozialist:innen müssen der Tatsache nüchtern ins Auge sehen, dass die Zeit der Arbeit in sozialdemokratischen Massenorganisationen vorbei ist. Wir befinden uns in einer Zeit, in der das Klassenbewusstsein im Vergleich zu der Zeit vor 2008 zwar erheblich gewachsen ist, aber der Vertrauensverlust in demokratische Institutionen dieses Wachstum bei weitem übertroffen hat. Heutzutage macht sich die extreme Rechte diesen Vertrauensverlust zunutze, um eine alternative Vision für die Welt voranzutreiben, und das Zentrum linker Aktivitäten hat sich von der Wahlkampfarena zu den verschiedenen sozialen Basisbewegungen verlagert.
Was sollen Revolutionär:innen also in einer solchen Situation tun? Auch wenn weder die Analyse des neuen Autoritarismus noch die Strategie, die wir zu seiner Bekämpfung entwickeln, identisch sein werden wie in der Zeit des klassischen Faschismus, können die Analyse und die Strategien, die Revolutionär:innen in der Vergangenheit zur Bekämpfung der extremen Rechten entwickelt haben, auch heute noch als Inspiration dafür dienen, wie wir uns organisieren können, um dieses neue Monster zu bekämpfen.
Auch wenn ihre genaue Form für die aktuelle Zeit sicherlich geändert werden muss, bleibt die Strategie der Einheitsfront das wichtigste Instrument, über das Revolutionär:innen heute verfügen, um den Aufstieg der extremen Rechten zu bekämpfen.
Die Strategie der Einheitsfront wurde ursprünglich entwickelt, als die revolutionäre Bewegung, welche die Welt nach dem Ersten Weltkrieg aufgewühlt hatte, im Zuge einer instabilen kapitalistischen Restauration um 1921 zu schwächeln begann. Auf ihrem dritten und vierten Kongress 1921 und 1922 formulierte die Kommunistische Internationale, die damals vom Denken Lenins und Trotzkis geprägt war, diese Strategie als eine Möglichkeit, mit der Wiedererstarkung der bürgerlichen Hegemonie umzugehen, bei der Revolutionär:innen per Definition aus einer Position der relativen Schwäche heraus agieren mussten.
Die Strategie zielte darauf ab, die kommunistischen Parteien aus dieser Situation zu befreien, indem sie auf die organisierte Arbeiterklasse rechts von den Kommunist:innen zuging und mit ihr Bündnisse einging, um in diesen Schichten Einfluss zu gewinnen und gemeinsam konkrete Reformen durchzusetzen, während sie gleichzeitig kritisch gegenüber deren Führung blieb. Dies machte die Klasse auch mit der Erfahrung vertraut, gemeinsam organisiert und koordiniert zu arbeiten, was ein absolut wesentliches Merkmal jedes erfolgreichen revolutionären Versuchs sein sollte. Diese Strategie wurde in der Parole „Getrennt marschieren, vereint schlagen!“ zusammengefasst.
Die Strategie erhielt neue Bedeutung, als die wackelige bürgerliche Restauration unter dem Aufkommen des Faschismus zu wanken begann. Bereits 1923 plädierte Clara Zetkin für die Anwendung der Einheitsfront-Taktik gegen den Faschismus. Da Lenin aus gesundheitlichen Gründen allmählich seine Führungsrolle in der Arbeiterbewegung verlor, schlug die Komintern unter Sinowjew eine ultralinke Linie ein und weigerte sich, gemeinsam mit den Sozialdemokrat:innen zu agieren, was den Aufstieg des Faschismus in Italien 1924 und neun Jahre später in Deutschland 1933 ermöglichte.
Die stalinistische Komintern erkannte zwar diesen Fehler, zog aber die falschen Lehren daraus und wechselte dann zur Strategie der „Volksfront“, die nicht die Arbeiterklasse, sondern alle Parteien, einschliesslich der bürgerlichen, gegen den Aufstieg des Faschismus vereinen sollte. In der Praxis bedeutete dies, dass die Revolutionär:innen ihre Unabhängigkeit opfern mussten, und dass das Programm der Volksfront zum Programm einer gemässigten bürgerlichen Reform wurde. Da sie den geschundenen Arbeiter:innen und Bäuer:innen nichts zu bieten hatte, brach die in Spanien aufgebaute Volksfront unter dem Faschismus zusammen. In einer Zeit, in der in Frankreich eine „Neue Volksfront“ als Wahlblock entstanden ist, die versucht, den Aufstieg des neuen Autoritarismus des Rassemblement National einzudämmen, sollte uns dieses Scheitern an die Grenzen eines solchen Ansatzes erinnern.
Die Einheitsfront heute
Vieles von dem, was die Einheitsfrontstrategie gegen den Faschismus ausmachte, gilt auch heute für den Kampf gegen die neuen Autoritären. Wenn die Schwäche der Linken und der Aufstieg der extremen Rechten tatsächlich die bestimmenden Merkmale des gegenwärtigen Zeitalters sind, dann ist das Engagement für die Einheitsfront wieder unerlässlich geworden.
Wir haben ein hervorragendes Beispiel dafür gesehen, wie dies bei der Goldenen Morgenröte in Griechenland aussah, wo eine antifaschistische Organisation, KEERFA (Vereinigte Bewegung gegen Rassismus und die faschistische Bedrohung), die nach den Grundsätzen der Einheitsfront arbeitete, die aufstrebende faschistische Partei vollständig zerstörte. Die KEERFA schuf eine grosse Koalition von Organisationen der Arbeiterklasse, von Gewerkschaften bis hin zu revolutionären Gruppen, die ein grundlegendes gemeinsames Interesse daran hatten, die Goldene Morgenröte am Wachsen zu hindern.
Es muss sich um offen operierende Massenorganisationen handeln, die zwar Sicherheit ernst nehmen, aber nicht eine paranoide Sicherheitskultur über Offenheit und Effektivität stellen.
Eine neue Einheitsfrontstrategie beantwortet die Frage nach der spezifischen Rolle der revolutionären Organisation heute. Wenn man wie Tempest annimmt, dass der Wiederaufbau der Avantgarde der Arbeiterklasse durch Bewegungsarbeit ein wesentlicher Bestandteil einer sinnvollen linken Strategie heute ist, dann stellt sich oft die Frage, welche Rolle der revolutionären Organisation noch zukommt. In dieser Phase wachsender Reaktion ist es klar, dass die revolutionäre Organisation neben ihrer propagandistischen Rolle ihre aktivistische Rolle darin sehen sollte, ihre Einbettung in spezifische Kämpfe zu nutzen, um die antiautoritären Fronten aufzubauen, welche diese Kämpfe vereinen, sie in der Praxis näher an revolutionäre Politik heranzuführen und daran zu arbeiten, die Bedrohung durch die Rechte zu zerschlagen.
Die Frage ist, wie man aus den zersplitterten Gruppen der Linken ausbrechen und Massenpolitik in einer Zeit machen kann, in der die neue Sozialdemokratie auf dem Rückzug und die extreme Rechte auf dem Vormarsch ist. Beim Aufbau der Einheitsfront geht es auch darum, weiterhin mit den breiteren, sich radikalisierenden Schichten der Gesellschaft verbunden zu sein und das Ansehen und den Einfluss von revolutionärer Politik innerhalb der Klasse zu stärken. Wenn sich Teile der Klasse tatsächlich von der neuen Sozialdemokratie des letzten Jahrzehnts abwenden, dann ist es wichtig, einen Weg zu finden, um diese Teile anzusprechen und sie für unsere Politik zu gewinnen. Die Einheitsfront ist ein Instrument, das dies leisten kann.
Revolutionär:innen müssen versuchen, grosse Koalitionen von Organisationen der Arbeiterklasse aufzubauen, von sozialen Basisbewegungen über Gewerkschaften bis hin zu anderen sozialistischen Organisationen. Sie müssen Gegenproteste gegen rechte Demonstrationen organisieren und rechte Aktivitäten untergraben, wo immer sie können, damit es sehr unangenehm ist, in der Öffentlichkeit als Befürworter:in des rechtsextremen Flügels aufzutreten. Die Strategie muss darin bestehen, die rechtsextreme Bewegung zu spalten, um ihre radikalsten Elemente zu isolieren. Indem wir die Realitäten des extremsten Flügels des neuen Autoritarismus angreifen und ans Licht bringen, können wir versuchen, den gemässigteren Flügel zu zwingen, sich unter Androhung sozialer Konsequenzen zu distanzieren.
Diese Bewegung muss international sein, denn was in einer Stadt oder in einem Land geschieht, hat nicht nur Auswirkungen auf die Politik dieses Ortes. So ironisch es auch sein mag, sich international für eine globale Desintegration zu organisieren – die internationale extreme Rechte tut genau das. Dies wurde bei einer kürzlich abgehaltenen rechtsextremen Kundgebung in Madrid deutlich, wo sich rechtsextreme Persönlichkeiten unter dem Motto „Make Europe Great Again“ versammelten. An dem Treffen nahmen Santiago Abascal von VOX, Marine le Pen, Viktor Orban und Matteo Salvini teil. Sie begrüssten Trumps Sieg und sprachen mit Begeisterung über die Chancen der AfD bei den bevorstehenden Wahlen in Deutschland.
Durch die internationale Anwendung der Strategie der Einheitsfront kann die Arbeiterklasse konkrete Siege gegen die internationale extreme Rechte erringen und gleichzeitig ermöglichen, dass grosse Teile der Klasse lernen, gemeinsam miteinander zu arbeiten. Von dort aus kann die Linke beginnen, eine grössere Rolle bei der Gestaltung von Form und Inhalt der internationalen Politik zu spielen. Aber in der kommenden Zeit muss die Einheitsfront den Mittelpunkt unseres Handelns darstellen.
Dieser Text erschien am 14. März 2025 in The Tempest. Übersetzung durch die Redaktion.