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Buchvorstellung: «Zwischen Internationalismus und Sachpolitik. Die trotzkistische Bewegung in der Schweiz, 1945-1968»

Der Trotzkismus geht als Denktradition auf Leo Trotzki zurück – neben Lenin der zentrale Architekt der Russischen Revolution 1917 und ein bedeutender Kritiker des Verlusts der Demokratie innerhalb der Kommunistischen Partei der Sowjetunion unter Stalin. Auch während der Nachkriegszeit war der Trotzkismus eine dissidente marxistische Strömung. Lucas Federer bietet in seinem Buch «Zwischen Internationalismus und Sachpolitik. Die trotzkistische Bewegung in der Schweiz, 1945-1968» einen umfassenden historischen Überblick über die politische und agitatorische Entwicklung sowie das organisatorische Innenleben des Schweizer Trotzkismus. (Red.)

von BFS Zürich

Vor wenigen Tagen ist ein neues Buch zum Schweizer Trotzkismus vor 1968 erschienen. Die als Dissertation verfasste Studie von Lucas Federer setzt zeitlich im Zweiten Weltkrieg an, als sich die Trotzkist:innen in der Schweiz aus einer absoluten Minderheitsposition heraus gegen den um sich greifenden Militarismus wehrten. International durch den Weltkrieg und Verfolgung geschwächt, rekonstituierte sich nach dem Krieg die Vierte Internationale in Europa neu und auch in der Schweiz entstanden erneut gegen aussen sichtbare Organisationen, die sich dem Trotzkismus zugehörig fühlten und sich auch an der internationalen Aufbauarbeit der trotzkistischen Netzwerke beteiligten: Die Proletarische Aktion (PA) und etwas später der Sozialistische Arbeiterbund (SAB).

Diese Organisationen schafften es trotz ihrer geringen Grösse und entgegen dem antikommunistischen Klima der geistigen Landesverteidigung, für sie zentrale Themen in breiteren gesellschaftlichen Kreisen ins Gespräch zu bringen.

So unterstützten die vor allem in der Deutschschweiz aktiven Gruppen beispielsweise die algerische Unabhängigkeitsbewegung in ihrem Widerstand gegen die französische Unterdrückung. Sie beherbergten algerische Aktivist:innen, dienten als Briefkästen und schrieben in Zeitungen für die algerische Sache. Dies wiederum rief wiederholt die Sicherheitsorgane auf den Plan, die unter dem Vorwand von geplanten Gewaltakten die Trotzkist:innen mit Haudurchsuchungen und Verhaftungen von ihrem Engagement abzuhalten versuchten.

In den späten 1950er Jahren wiederum waren die Schweizer Trotzkist:innen massgeblich am Aufbau des Schweizer Ablegers der transnationalen Bewegung gegen die atomare Aufrüstung beteiligt, die sich der wahnwitzigen Aufrüstungsspirale des Kalten Krieges entgegenstellte.

Zwischen Internationalismus und Sachpolitik.” schildert die Entwicklung des Schweizer Trotzkismus.

Wie und warum sie das taten und was man daraus über die Gesellschaft und die Politik der Schweiz im Kalten Krieg lernen kann, darauf geht das Buch auf ungefähr 300 Seiten sein. Doch nicht nur die politischen Konzeptionen des Trotzkismus werden untersucht, sondern es wird auch auf ihr Innenleben geblickt: Wie haben sich die Trotzkist:innen konkret organisiert? Was war die Rolle von Frauen und Männern in der Organisation? Und woher kam das Geld für die politischen Projekte, für die Zeitschriften und die internationalen Reisen?

In den frühen 1960er Jahren zerfielen die trotzkistischen Organisationen in der Schweiz dann langsam, beziehungsweise lösten sich in die Bewegungen rund um die atomare Bewaffnung und später die Vietnamkriegs-Solidarität auf. Es sollte bis ins Jahr 1969 dauern, bis mit der Revolutionär Marxistischen Liga (RML) die bis anhin grösste Organisation des Trotzkismus in der Schweiz entstand. Einige Personen, die bereits seit den 1950er Jahren in trotzkistischen Kreisen aktiv waren, halfen ihr, in der Deutschschweiz Fuss zu fassen, und standen damit für die Kontinuität der politischen Organisierung eines dissidenten Sozialismus in der Schweiz, von den 1930er Jahren bis weit über die gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüche von 1968 hinaus.

Gerade in den aktuellen, sehr unruhigen und bedrückenden Zeiten mit dem Krieg in der Ukraine ist die Geschichte dieser kleinen, konsequent antimilitaristischen Strömung der politischen Linken wieder besonders interessant. Und auch die gesellschaftlichen Dynamiken, in denen die Trotzkist:innen zwischen Zweitem Weltkrieg und 1968 agieren mussten, kommen einem in gewissen Dimensionen seltsam bekannt vor.

Das Buch ist im Buchhandel erhältlich. Gleichzeitig ist es online als open access Veröffentlichung gratis verfügbar:

Federer, Lucas: Zwischen Internationalismus und Sachpolitik. Die trotzkistische Bewegung in der Schweiz, 1945-1968, Bielefeld 2022: transcript Verlag.

Online: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-6144-6/zwischen-internationalismus-und-sachpolitik/


Titelbild: Schweizerisches Sozialarchiv (SSA): Sozarch_F_5047-Fb-147.

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